TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/13 W182 1256772-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.08.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

13.08.2020

Norm

AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §21 Abs5
BFA-VG §9
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
FPG §9

Spruch

W182 1256772-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER nach der Beschwerdevorentscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.07.2019, Zl. 740198506 / 171116993, aufgrund des Vorlageantrages von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Thomas BÖCHZELT, über die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2019, Zl. 740198506 / 171116993, gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 7 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sowie § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I. Nr. 87/2012 idgF, § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 46 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 55 Abs. 1 - 3 FPG, § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 und 9 FPG als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 21 Abs. 5 BFA-VG wird festgestellt, dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme zum Zeitpunkt der Erlassung rechtmäßig war.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch: BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist muslimischen Glaubens und stammt aus der Republik Tschetschenien. Der Genannte reiste zusammen mit seiner damaligen Gattin und den gemeinsamen sechs Kindern am 06.02.2004 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

Als Fluchtgründe führte der Rechtsmittelwerber hierbei zum einen ins Treffen, einmal im Sommer 2002 zusammen mit ungefähr 300 weiteren Bewohnern seines Heimatdorfes von russischen Soldaten auf ein Feld getrieben, geschlagen und vom Dorf vertrieben worden zu sein, wobei der BF jedoch nach drei Tagen wieder heimgekehrt sei. Zum anderen wäre sein Sohn im Oktober 2003 von russischen Soldaten abgeholt und den ganzen Tag hinsichtlich des aktuellen Aufenthaltsortes der Rebellen verhört worden. Daraufhin habe der Beschwerdeführer am 21.11.2003 das Herkunftsland Richtung Österreich verlassen.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.12.2004, Zl. 04 01.985-BAT, wurde der Asylantrag des Genannten gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl I Nr. 126/2002, zunächst abgewiesen (Spruchpunkt I.), dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. Jedoch für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt II.) sowie unter einem dem Rechtsmittelwerber gemäß § 8 Abs. 3 iVm §15 Abs. 2 leg. cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10.12.2005 erteilt (Spruchpunkt III.), welche in weiterer Folge bis zum 01.03.2007 verlängert wurde.

Der gegen Spruchpunkt I. fristgerecht erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 30.11.2006, Zl. 256.772/3-XIX/61/06, gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl I Nr. 126/2002, stattgegeben und dem Beschwerdeführer Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wurde festgestellt, wonach dem Genannten damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Dazu wurde begründend im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller im Dezember 1995 von russischen Soldaten festgenommen und unter Zwang verpflichtet worden sei, Informationen über den Widerstand zu liefern, was er in der Folge nicht getan habe. Nach Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges habe er sich an verschiedenen Orten aufgehalten, wobei wiederholt seitens der Russen nach ihm gesucht worden sei. Im Sommer 2002 sei er mit anderen männlichen Bewohnern von russischen Soldaten auf eine Wiese geführt und dort geschlagen und erniedrigt worden. Im Oktober 2003 sei sein Sohn für einige Stunden von Russen festgenommen worden. Aufgrund der vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfälle sei es schlüssig, dass die russischen Behörden sowie mit diesen in Tschetschenien kooperierende Gruppe den Beschwerdeführer weiter verfolgen. Er sei mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen seiner aktiven Teilnahme am tschetschenischen Widerstand und der offensichtlichen Wegerung für die Russen Spionagedienste zu leisten einer Verfolgung ausgesetzt.

2.1. Aus Berichten des Landesamtes für Verfassungsschutz (LVT) XXXX vom XXXX und XXXX 2013, Zln. XXXX sowie XXXX , geht hervor, dass der begründete Verdacht vorliege, wonach sich der Beschwerdeführer laut übereinstimmenden Aussagen seiner Familienmitglieder einer terroristischen Vereinigung iSd § 278c StGB angeschlossen habe. Diesbezüglich wurde ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft XXXX unter der Zahl XXXX anhängig. Es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass sich der Rechtsmittelwerber seit dem Jahr 2013 im Bundesgebiet aufgehalten habe. Offenkundig bestehe seinerseits keinerlei Interesse respektive Notwendigkeit weiterhin internationalen Schutz in Österreich in Anspruch zu nehmen. „Sollte er sich einer terroristischen Vereinigung im Ausland angeschlossen haben, würde er im Falle der Rückkehr eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in der Republik Österreich darstellen (Seite 311 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Dieser Sichtweise wurde auch seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung beigetreten.

Mit Schreiben vom 27.10.2017 teilte die Staatsanwaltschaft XXXX dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) mit, dass der Genannte im dringenden Verdacht stehe, als aktives Mitglied an einer terroristischen Vereinigung i. S. d. §§ 278 Abs. 3 und 278b Abs. 2 StGB mitzuwirken, „indem er sich XXXX 2013 einer dschihadistischen Gruppe in Syrien anschloss, um sich an Kampfhandlungen gegen die Syrische Republik, insbesondere gegen das Militär des syrischen Präsidenten Assad, zu beteiligen.“ Darüber hinaus bestehe gegen den Beschwerdeführer der dringende Verdacht, dass dieser weitere Personen – konkret auch dessen Söhne – radikalisiert und für Kampfhandlungen zu rekrutieren versucht habe.

Am 10.04.2018 wurde beim zuständigen Bezirksgericht die Bestellung eines Abwesenheitskurators für den Rechtsmittelwerber angeregt. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX 2018, Zl. XXXX , wurde für den Genannten ein Abwesenheitskurator als Vertreter bestellt.

2.2. In weiterer Folge wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 31.05.2019, Zl. 740198506 – 17116993, der dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 30.11.2006, Zl. 256.722/3-XIX/61/06, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 leg. cit. festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Rechtsmittelwerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) sowie diesem ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) Unter einem wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Genannten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 und 9 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.) und mit Spruchpunkt VI. bestimmt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für dessen freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Zur Person des Rechtsmittelwerbers wurde im Wesentlichen festgestellt, dass dessen Identität feststehe, es sich bei selbigem um einen Staatsangehörigen der Russischen Föderation wie auch um einen Angehörigen der Volksgruppe der Tschetschenen sowie einen Sunniten handle. Der Genannte würde an keiner schwerwiegenden lebensbedrohenden physischen oder psychischen Erkrankung oder sonstigen Beeinträchtigungen leiden. Im Jahr 2013 habe der Beschwerdeführer Österreich verlassen, um nach Syrien auszureisen; die daraufhin veranlasste polizeiliche Abmeldung der Meldeadresse sei am 03.01.2014 erfolgt.

Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und die Erlassung eines Einreiseverbotes wurde festgestellt, wonach sich der Rechtsmittelwerber seit dem Jahre 2013 in Syrien aufhalten würde und sich dort einer Terrormiliz angeschlossen hätte. Dieses Verhalten stelle eine Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Zudem wäre der Genannte als Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich zu qualifizieren. Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers ins Herkunftsland könne nicht festgestellt werden, dass selbigen dort Verfolgung irgendeiner Art drohen würde beziehungsweise die Existenzgrundlage völlig entzogen wäre. Dazu wurde im Wesentlichen auf die diesbezüglichen Länderfeststellungen verwiesen und weiters ausgeführt, wonach keinerlei Hinweise dergestalt zutage getreten wären, welche den Genannten im Falle seiner Rückführung in sein Herkunftsland in seinem Recht auf Leben gefährden oder diesen der Folter respektive unmenschlichen Behandlung unterwerfen würde; auch die Verhängung einer Todesstrafe sei in casu nicht zu befürchten. Des Weitere stehe diesem jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative in andere Landesteile außerhalb Tschetscheniens zur Verfügung. Er verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte in Tschetschenien, weshalb auch Unterstützungs- und Unterkunftsmöglichkeiten vorhanden wären. Weder physisch noch mental erkrankt, stünden im vorliegenden Fall auch nicht die Tatbestandselemente des Art. 3 EMRK einer Rückkehr in den Heimatsstaat entgegen.

Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Feststellungen zweifelsfrei aus der Aktenlage, insbesondere der im ursprünglichen Asylverfahren vorgelegten Dokumente, einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister sowie den detaillierten Berichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung (BVT), der Staatsanwaltschaft XXXX sowie des Landesamtes für Verfassungsschutz (LVT) XXXX ergeben würden.

2.3. Gegen diese Entscheidung wurde binnen offener Frist durch den Vertreter des Genannten Beschwerde erhoben. Darin wurde im Wesentlichen moniert, dass es nicht erwiesen sei, dass sich der Rechtsmittelwerber tatsächlich einer Terrormiliz angeschlossen habe. Es bestehe bislang nur ein entsprechender Verdacht. Es würden keine Beweisergebnisse vorliegen, die einen Anschluss an eine Terrormiliz ausreichend tragen. Des weiteren sei nicht davon auszugehen, dass der BF eine Gefahr für die Sicherheit des Landes und Österreich darstelle. Die Gefahr einer konkreten Verfolgung des BF in der Russischen Föderation bestehe weiterhin. Eine Unterstützungs- und Unterkunftsmöglichkeit bei vor Ort befindlichen Familienmitgliedern liege nicht vor.

2.4. Am 07.07.2019 übermittelte das Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) XXXX eine schriftliche Anfragebeantwortung an die belangte Behörde, aus der die konkreten Reisebewegungen des Beschwerdeführers und dessen Söhnen nach Syrien hervorgehen. Des Weiteren sind photographische Auszüge enthalten, welche den Genannten zweifelsfrei erkennbar in unmittelbarer Nähe eines damaligen Anführers einer terroristischen Miliz von XXXX zeigen, wobei im Hintergrund XXXX zu sehen ist. Diesbezüglich wird weiter auf die dazu übereinstimmende Einvernahme der Söhne des BF verwiesen. Die Ausführungen des LVT schließen mit dem Angebot, im Bedarfsfall noch weitere aussagekräftige Bilder, aus denen die aktive Mitgliedschaft des Rechtsmittelwerbers zweifelsfrei hervorgehen soll, liefern zu können.

2.5. In der daraufhin erstinstanzlich bescheidmäßig erlassenen gegenständlichen Beschwerdevorentscheidung vom 08.07.2019, Zl. 740198506/171116993, wurde die Beschwerde gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

Demnach wurde abermals der dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 30.11.2006, Zl. 256.722/3-XIX/61/06, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 leg. cit. festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Rechtsmittelwerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) sowie diesem ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Unter einem wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Genannten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 und 9 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.) und mit Spruchpunkt VI. bestimmt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für dessen freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Als Beweismittel wurde insbesondere auf die Schreiben des BVT und des LVT XXXX sowie Berichte der Staatsanwaltschaft XXXX verwiesen, sowie auf eine am 28.05.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durchgeführte niederschriftliche Einvernahme eines der erwachsenen Söhne des Rechtsmittelwerbers, XXXX . Demnach könne dem Antwortschreiben des LVT XXXX vom 07.07.2019 zweifelsfrei entnommen werden, dass sich der Genannte der terroristischen Gruppierung von XXXX angeschlossen habe. Dazu wurde auch auf jene dem Bericht beigelegten Fotos, welche den Beschwerdeführer an der Seite des Anführers der islamistischen Terrormiliz zeigen würden, verwiesen. Davon unabhängig hätte auch der erwachsene Sohn des Rechtsmittelwerbers in seiner niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt am 28.05.2019 bestätigt, dass sich der Beschwerdeführer im selben Lager wie XXXX aufgehalten habe. Aufgrund dieser inhaltlichen Übereinstimmung sehe die Erstinstanz die Berichte von LVT und BVT als zweifelsfrei erwiesen an. Daraus resultierend würden entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht ausreichend Beweismittel vorliegen, um die Feststellung der Behörde, der BF habe sich einer Terrormiliz im Zuge des syrischen Bürgerkrieges angeschlossen, zu tragen. Daraus resultiere auch dessen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, da die Mitgliedschaft bei einer terroristischen Organisation ein gewichtiges Indiz für eine solche darstelle. Ebenso wenig könne dem Rechtsmittelschriftsatz entnommen werden, worin eine konkrete Gefährdung des Genannten im Falle seiner Rückführung in die Russische Föderation liegen sollte, zumal dessen ursprünglichen Fluchtgründe bereits 15 Jahre zurückliegen und objektiv keinerlei Gegenwartsbezug zur aktuellen Situation aufweisen würden. Dem BF würden im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative in anderen Teilen des Landes, außerhalb Tschetscheniens, zur Verfügung stehen. Angesichts der aktiven Unterstützung einer islamistischen Terrororganisation hätte sich der Beschwerdeführer zugleich eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht und sei ihm daher gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten abzuerkennen. Da zudem in der Russischen Föderation derzeit keine extreme Gefahrenlage im Sinne einer schlechten wirtschaftlichen oder politischen Situation vorherrsche, der Rechtsmittelwerber zudem im Herkunftsland über diverse verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte verfüge, die Landessprache beherrsche sowie mit den herrschenden Gepflogenheiten vertraut sei, könne keine Gefahr einer Existenzgefährdung oder völligen Perspektivenlosigkeit im Falle dessen Rückkehr in sein Heimatland erkannt werden. Vor diesem Hintergrund könne auch keinerlei subsidiärer Schutzstatus zuerkannt werden. Umstände, welche eine Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ rechtfertigen würden, wären im Verfahren nicht hervorgetreten, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 nicht in Betracht zu ziehen gewesen sei. In Bezug auf das ebenfalls zwingend zu berücksichtigende Familienleben des Genannten wäre festzustellen, dass dieser zwar über Teile seiner Kernfamilie im Bundesgebiet verfüge, jedoch könnten diese angesichts dessen mehrjährigen freiwilligen Ortsabwesenheit seit 2013 oder zumindest 2014 nicht mehr unter dem Begriff „Familienleben“ im Sinne des Art. 8 EMRK subsumiert werden. Ebensowenig sei in casu von einem bestehenden und schützenswerten Privatleben in Österreich auszugehen, zumal sich der Beschwerdeführer - wie bereits zuvor ausgeführt - seit 2013 nicht mehr im Land aufhalten würde. Der Umstand, wonach dieser selbst offenkundig keinerlei derartige schützenswerte Interessen im Bundesgebiet erblickt habe, könne aus dessen freiwilliger Ausreise nach Syrien abgeleitet werden. Darüber hinaus stelle die Teilnahme an einer Terrormiliz eindeutig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, weshalb in einer Gesamtabwägung eine Rückkehrentscheidung gegen den Rechtsmittelwerber als zwingend erforderlich anzusehen wäre. Abschließend sei ein unbefristetes Einreiseverbot aufgrund der in § 53 Abs. 3 Z 6 FPG normierten Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung im Sinne des § 278b StGB in Kombination mit einer negativen Zukunftsprognose als gerechtfertigt und notwendig zu qualifizieren.

2.6. Gegen diese Entscheidung wurde von der Vertretung des Beschwerdeführers fristgerecht ein Vorlageantrag eingebracht, in der inhaltlich ausschließlich auf die im vorangegangenen Beschwerdeschriftsatz enthaltenen Ausführungen verwiesen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist Muslim und stammt aus Tschetschenien.

Er reiste am 06.02.2004 gemeinsam mit seiner damaligen Ehefrau und den gemeinsamen Kindern illegal in das Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag einen Asylantrag.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 30.11.2006, Zl. 256.722/3-XIX/61/06, wurde dem Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl I Nr. 126/2002, stattgegeben und festgestellt, dass dem Genannten gemäß § 12 AsylG kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass er von den russischen Behörden während des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges als Mitglied des Widerstandes angesehen worden sei.

Es kann aktuell im Herkunftsstaat keine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer diesbezüglichen Verfolgung oder auch sonst einer maßgeblichen Gefährdung des BF im Herkunftsstaat mehr festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer ist seit XXXX 2013 nicht mehr im Bundesgebiet aufhältig.

Der aktuelle Aufenthaltsort des Genannten kann nicht festgestellt werden. Er wurde im XXXX 2014 von seiner letzten Meldeadresse im Bundesgebiet polizeilich abgemeldet, seither ist keine Meldung mehr in Österreich erfolgt.

Es liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass er über die Türkei nach Syrien ausgereist ist und sich dort einer islamistisch-terroristischen Vereinigung (IS) angeschlossen hat und weiters versucht hat, Personen für diese Organisation für Kampfeinsätze zu rekrutieren.

Es halten sich aktuell noch erwachsene Kinder sowie die geschiedene Gattin an Familienangehörigen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet auf; demgegenüber befinden sich diverse weitere Verwandte und Familienmitglieder im Heimatland des Rechtsmittelwerbers.

Der Rechtsmittelwerber verfügt über eine achtjährige Grundschulausbildung und hat in weiterer Folge seinen Lebensunterhalt im Herkunftsland durch Erwerbstätigkeiten als Schweißer und in der Landwirtschaft bestritten.

2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesamt herangezogenen Länderinformationen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Stand 28.02.2019) zur Situation in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien ausgegangen:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation – Außen- und Europapolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

-        CIA – Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

-        FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

-        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

-        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

-        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

-        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür

des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-        GKS – Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018, http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

-        ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-        Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds, http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer „nichtgenehmigten“ friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht“ angenommen haben, die „Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen“. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von „Geständnissen“ (AA 21.5.2018).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

-        FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

-        ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-        US DOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 – Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Tschetschenien

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramzan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen, und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art „alternativer Justiz“. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017).

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 21.5.2018). Der Konflikt im Nordkaukasus zwischen Regierungskräften, Aufständischen, Islamisten und Kriminellen führt zu vielen Menschenrechtsverletzungen, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen und daher auch zu einem generellen Abbau der Rechtsstaatlichkeit. In Tschetschenien werden Menschenrechtsverletzungen seitens der Sicherheitsbehörden mit Straffreiheit begangen (US DOS 20.4.2018, vgl. HRW 7.2018, AI 22.2.2018).

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018

-        EASO – European Asylum Support Office (9.2014): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautentführung; Waisenhäuser), http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf, S. 9, Zugriff 2.8.2018

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

-        DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf, Zugriff 2.8.2018

-        HRW – Human Rights Watch (7.2018): Human Rights Watch Submission to the United Nations Committee Against Torture on Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/1439255/1930_1532600687_int-cat-css-rus-31648-e.docx, Zugriff 2.8.2018

-        ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam [vergriffen; liegt in der Staatendokumentation auf]

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 2.8.2018

-        US DOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 – Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von Artikel 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. EASO 3.2017).

Auch 2017 gab es Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land. Die Art und Weise, wie Gefangene transportiert wurden, kam Folter und anderen Misshandlungen gleich und erfüllte in vielen Fällen den Tatbestand des Verschwindenlassens. Die Verlegung in weit entfernte Gefängniskolonien konnte monatelang dauern. Auf dem Weg dorthin wurden die Gefangenen in überfüllte Bahnwaggons und Lastwagen gesperrt und verbrachten bei Zwischenstopps Wochen in Transitzellen. Weder ihre Rechtsbeistände noch ihre Familien erhielten Informationen über den Verbleib der Gefangenen (AI 22.2.2018). Laut Amnesty International und dem russischen „Komitee gegen Folter“ kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig. Untersuchungen von Foltervorwürfen bleiben fast immer folgenlos. Unter Folter erzwungene “Geständnisse“ werden vor Gericht als Beweismittel anerkannt (AA 21.5.2018).

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 20.4.2018).

Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. außergerichtlichen Tötungen, Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen (FH 1.2018). In der ersten Hälfte des Jahres 2017 wurden die Inhaftierungen und Folterungen von Homosexuellen in Tschetschenien publik (HRW 18.1.2018). Der Umfang der Homosexuellenverfolgung in Tschetschenien ist bis heute unklar. Bis zu 100 Opfer, darunter auch mehrere Tote, werden genannt. Viele der Verfolgten sind aus Tschetschenien geflohen [vgl. hierzu Kapitel19.4 Homosexuelle] (Standard.at 3.11.2017).

Ein zehnminütiges Video der Körperkamera eines Wächters in der Strafkolonie Nr. 1 in Jaroslawl, zeigt einen Insassen, wie er von Wächtern gefoltert wird. Das Video vom Juni 2017 wurde am 20.07.18 von der unabhängigen russischen Zeitung „Novaya Gazeta“ veröffentlicht. Das Ermittlungskomitee leitete ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch mit Gewaltanwendung ein. Verschiedenen Medienberichten zufolge sollen fünf bis sieben an der Folter beteiligte Personen festgenommen und 17 Mitarbeiter der Strafkolonie suspendiert worden sein. Das Video hatte in der russischen Öffentlichkeit große Empörung ausgelöst. Immer wieder berichten Menschenrechtsorganisationen von Misshandlungen und Folter im russischen Strafvollzug (NZZ 23.7.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-        AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

-        FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 3.8.2018

-        HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422501.html, Zugriff 3.8.2018

-        ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (23.7.2018): Ein Foltervideo setzt Ermittlungen gegen Russlands Strafvollzug in Gang, https://www.nzz.ch/international/foltervideo-setzt-ermittlungen-gegen-russlands-strafvollzug-in-gang-ld.1405939, Zugriff 2.8.2018

-        Standard.at (3.11.2017): Putins Beauftragte will Folter in Tschetschenien aufklären, https://derstandard.at/2000067068023/Putins-Beauftragte-will-Folter-in-Tschetschenien-aufklaeren, Zugriff 3.8.2018

-        US DOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 – Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

Allgemeine Menschenrechtslage

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2018a). Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein „demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform“ ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach „sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)

- Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)

- Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)

- Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)

- Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten