TE Vwgh Erkenntnis 2020/7/16 Ra 2019/21/0304

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Veröffentlicht am 16.07.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §54 Abs5
AsylG 2005 §55
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11
FrPolG 2005 §52
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2
FrPolG 2005 §66
FrPolG 2005 §67
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des S A in A, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. August 2019, I406 2158357-2/7E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 17. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 4. April 2017 vollumfänglich ab; es erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 und erließ gegen ihn gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG stellte das BFA noch fest, dass die Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig sei. Des Weiteren wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen gewährt. Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 18. September 2017 als unbegründet ab.

2        Am 13. Dezember 2017 heiratete der Revisionswerber eine österreichische Staatsbürgerin und stellte am 28. Februar 2018 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005.

3        Mit Bescheid vom 12. April 2019 wies das BFA den eben genannten Antrag gemäß § 55 AsylG 2005 ab und erließ gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung. Zugleich stellte es gemäß § 52 Abs. 9 FPG abermals fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei und sprach gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

4        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 19. August 2019 als unbegründet ab.

5        Das Bundesverwaltungsgericht kam mit näherer Begründung zum Ergebnis, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens des Revisionswerbers iSd Art. 8 EMRK nicht geboten sei. Es berücksichtigte dabei insbesondere den erst im März 2018 begründeten gemeinsamen Wohnsitz des Ehepaares, den dreijährigen Inlandsaufenthalt des Revisionswerbers, seine rudimentären Deutschkenntnisse, die fehlende Selbsterhaltungsfähigkeit und die Verurteilung wegen eines Urkundendelikts. Der geringen Integration in Österreich stünden familiäre Anknüpfungspunkte in Nigeria gegenüber. Diesen Erwägungen zufolge sei auch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zum Erreichen der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele geboten gewesen.

6        Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

7        Die Revision macht unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend, dass die Ehefrau des Revisionswerbers anlässlich ihrer Einvernahme in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erwähnt habe, in Deutschland beschäftigt zu sein, und ihren Arbeitsvertrag vorgewiesen habe. Da sie damit ihre unionsrechtliche Freizügigkeit ausübe, sei der Revisionswerber als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen, gegen den eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen hätte werden dürfen. Das Bundesverwaltungsgericht hätte die Angaben in der mündlichen Verhandlung keinesfalls ignorieren dürfen.

8        Dies trifft - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - zu, weshalb sich die Revision als zulässig und berechtigt erweist.

9        Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ist ein begünstigter Drittstaatsangehöriger (u.a.) der Ehegatte eines Österreichers, der sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat.

10       Begünstigte Drittstaatsangehörige fallen einerseits gemäß § 54 Abs. 5 AsylG 2005 nicht in den Anwendungsbereich des 7. Hauptstücks des genannten Bundesgesetzes, weshalb ein Antrag auf einen der dort geregelten Aufenthaltstitel (hier: auf einen solchen nach § 55 AsylG 2005) nicht inhaltlich zu prüfen, sondern zurückzuweisen wäre. Andererseits kann gegen einen begünstigen Drittstaatsangehörigen keine Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG erlassen werden, sondern es sind die Bestimmungen des 4. Abschnitts des 8. Hauptstücks des FPG, die in § 66 und in § 67 aufenthaltsbeendende Maßnahmen (u.a.) gegen begünstigte Drittstaatsangehörige (Ausweisung und Aufenthaltsverbot) regeln, einschlägig (vgl. VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0115, Rn. 8).

11       Vor diesem rechtlichen Hintergrund hätte das Bundesverwaltungsgericht aufgrund des Vorbringens der Ehefrau des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung, wonach sie in Deutschland zu arbeiten begonnen habe, näher prüfen müssen, ob sie damit ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hatte und der Revisionswerber damit als begünstigter Drittstaatsangehöriger nach § 2 Abs. 4 Z 11 FPG anzusehen gewesen wäre.

12       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfaltet zwar nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts Relevanz, sondern es ist erforderlich, dass die österreichische „Ankerperson“ mit einer gewissen Nachhaltigkeit von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat (vgl. etwa VwGH 17.4.2013, 2013/22/0062, unter Hinweis auf VwGH 29.9.2011, 2009/21/0386). Diese Schwelle würde aber durch die laut dem vorgelegten Arbeitsvertrag auf ein Jahr befristete geringfügige Tätigkeit als Frühstücks-Mitarbeiterin mit einem Arbeitsentgelt von € 9,19,-- pro Stunde überschritten (vgl. zu einer geringfügigen Beschäftigung auch VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, Rn. 13, mwN).

13       Indem das Bundesverwaltungsgericht trotz dieser deutlichen Anhaltspunkte für eine Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch die Ehefrau des Revisionswerbers dessen Antrag nach § 55 AsylG 2005 abgewiesen und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen hat, ohne sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob dem Revisionswerber die Stellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen zugekommen ist, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

14       Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 16. Juli 2020

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210304.L00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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