TE Vwgh Erkenntnis 2020/11/27 Ra 2020/16/0151

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Veröffentlicht am 27.11.2020
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Index

27/03 Gerichtsgebühren Justizverwaltungsgebühren
27/04 Sonstige Rechtspflege
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §13 Abs3
AVG §56
AVG §57
AVG §57 Abs2
AVG §66 Abs4
GEG §6 Abs2
GEG §7
GGG 1984 TP12 lith Z1
GGG 1984 TP12 lith Z2
GGG 1984 §2 Z1 liti
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs2
VwGVG 2014 §28 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma sowie Mag. Straßegger und Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Dipl. Ing. N S in W, vertreten durch DDr. Wolfgang Doppelbauer, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Rainerstraße 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. September 2020, W176 2223896-1/5E, betreffend Gerichtsgebühren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Unbestritten ist, dass das Bezirksgericht H. in den Pflegschaftsverfahren betreffend die (damals minderjährigen) Söhne des Revisionswerbers mehrfach gemäß § 104a AußStrG Kinderbeistände bestellt hatte.

2        Mit Zahlungsauftrag (Mandatsbescheid) vom 21. September 2018 schrieb die Kostenbeamtin des Bezirksgerichtes namens der Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien dem Revisionswerber folgende Gerichtsgebühren vor:

„Sonstige Vorschreibung lt. Beschluss ON 234 vom 07.12.2010 bzw. Beschluss ON 245 vom 31.01.2011 (TP 12 lit. h Z 1 GGG)

263,00 EUR

Sonstige Vorschreibung lt. Beschluss ON 234 vom 07.12.2010 bzw. Beschluss ON 245 vom 31.01.2011 (TP 12 lit. h Z 1 GGG)

276,00 EUR

Sonstige Vorschreibung lt. Beschluss ON 234 vom 07.12.2010 bzw. Beschluss ON 245 vom 31.01.2011 (TP 12 lit. h Z 1 GGG)

276,00 EUR

Sonstige Vorschreibung lt. Beschluss ON 234 vom 07.12.2010 bzw. Beschluss ON 245 vom 31.01.2011 (TP 12 lit. h Z 1 GGG)

276,00 EUR

Sonstige Vorschreibung lt. Beschluss ON 613 vom 07.07.2016 (TP 12 lit. i Z 2 GGG)

210,00 EUR

Einhebungsgebühr § 6a Abs 1 GEG

8,00 EUR

offener Gesamtbetrag

1.309,00 EUR“

3        Dagegen erhob der Revisionswerber Vorstellung nach § 7 Abs. 1 GEG.

4        Mit Bescheid (Zahlungsauftrag) vom 3. Juli 2019 sprach die Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien hierüber folgendermaßen ab:

„In diesem Verfahren sind folgende Gebühren/Kosten aufgelaufen, für die [der Revisionswerber] zahlungspflichtig ist:

Pauschalgebühr gemäß Tarifpost 12 lit. h Ziffer 1 Gerichtsgebührengesetz in der damals geltenden Fassung (TP 12 lit. h Z 1 GGG idgF.),

laut Protokoll ON 462 - erneute Bestellung des Kinderbeistandes;

Zeitraum 22.01.2014 -22.07.2014

€ 441,00

Pauschalgebühr gemäß TP 12 lit. h Z 2 GGG idgF., Zeitraum 23.07.2014-23.07.2015

€ 276,00

Pauschalgebühr gemäß TP 12 lit. h Z 2 GGG idgF., Zeitraum 24.07.2015-24.07.2016

€ 276,00

Pauschalgebühr gemäß TP 12 lit. h Z 2 GGG idgF., Zeitraum 25.07.2016-25.07.2017

€ 276,00

Einhebungsgebühr gem. § 6a Abs. 1 Gerichtliches Einbringungsgesetz (GEG)

€ 8,00

offene Gebühren / Kosten

€ 1.277,00

Der Gesamtbetrag muss binnen 14 Tagen auf dem folgenden Konto einlangen, ansonsten wird ein Exekutionsverfahren gegen Sie eingeleitet werden:

...“

5        Begründend führte die Behörde - soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz - aus, das Bezirksgericht habe im vorangegangenen Obsorgeverfahren mit Beschluss vom 3. Jänner 2011, ON 245, der beiden Elternteilen zugestellt worden sei, einen Kinderbeistand bestellt. Durch die Entscheidung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 22. Februar 2011 (ON 259 des Pflegschaftsaktes) habe das seit 23. März 2007 anhängige Obsorgeverfahren geendet. Eine gesonderte Enthebung des Kinderbeistandes sei unterblieben. Das nächste Obsorgeverfahren habe am 31. Dezember 2012 (ON 374) begonnen. In der Tagsatzung vom 22. Jänner 2014 (Protokoll ON 462) sei die weitere Vorgangsweise betreffend die Weiterbestellung des ursprünglichen Kinderbeistandes erörtert worden. Diese Erörterung sei einer mündlichen Verkündung eines Beschlusses in einer Verhandlung gleichzusetzen. Das Erstgericht habe betreffend den ehemals bestellten Kinderbeistand keinen gesonderten Bestellungsbeschluss gefasst. Eine Ausfertigung des Protokolls sei am 27. Jänner 2014 an den Vertreter des Revisionswerbers und an die Mutter ergangen. Während des anhängigen Obsorgeverfahrens sei mit Beschluss vom 18. März 2015, ON 534, die Bestellung eines Kinderbeistandes für den minderjährigen M. erfolgt und dieser an die Vertreter der Eltern übermittelt worden. Das Obsorgeverfahren habe mit Beschluss vom 8. April 2016 (ON 595), durch die Entscheidung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 29. November 2016 bestätigt, endgültig geendet.

6        Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde.

7        Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Bundesverwaltungsgericht in Erledigung dieser Beschwerde den Bescheid vom 3. Juli 2019 dahingehend ab, dass der Revisionswerber zur Zahlung von Gerichtsgebühren von insgesamt EUR 1.001,-- verpflichtet werde, und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8        Begründend stellte das Verwaltungsgericht zunächst den „Verfahrensgang“ dar:

„1. Dem gegenständlichen Verfahren nach dem Gerichtsgebührengesetz, BGBl. Nr. 501/1984 (GGG), liegt das vor dem Bezirksgericht H. zu Zl. ... geführte Pflegschaftsverfahren zugrunde. Der nunmehrige [Revisionswerber] ist Vater zweier (damals noch minderjähriger) Kinder, deren Obsorge Gegenstand dieses Pflegschaftsverfahren war.

Im Protokoll der in diesem Verfahren abgehaltenen Tagsatzung vom 22.02.2014 (ON 462) wurde festgehalten, dass - wie bereits zuvor - Mag. R S als Kinderbeistand hinzugezogen werden solle und dass überdies erörtert worden sei, dass aufgrund der besonderen Bedürfnisse für eines der beiden Kinder des [Revisionswerbers] erforderlichenfalls ein Kinderbeistand, der die Befähigung hat, mit behinderten Kindern zu kommunizieren, bestellt werde. Eine Zustellung dieser Niederschrift an den [Revisionswerber] oder seinen Rechtsvertreter erfolgte nicht.

Mit Beschluss vom 18.03.2015 (ON 534), dem [Revisionswerber] zu Handen seines Rechtsvertreters zugestellt am 25.03.2015, wurde Dipl. Päd. E W zum Kinderbeistand bestellt.

2. Mit Zahlungsauftrag (Mandatsbescheid) vom 21.09.2018, Zl..., wurde der [Revisionswerber] zur Zahlung von im Pflegschaftsverfahren aufgelaufenen Kosten/Gebühren verpflichtet; dieser Zahlungsauftrag trat jedoch durch die rechtzeitige Erhebung einer Vorstellung durch den [Revisionswerber] außer Kraft.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid schrieb die Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien (im Folgenden: belangte Behörde) dem [Revisionswerber] für die erneute Bestellung eines Kinderbeistandes gemäß dem Beschluss ON 462 für einen näher genannten Zeitraum Gebühren nach Tarifpost (TP) 12 lit. h Z 1 GGG idHv EUR 441,-- sowie (für den Zeitraum 2014 bis 2017) drei Mal die Pauschalgebühr nach TP 12 lit. h Z 2 GGG idHv von jeweils EUR 276,-- zuzüglich der Einhebungsgebühr nach § 6a Abs. 1 Gerichtliches Einbringungsgesetz, BGBl. Nr. 288/1962 (GEG) idHv EUR 8,--, insgesamt sohin EUR 1.277,--, zur Zahlung vor.

Begründend führte die Behörde aus, dass im vorangegangenen Obsorgeverfahren, welches mit Entscheidung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 22.02.2011, Zl. .., geendet habe, ein Kinderbeistand bestellt worden sei. Eine gesonderte Enthebung desselben sei unterblieben. Im nächsten Obsorgeverfahren, für das nun die Gebühren/Kosten vorgeschrieben würden, sei in der Tagsatzung vom 22.01.2014 (ON 462) die Weiterbestellung des ursprünglichen Kinderbeistandes erörtert worden. Die Erörterung sei einer mündlichen Verkündung eines Beschlusses in einer Verhandlung gleichzusetzen. Ein gesonderter Bestellungsbeschluss sei nicht gefasst worden. Eine Ausfertigung des Protokolls der Tagsatzung sei am 27.01.2014 an die Vertreter der Kindesmutter und des Kindesvaters abgefertigt worden. Mit Beschluss vom 18.03.2015 (ON 534) sei ein weiterer Kinderbeistand für das behinderte Kind bestellt worden, der Bestellungsbeschluss an die Vertreter der Eltern übermittelt worden. Das zweite Obsorgeverfahren habe mit Beschluss ON 595 vom 08.04.2016 geendet, wobei die Entscheidung durch das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien vom 29.11.2016 bestätigt worden sei. Da die Pauschalgebühr nach Anmerkung 10 zu TP 12 GGG nur einmal zu entrichten sei, löse, so die Ansicht der Behörde, die Bestellung des zweiten Kinderbeistandes keine weitere Gebührenschuld aus.

4. In der fristgerecht dagegen erhobenen Beschwerde verwies der [Revisionswerber] darauf, dass Beschlüsse Formerfordernisse zu erfüllen hätten, im Falle ihrer mündlichen Verkündung seien sie schriftlich auszufertigen und den Parteien zuzustellen. Die von der belangten Behörde ins Treffen geführte mündliche Erörterung in der Tagsatzung am 22.01.2014 erfülle nicht einmal ansatzweise die Voraussetzungen eines wirksamen Beschlusses. Insbesondere sei dem [Revisionswerber] das Protokoll ON 462 nie zugestellt worden. Die letzten förmlich gefassten Beschlüsse betreffend Bestellung eines Kinderbeistands datierten aus dem vorangegangenen Pflegschaftsverfahren (ON 245 und ON 234); die darauf beruhenden Forderungen bereits verjährt und der [Revisionswerber] demnach nicht zahlungspflichtig.

5. Sodann legte die belangte Behörde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

6. In der Folge ersuchte das Bundesverwaltungsgericht das Bezirksgericht H. um Übermittlung der für das Gerichtsgebührenverfahren maßgeblichen Akteneile, woraufhin dieses Kopien von Aktenstücken aus dem betreffenden Zeitraum übermittelte.“

9        Hiernach traf das Verwaltungsgericht folgende Feststellungen:

„Das Protokoll der Tagsatzung vom 22.01.2014 (ON 462) wurde dem [Revisionswerber] nicht zugestellt.

Der Beschluss vom 18.03.2015 über die Bestellung von Dipl. Päd. W zum Kinderbeistand (ON 534) wurde dem [Revisionswerber] am 25.03.2015 zu Handen seines Rechtsvertreters zugestellt.“

10       In rechtlicher Hinsicht erwog das Verwaltungsgericht unter Zitierung der §§ 38 und 104a Abs. 1 und 5 AußStrG sowie § 2 Abs. 1 lit. h Z 1 und TP 12 GGG:

„Soweit im angefochtenen Bescheid ausgeführt wird, dass der bereits im vorangegangenen Verfahren bestellte Kinderbeistand zu keinem Zeitpunkt enthoben wurde, ist darauf zu verweisen, dass dessen Bestellung mit der rechtskräftigen Erledigung der Sache endet und die Bestellung desselben im vorangegangen, aber abgeschlossenen Verfahren für eine Gebührenpflicht für das zweite Pflegschaftsverfahren nicht auslösen kann. Auch kommt eine Verlängerung des Kinderbeistandes nach § 104a Abs. 5 AußerStrG nur dann in Betracht, wenn ein weiteres Verfahren anhängig wird, solange das vorangegangene noch nicht abgeschlossen ist, was vorliegend jedoch nicht der Fall war.

Daher ist im nächsten Schritt zu prüfen, ob mit der mündlichen Erörterung der neuerlichen Bestellung von Mag. S zum Kinderbeistand eine - wirksame - Bestellung vorliegt. Die belangte Behörde führt hierzu aus, dass kein eigener Bestellungsbeschluss gefasst worden sei, jedoch die Erörterung der Bestellung einer mündlichen Verkündung eines Beschlusses in der Verhandlung/Tagsatzung gleichzusetzen sei.

Dem kann schon deshalb nicht gefolgt werden, da - wie sich aus den Feststellungen ergibt - jedenfalls dem in § 38 AußerStrG normierten Erfordernis der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung eines solchen Beschlusses an den Beschwerdeführer nicht nachgekommen wurde.

Im vorliegenden Fall wurde jedoch überdies infolge der besonderen Bedürfnisse des behinderten Sohnes des [Revisionswerbers] Dipl. Päd. W als Kinderbeistand bestellt. Die belangte Behörde führt zwar zutreffend aus, dass nach Anmerkung 10 zu TP 12 GGG die Pauschalgebühr nur einmal zu entrichten ist. Da jedoch - wie aufgezeigt - zuvor (dem [Revisionswerber] gegenüber wirksam) kein Kinderbeistand bestellt wurde, löst die Bestellung von Dipl. Päd. W mit Beschluss vom 18.03.2015, dem [Revisionswerber] zugestellt am 25.03.2015, die Pauschalgebühr nach TP 12 lit. h GGG aus.

Ausgehend davon, dass die Zahlungspflicht des [Revisionswerbers] erst mit 25.03.2015 (Zeitpunkt der Zustellung des Bestellungsbeschlusses an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers) begründet wurde, berechnet sich die Gebühr demnach wie folgt:

Gebühr für den Zeitraum
vom 25.03.2015 bis 25.09.2015
(sechs Monate nach TP 12 lit. h Z 1)

EUR 441,--

Gebühr für weitere 12 Monate
vom 26.09.2015 bis 26.09.2016
(Pauschalgebühr nach TP 12 lit. h Z 2)

EUR 276,--

vom 27.09.2016 bis 27.09.2017
(Pauschalgebühr nach TP 12 lit. h Z 2)

EUR 276,--

Einhebungsgebühr gem. § 6a Abs. 1 GEG

EUR 8,--

Offene Gebühren/Kosten

EUR 1.001,--

Der angefochtene Bescheid war daher dahingehend abzuändern, dass der vom [Revisionswerber] zu zahlende Betrag EUR 1.001,-- beträgt.

Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass der mit Datum des 25.03.2015 begründete Gebührenanspruch gemäß § 8 GEG nicht verjährt ist, zumal der Anspruch des Bundes auf die Entrichtung der Gebühren in fünf Jahren verjährt und die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres zu laufen beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und die Person des Zahlungspflichtigen feststeht, frühestens mit rechtskräftiger Beendigung des Grundverfahrens.“

Abschließend begründete das Verwaltungsgericht seine Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung und seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision.

11       In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Revision erachtet sich der Revisionswerber in seinen subjektiven Rechten verletzt, zur Zahlung von Pauschalgebühren nur durch die zuständige Behörde verpflichtet zu werden, weiters auf Einräumung des gesetzlich vorgesehenen Instanzenzuges und in seinem Recht, nur für Zeiträume, in denen eine Tätigkeit eines Kinderbeistandes erfolgt sei, Gerichtsgebühren entrichten zu müssen.

Die Zulässigkeit seiner Revision legt er darin dar, die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes weiche grundlegend vom AVG und von der gesicherten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Begriff der „Sache“ ab. Die entscheidende Rechtsfrage besteht zunächst darin, ob das Verwaltungsgericht zulässigerweise die Gebührenpflicht zu § 104a AußStrG ohne weiteres alternativ auf einen bisher nicht herangezogenen Eingangstatbestand stützen und den der Gebührenpflicht zu Grunde liegenden Zeitraum habe verlängern dürfen. Gemäß § 66 AVG bilde der Inhalt des Spruchs des Bescheides der Unterinstanz den Entscheidungsspielraum. Das Verwaltungsgericht sei nicht berechtigt gewesen, den Gebührentatbestand auszuwechseln.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat gemäß § 36 VwGG über diese Revision das Vorverfahren eingeleitet, in dessen Rahmen die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattete, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13       Die Revision erweist sich aus folgenden Gründen als zulässig und berechtigt:

14       Gemäß § 6b Abs. 1 GEG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes vorgesehen ist, für das Verfahren zur Einbringung die Bestimmungen des GOG mit Ausnahme des § 91, und subsidiär des AVG anzuwenden.

Wer sich durch den Inhalt eines Mandatsbescheides, der von einem Kostenbeamten (§ 6 Abs. 2) namens der Behörde erlassen wurde, beschwert erachtet, kann gemäß § 7 Abs. 1 GEG binnen zwei Wochen Vorstellung bei der Behörde (§ 6 Abs. 1) erheben.

15       Prozessgegenstand des Vorstellungsverfahrens ist der Mandatsbescheid, der durch den Vorstellungsbescheid ersetzt wird (vgl. die in Hengstschläger-Leeb, AVG 2. Teilband, unter Rz 48 zu § 57 AVG wiedergegebene Rechtsprechung). Trotz Fehlens einer dem § 66 Abs. 4 AVG entsprechenden ausdrücklichen Bestimmung für das Vorstellungsverfahren ist auch die Behörde, die über eine Vorstellung nach § 57 Abs. 2 AVG zu entscheiden hat, berechtigt und bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen verpflichtet, das Mandat in jeder Richtung, daher in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nach der im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides nach § 56 AVG bestehenden Sach- und Rechtslage zu überprüfen (VwGH 20.12.1983, 83/11/0030 = Slg. 11.272/A), allerdings nur im Rahmen dessen, was „Sache“ des Mandatsbescheides gewesen ist.

Weist der Mandatsbescheid etwa einen Antrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurück, so hat die Vorstellungsbehörde ausschließlich darüber zu entscheiden, ob eine Sachentscheidung zu Recht verweigert wurde; die Entscheidung in der Sache selbst steht der Vorstellungsbehörde nicht zu, wie sich aus der Rechtsmittelfunktion der Vorstellung ergibt (VwGH 14.9.1994, 94/12/0081).

16       Gemäß § 66 Abs. 4 erster Satz AVG hat die Berufungsbehörde in der Regel in der Sache selbst zu entscheiden. „Sache“ in diesem Sinn ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat; die Berufungsbehörde darf sachlich nicht über mehr entscheiden, als Gegenstand der Entscheidung der Unterinstanz war. Die den Entscheidungsspielraum der Berufungsbehörde begrenzende Sache iSd. § 66 Abs. 4 AVG ist nicht jene, welche in erster Instanz in Verhandlung stand, sondern die, die durch den Spruch des erstinstanzlichen Bescheides begrenzt ist (vgl. etwa die in Walter/Thienel, AVG I² unter E 109 ff zu § 66 wiedergegebene Judikatur).

17       Entscheidet eine Behörde zweiter Instanz in einer Angelegenheit, die nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen war, in Form eines (im Ergebnis erstmaligen) Sachbescheides, so fällt eine solche Entscheidung nicht in die funktionelle Zuständigkeit der Berufungsbehörde. Ausschlaggebend ist, was Gegenstand des Spruchs der ersten Instanz war (VwGH 24.5.2016, 2013/07/0076, mwN; vgl. etwa auch Hengstschläger-Leeb, aaO 3. Teilband, Rz 59 zu § 66 AVG mwN).

18       Wenngleich § 66 Abs. 4 AVG einerseits und § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG andererseits unter jeweils verschiedenen Tatbestandsvoraussetzungen eine Pflicht zur Entscheidung „in der Sache selbst“ normieren, ist das Verständnis dessen, was unter „Sache des Verfahrens“ zu verstehen ist, unverändert geblieben. Der zu § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Judikatur liegen nämlich Rechtsschutzerwägungen zu Grunde, die ihrerseits auch für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gelten (VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002 = Slg. 19.009/A, mwN).

19       Die „Sache“ des bekämpften Bescheides bildet den äußersten Rahmen für die „Prüfungsbefugnis“ des Verwaltungsgerichts. Mit deren Überschreitung nimmt das Verwaltungsgericht eine ihm nach dem Gesetz nicht zustehende Kompetenz in Anspruch (Hengstschläger/Leeb, aaO Ergänzungsband, Rz 37 zu § 28 VwGVG, mwN).

20       Was „Sache“ ist, ist nur an Hand der Verwaltungsvorschrift, die die konkrete Verwaltungssache bestimmt, zu beurteilen (vgl. wiederum etwa die in Walter/Thienel, AVG I² unter E 113 zu § 66 wiedergegebene Judikatur).

21       Das Grundverfahren vor dem Bezirksgericht hatte den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses zufolge u.a. die mehrfache Bestellung von Kinderbeiständen für die (minderjährigen) Kinder des Revisionswerbers gemäß § 104a AußStrG zum Gegenstand.

22       Gemäß § 2 Z 1 lit. i erster Satz zweiter Halbsatz GGG, eingefügt durch das Kinderbeistand-Gesetz, BGBl. I Nr. 137/2009, wurde der Anspruch des Bundes auf die Gebühr, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt wurde, hinsichtlich der Pauschalgebühren für das in Tarifpost 12 lit. h Z 1 angeführte Verfahren mit Zustellung des Bestellungsbeschlusses an die Partei, für das in Tarifpost 12 lit. h Z 2 angeführte weitere Verfahren nach Ablauf von sechs Monaten ab Zustellung des Bestellungsbeschlusses bzw. jeweils nach Ablauf der weiteren zwölf Monate begründet.

In Tarifpost 12 GGG wurde durch das Kinderbeistand-Gesetz eine lit. h eingefügt, die für Verfahren nach § 104a AußStrG für die ersten sechs Monate ab Bestellung eines oder mehrerer Kinderbeistände (Z 1) und für je weitere begonnene zwölf Monate Verfahrensdauer (Z 2) Gerichtsgebühren vorsah.

23       Durch die Gerichtsgebühren-Novelle 2014, BGBl. I Nr. 19/2015 - GGN 2014, wurde der zweite Halbsatz des ersten Satzes in § 2 Z 1 lit. i lautend auf „für das in Tarifpost 12 lit. h Z 2 angeführte Verfahren mit Ablauf von sechs Monaten ab Zustellung des Bestellungsbeschlusses bzw. jeweils nach dem Ablauf der weiteren zwölf Monate;“ neu gefasst; weiters wurde der Einleitungssatz in Tarifpost 12 lit. h GGG unter Entfall der Z 1 und des Wortes „weitere“ in Z 2 neu gefasst.

Diese Änderungen traten gemäß Art. VI Z 58 GGG, angefügt durch die GGN 2014, mit 1. Juli 2015 in Kraft. § 2 Z 1 lit. i und TP 12 lit. h idF der GGN 2014 sind auf Fälle anzuwenden, in denen die Bestellung eines oder mehrerer Kinderbeistände nach dem 30. Juni 2015 erfolgt. § 2 Z 1 lit. i und TP 12 lit. h in der „bisherigen Fassung“ sind auf Fälle anzuwenden, in denen die Bestellung vor dem 1. Juli 2015 erfolgte.

24       Die die Verwaltungssache bestimmende Vorschrift (vgl. oben Rz. Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.) des § 2 Z 1 lit. i GGG stellt für die Begründung der Gerichtsgebührenpflicht auf die Zustellung „des Bestellungsbeschlusses“, d.h. eines bestimmten Beschlusses, und auf die daran anschließenden, d.h. konkret folgenden Zeiträume der aufrechten Bestellung eines Kinderbeistandes (oder deren mehrerer) ab.

25       Damit ist der These der Revisionsbeantwortung, dass jede Bestellung eines Kinderbeistandes (sowie die daran anschließenden Zeiträume) während eines laufenden Obsorgeverfahrens die Sache des Vorschreibungsverfahrens bilden könne, der Boden entzogen.

26       Im vorliegenden Fall hatte der Mandatsbescheid vom 21. September 2018 die Vorschreibung von Gerichtsgebühren, offenbar nach TP 12 lit. h Z 1 GGG vierfach durch Beschlüsse vom 7. Dezember 2010 und vom 31. Jänner 2011 begründet, sowie einmal nach TP 12 lit. i Z 2 GGG durch einen Beschluss vom 7. Juli 2016, ON 613, begründet, zum Gegenstand.

27       Der vor dem Verwaltungsgericht angefochtene Bescheid wich von dieser „Sache“ des Mandatsbescheides insofern ab, als er eine Pauschalgebühr nach TP 12 lit. h Z 1 GGG für den Zeitraum vom 22. Jänner bis 22. Juli 2014 auf einen Bestellungsbeschluss ON 462 und drei Pauschalgebühren nach TP 12 lit. h Z 2 GGG auf die drei daran anschließenden Jahre gründete.

28       Das angefochtene Erkenntnis entschied über die Beschwerde gegen den Vorstellungsbescheid gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG in der Sache dahingehend, dass es ausgehend von der Zustellung eines Bestellungsbeschlusses am 25. März 2015 für den Zeitraum vom 25. März bis 25. September 2015 Pauschalgebühr nach TP 12 lit. h Z 1 GGG und für zweimal zwölf weitere Monate Pauschalgebühren nach TP 12 lit. h Z 2 GGG (zuzüglich einer Einhebungsgebühr) vorschrieb.

29       Im Hinblick auf den die Gebührenpflicht auslösenden Tatbestand des § 2 Z 1 lit. i erster Satz zweiter Halbsatz GGG, der nach dem Gesagten für die Pauschalgebühr nach Tarifpost 12 lit. h Z 1 GGG auf die Zustellung des Bestellungsbeschlusses an die Partei, d.h. eines bestimmten Beschlusses, und für die Pauschalgebühr nach Tarifpost 12 lit. h Z 2 GGG auf die daran anschließenden weiteren Zeiträume abstellte, tauschte nicht nur die vor dem Verwaltungsgericht belangte Vorstellungsbehörde die Sache, die den Spruch des Mandatsbescheides gebildet hatte, aus, sondern wich auch das Verwaltungsgericht mit seiner Entscheidung in der Sache vom Spruch des dort angefochtenen Vorstellungsbescheides ab.

30       Mit seiner Entscheidung in der Sache belastete das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge seiner Unzuständigkeit, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben ist.

31       Um im Sinne des Gesagten das Verfahren auf die „Sache“ des Mandatsbescheides vom 21. September 2018 zurückzuführen, wird das Verwaltungsgericht seinerseits den dort angefochtenen Vorstellungsbescheid vom 3. Juli 2019 aufzuheben haben.

32       Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. November 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020160151.L00

Im RIS seit

26.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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