TE Vwgh Erkenntnis 2020/7/3 Ra 2020/14/0006

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Veröffentlicht am 03.07.2020
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Index

E3L E19103000
E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
20/02 Familienrecht
20/09 Internationales Privatrecht
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

ABGB §21 Abs2
AsylG 2005 §35
AVG §37
AVG §39 Abs2
AVG §45 Abs2
AVG §58 Abs2
AVG §60
AVG §67
B-VG Art133 Abs4
EheG §1
EheG §1 Abs1
EheG §1 Abs2
EheG §22 Abs1
EheG §28 Abs1
FrPolG 2005 §26
IPRG §6
NAG 2005 §2 Abs1 Z9
NAG 2005 §46
NAG 2005 §46 Abs1 Z2 litc
VwGG §34 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwRallg
32003L0086 Familienzusammenführung-RL
62013CJ0338 Noorzia VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Dr. Himberger und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision der AB in X, vertreten durch Mag. Dr. Georg Vetter, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Landesgerichtsstraße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. November 2019, W239 2223998-1/2E, betreffend Visum gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft Damaskus), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine syrische Staatsangehörige, stellte im März 2019 bei der Österreichischen Botschaft Damaskus einen Antrag auf Erteilung eines Visums nach § 26 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Sie führte im Antrag aus, 2001 geboren zu sein. Sie strebe die Familienzusammenführung mit ihrem - ebenfalls aus Syrien stammenden und am 10. Jänner 2000 geborenen - Ehemann (im weiteren auch: Bezugsperson), dem in Österreich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 15. Jänner 2019 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, an. Als Datum der Eheschließung wurde im von der Revisionswerberin gestellten Antrag der 1. Jänner 2018 angegeben.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das von der Österreichischen Botschaft Damaskus um Stellungnahme ersucht wurde, führte in seiner Mitteilung gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 vom 3. Mai 2019 aus, die Gewährung des Status der Asylberechtigten an die Revisionswerberin sei nicht wahrscheinlich. Ihre Angaben zur Angehörigeneigenschaft widersprächen in mehrfacher Hinsicht jenen Angaben, die der als Bezugsperson angeführte Fremde im Asylverfahren gemacht habe. Das genaue Geburtsdatum der Bezugsperson stehe nicht fest. Er werde behördlich unter dem Geburtsdatum 10. Jänner 2000 geführt, weise aber auch eine Aliasidentität mit dem Geburtsdatum 24. Oktober 1999 auf. Der als Bezugsperson angeführte Fremde sei aber jedenfalls volljährig. Es bestünden „erhebliche Zweifel an der Ehe der Bezugsperson und der Antragstellung“. Die Bezugsperson habe im Rahmen der Erstbefragung und der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verschiedene Namen angegeben. In Griechenland werde die Bezugsperson „unter einer weiteren völlig abweichenden Identität geführt“. Es sei in den die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten betreffenden Verwaltungsakten in einem Aktenvermerk festgehalten worden, dass aufgrund diverser Widersprüche der Familienstand der Bezugsperson nicht habe festgestellt werden können. Es sei im Asylverfahren der Familienstand nicht einmal glaubhaft gemacht worden, sodass umso weniger davon gesprochen werden könne, es wäre insofern der volle Beweis erbracht worden. In der Niederschrift über die Erstbefragung sei festgehalten worden, dass die Bezugsperson ledig sei. Diese Eintragung sei handschriftlich - durch Durchstreichen und dem darüber angebrachten Vermerk „verh.“ - verändert worden. Zwar habe die Bezugsperson in der Erstbefragung eine Ehefrau erwähnt, jedoch sei ein falsches Geburtsdatum angegeben worden. Das sei von der Bezugsperson damit erklärt worden, dass das Datum der Registrierung (der Geburt) angegeben worden sei. Daraus ergebe sich, dass die Bezugsperson lediglich ein Datum „gelernt“ habe. Es werde weiters behauptet, dass die Eheschließung am 1. Jänner 2018 stattgefunden habe. Aus einem „Eurodac Treffer“ ergebe sich, dass die Bezugsperson am 11. November 2017 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Die Angaben, dass dieser Fremde nach der erkennungsdienstlichen Behandlung wieder nach Syrien zurückgekehrt sei, seien „als Schutzbehauptung“ einzustufen. Die Bestätigung der Eheschließung sei mit 16. August 2018 erfolgt. Zu dieser Zeit habe sich die Bezugsperson bereits in Österreich aufgehalten. Zudem habe die Revisionswerberin zum Zeitpunkt der Eheschließung das 17. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Die Bezugsperson habe am 28. November 2018 „sein Familienbuch bei der Behörde“ vorgelegt. Darauf sei kein Foto der Bezugsperson vorhanden gewesen. Die „genauen Angaben zur Erstfrau“ seien nicht leserlich. Allerdings hätten das dort verzeichnete Geburtsdatum und die „Nationalkartennummer“ mit den Daten im von der Revisionswerberin beigebrachten Auszug aus dem Familienregister übereingestimmt. Die Registrierung der Ehe sei dort mit 17. September 2018 vermerkt worden. Aus den von der Revisionswerberin beigebrachten Unterlagen sei demgegenüber als Datum der Registrierung der 16. August 2018 ersichtlich.

3        In der Folge räumte die Österreichische Botschaft Damaskus der Revisionswerberin die Möglichkeit ein, zu den Ausführungen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl Stellung zu nehmen. Diese legte in ihrer Stellungnahme vom 17. Mai 2019 dar, ihren Ehemann (die Bezugsperson) am 1. Jänner 2018 nach religiösem Recht durch Abschluss eines Ehevertrages geheiratet zu haben. Die Registrierung der Ehe sei allerdings, weil es aufgrund der Kriegszustände in der Heimatregion und der Lebensumstände des Paares nicht früher möglich gewesen und ihnen auch nicht als notwendig erschienen sei, erst am 17. September 2018 erfolgt. Vor der Registrierung sei, wie nach syrischem Recht vorgesehen, die Eheschließung zunächst durch ein Scharia-Gericht am 16. August 2018 festgestellt und genehmigt worden. Die Registrierung sei durch den Vater der Bezugsperson beantragt worden. Nach syrischem Recht gelte eine auch zu einem späteren Zeitpunkt registrierte Ehe als ab dem Datum der (religiös erfolgten) Eheschließung rechtsgültige Ehe. Wäre die Ehe nicht gültig, so dürfte eine Bestätigung durch das Gericht und eine Eintragung in das Eheregister nicht erfolgen. Die Ehepartner hätten sich vor sechs Jahren in der Schule kennengelernt und noch vor ihrem Schulabschluss beschlossen, einander zu heiraten. Das sei dann aber durch die im Sommer 2017 erfolgte Flucht der Bezugsperson zunächst nicht möglich gewesen. Die Bezugsperson sei einige Monate auf der Flucht gewesen und habe sich dabei auch in Griechenland aufgehalten. Der Ehemann sei aber wieder nach Syrien zurückgekehrt und habe am 1. Jänner 2018 seine langjährige Freundin (die Revisionswerberin) geheiratet. Das Ehepaar sei dann zu den Eltern der Bezugsperson gezogen, wo sie ein gemeinsames Leben geführt hätten. Das sei dann aber „unterbrochen“ worden. Die Bezugsperson habe wegen der Einberufung zum Militär abermals aus Syrien flüchten müssen. Die gemeinsame Flucht sei zu teuer und zu gefährlich gewesen, weshalb die Revisionswerberin in Syrien geblieben sei, wo sie abwechselnd bei ihrer Familie und jener der Bezugsperson gelebt habe. Es bestehe zwischen den Ehepartnern aber regelmäßig telefonischer Kontakt. Was die unterschiedlichen Daten der Bezugsperson angehe, sei dies einerseits mit unterschiedlichen Schreibweisen zu erklären. Soweit ein ganz anderer Name und anderes Geburtsdatum aufschienen, sei das andererseits darauf zurückzuführen, dass es sich beim anderen Nachnamen um den Namen jener Familie gehandelt habe, mit der die Bezugsperson auf der Flucht gewesen sei. Es sei von der griechischen Behörde dann der Nachname ebenso wie das Geburtsdatum falsch vermerkt worden. Warum die Behörde im Asylverfahren den Familienstand der Bezugsperson nicht habe feststellen können, sei nicht klar, weil die Behörde dafür keine Gründe angeführt habe. Die handschriftliche Ausbesserung des Vermerks über den Familienstand im Protokoll zur Erstbefragung der Bezugsperson habe der Dolmetscher vorgenommen. Es sei erst am Ende der Befragung bemerkt worden, dass der Familienstand falsch eingetragen worden sei. Dass es sich um einen (Schreib-)Fehler gehandelt habe und dort schon ursprünglich „verheiratet“ hätte eingetragen werden müssen, sei auch daran zu ersehen, dass „die Bezugsperson seine Ehefrau im Protokoll genannt“ habe. Die Bezugsperson habe versehentlich das Geburtsdatum der Revisionswerberin mit 2001 angegeben. Es sei nicht richtig, dass er es lediglich „gelernt“ hätte. Genaue Geburtsdaten spielten in der Familie der Bezugsperson keine Rolle. Das sei daran erkennbar, dass die Bezugsperson auch zu den anderen Familienangehörigen nur ungefähre Altersangaben gemacht habe. Die Bezugsperson habe unter dem Druck der polizeilichen Erstbefragung bloß zwei Daten verwechselt. In der zweiten Vernehmung habe er das Geburtsdatum der Revisionswerberin korrekt angegeben. Im Weiteren wird in der Stellungnahme ausgeführt, dass die vorgelegten Urkunden keine Fälschungen seien, woraus sich dies ergebe und warum im Auszug aus dem Familienbuch kein Foto der Bezugsperson zu ersehen gewesen sei. Es liege - so die Revisionswerberin weiter - keine „Stellvertreter-Ehe“ vor. Zum Zeitpunkt der Eheschließung seien beide Ehepartner anwesend gewesen. Die Registrierung, die ein bloßer Formalakt sei, könne nach syrischem Recht aber auch von Stellvertretern vorgenommen werden. Die Ehe sei „rückwirkend bewilligt“ worden. Das widerspreche nicht dem ordre public, was auch der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung so gesehen habe. Wenn das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Revisionswerberin vorhalte, sie sei zum Zeitpunkt der Eheschließung erst 17 Jahre alt gewesen, so sei dem zu entgegnen, dass in Syrien Frauen die Eheschließung grundsätzlich ab einem Alter von 16 Jahren erlaubt sei.

4        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das aufgrund dieser Stellungnahme nochmals von der Österreichischen Botschaft Damaskus befasst wurde, blieb in seiner Mitteilung vom 7. Juni 2019 bei seiner Einschätzung, dass die Asylgewährung an die Revisionswerberin nicht wahrscheinlich sei. Im Wesentlichen ging es davon aus, dass die bisher von dieser Behörde gesehenen Widersprüche nicht ausgeräumt worden seien. Die Ausführungen zwecks Erklärung der Divergenz der bisher angegebenen Daten - insbesondere der Bezugsperson - wertete es als „Schutzbehauptung“, zumal dieser Fremde bei der österreichischen Behörde seine ID-Karte vorgelegt habe. Warum er dies nicht auch bei der griechischen Behörde gemacht habe, sei „nicht erklärlich“. Das Vorbringen, dass der Bezugsperson bei der Angabe unterschiedlicher Daten der Revisionswerberin bloß eine Verwechslung unterlaufen sei, stufte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gleichfalls als nicht glaubwürdig ein; ebenso die Ausführungen, wonach die Bezugsperson sich nach der Einreise in Griechenland wieder nach Syrien zurückbegeben hätte. Die vorlegten Dokumente, insbesondere das vorgelegte Familienbuch, könnten - aus näher dargestellten Überlegungen - nicht zweifelsfrei als Originale „festgestellt“ werden.

5        Im Anschluss wies die Österreichische Botschaft Damaskus den Antrag der Revisionswerberin auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 ab. In der Begründung verwies die Behörde darauf, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt habe, dass die Zuerkennung eines Schutzstatus an die Revisionswerberin nicht wahrscheinlich sei.

6        Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde, in der sie ihre im bisherigen Verfahren vorgetragenen Argumente im Wesentlichen aufrecht hielt.

7        Mit der nach § 14 Abs. 1 VwGVG erlassenen Beschwerdevorentscheidung vom 31. Juli 2019 wies die Österreichische Botschaft Damaskus die Beschwerde als unbegründet ab. Darin verwies sie zunächst auf die für sie bestehende Bindung an die Mitteilung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl. Zudem schloss sie sich den von dieser Behörde geäußerten Bedenken an und führte aus, dass unbedenkliche Urkunden von der Revisionswerberin nicht vorgelegt worden seien. Auch seien jene Angaben, wonach die Bezugsperson nach ihrer Einreise in Griechenland wieder nach Syrien zurückgekehrt sei, lebensfremd. Es sei das Bestehen einer Ehe zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson nicht nachgewiesen worden. Da die Revisionswerberin nicht als Ehefrau der im Antrag angeführten Bezugsperson angesehen werden könne, sei sie auch keine Familienangehörige eines in Österreich Asylberechtigten im Sinn des § 35 AsylG 2005.

8        Die Revisionswerberin brachte daraufhin einen Vorlageantrag nach § 15 VwGVG ein.

9        Mit Erkenntnis vom 13. November 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

10       Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass die Revisionswerberin 2001 geboren sei. Zum Zeitpunkt der „behaupteten Eheschließung“ am 1. Jänner 2018 sei sie 16 Jahre alt gewesen. Die Bezugsperson sei zu diesem Zeitpunkt „17 Jahre alt bzw. unter Heranziehung der Aliasidentität 18 Jahre alt gewesen“. Zur Eheschließung und der später erfolgten Registrierung enthält die angefochtene Entscheidung sodann lediglich die Wiedergabe des Vorbringens der Revisionswerberin. Feststellungen zu diesem Vorbringen traf das Bundesverwaltungsgericht nicht.

11       In Bezug auf die Rechtslage in Syrien stellte das Bundesverwaltungsgericht fest (Hervorhebung im Original):

„Im gegenständlichen Fall ist zur Beurteilung der Frage der Gültigkeit der Eheschließung das Syrische Personenstandsgesetz Nr. 59/1953 (PSG) heranzuziehen: Gemäß Art. 1 PSG ist eine Eheschließung ein Vertrag zwischen einem Mann und einer Frau zum Zwecke der Gründung einer Lebensgemeinschaft und der Zeugung von Nachkommen. Die Ehe wird durch das Angebot des einen und die Annahme dieses Angebot durch den anderen Verlobten geschlossen (Art. 5 PSG), wobei Angebot und Annahme des Ehevertrags in allen Punkten übereinstimmen und in ein und derselben Verhandlung erklärt werden müssen (Art. 11 PSG). Dies kann wörtlich oder unter Verwendung von üblicherweise in diesem Sinn zu verstehenden Ausdrucksformen (Art. 6 PSG) oder, bei Abwesenheit eines der beiden Vertragsteile, schriftlich erklärt werden (Art. 7 PSG). Für die Gültigkeit des Ehevertrags bedarf es der Anwesenheit zweier männlicher Zeugen oder eines Mannes und zweier Frauen islamischen Glaubens (Art. 12 PSG) sowie allenfalls eines Ehevormunds.

Die Ehefähigkeit setzt geistige Gesundheit und Geschlechtsreife voraus (Art. 15 (1) PSG) und wird beim Mann grundsätzlich mit Vollendung des 18. und bei der Frau mit Vollendung des 17. Lebensjahres erlangt (Art. 16 PSG). Männliche Jugendliche, die das 15. Lebensalter, und weibliche Jugendliche, die das 13. Lebensalter vollendet haben, können gemäß Art. 18 PSG eine Ehe dann eingehen, wenn der zuständige Richter die körperliche Reife und die Geschlechtsreife der beiden Jugendlichen als erwiesen ansieht. Gemäß Art. 18 Abs. 2 PSG bedarf die Eheschließung Jugendlicher zusätzlich grundsätzlich der Zustimmung des Vaters oder Großvaters, wenn diese Ehevormund gemäß Art. 21 ff. PSG sind.

12       Abschließend merkte das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Feststellungen an, es habe „nicht festgestellt werden“ können, „dass nach syrischem Recht eine gültige Ehe zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson zustande gekommen“ sei.

13       Es sei - so das Bundesverwaltungsgericht unter der Überschrift „Beweiswürdigung“ - evident, dass die Revisionswerberin unter Zugrundelegung des von ihr angegebenen Geburtsdatums im Zeitpunkt der behaupteten Eheschließung am 1. Jänner 2018 noch keine 17 Jahre alt gewesen sei und damit das Alter für die nach syrischem Recht grundsätzlich gegebene Ehefähigkeit bei Frauen noch nicht erreicht gehabt habe. Ziehe man bei der Bezugsperson das vor den österreichischen Behörden angegebene Geburtsdatum 10. Jänner 2000 heran, so sei auch die Bezugsperson am 1. Jänner 2018 noch nicht 18 Jahre alt und nach syrischem Recht als Mann gleichfalls noch nicht ehefähig gewesen. Nur unter Heranziehen des Geburtsdatums der vor den griechischen Behörden angegebenen Aliasidentität wäre die Bezugsperson zum Zeitpunkt der behaupteten Eheschließung bereits 18 Jahre alt gewesen. Allerdings sei im gegenständlichen Verfahren durchgehend behauptet worden, dass die in Griechenland verzeichneten Identitätsdaten gerade nicht den Tatsachen entsprächen, sodass daraus für die Revisionswerberin nichts zu gewinnen sei. Es könne nicht „wahlweise“ das „passendere“ Geburtsdatum herangezogen werden, nur um ein günstigeres Ergebnis zu erzielen.

14       Da somit weder die Revisionswerberin noch die Bezugsperson zum Zeitpunkt der behaupteten Eheschließung das für die Ehefähigkeit nach syrischem Eherecht grundsätzlich notwendige Alter erreicht gehabt hätten, hätte nach syrischem Recht der zuständige Richter vor Eingehen der Ehe die körperliche Reife und die Geschlechtsreife beider Jugendlicher als erwiesen ansehen müssen und zusätzlich der jeweilige Ehevormund der beiden Jugendlichen, wie etwa der Vater oder der Großvater, der Ehe zustimmen müssen. Dass dies der Fall gewesen sei, gehe „aus dem Akt“ nicht hervor. Derartiges sei von der Revisionswerberin auch nie behauptet worden.

15       Aus der vorgelegten „Bestätigung der Eheschließung“ sei zwar herauszulesen, dass der Vater und damit der „zwangsläufige Fürsorger“ der Revisionswerberin seine Zustimmung zur Ehe erteilt habe. Aus dem Dokument gehe weiters hervor, dass der Vater „an der Bestätigung der Eheschließung interessiert“ sei. Aber es finde sich dort zur ebenfalls notwendigen Zustimmung des Ehevormunds der Bezugsperson nichts.

16       Dass der zuständige Richter vor der Eheschließung die körperliche Reife und die Geschlechtsreife der zum Zeitpunkt der behaupteten Eheschließung 16-jährigen Revisionswerberin und der 17-jährigen Bezugsperson als erwiesen angesehen hätte, gehe aus den Unterlagen und aus dem Vorbringen nicht hervor. Das Zustandekommen einer nach syrischem Eherecht gültigen Ehe scheitere im konkreten Fall daher sogar „an mehreren Ursachen“.

17       Ergänzend sei festzuhalten, dass zumindest die Bezugsperson am 16. August 2018 bei der nachträglichen Genehmigung der angeblich am 1. Jänner 2018 nach religiösem Recht geschlossenen Ehe durch das Scharia-Gericht mit Sicherheit nicht anwesend gewesen sei. Die Bezugsperson habe ihren Antrag auf internationalen Schutz im österreichischen Bundesgebiet am 20. Juli 2018 gestellt, was eine „gleichzeitige Anwesenheit in Syrien“ ausschließe. Es sei dem Dokument auch nicht klar zu entnehmen, dass die Revisionswerberin anwesend gewesen wäre. Die mangelnde Anwesenheit der Beteiligten mache aber ein allfälliges nachträgliches Urteil des Richters über die körperliche Reife und die Geschlechtsreife der Revisionswerberin und der Bezugsperson unmöglich; gehe es bei der richterlichen Beurteilung doch gerade um das individuelle Auftreten der Jugendlichen. Dass ein Richter aber bereits vor Abschluss der Ehe nach religiösem Recht - zu irgendeinem Zeitpunkt als alle Beteiligten noch in Syrien waren - zur Beurteilung der relevanten Frage der körperliche Reife und Geschlechtsreife zu Rate gezogen worden wäre, was nach Art. 18 des syrischen Personenstandsgesetzes erforderlich gewesen wäre, sei nicht nachgewiesen und auch gar nicht behauptet worden.

18       In der rechtlichen Beurteilung ging das Bundesverwaltungsgericht - erkennbar abstellend auf die von ihm zitierten Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 15. Juni 1978 über das internationale Privatrecht (IPR-Gesetz; im Weiteren auch: IPRG) - davon aus, dass die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens einer rechtsgültigen Ehe im gegenständlichen Fall unter Heranziehung der entsprechenden syrischen Bestimmungen zu lösen sei. Die Form einer Eheschließung im Ausland sei nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen, wobei die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung genügt. Eine Bestimmung des fremden Rechtes sei nur dann nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führe, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar sei.

19       Die Revisionswerberin und die Bezugsperson hätten zum Zeitpunkt der behaupteten Eheschließung am 1. Jänner 2018 das im syrischen Personenstandsgesetz festgesetzte Alter „der grundsätzlichen Ehefähigkeit“ nicht erreicht gehabt. Dass der zuständige Richter vor der Eheschließung die körperliche Reife und die Geschlechtsreife der beiden Jugendlichen als erwiesen angesehen hätte und zusätzlich der jeweilige Ehevormund der beiden Jugendlichen der Ehe zugestimmt hätte, lasse sich weder den vorgelegten Urkunden entnehmen noch sei dazu ein konkretes Vorbringen erstattet worden.

20       Da im gegenständlichen Fall nicht nachgewiesen worden sei, dass nach syrischem Recht eine Ehe zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson gültig zustande gekommen sei, liege die nach § 35 Abs. 5 AsylG 2005 für die Erteilung eines Einreisetitels notwendige Voraussetzung, Familienangehöriger der Bezugsperson sein zu müssen, nicht vor.

21       Es sei zudem festzuhalten, dass selbst dann, wenn alle Formvorschriften des syrischen Personenstandsgesetzes eingehalten worden wären und nach syrischem Recht eine gültige Ehe zustande gekommen wäre, für die Revisionswerberin nichts gewonnen wäre, weil es sich „um eine reine ‚Minderjährigenehe‘ gehandelt hätte“.

22       Vor dem Hintergrund der Vorbehaltsklausel des § 6 IPRG sei festzuhalten, dass das österreichische Ehegesetz (EheG) strengere Regeln enthalte als das syrische Personenstandsgesetz. Gemäß § 1 Abs. 2 EheG habe das Gericht eine Person, die das 16. Lebensjahr vollendet habe, auf ihren Antrag für ehemündig zu erklären, wenn der künftige Ehegatte volljährig sei und die minderjährige Person für diese Ehe reif erscheine. Das österreichische Eherecht sehe für den Fall, dass keiner der beiden volljährig sei, nicht vor, dass das Gericht beide Ehepartner für ehemündig erklären könnte. Darin manifestiere sich „das mangelnde Bedürfnis“ nach reinen „Minderjährigenehen“, worin durchaus ein Grundwert der österreichischen Rechtsordnung zu erkennen sei.

23       Soweit im gegenständlichen Verfahren das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK zu beachten sei, sei auszuführen, dass Gegenstand des Beschwerdeverfahrens nur der Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß (§ 26 FPG iVm) § 35 AsylG 2005 sei, worüber die Botschaft in einem „relativ formalisierten Ermittlungsverfahren“ zu entscheiden habe. Die für die Erteilung des begehrten Einreisetitels notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen nach § 35 AsylG 2005, der vom Verfassungsgerichtshof nicht beanstandet worden sei, lägen im gegenständlichen Fall aber nicht vor. Art. 8 EMRK schreibe nicht vor, dass in allen Fällen der Familienzusammenführung jedenfalls der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren wäre. Vielmehr werde im Regelfall ein Aufenthaltstitel nach den fremdenrechtlichen Bestimmungen in Betracht kommen. Für einwanderungswillige Drittstaatsangehörige stelle in Österreich das Verfahren nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) den gesetzlich vorgesehenen Weg dar.

24       Gemäß § 11a Abs. 2 FPG sei das Beschwerdeverfahren ohne Durchführung einer Verhandlung abzuführen gewesen.

25       Die Erhebung einer Revision sei nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil sich das Bundesverwaltungsgericht bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes, die bei den jeweiligen Erwägungen wiedergegeben worden sei, sowie auf eine ohnehin klare Rechtslage habe stützen können.

26       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde.

27       Vom Verwaltungsgerichtshof wurde das Vorverfahren eingeleitet. Die vor dem Bundesverwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine (dem Verwaltungsgerichtshof zunächst entgegen § 1 Abs. 1 letzter Satz VwGH-elektronischer-Verkehr-Verordnung per e-Mail übersendete, aber in der Folge auch in Papierform vorgelegte) Revisionsbeantwortung.

28       Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

29       Die Revisionswerberin bringt - hier auf das Wesentliche zusammengefasst - vor, das Bundesverwaltungsgericht habe keine Feststellungen getroffen, die die Beurteilung ermöglicht hätten, ob die Ehe gültig geschlossen worden sei. Zahlreiche Ausführungen zum Sachverhalt seien im Konjunktiv gehalten. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch gegen das „Überraschungsverbot“ verstoßen. Hätte das Gericht Parteiengehör zu seinen Sachverhaltsannahmen eingeräumt, so hätte die Revisionswerberin ausführen können, dass die Voraussetzungen für die Gültigkeit der Ehe, insbesondere die notwendige Reife der Ehepartner gegeben gewesen sei, weil ansonsten das syrische Gericht die Ehe nicht bestätigt hätte. Es stehe aber auch der ordre public dem nicht entgegen, die Ehe als gültig anzuerkennen.

30       Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.

31       Die hier maßgeblichen Bestimmungen (zum Teil auszugweise und samt Überschrift) lauten:

§ 26 FPG:

„Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG 2005

§ 26. Teilt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 mit, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist, ist dem Familienangehörigen gemäß § 35 Abs. 5 AsylG 2005 ohne Weiteres zur einmaligen Einreise ein Visum mit viermonatiger Gültigkeitsdauer zu erteilen.“

§ 35 AsylG 2005:

„Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden

§ 35. (1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei einer mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.

(2) ...

...

(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn

1.   gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),

2.   das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und

3.   im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.

Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.

(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.“

§ 2, § 3, § 6, § 9, § 16 und § 17 IPRG:

„Ermittlung der für die Anknüpfung maßgebenden Voraussetzungen

§ 2. Die für die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen sind von Amts wegen festzustellen, soweit nicht nach verfahrensrechtlichen Vorschriften in einem der Rechtswahl zugänglichen Sachgebiet (§§ 19, 35 Abs. 1) tatsächliches Parteivorbringen für wahr zu halten ist.

Anwendung fremden Rechtes

§ 3. Ist fremdes Recht maßgebend, so ist es von Amts wegen und wie in seinem ursprünglichen Geltungsbereich anzuwenden.

...

Vorbehaltsklausel (ordre public)

§ 6. Eine Bestimmung des fremden Rechtes ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechtes anzuwenden.

Statutenwechsel

§ 7. Die nachträgliche Änderung der für die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung maßgebenden Voraussetzungen hat auf bereits vollendete Tatbestände keinen Einfluss.

...

Personalstatut einer natürlichen Person

§ 9. (1) Das Personalstatut einer natürlichen Person ist das Recht des Staates, dem die Person angehört. Hat eine Person neben einer fremden Staatsangehörigkeit auch die österreichische Staatsbürgerschaft, so ist diese maßgebend. Für andere Mehrstaater ist die Staatsangehörigkeit des Staates maßgebend, zu dem die stärkste Beziehung besteht.

(2) ...

(3) Das Personalstatut einer Person, die Flüchtling im Sinn der für Österreich geltenden internationalen Übereinkommen ist oder deren Beziehungen zu ihrem Heimatstaat aus vergleichbar schwerwiegenden Gründen abgebrochen sind, ist das Recht des Staates, in dem sie ihren Wohnsitz, mangels eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat; eine Verweisung dieses Rechtes auf das Recht des Heimatstaates (§ 5) ist unbeachtlich.

...

Form der Eheschließung

§ 16. (1) Die Form einer Eheschließung im Inland ist nach den inländischen Formvorschriften zu beurteilen.

(2) Die Form einer Eheschließung im Ausland ist nach dem Personalstatut jedes der Verlobten zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung.

Voraussetzungen der Eheschließung

§ 17. (1) Die Voraussetzungen der Eheschließung sowie die der Ehenichtigkeit und der Aufhebung sind für jeden der Verlobten nach seinem Personalstatut zu beurteilen.

(1a) ...

...“

32       Voraussetzung für die Erteilung eines Visums nach § 26 FPG ist es, Familienangehöriger im Sinn des § 35 AsylG 2005 zu sein. Die Revisionswerberin beruft sich darauf, mit der - in Österreich über den Status des Asylberechtigten verfügenden - Bezugsperson in Syrien die Ehe bereits vor dessen Einreise in das Bundesgebiet geschlossen zu haben.

33       Das Bundesverwaltungsgericht geht hingegen davon aus, dass die Revisionswerberin nicht als Familienangehörige der Bezugsperson anzusehen sei, weil die Vorschriften für Eheschließung in Syrien nicht eingehalten worden seien. Aber selbst wenn dies der Fall gewesen sei, widerspräche - so das Verwaltungsgericht in seiner alternativen Begründung - die Anerkennung der Ehe dem ordre public.

34       Es trifft der in der Revision erhobene Vorwurf, das Bundesverwaltungsgericht habe keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die eine dem Gesetz entsprechende rechtliche Beurteilung ermöglicht hätten, ob den Formvorschriften, die im Ausland für die Eheschließung beachtlich gewesen seien, Genüge getan worden sei, zu.

35       Ausdrückliche Feststellungen hat das Bundesverwaltungsgericht nur zum Alter der Revisionswerberin und der als Ehemann angeführten Bezugsperson sowie zu Bestimmungen des syrischen Personenstandsgesetzes getroffen. Jedoch hat es, ohne eine Verhandlung durchzuführen und ohne der Revisionswerberin zum von ihm angenommenen Sachverhalt Parteiengehör einzuräumen, bloß ausgehend von diesen Bestimmungen und indem es bei der Beurteilung des Inhalts von vorgelegten Urkunden zentral bloß auf das Fehlen von bestimmtem Vorbringen abgestellt hat, auf die seiner Ansicht nach geschehenen Vorgänge im Tatsächlichen geschlossen. Anders als es das Bundesverwaltungsgericht offenbar vor Augen hat, sind seine Annahmen aber nicht mit dem von der Revisionswerberin erstatteten Vorbringen zur Frage der Einhaltung der nach syrischem Recht aufgestellten Formvorschriften in Einklang zu bringen. Insoweit entzieht sich die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses, in dem im Grunde in den beweiswürdigenden Überlegungen bloß Sachverhaltsprämissen, die sich nicht auf taugliche Ermittlungsergebnisse zurückführen lassen, zugrunde gelegt werden, zufolge nicht hinreichend nachvollziehbar zustande gekommener Feststellungen (abgesehen von jenem zum Alter der Revisionswerberin und zu syrischen Rechtsvorschriften) - soweit am Boden des Inhalts des angefochtenen Erkenntnisses überhaupt vom Vorliegen solcher gesprochen werden kann - einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof.

36       In der Begründung des Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichts ist in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Parteien ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen es die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete. Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung der Entscheidung führt (vgl. etwa VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0355, mwN).

37       Weiters haftet dem vom Bundesverwaltungsgericht geführten Ermittlungsverfahren in einer das angesprochene Thema betreffenden relevanten Weise als Verfahrensfehler an, dass es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, der Revisionswerberin zu seinen - nicht mit ihrem Vorbringen in Übereinstimmung zu bringenden - Annahmen Parteiengehör einzuräumen.

38       Insofern hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

39       Allerdings käme diesen Verfahrensfehlern dann keine Relevanz für den Verfahrensausgang zu, wenn die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, die Ehe könnte in Österreich wegen des Verstoßes gegen den ordre public in keinem Fall als gültig angesehen werden, dem Gesetz entspräche. Diesfalls wäre infolge der dann schon für sich tragenden (Alternativ-)Begründung die Beschwerdeabweisung als nicht rechtswidrig anzusehen.

40       Es ist daher hier geboten, auch auf die Frage der Anerkennung der Gültigkeit der Ehe aus dem Blickwinkel des ordre public einzugehen.

41       Bei der Auslegung von nicht in die Kompetenz der Verwaltung fallenden Rechtsmaterien kommt dem Verwaltungsgerichtshof keine Leitfunktion zu; er ist zur Fällung grundlegender Entscheidungen auf dem Gebiet des Zivilrechts nicht berufen, sodass die Auslegung zivilrechtlicher Normen auch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG begründen kann, solange den Verwaltungsgerichten dabei keine krasse Fehlentscheidung unterlaufen ist. Eine derartige Unvertretbarkeit ist in der Regel dann auszuschließen, wenn die Verwaltungsgerichte eine zivilrechtliche Vorfrage im Einklang mit der Rechtsprechung der Obersten Gerichtshofes (OGH) gelöst haben (vgl. etwa VwGH 21.11.2017, Ro 2015/05/0009; 3.4.2019, Ra 2018/15/0060, jeweils mwN).

42       Voranzustellen ist den folgenden Überlegungen, dass sich die hier maßgeblichen Vorgänge im Tatsächlichen, sofern sie nicht allein die Einhaltung von Formvorschriften des Ortes der Eheschließung (§ 16 Abs. 2 zweiter Halbsatz IPRG) betreffen, sondern auch einen Bezug zum Personalstatut aufweisen (vgl. § 16 Abs. 2 erster Halbsatz, § 17 IPRG), nach dem Vorbringen (Feststellungen, die im Gegensatz dazu eine andere Beurteilung geboten hätten, wurden vom Bundesverwaltungsgericht nicht getroffen) zu einer Zeit ereignet haben, als sich der von der Revisionswerberin für die nach dem AsylG 2005 angestrebte Familienzusammenführung als Bezugsperson angeführte Ehemann in seinem Heimatland aufgehalten hat und in Österreich noch nicht als Flüchtling anerkannt war. Ein späterer Statutenwechsel ist somit für die hier anstehende Beurteilung nicht weiter relevant (sh. § 7 IPRG, vgl. zur personenrechtlichen Stellung eines in Österreich als Flüchtling anerkannten Fremden nach Art. 12 GFK und der Unanwendbarkeit des § 9 Abs. 3 IPRG sowie dazu, dass die Sonderbestimmungen für Flüchtlinge der Festigung ihrer Rechtsstellung im Aufnahmestaat dienen, aber eine einmal gültig geschlossene Ehe nicht ungültig machen und spätere Änderungen des Formstatuts unbeachtlich sind, VfGH 9.6.2008, B 860/07 u.a.; vgl. weiters OGH 26.6.2018, 10 Ob 40/18g, [Pkt. 3.1. der Begründung] wonach für die persönliche Rechtsstellung von „Konventionsflüchtlingen“ im Sinn der GFK und des Flüchtlingsprotokolls [BGBl 1974/78] gemäß § 53 Abs. 1 IPRG und Art. 12 Z 1 GFK das Sachrecht des Wohnsitzstaats bzw. Staats des gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich ist).

43       Gemäß § 6 IPRG ist eine Bestimmung des fremden Rechts nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. Von dieser Ausnahme ist sparsamer Gebrauch zu machen, keinesfalls ist ein Abweichen von zwingenden österreichischen Vorschriften bereits ein ordre-public-Verstoß. Schutzobjekt sind primär die „Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung“ - deren Inhalt lässt sich im Einzelnen nicht definieren und ist auch zeitlichen Veränderungen unterworfen (vgl. OGH 28.8.2013, 6 Ob 138/13g) - und nicht subjektive Rechtspositionen von Inländern. Dabei spielen Verfassungsgrundsätze eine tragende Rolle, wie das Recht auf persönliche Freiheit, Gleichberechtigung, das Verbot abstammungsmäßiger, rassischer und konfessioneller Diskriminierung; außerhalb der verfassungsrechtlich geschützten Grundwertungen zählen etwa das Verbot der Kinderehe, des Ehezwangs, der Schutz des Kindeswohls im Kindschaftsrecht oder das Verbot der Ausbeutung zu den geschützten Grundwertungen (vgl. VwGH 19.9.2017, Ra 2016/20/0068, mit weiterem Hinweis auf die Rechtsprechung des OGH und dieser Judikatur folgende weitere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Zu den Grundwertungen des österreichischen Rechts gehört auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau (vgl. OGH 29.1.2019, 2 Ob 170/18s, wonach ein Abweichen vom Grundsatz der vollständigen Gleichbehandlung der Geschlechter, das sich im konkreten Fall auswirkt, bei einem nicht ganz in den Hintergrund tretenden Inlandsbezug in aller Regel nicht hingenommen werden kann).

44       Weiters ist wesentliche Voraussetzung für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechts und nicht bloß dieses selbst anstößig ist und überdies eine ausreichende Inlandsbeziehung besteht (vgl. auch dazu VwGH Ra 2016/20/0068).

45       Zu prüfen ist daher einerseits das Verhältnis der (fiktiven) Anwendung des kollisionsrechtlich berufenen Rechts im konkreten Fall zu Grundwertungen des österreichischen Rechts, andererseits das Ausmaß der Inlandsbeziehung. Die beiden Elemente bilden ein bewegliches System. Je stärker der Inlandsbezug, umso geringere Abweichungen vom österreichischen Recht können einen Verstoß gegen den ordre public begründen, und umgekehrt (vgl. OGH 29.1.2019, 2 Ob 170/18s).

46       Demnach ist auch die Ansicht, es sei ausreichend, dass zunächst abstrakt geprüft werden müsse, ob das fremde Recht in seiner Gesamtheit gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts verstoße, und nur bei Bejahung dieser Frage könnte das konkrete Ergebnis der Anwendung als ordre-public-widrig angesehen werden, verfehlt. Maßgebend ist allein das Ergebnis der Anwendung des fremden Rechts im konkreten Fall, nicht dessen abstrakter Inhalt. Denn Zweck der Vorbehaltsklausel ist allein die Verhinderung eines materiell untragbaren Ergebnisses im Einzelfall. Weder führt daher die Unvereinbarkeit der fremden Gesamtregelung eines Rechtsgebiets mit eigenen Grundwertungen zwingend zur Unanwendbarkeit eines Teils dieser Regelung im konkreten Fall, noch ist sie notwendige Voraussetzung dafür (vgl. auch dazu OGH 29.1.2019, 2 Ob 170/18s).

47       In diesem Sinn hat auch der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung darauf verwiesen, dass die Ansicht, wonach „jedweder Verweis auf eine nach Sharia-Recht geschlossene Ehe ins Leere gehen“ müsse, weil „das gesamte Eherecht der Sharia [...] in toto dem ordre public widersprechend zu betrachten“ sei, mit dem Gesetz nicht im Einklang steht. Zudem würde diese Auffassung darauf hinauslaufen, dass eine nach islamischem Recht geschlossene Ehe unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles niemals anzuerkennen wäre (VfGH 10.10.2019, E 1805/2018 u.a.). Dem entspricht auch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 4.10.2018, Ra 2018/18/0149; 6.9.2018, Ra 2018/18/0094).

48       Der OGH hatte sich in seiner Rechtsprechung noch nicht des Näheren damit zu befassen, wann von einer dem ordre public widerstreitenden Kinderehe auszugehen ist. Er hat allerdings bereits festgehalten, dass es den Grundwertungen des österreichischen Ehe- und Familienrechtes widerspricht, wenn die Mutter einer Minderjährigen ihre Zustimmung zur Verlobung eines ebenfalls Minderjährigen von der Zahlung eines Geldbetrags durch dessen Vater abhängig macht. Entscheidungen über die Eheschließung haben ohne Einschränkung der Willensfreiheit und ohne Anknüpfungen an Bedingungen zu erfolgen; Gleiches muss für das Verlöbnis und nicht nur zwischen den Verlöbnispartnern selbst, sondern auch im Verhältnis zwischen deren Erziehungsberechtigten gelten, weil die angesprochene Willensfreiheit auch dann eingeschränkt ist, wenn die erforderliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters einer Minderjährigen zu einem Verlöbnis mit Geld abgekauft wird. Dass eine solche Zahlung geeignet ist, einen ernsthaften Druck auf die Motivation der Minderjährigen zur Eheschließung auszuüben, liegt auf der Hand. Eine allenfalls in einer ausländischen Rechtsordnung bestehende Norm oder Übung, die eine solche Zahlung für rechtsgültig erklärte, verstieße daher gegen den ordre public im Sinn des § 6 IPRG (vgl. OGH 13.9.2000, 4 Ob 199/00v).

49       Der OGH geht sohin in Bezug auf Eheschließungen davon aus, es liege dem nationalen Recht eine nach dem IPRG zu schützende Grundwertung zugrunde, derzufolge gewährleistet sein muss, dass die Entscheidung über die Eheschließung ohne Einschränkung der Willensfreiheit und ohne Anknüpfungen an Bedingungen erfolgt (vgl. auch Verschraegen in Rummel [Hrsg.], Komm. zum ABGB, 3. Aufl., II/6, § 6 IPRG, Rn. 2, wonach die Freiheit der Eheschließung zu den „ordre-public-festen Rechtsgütern“ zu zählen sei). Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes weist das schon nach der bisherigen (oben wiedergegebenen) Rechtsprechung als vom Schutzbereich des § 6 IPRG erfasst angesehene Verbot der Kinderehe - ebenso wie das Verbot des Ehezwanges - einen engen Konnex zu diesem Ziel auf. Weiters wurde bereits in der Judikatur festgehalten, dass auch das Kindeswohl zu den zu schützenden Grundwertungen zu zählen ist. Auch mit dem Ziel des Schutzes des Kindeswohls steht das Verbot der Kinderehe in engem Zusammenhang, indem damit die (Persönlichkeits-)Rechte von Minderjährigen gewahrt und sie vor Ausbeutung und unzulässigen Verpflichtungen jeglicher Art geschützt werden sollen (vgl. Melcher, (Un-)Wirksamkeit von Kinderehen in Österreich - Kollisionsrechtliche Beurteilung und ordre public, EF-Z 2018/50). Es kommt zudem in zwischenstaatlichen Vereinbarungen, denen Österreich beigetreten ist, zweifelsfrei zum Ausdruck, dass die Vertragsstaaten - darunter auch Österreich - übereingekommen sind, dass der freie Ehewille und die Rechte von Kindern als besonders schützenswert einzustufen sind (vgl. Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen, BGBl. Nr. 433/1969 idF BGBl. I Nr. 62/2019 [Geltungsbereich], wonach eine Ehe rechtmäßig ohne die freie und uneingeschränkte Willenseinigung beider Verlobten nicht eingegangen werden kann, sowie die Präambel dieses Übereinkommens, wonach die Vertragsstaaten bekräftigen, dass es die Pflicht aller Staaten sei, alles zu unternehmen, jene Bräuche, veraltete Gesetze und Gepflogenheiten in Bezug auf Ehe und Familie, die mit den Grundsätzen, die in der Satzung der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte dargelegt sind, unvereinbar sind, insbesondere auch die Kinderehe und die Verlobung junger Mädchen vor dem heiratsfähigen Alter, völlig zu beseitigen; vgl. weiters das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, BGBl. Nr. 7/1993 idF BGBl. III Nr. 22/2020 [Geltungsbereich]). Die besondere Schutzwürdigkeit von Kindern geht zudem auch aus verfassungsrechtlichen Vorschriften hervor, so im Besonderen durch die im Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kinder, BGBl. I Nr. 4/2011, verbrieften Rechte (vgl. im vorliegenden Zusammenhang etwa dessen Art. 5, wonach u.a. ausdrücklich das Verbot der Zufügung seelischen Leides, sexuellen Missbrauchs und anderer Misshandlungen an einem Kind, sowie der Schutz des Kindes vor wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung statuiert wird). Allerdings wird aus dem Blickwinkel des § 6 IPRG nicht jedes dem Kindeswohl nicht zuträgliche Ergebnis der Anwendung fremder Rechtsvorschriften einen Verstoß gegen den ordre public begründen können (vgl. Verschraegen, aaO., Rn. 4, die einen solchen Verstoß nur im Fall der eklatanten Gefährdung des Kindeswohls als gegeben annimmt, was etwa dann nicht vorliege, wenn aus dem Widerruf oder Aufhebung einer Adoption der Verlust von Unterhalts- und Erbansprüchen resultiere). Bei der Prüfung, ob die Anwendung fremden Rechts zu einer unerträglichen Verletzung tragender Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung führt, handelt es sich sohin auch insoweit immer um eine Beurteilung des konkreten Einzelfalles (so auch Verschraegen, aaO., Rn. 4).

50       Nicht unerwähnt zu bleiben hat in diesem Zusammenhang, dass nach § 46 iVm § 2 Abs. 1 Z 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) nur jenen Ehegatten, die das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben, der Familiennachzug zu einem (in § 46 NAG als Zusammenführenden genannten) Drittstaatsangehörigen (wozu gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG auch der außerhalb des AsylG 2005 stattfindende Familiennachzug zu einem Asylberechtigten zu zählen ist) eröffnet wird. Die Regelung des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG - damit wird ein Mindestalter für beide Ehegatten festgelegt, das auch im Fall des Familiennachzugs zu einem anerkannten Flüchtling Anwendung zu finden hat (vgl. dazu VwGH 9.9.2014, 2014/22/0001) - dient als Schutzmaßnahme für Betroffene vor arrangierten (Kinder-)Ehen und soll dem Phänomen von Zwangsehen entgegenwirken (vgl. VwGH 26.6.2012, 2012/22/0081; 6.7.2010, 2010/22/0087). Sie stellt sich aus verfassungsrechtlicher Sicht als nicht bedenklich dar (vgl. nochmals VwGH 2012/22/0081, mit Hinweis auf VfGH 17.6.2011, B 711/10) und steht zudem mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2003/86/EG (Familienzusammenführungsrichtlinie) im Einklang (vgl. VwGH 9.9.2014, 2014/22/0001, unter Verweis auf EuGH 17.7.2014, Rs. Noorzia, C-338/13, wo ausgeführt wurde, dass das von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2003/86/EG festgesetzte Mindestalter letztlich dem Alter entspricht, in dem eine Person nach Auffassung des betreffenden Mitgliedstaats [der von der dort vorgesehenen Möglichkeit, das Mindestalter von Ehegatten für die Familienzusammenführung mit höchstens 21 Jahren festzulegen, Gebrauch macht] nicht nur für die Verweigerung einer erzwungenen Eheschließung die nötige Reife besitzen dürfte, sondern auch für die Entscheidung, sich freiwillig mit dem Ehegatten in einem anderen Land niederzulassen, um dort mit ihm ein Familienleben zu führen und sich dort zu integrieren [Rn. 16], und zudem die Annahme zulässig ist, dass es wegen der größeren Reife weniger leicht sein wird, die Betroffenen dahin zu beeinflussen, dass sie eine Zwangsehe schließen und die Familienzusammenführung akzeptieren, wenn sie bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung das Alter von 21 Jahren erreicht haben müssen, als wenn sie zu diesem Zeitpunkt jünger als 21 Jahre wären [Rn. 16]; vgl. weiters zu Zwangsehen im Anwendungsbereich des AsylG 2005 VwGH 15.5.2019, Ra 2019/01/0012, mwN, wonach solche im Ausland geschlossenen Ehen wegen des Verstoßes gegen das Verbot des Ehezwangs als vom Schutzbereich des § 6 IPRG erfasst anzusehen sind).

51       Vor dem Hintergrund der besonderen Schutzwürdigkeit Minderjähriger sowie des freien Ehewillens ist zunächst festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den in der Literatur zu findenden Ansatz, wonach eine Ehe dann als Kinderehe bezeichnet wird, wenn beide Ehepartner im Zeitpunkt der Eheschließung minderjährig waren (so offenbar Garber, Zu den Begriffen ‚Ehe‘ und ‚eingetragene Partnerschaft‘ iS der europäischen Güterrechtsverordnungen, EF-Z 2020/46), nicht teilt. Vielmehr kann eine dem ordre public zuwider laufende Kinderehe auch dann vorliegen, wenn im Zeitpunkt der Eheschließung bloß einer der Ehepartner minderjährig war.

52       Gemäß § 1 Abs. 1 Ehegesetz (EheG) ist ehefähig, wer volljährig und entscheidungsfähig ist. § 1 Abs. 2 EheG sieht vor, dass das Gericht eine Person, die das 16. Lebensjahr vollendet hat, auf ihren Antrag für ehefähig zu erklären hat, wenn der künftige Ehegatte volljährig ist und sie für diese Ehe reif erscheint; die minderjährige Person bedarf zur Eingehung der Ehe der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Verweigert dieser die Zustimmung, so hat das Gericht sie auf Antrag der minderjährigen Person, die ihrer bedarf, zu ersetzen, wenn keine gerechtfertigten Gründe für die Weigerung vorliegen.

53       Aus diesen Bestimmungen, die es einem Minderjährigen, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, nicht gänzlich verwehren, eine Ehe einzugehen, ergibt sich, dass der Gesetzgeber nicht jede Eheschließung eines Minderjährigen als eine verpönte Kinderehe ansieht. Als wesentlich ist allerdings hervorzuheben, dass der Gesetzgeber zum einen ein Alter festlegt, das der Minderjährige jedenfalls überschritten haben muss, und zum anderen der minderjährige Ehepartner „für diese Ehe reif“ sein muss. Zudem bedarf es (neben dem - im Fall der ungerechtfertigten Weigerung durch Gerichtsentscheidung ersetzbaren - Einverständnis des gesetzlichen Vertreters zur Eheschließung) einer Entscheidung des Gerichts, den minderjährigen Ehepartner für ehefähig zu erklären.

54       Sind hingegen beide Ehepartner minderjährig oder hat einer von ihnen das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet, ist eine Erklärung für ehefähig und sohin auch die Eheschließung nicht möglich.

55       Nach § 22 Abs. 1 EheG ist eine Ehe nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung nicht ehefähig war und nicht der Aufhebungsgrund des § 35 EheG (also der Mangel der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters) vorliegt. Die Ehe ist jedoch gemäß § 22 Abs. 2 EheG als von Anfang an gültig anzusehen, wenn der Ehegatte nach Eintritt der Ehefähigkeit zu erkennen gibt, dass er die Ehe fortsetzen will.

56       Gemäß § 27 EheG kann sich niemand auf die Nichtigkeit einer Ehe berufen, solange nicht die Ehe durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist. Nach § 28 Abs. 1 erster Satz EheG kann, wenn eine Ehe auf Grund des § 22 Abs. 1 EheG nichtig ist, (nur) einer der beiden Ehegatten die Nichtigerklärung begehren.

57       Diese Bestimmungen sind gleichfalls als Ausfluss des dem EheG inhärenten Gedankens des freien Ehewillens anzusehen. Zwar führt das Fehlen der Ehefähigkeit zum Zeitpunkt der Eheschließung seit der Novellierung des EheG mit dem 2. Erwachsenenschutz-Gesetz, BGBl. I Nr. 59/2017, gemäß § 22 Abs. 1 EheG zur Nichtigkeit der Ehe (anders als nach der davor geltenden Rechtslage, nach der im Mangel der Ehemündigkeit nur ein schlichtes Eheverbot im Sinn eines Trauungsverbotes für den Standesbeamten gesehen wurde, dessen Verletzung für sich nicht zur Vernichtbarkeit der Ehe führte, vgl. zu dieser Rechtslage Stabentheiner i

Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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