TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/23 L521 2226526-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.12.2019
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Entscheidungsdatum

23.12.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §2
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

L521 2226526-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch Mag. Michael Berger-Wiegele, Rechtsanwalt in 5301 Eugendorf, Salzburger Straße 7/2, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.11.2019, Zl. 161033808-190515843, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, hält sich seit dem Jahr 1995 im Bundesgebiet auf. Er verfügt derzeit über einen vom Magistrat der Stadt Salzburg erteilten Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte Plus" mit Gültigkeit bis zum 13.05.2021. Das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechtes wurde bereits mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 29.03.2011 rechtskräftig festgestellt.

2. Mit Note vom 23.07.2019 brachte das belangte Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer die beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes aufgrund strafgerichtlicher Verurteilungen des Beschwerdeführers zur Kenntnis an und legte die anzuwendenden Rechtsvorschriften dar. Dem Beschwerdeführer wurde darüber hinaus die Beantwortung von Fragen insbesondere zu seinem Privat- und Familienleben aufgetragen.

3. Mit Schriftsatz seiner rechtsfreundlichen Vertreterin vom 27.09.2019 nahm der Beschwerdeführer zur beabsichtigten beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes Stellung und brachte insbesondere vor, Vater einer am XXXX geborenen Tochter zu sein. Seine Tochter sei nach ihrer Mutter Staatsangehörige von Slowenien und lebe bei der Mutter.

4. Am 08.11.2019 wurde die Kindermutter vor dem belangten Bundesamt als Zeugin einvernommen. Sie legte dabei insbesondere dar, seit Endes des Jahres 2017 im Bundesgebiet aufhältig und zum Zweck der Arbeitsaufnahme in der Gastronomie eingereist zu sein. Derzeit sei sie in Karenz und zuvor beim Unternehmen XXXX beschäftig gewesen.

Der Beschwerdeführer sei ihr ehemaliger Lebensgefährte. Während der Schwangerschaft habe er sie verbal und körperlich misshandelt, sodass es zu einer Wegweisung und schließlich zur Trennung gekommen sei. Der Beschwerdeführer habe derzeit ein Kontaktrecht zu seiner Tochter im Ausmaß von zwei Stunden pro Woche. Er leiste derzeit EUR 300,00 monatlich an Rückzahlungen für Unterhaltsvorschüsse und überweise EUR 250,00 direkt.

5. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.11.2019, Zl. 161033808-190515843, wurde wider den Beschwerdeführer ein für die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs. 3 FPG 2005 kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG wurde außerdem einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.)

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz - nach der Wiedergabe des Verfahrensgangs und den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin insbesondere aus, der Beschwerdeführer sie in den Jahren 2007 bis 2018 achtmal von einem österreichischen Gericht strafrechtlich verurteilt worden. Der Beschwerdeführer sei in Österreich geschieden und derzeit alleinstehend. Er sei Vater einer am XXXX geborenen slowenischen Staatsangehörigen, mit der Kindesmutter jedoch nicht mehr liiert.

Da der Beschwerdeführer somit Familienangehöriger einer EWR-Bürgerin sei, gehe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon aus, dass er als begünstigter Drittstaatsanagehöriger anzusehen sei. Wörtlich wird dazu ausgeführt: "Auch wenn aus den Begriffsbestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes keine eindeutige Ableitung in dieser Konstellation gefunden werden konnte, wird auf ein EUGH Urteil aus dem Jahr 2009 verwiesen, dass sich nicht nur auf Ehepartner, eingetragenen Partner oder diesen Verwandte bezieht, sondern auch auf Familienangehörige." Der Beschwerdeführer könne außerdem Rechte aus dem Assoziierungsabkommen mit der Türkei in Anspruch nehmen.

6. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.11.2019 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

7. Gegen den vorstehend angeführten und der rechtsfreundlichen Vertreterin des Beschwerdeführers am 15.11.2019 eigenhändig zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.11.2019, Zl. 161033808-190515843, richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben. Eventualiter wird beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und "von einem Aufenthaltsverbot gänzlich abzusehen".

8. Mit Erledigung der Justizanstalt Salzburg vom 25.11.2019 wurde das belangte Bundesamt davon in Kenntnis gesetzte, dass der Beschwerdeführer seit dem 23.11.2019 in der Justizanstalt Salzburg in Untersuchungshaft angehalten werde.

9. Die Beschwerdevorlage langte am 19.12.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist Staatsangehörige der Türkei. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in der Provinz XXXX in der Türkei geboren. Er hält sich seit dem Jahr 1995 im Bundesgebiet auf und reiste gemeinsam mit seinen Eltern rechtmäßig ein.

Der Beschwerdeführer erlangte im Jahr 2010 einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU", wobei bereits mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 29.03.2011 rechtskräftig eine Rückstufung erfolgte. Der verfügt der Beschwerdeführer über einen vom Magistrat der Stadt Salzburg erteilten Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte Plus" mit Gültigkeit bis zum 13.05.2021.

1.2. Der Beschwerdeführer ist der leibliche Vater der slowenischen Staatsangehörigen XXXX . Er lebt mit seiner Tochter nicht im gemeinsamen Haushalt und ist von der Kindesmutter getrennt, nahm jedoch bis zur Einlieferung in die Untersuchungshaft das ihm zukommende Kontaktrecht im Ausmaß von zwei Stunden in der Woche wahr.

Der Beschwerdeführer leistete zuletzt Unterhaltszahlungen für seine Tochter im Betrag von EUR 250,00 monatlich direkt an die Kindesmutter und EUR 300,00 monatlich an Rückzahlungen für gewährte Unterhaltsvorschüsse.

1.3. Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 10.04.2019, wurde der Beschwerdeführer zuletzt wegen §§ 83, 107 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Der Beschwerdeführer wurde schuldig erkannt, die Mutter seiner Tochter, XXXX , in Salzburg am Körper verletzt, durch Versetzen von Schlägen in Form von Hämatomen am Oberschenkel, an der Brust sowie im Gesichts- und Halsbereich sowie Kratzwunden und Schwellungen im Gesichtsbereich, sowie am 12.12.2018 durch Versetzen von Schlägen und Würgen sowie dadurch, dass er sie gegen die Wand gedrückt hat, wodurch sie Hämatome im Gesichtsbereich und Würgemale im Halsbereich erlitten hat. Ferner wurde der Beschwerdeführer des Vergehens der gefährlichen Drohung für schuldig erkannt.

Der Beschwerdeführer wurde darüber hinaus in sieben weiteren, im angefochtenen Bescheid näher dargestellten Fällen rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt.

Zuletzt wurde der Beschwerdeführer am 23.11.2019 festgenommen und in die Justizanstalt Salzburg eingeliefert, am 24.11.2019 wurde die Untersuchungshaft verhängt. Einem Bericht des Stadtpolizeikommandos Salzburg vom 23.11.2019 zufolge hat der Beschwerdeführer in den Morgenstunden des 23.11.2019 in Salzburg einen Dritten mit den Worten "Ich bringe dich um! Ich schlitze dich auf" gefährlich bedroht und diesem Dritten mit einem ca. 2,5 cm dicken Holzstiel einen gezielten Schlag auf den Kopf versetzt, wodurch das Opfer eine Schädelprellung erlitt. Der Beschwerdeführer ist nicht geständig.

Die Staatsanwaltschaft Salzburg erhob wegen dieses Sachverhaltes Anklage wegen §§ 15 und 84 Abs.4 StGB. Die Hauptverhandlung hat noch nicht stattgefunden.

1.4. Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner Beschäftigung nach. In der Vergangenheit erwarb er die im angefochtenen Bescheid dargestellten Versicherungszeiten, wobei ein Arbeitsverhältnis vom 23.04.2012 bis 28.07.2013 - sohin mehr als ein Jahr - währte.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt unter zentraler Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers sowie des Inhaltes der gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde einschließlich der im Verfahren vorgelegten Urkunden sowie die amtswegig eingeholten Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister und dem Strafregister den Beschwerdeführer und seine Tochter XXXX betreffend.

2.2. Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers sowie dessen persönliche und familiäre Umstände im Hinblick auf seinen Aufenthalt im Bundesgebiet ergeben sich aus den Vorbringen des Beschwerdeführers im Verfahren erster Instanz und im Beschwerdeschriftsatz, dem keine anderweitigen Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens entgegenstehen. Dass der Beschwerdeführer derzeit in Untersuchungshaft angehalten wird, folgt aus der entsprechenden Mitteilung der Justizanstalt Salzburg.

2.3. Soweit Feststellungen zur Beziehung des Beschwerdeführers mit seiner am XXXX geborenen Tochter XXXX getroffen werden, gründen sich diese auf die Angaben der im Verfahren erster Instanz als Zeugin einvernommenen Kindesmutter, denen keine anderweitigen Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens entgegenstehen. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerde ist seine Tochter nach ihrer Mutter Staatsangehörige der Republik Slowenien, zumal sie ausweislich der Datenstandes des Zentralen Melderegisters über einen am 05.04.2019 ausgestellten slowenischen Personalausweis verfügt. Da weder der Beschwerdeführer, noch die Kindesmutter österreichische Staatsangehörige sind, besteht auch kein Anknüpfungspunkt für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z. 11 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018, ist begünstigter Drittstaatsangehöriger der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist gemäß § 67 Abs. 1 FPG 2005 zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, erkannt, dass auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31.12.2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen. Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 08.12.2011, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-Richtlinie - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG 2005 - entspricht.

Als erstes Ergebnis ist damit festzuhalten, dass in Ansehung des Beschwerdeführers jedenfalls eine Rückkehrentscheidung (samt Einreiseverbot) anstelle eines Aufenthaltsverbotes in Betracht kommt, auch wenn er - wie im angefochtenen Bescheid zutreffend erkannt wurde - Rechte nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 erworben hat.

3.3. Das belangte Bundesamt vertritt im angefochtenen Bescheid jedoch die Ansicht, der Beschwerdeführer sei dessen ungeachtet als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPGF 2005 anzusehen, da er der Vater einer am XXXX geborenen slowenischen Staatsangehörigen sei, die sich deshalb im Bundesgebiet aufhält, weil ihre Mutter ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet in Anspruch nimmt.

Die geschilderte Ansicht des belangten Bundesamtes ist unzutreffend (wobei bereits im angefochtenen Bescheid zutreffend eingeräumt wird, dass sich die Rechtslage nicht als vollkommen eindeutig darstellt). Der Beschwerdeführer ist als Vater einer EWR-Bürgerin zwar (eindeutig) ein Verwandter Mit seiner Tochter ist er jedoch nicht in gerader absteigender, sondern in gerader aufsteigender Linie im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 zweiter Tatbestand FPG 2005 verwandt. Demnach sind begünstigter Drittstaatsangehöriger eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

Der Beschwerdeführer leistet ausweislich der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens seiner Tochter Geldunterhalt im Betrag von monatlich EUR 250,00. Daraus ergibt sich jedoch gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG nicht die Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger, weil diese nur für jene Verwandte in gerader aufsteigender Linie zutrifft, die Unterhalt (vom unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger als Ankerperson) gewährt bekommen. Der gegenständliche Sachverhalt ist insofern mit dem dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.02.2015, Zl. 2013/22/0302, zugrundeliegenden Sachverhalt ident und hat der Verwaltungsgerichtshof auch in diesem Fall die Eigenschaft als begünstigter Drittstaatsangehöriger verneint.

Der Beschwerdeführer ist folglich nicht begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPGF 2005 aufgrund der Vaterschaft in Ansehung seiner Tochter XXXX .

3.4.Eine Unterhaltsgewährung im Sinn des Art. 2 Z. 2 lit. d der Richtlinie 2004/38/EG, der durch § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG 2005 innerstaatlich umgesetzt wurde, liegt im Übrigen auch nur vor, wenn der Unionsbürger für alle erforderlichen wesentlichen Unterhaltsbedürfnisse des Drittstaatsangehörigen aufkommt. Deckt ein Drittstaatsangehöriger seine finanziellen Bedürfnisse vorwiegend aus eigenen Mitteln, kann nicht die Rede davon sein, dass alle wesentlichen Unterhaltsbedürfnisse von dem Unionsbürger getragen werden (VwGH 21.09.2017, Ra 2017/22/0079). Der Beschwerdeführer deckt seine finanziellen Bedürfnisse jedenfalls vorwiegend aus eigenen Mitteln.

3.5. Die Ableitung der Rechtsstellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger von der Kindesmutter ist im Übrigen ausgeschlossen, da keine Ehe und auch keine eingetragene Partnerschaft eingegangen wurde. Darüber hinaus ist der gemeinsame Haushalt aufgehoben, da der Beschwerdeführer gegenüber der Kindesmutter gewalttätig wurde und deshalb auch zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

3.6. Dass der Beschwerdeführer nicht als begünstigter Drittstaatsangehörige zu betrachten ist, bedeutet noch nicht, dass ihm nicht dennoch ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommen könnte. Ein solches kann sich nämlich auch auf primärrechtlicher Grundlage ergeben, und zwar insbesondere dann, wenn die tatsächliche Wahrnehmung der Rechtsposition der Tochter des Beschwerdeführers als Unionsbürgerin dadurch beeinträchtigt wäre, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht in Österreich versagt würde (vgl. EuGH 08.03.2011, C-34/09 Zambrano; EuGH 15.11.2011, C-256/11 Dereci ua). Die Tochter des Beschwerdeführers als Unionsbürgerin darf sich durch die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts des Beschwerdeführers nicht de facto gezwungen sehen, das Gebiet der Union als Ganzes - nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaates, dem sie angehört - zu verlassen.

Eine solche Gefahr kann indes im gegenständlichen Fall ausgeschlossen werden. Die XXXX , lebt im gemeinsamen Haushalt mit der Kindesmutter XXXX . Bei ihrer Einvernahme legte die Kindesmutter dar, eine neue Wohnung in Salzburg gefunden zu haben und dort im Monat Dezember 2019 einzuziehen. Sie sei erwerbstätig gewesen und derzeit in Karenz. Die Kindesmutter bezieht somit ein Einkommen und es besteht eine Krankenversicherung sowohl für die Kindermutter, als auch für das Kind.

Die Kindesmutter hat außerdem Anspruch auf Familienbeihilfe für die minderjährige XXXX (§ 3 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz iVm § 9 Abs. 1 NAG). Sie wäre auch als Person, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verfügt, nach dem Salzburger Mindestsicherungsgesetz anspruchsberechtigt. Als Unionsbürgerin hat die XXXX schließlich Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (vgl. dazu RIS-Justiz RS0115509).

In Anbetracht des Nichtbestehens eines gemeinsamen Haushaltes, der geregelten Verhältnisse der Kindesmutter und der dargestellten Sozial- und Unterstützungsleistungen hegt das Bundesverwaltungsgericht keinen Zweifel daran, dass die minderjährige XXXX auch im Fall einer Außerlandesbringung des Beschwerdeführers nicht dazu gezwungen wäre, das Bundesgebiet bzw. das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen.

Dem Beschwerdeführer kommt somit auch auf diesem Wege kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu.

3.7. Da der Beschwerdeführer somit nicht als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG 2005 anzusehen ist und ihm auch kein primärrechtliches Aufenthaltsrecht zukommt, wäre zur Herbeiführung einer Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot zu prüfen.

Das tatsächlichen Bestehen eines Aufenthaltsrechtes nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 steht dem nach der eingangs zitierten jüngeren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht entgegen.

Zu beachten ist dabei, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot bei tatsächlich nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 berechtigten Personen eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder die (wie sich aus EuGH 08.12.2011, C-371/08 Ziebell, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält) Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht.

Es war daher der Beschwerde stattzugeben, da das angefochtene Aufenthaltsverbot auf eine in Ansehung des Beschwerdeführers unzutreffende rechtliche Grundlage gestützt wurde, sodass der angefochtene Bescheid zur Gänze gemäß §§ 28 Abs. 1 und 5 VwGVG iVm § 67 FPG 2005 zu beheben ist, ohne dass auf das Beschwerdevorbringen einzugehen wäre.

Gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG sind die Behörden verpflichtet, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Bei einer Aufhebung gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG handelt es sich um eine materielle Erledigung der Rechtssache durch Behebung des angefochtenen Bescheides in Form eines Erkenntnisses. Im Fall der Fortführung des Verfahrens durch das belangte Bundesamt ist der in diesem Erkenntnis dargelegten Rechtsanschauung zu folgen und gemäß §§ 52 und 53 FPG 2005 vorzugehen.

Für das fortgesetzte Verfahren weist das Bundesverwaltungsgericht noch darauf hin, dass zweckmäßigerweise der Ausgang der derzeit vor dem Landesgericht Salzburg anhängigen Strafverfahrens abzuwarten sein wird. Ob vom Beschwerdeführer eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgeht, wird sodann unter Berücksichtigung der ihm zuletzt vorgeworfenen Straftaten - sollte er schuldig erkannt werden - nochmals zu beurteilen sein.

3.8. Von einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG Abstand genommen werden, da der Sachverhalt hinsichtlich der Frage, ob der Beschwerdeführer als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen ist oder nicht, aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde zweifelsfrei ermittelt werden konnte. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde schließlich auch nicht beantragt.

Zu B)

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Erwerb der Rechtsstellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor und wird eine solche auch in der Beschwerde nicht dargetan.

Schlagworte

Assoziationsabkommen Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben begünstigte Drittstaatsangehörige Durchsetzungsaufschub Einreiseverbot Rechtsgrundlage Rot-Weiß-Rot-Karte plus Rückkehrentscheidung Straffälligkeit strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L521.2226526.2.00

Im RIS seit

22.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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