TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/16 Ra 2019/11/0142

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Veröffentlicht am 16.09.2020
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
90/01 Straßenverkehrsordnung
90/02 Führerscheingesetz

Norm

AVG §52
FSG 1997 §24 Abs3
FSG-GV 1997 §14 Abs3
StVO 1960 §5
StVO 1960 §5 Abs1
StVO 1960 §58 Abs1
VwGVG 2014 §24

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick, den Hofrat Dr. Grünstäudl, die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des N G in H, vertreten durch Heinzle - Nagel Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 11. Juli 2019, Zl. LVwG-651470/3/FP, betreffend Anordnung gemäß § 24 Abs. 3 FSG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Linz-Land), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1        Mit Mandatsbescheid der belangten Behörde vom 28. März 2019 wurde u.a. die Lenkberechtigung des Revisionswerbers für mehrere Klassen für die Dauer von sechs Monaten, gerechnet ab der vorläufigen Abnahme seines Führerscheins am 10. März 2019, entzogen (Spruchpunkte 1. und 2.) und, soweit hier von Bedeutung, gemäß § 24 Abs. 3 iVm § 14 Abs. 3 FSG-GV angeordnet, der Revisionswerber habe vor Ablauf der Entziehungsdauer eine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme und die Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle beizubringen, wobei die Entziehung der Lenkberechtigung nicht vor der Befolgung dieser Anordnung ende (Spruchpunkt 4.).

2        In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, der Revisionswerber habe eine Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. c StVO 1960 begangen. Dieser habe nämlich am 10. März 2019 an einen näher bezeichneten Ort ein Kraftfahrzeug gelenkt und sich, nachdem bei ihm aufgrund einer amtsärztlichen Untersuchung ein durch Suchtgift beeinträchtigter Zustand vermutet worden sei, geweigert, Blut abnehmen zu lassen.

3        Der vom Revisionswerber erhobenen Vorstellung, die sich ausschließlich gegen die in Spruchpunkt 4. angeordnete Beibringung einer psychiatrischen Stellungnahme richtete, gab die belangte Behörde mit Vorstellungsbescheid vom 27. Mai 2019 keine Folge (gleichzeitig wurde einer allenfalls dagegen erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt).

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde gegen den genannten Vorstellungsbescheid abgewiesen und gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

5        In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, der Revisionswerber sei am 10. März 2019 als Lenker eines Kraftfahrzeuges aufgrund seiner auffälligen Fahrweise von Polizeibediensteten angehalten worden, die den Revisionswerber aufgrund vorhandener Suchtgiftsymptome zunächst zum Harn- und Speicheltest aufgefordert hätten und, nachdem der Revisionswerber dies verweigert habe, der Amtsärztin vorgeführt hätten.

Die Amtsärztin habe nach einer klinischen Untersuchung des Revisionswerbers und der dabei festgestellten Symptome (z.B. stark erweiterte Pupillen und fehlende Lichtreaktion, zitternde Augenlider, trockene Schleimhäute) im Gutachten eine Beeinträchtigung des Revisionswerbers durch Suchtgift und seine fehlende Fahrfähigkeit festgehalten. Die Blutabnahme habe der Revisionswerber verweigert.

Das Verwaltungsgericht stellte abschließend fest, dass der Revisionswerber das Kraftfahrzeug in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt habe.

6        In der rechtlichen Beurteilung gelangte das Verwaltungsgericht zusammengefasst zur Ansicht, § 24 Abs. 3 vierter Satz FSG biete die Rechtsgrundlage dafür, im Zusammenhang mit der (hier bereits rechtskräftig ausgesprochenen) Entziehung der Lenkberechtigung die Beibringung einer fachärztlichen (fallbezogen: psychiatrischen) Stellungnahme aufzutragen. Gegenständlich sei die Beibringung der fachärztlichen Stellungnahme gemäß § 14 Abs. 3 FSG-GV zwingend, weil der Revisionswerber (entgegen § 5 Abs. 1 StVO 1960) ein Kraftfahrzeug in einem durch Suchtmittel beeinträchtigten Zustand gelenkt habe.

7        Dass die Beeinträchtigung des Revisionswerbers durch Suchtmittel hervorgerufen worden sei, ergebe sich aus dem nach einer klinischen Untersuchung erstatteten ärztlichen Gutachten, welches nach der Judikatur das dafür maßgebliche Beweismittel darstelle (Hinweis auf VwGH 24.10.2016, Ra 2016/02/0133). Nach dem letztgenannten Erkenntnis diene die Blutanalyse, also die toxikologische Untersuchung des Blutes lediglich („allenfalls“) zur Bestätigung der klinischen Untersuchung. Im vorliegenden Fall hindere daher das Fehlen der Blutanalyse nicht die Annahme, dass die Beeinträchtigung des Revisionswerbers durch Suchtmittel hervorgerufen wurde.

8        Dem Antrag des Revisionswerbers auf Einholung eines toxikologischen Gutachtens sei nicht stattgegeben worden, weil es mangels von ihm entnommener Körperflüssigkeiten nicht mehr zur Wahrheitsfindung beitragen könne.

9        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

10       Die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159/1960 idF BGBl. I Nr. 6/2017 (StVO 1960), lauten auszugsweise:

„§ 5. Besondere Sicherungsmaßnahmen gegen Beeinträchtigung durch Alkohol.

(1) Wer sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand befindet, darf ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. ...

...

(5) Die Organe der Straßenaufsicht sind weiters berechtigt, Personen, von denen vermutet werden kann, dass sie sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinden, zum Zweck der Feststellung des Grades der Beeinträchtigung durch Alkohol zu einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden, bei einer Landespolizeidirektion tätigen, bei einer öffentlichen Krankenanstalt diensthabenden oder im Sinne des § 5a Abs. 4 ausgebildeten und von der Landesregierung hierzu ermächtigten Arzt zu bringen, sofern ...

...

(9) Die Bestimmungen des Abs. 5 gelten auch für Personen, von denen vermutet werden kann, daß sie sich in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befinden; wer zum Arzt gebracht wird, hat sich der Untersuchung zu unterziehen. Die in Abs. 5 genannten Ärzte sind verpflichtet, die Untersuchung durchzuführen.

(9a) Organe des amtsärztlichen Dienstes oder besonders geschulte und von der Behörde hiezu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht sind berechtigt, den Speichel von in Abs. 2 und 2b genannten Personen auf das Vorliegen von Suchtgiftspuren zu überprüfen, sofern zwar keine Vermutung im Sinne des Abs. 9 vorliegt, aber vermutet werden kann, dass sie sich nicht in einer solchen körperlichen und geistigen Verfassung befinden oder zum Zeitpunkt des Lenkens befunden haben, in der sie ein Fahrzeug zu beherrschen und die beim Lenken eines Fahrzeuges zu beachtenden Rechtsvorschriften zu befolgen vermögen. Die Überprüfung des Speichels ist mit Speichelvortestgeräten oder - streifen, die das Vorliegen von Suchtgiftspuren im Speichel anzeigen, vorzunehmen. Ergibt die Überprüfung des Speichels das Vorliegen von Suchtgiftspuren oder wird die Überprüfung verweigert, so gilt dies als Vermutung der Beeinträchtigung durch Suchtgift. Diesfalls haben die genannten Organe gemäß Abs. 9 vorzugehen; andernfalls hat ein Vorgehen gemäß Abs. 9 zu unterbleiben.

(10) (Verfassungsbestimmung) An Personen, die gemäß Abs. 9 zu einem Arzt gebracht werden, ist nach Feststellung einer Beeinträchtigung, die auf eine Suchtgifteinnahme schließen lässt, eine Blutabnahme vorzunehmen. Die Betroffenen haben die Blutabnahme vornehmen zu lassen.

...

§ 99. Strafbestimmungen.

(1) Eine Verwaltungsübertretung begeht ...

...

c) (Verfassungsbestimmung) wer sich bei Vorliegen der im § 5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, sich Blut abnehmen zu lassen.

...“

11       § 24 FSG, BGBl. I Nr. 120/1997 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 74/2015, lautet auszugsweise:

„Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines § 24. ...

(3) Bei der Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kann die Behörde begleitende Maßnahmen (Nachschulung und dgl.) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen. [...] Im Rahmen des amtsärztlichen Gutachtens kann die Beibringung der erforderlichen fachärztlichen oder einer verkehrspsychologischen Stellungnahme aufgetragen werden. ...“

12       § 14 der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung, BGBl. II Nr. 322/1997 idF BGBl. II Nr. 427/2002 (FSG-GV), lautet auszugsweise:

„Alkohol, Sucht- und Arzneimittel

§ 14. ...

(3) Personen, die ohne abhängig zu sein, in einem durch Sucht- oder Arzneimittel beeinträchtigten Zustand ein Kraftfahrzeug gelenkt haben, darf eine Lenkberechtigung weder erteilt noch belassen werden, es sei denn, sie haben ihre Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen durch eine verkehrspsychologische und eine fachärztliche Stellungnahme nachgewiesen.

...“

13       Das angefochtene Erkenntnis beruht auf der Ansicht, die Beeinträchtigung des Revisionswerbers betreffend das Lenken von Kraftfahrzeugen am 10. März 2019 sei - wie sich schon aus der klinischen Untersuchung des Revisionswerbers ergebe - durch Suchtmittel verursacht gewesen, sodass gemäß § 14 Abs. 3 FSG-GV zwingend die Beibringung einer fachärztlichen (psychiatrischen) Stellungnahme anzuordnen gewesen sei.

14       Die Revision ist zulässig, weil sie unter Hinweis auf hg. Judikatur (VwGH 24.7.2019, Ra 2019/02/0105) zutreffend hinweist, es fehle eine Klarstellung durch den Verwaltungsgerichtshof, worauf es bei der Feststellung der Beeinträchtigung durch Suchtgift in einem Fall wie dem vorliegenden ankomme. Die Revision ist jedoch aus nachstehenden Überlegungen nicht begründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 11. November 2019, Ra 2019/02/0167, Rz 8, wie folgt ausgeführt:

„Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat (vgl. VwGH 24.7.2019, Ra 2019/02/0105) übersieht dieses Vorbringen, dass durch die klinische Untersuchung zwar die Beeinträchtigung, die auf eine Suchtgifteinnahme schließen lässt, festgestellt werden kann. Nach einer solchen Feststellung ist jedoch zwingend eine Blutabnahme vorzunehmen. Erst die Blutabnahme bringt demnach Gewissheit, ob der durch die klinische Untersuchung gewonnene Verdacht, die Beeinträchtigung sei auf eine Suchtgifteinnahme zurückzuführen, zutrifft.“

15       Das führt die Revision aber nicht zum Erfolg, weil das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall auch zu berücksichtigen hatte, dass der Revisionswerber nach den unstrittigen Feststellungen (die auch im Einklang mit dem aktenkundigen amtsärztlichen Gutachten stehen) die von der Amtsärztin nach der klinischen Untersuchung gemäß § 5 Abs. 10 StVO 1960 verlangte Blutabnahme verweigert (und damit die Blutuntersuchung verunmöglicht) hat.

16       Bereits im zitierten Beschluss VwGH 24.7.2019, Ra 2019/02/0105 (Rz8), wurde nämlich ausgeführt, dass die Frage, ob „die Beeinträchtigung des Lenkers auf Alkohol oder Suchtgift zurückzuführen ist (spezifische Fahruntüchtigkeit gemäß § 5 Abs. 1 StVO) oder eine sonstige Fahruntüchtigkeit gemäß § 58 Abs. 1 StVO vorliegt (etwa wegen starker Übermüdung), - abgesehen von den Fällen der Verweigerung - anhand der Blutuntersuchung festzustellen“ ist (ebenso VwGH 6.5.2020, Ra 2019/02/0104). Nichts anderes kann für die Beeinträchtigung durch Suchtmittel iSd § 14 Abs. 3 FSG-GV gelten.

17       Es ist dem Verwaltungsgericht daher nicht entgegenzutreten, wenn es angesichts der Verweigerung der Blutabnahme durch den Revisionswerber die Frage, ob seine Beeinträchtigung auf den Konsum von Suchtgift zurückzuführen ist, (ausschließlich) auf der Grundlage des amtsärztlichen Gutachtens, dem eine klinische Untersuchung des Revisionswerbers vorausging, geklärt hat.

18       Die vom Revisionswerber vertretene Rechtsauffassung liefe darauf hinaus, dass ein des Lenkens in einem durch Suchtmittel beeinträchtigten Zustand Verdächtiger die (der Überprüfung der gesundheitlichen Eignung dienende) Anordnung der Beibringung einer fachärztlichen Stellungnahme durch die Verweigerung der Blutabnahme unterlaufen könnte.

19       Die Revision bringt weiters als Verfahrensmangel vor, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht auf die beantragte Einholung eines toxikologischen Gutachtens und dessen Erörterung in einer Verhandlung verzichtet. In der Verhandlung wäre der Zweck des Gutachtens zu erörtern gewesen, das nicht zur Widerlegung des amtsärztlichen Gutachtens beantragt worden sei, sondern vielmehr zur Klärung der Frage, aus welchen konkreten Symptomen auf welche bestimmten psychotropen Substanzen geschlossen werden könne.

20       In diesem Zusammenhang bringt die Revision vor, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht nur die Beeinträchtigung des Revisionswerbers durch „Suchtmittel“, aber nicht die Beeinträchtigung durch eine konkrete psychotrope Substanz festgestellt und das angefochtene Erkenntnis damit nicht nachprüfbar begründet.

21       Der Revisionswerber verkennt, dass § 14 Abs. 3 FSG-GV nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung eine bestehende Beeinträchtigung, hervorgerufen durch Sucht- oder Arzneimittel schlechthin verlangt, aber nicht, dass die Beeinträchtigung durch eine bestimmte Substanz verursacht wurde. Da das Verwaltungsgericht festgestellt hat, dass der Revisionswerber das Kraftfahrzeug in einem durch Suchtmittel beeinträchtigten Zustand gelenkt hat, erübrigte sich das zu den Symptomen der Einnahme bestimmter psychotroper Substanzen beantragte Gutachten und die zur Erörterung dieses Gutachtenszwecks beantragte mündliche Verhandlung.

22       Da somit bereits das Revisionsvorbringen erkennen lässt, dass dem angefochtenen Erkenntnis die behauptete Rechtwidrigkeit nicht anhaftet, war die Revision gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 16. September 2020

Schlagworte

Sachverständiger Entfall der Beiziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019110142.L00

Im RIS seit

09.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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