TE Lvwg Erkenntnis 2020/5/25 VGW-001/009/5597/2020

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Veröffentlicht am 25.05.2020
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Entscheidungsdatum

25.05.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
19/05 Menschenrechte
L46109 Tierhaltung Wien
24/01 Strafgesetzbuch

Norm

VStG §22 Abs1
VStG §30 Abs1
VStG §45 Abs1 Z3
EMRK 7. ZP Art. 4 Abs1
TierhalteG Wr §3 Z1
TierhalteG Wr §13 Abs2 Z1
StGB §88 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Wartecker über die Beschwerde der Frau A. B. gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 58, vom 27.03.2020, Zl. …, betreffend eine Übertretung des Wiener Tierhaltegesetzes

zu Recht e r k a n n t:

I. Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG eingestellt.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat die Beschwerdeführerin keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 58, vom 27.3.2020 wurde der Beschwerdeführerin zur Last gelegt, sie habe die Vorschriften des Wiener Tierhaltegesetzes insofern nicht eingehalten, als der von ihr verwahrte Hund am 9.7.2020, um 20.20 Uhr in Wien, C.-gasse auf dem Gehsteig, eine Person iSd § 3 Z 1 des Wiener Tierhaltegesetzes gefährdet habe, weil sie es unterlassen habe, den Hund durch entsprechende zielführende Maßnahmen so zu verwahren, dass sich der Hund der entsprechenden Person nicht bis zum Kontakt nähern habe können.

Hierdurch habe die Beschwerdeführerin § 3 Z 1 des Wiener Tierhaltegesetzes verletzt und wurde über sie gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 leg. cit. eine Geldstrafe iHv EUR 400,– bzw. für den NEF eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von 10 Stunden verhängt. Zudem wurde der Beschwerdeführerin ein entsprechender Verfahrenskostenbeitrag auferlegt.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 6.4.2020, in welcher von der Beschwerdeführerin - zusammengefasst - mangelndes Verschulden eingewendet wird und zugleich – unter Vorlage einer Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft Wien vom 30.10.2019 zu GZ: … – auf die Einstellung des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens hingewiesen wird. In dieser Benachrichtigung heißt es, dass die Staatsanwaltschaft das gegen die Beschwerdeführerin wegen §§ 88 Abs. 1, 88 Abs. 4 erster Fall StGB geführte Ermittlungsverfahren betreffend den Verdacht der fahrlässigen Körperverletzung vom 9.7.2019 in Wien, gemäß § 190 Abs. 2 StPO eingestellt habe, weil kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung bestehe. Die Einstellung erfolge, weil kein Verschulden und kein Sorgfaltsverstoß erweislich seien.

Das Verwaltungsgericht Wien hat hiezu erwogen:

Fest steht aufgrund der unbedenklichen Aktenlage, dass durch eine unsachgemäße bzw. mangelhafte Verwahrung des Hundes der Beschwerdeführerin zur o.a. Zeit am o.a. Ort (s. Straferkenntnis) eine Person gefährdet und (durch einen Biss des Hundes) zudem am linken Ringfinger verletzt wurde.

Die Staatsanwaltschaft Wien hat zu eben diesem Vorfall zu GZ: … ein Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß §§ 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB eingeleitet, welches mangels Nachweises eines Verschuldens oder eines Sorgfaltsverstoßes mit Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 190 Abs. 2 StPO abgeschlossen wurde.

Anzumerken ist, dass sich auch in Verwaltungsstrafverfahren wie vorliegend sich der Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes grundsätzlich nach § 27 VwGVG richtet. In diesem Rahmen ist das Verwaltungsgericht auch befugt, Rechtswidrigkeitsgründe aufzugreifen, die im Beschwerdeschriftsatz nicht vorgebracht wurden (vgl. etwa VwGH 26.3.2015, Ra 2014/07/0077).

 

§ 22 Abs. 1 VStG lautet:

"Zusammentreffen von strafbaren Handlungen

§ 22. (1) Soweit die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, ist eine Tat als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet."

§ 30 Abs. 1 VStG lautet:

"Zusammentreffen verschiedener strafbarer Handlungen

§ 30. (1) Liegen einem Beschuldigten von verschiedenen Behörden zu ahndende Verwaltungsübertretungen oder eine Verwaltungsübertretung und eine andere von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndende strafbare Handlung zur Last, so sind die strafbaren Handlungen unabhängig voneinander zu verfolgen, und zwar in der Regel auch dann, wenn die strafbaren Handlungen durch ein und dieselbe Tat begangen worden sind.

Gemäß § 3 Z 1 Wiener Tierhaltesetz sind Tiere so zu halten oder zu verwahren, dass Menschen nicht gefährdet werden. Ein Zuwiderhandeln gegen dieses Gebot wird gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 leg. cit. verwaltungsstrafrechtlich geahndet.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes geht aus der Formulierung des § 13 Abs. 2 Z 1 Wiener Tierhaltegesetz unmissverständlich hervor, dass die Strafbarkeit vom Eintritt eines Erfolges abhängig ist. Es handelt sich daher bei dieser Verwaltungsübertretung – entgegen der Annahme der belangten Behörde – um ein sog. „Erfolgsdelikt“ (vgl. VwGH 20.10.2010, 2010/02/0136).

Die Beschwerdeführerin wurde in Anwendung dieser Norm bestraft, weil sich der von ihr gehaltene Hund aufgrund unterlassener ordnungsgemäßer Verwahrung einer Person „bis zum Kontakt“ (?) nähern habe können, wobei es zu einer Gefährdung dieser Person samt – wie oben festgestellt – einer Bissverletzung am linken Ringfinger durch den Hund kam.

Die Staatsanwaltschaft Wien hat zu eben diesem Vorfall (deshalb) zu GZ: … ein Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß §§ 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB geführt.

Gemäß § 88 Abs. 1 StGB ist, wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.

Hat die Tat nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1) zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. … (§ 88 Abs. 4 erster Fall StGB).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22.11.2016, Ra 2016/03/0095, unter Verweis auf § 22 Abs. 1 VStG (idF BGBl. I Nr. 33/2013) ausführlich dargelegt hat, ist die verwaltungsbehördliche Strafbarkeit einer Tat –unbeschadet allfälliger, hier jedoch nicht relevanter abweichender Regelungen in den Materiengesetzen – dann nicht gegeben, wenn jene Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. § 22 Abs. 1 VStG stellt dabei ausschließlich auf die „Tat“ ab.

Selbst wenn man gegenständlich bei Abstellung auf die „Tat“ zum Ergebnis kommt, dass die verwaltungsbehördliche Strafbarkeit der Tat weiterhin grundsätzlich gegeben wäre, ist dennoch vom Vorliegen einer unzulässigen Doppelbestrafung (doppelten Strafverfolgung) auszugehen.

Eine verfassungsrechtlich unzulässige Doppel- oder Mehrfachbestrafung iSd Art4 Abs1 7. ZPEMRK liegt dann vor, wenn eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war und dabei der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft. Ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt daher in dieser Konstellation, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfasst. Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, deren Straftatbestände einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird. Eine gesetzliche Strafdrohung widerspricht dem Doppelbestrafungsverbot gemäß Art 4 Abs. 1 7. ZPEMRK, wenn sie den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") eines Straftatbestandes, der bereits Teil eines von den Strafgerichten zu ahndenden Straftatbestandes ist, neuerlich einer Beurteilung und Bestrafung durch die Verwaltungsbehörden unterwirft (vgl. Urteil des EGMR vom 23.10.1995, Z 33/1994/480/562, Serie A/328 (Fall Gradinger) und die folgenden Entscheidungen in den Fällen Oliveira sowie Franz Fischer gegen Österreich).

In seinem Erkenntnis vom 13.12.2019, Ra 2019/02/0020 hat der Verwaltungsgerichtshof zu dieser Thematik u.a. ausgeführt:

„Gemäß Art. 4 des 7. ZPEMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden. Zur Beurteilung der Frage, ob dieselbe strafbare Handlung im Sinn dieser Bestimmung vorliegt, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), in seiner grundlegenden Entscheidung vom 10. Februar 2009, Nr. 14939/03 (Zolotukhin), sowie dieser folgend in seinen weiteren Entscheidungen vom 16. Juni 2009, Nr. 13079/03 (Ruotsalainen), vom 25. Juni 2009, Nr. 55759/07 (Maresti), und vom 14. Jänner 2010, Nr. 2376/03 (Tsonev), die Ansicht vertreten, dass allein auf die Fakten abzustellen sei und die rechtliche Qualifikation derselben außer Betracht zu bleiben habe sowie dass eine neuerliche Strafverfolgung dann unzulässig sei, wenn sie sich auf denselben oder zumindest im Wesentlichen denselben Sachverhalt beziehe. In der angeführten Entscheidung im Fall Tsonev hat er - mit gewisser Einbeziehung der Tatbestände der angewendeten Strafbestimmungen - darauf abgestellt, ob dieselben Fakten das zentrale Element der Anschuldigungen und der beiden angewendeten Strafbestimmungen gebildet haben, und betont, dass die strafrechtliche Anklage die Fakten der Verwaltungsstraftat in ihrer Gesamtheit umfasste und umgekehrt die Verwaltungsstraftat keine Elemente enthielt, die nicht bereits in der gerichtlich strafbaren Handlung gegeben waren, wegen welcher der Beschwerdeführer verurteilt worden war (vgl. dazu VwGH 24.2.2011, 2007/09/0361).

Der Verfassungsgerichtshof vertritt in seinem Erkenntnis vom 2. Juli 2009, B 559/08, unter Auseinandersetzung mit der bisher ergangenen eigenen Judikatur sowie mit jener des EGMR die Ansicht, wegen ein und desselben tatsächlichen Verhaltens sei die Verfolgung nach zwei verschiedenen Straftatbeständen zulässig, wenn und insoweit sich diese in ihren "wesentlichen Elementen" unterschieden; Art. 4 des 7. ZPEMRK schließe die Anwendung verschiedener Strafbestimmungen, die zueinander nicht im Verhältnis der Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion stehen, nicht aus. Unzulässig ist nach der - im zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ausführlich dargestellten - Rechtsprechung die neuerliche Strafverfolgung nach einem rechtskräftigen Freispruch oder einer rechtskräftigen Verurteilung nur dann, wenn eines der beiden Delikte den Unrechtsgehalt des anderen umfasst, sodass kein weiteres Strafbedürfnis besteht (vgl. auch VwGH 27.4.2016, 2013/05/0099, sowie erneut 24.2.2011, 2007/09/0361).

Der Oberste Gerichtshof (vgl. dazu näher: OGH 18.10.2011, 12 Os 95/11d) vertritt die Auffassung, dass - ungeachtet der in der Beschwerdesache Zolotukhin eingeleiteten begrifflichen Neuausrichtung - auch der EGMR in seiner aktuellen Rechtsprechung im Ergebnis nicht bloß auf einen prozessualen (also rein tatsächlichen) Tatbegriff abstellt, sondern die jeweils in Rede stehenden Tatbestände (strafbaren Handlungen) insofern in die Betrachtung einbezieht, als er die Prüfung einer Übereinstimmung der Sachverhalte danach vornimmt, ob diese jeweils das wesentliche Element der (in beiden Verfahren tatsächlich vorgenommenen) Subsumtion bilden (Zolotukhin, Z 95 ff; Tsonev, Nr. 2376/03, Z 52).

Bezugspunkt der Prüfung ist nach dem Obersten Gerichtshof demnach nicht der historische Lebenssachverhalt allein, sondern das "sachverhaltsmäßig festgestellte Subsumtionsmaterial" ("facts of the two offences").

§ 22 Abs. 1 VStG sieht vor, dass eine Tat als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar ist, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt § 22 Abs. 1 VStG ausschließlich auf die "Tat" ab. Dass die Verwaltungsstrafnorm gegebenenfalls eine andere Schutzrichtung aufweist als die gerichtliche Strafnorm, ändert an der Subsidiarität nichts. § 22 Abs. 1 VStG stellt nur darauf ab, dass die Tat auch den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet; auf die tatsächliche Einleitung (oder gar den Abschluss) eines Strafverfahrens kommt es daher nicht an. Auch die Frage, ob der Beschuldigte die Tat verschuldet hat oder ein Entschuldigungsgrund in Betracht zu ziehen ist, ist für die Subsidiarität der Verwaltungsstrafdrohung nicht entscheidend (VwGH 22.11.2016, Ra 2016/03/0095; 26.4.2019, Ra 2018/02/0344). Erschöpft sich daher die Tathandlung, die von der Verwaltungsstrafbehörde unter dem Blickwinkel der irreführenden Werbung in den Blick genommen wird, in einem Verhalten, das den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, so ist die Verwaltungsübertretung gemäß § 22 Abs. 1 VStG nicht strafbar.

Ob die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, ist dabei von der Verwaltungsstrafbehörde - im Falle einer Beschwerde vom Verwaltungsgericht - als Vorfrage zu beurteilen (erneut VwGH 22.11.2016, Ra 2016/03/0095).

Es liegt daher keine Konkurrenz von Strafbestimmungen vor, sondern nur eine Bestimmung, nach der bestraft werden kann. Die Wirkung der "Scheinkonkurrenz" ist, dass keine von einer Verwaltungsbehörde zu ahndende Verwaltungsübertretung vorliegt, sondern - sofern die Prämisse des BVwG zutreffend ist - nur eine vom Strafgericht zu ahndende strafbare Handlung, sodass nur deren Straftatbestand durch die Handlung des Mitbeteiligten erfüllt wurde: Im Falle der Scheinkonkurrenz, also wenn der gesamte Unrechtsgehalt eines Deliktes von jenem eines anderen, ebenfalls verwirklichten in jeder Beziehung mitumfasst ist, ist es nämlich unzulässig, dem Täter ein und denselben Unwert mehrmals zuzurechnen (vgl. Raschauer/Wessely, VStG2, § 22 Rz 28), sie führt zu einem Zurücktreten eines Tatbestandes hinter einen anderen, wenn sich aus konkreten Umständen des Tatgeschehens dessen Vorrang ergibt (vgl. näher VwGH 2.9.2019, Ra 2018/02/0123).“

Art. 4 des 7. ZPMRK schließt die Anwendung verschiedener Strafbestimmungen, die zueinander nicht im Verhältnis der Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion stehen, nicht aus. Unzulässig ist die neuerliche Strafverfolgung nach einem rechtskräftigen Freispruch oder einer rechtskräftigen Verurteilung nur dann, wenn eines der beiden Delikte den Unrechtsgehalt des anderen umfasst, sodass kein weiteres Strafbedürfnis besteht (vgl. VfGH 2.7.2009, B 559/08; VwGH 27.4.2016, 2013/05/0099; 24.2.2011, 2007/09/0361), (s. wiederum VwGH 13.12.2019, Ra 2019/02/0020).

Grundsätzlich ist nach der höchstgerichtlichen Judikatur die Verfolgung wegen ein und desselben tatsächlichen Verhaltens nach zwei verschiedenen Straftatbeständen zulässig, sofern diese sich in ihren wesentlichen Elementen unterscheiden (vgl. VfSlg. 18.833/2009 mwN unter Berücksichtigung des Urteils des EGMR zu Art 4 Abs. 1 7. ZPEMRK vom 10.2.2009 [GK], Fall Zolothukin, Appl. 14.939/03). Dadurch wird die frühere verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, wonach es darauf ankommt, ob der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass kein weiteres Strafbedürfnis gegeben ist (z.B. VfSlg. 14.696/1996, 15.821/2000), fortgeführt.

Dass die hier in Rede stehenden Bestimmungen des Wiener Tierhaltegesetzes und des StGB unterschiedliche Regelungszwecke verfolgen, war im Übrigen nicht zu konstatieren. Durch die sachgemäße Verwahrung von Tieren (hier: eines Hundes) soll nach dem Wiener Tierhaltegesetz eine Gefährdung (somit letztlich eine gesundheitliche Beeinträchtigung) von Menschen hintangehalten werden. Nichts anderes gilt im Ergebnis für eine durch unsachgemäße Haltung eines Tieres verursachte Verletzung eines Menschen am Körper, welche durch § 88 Abs. 1 StGB zu sanktionieren ist.

Die Strafbarkeit der Beschwerdeführerin gemäß § 88 Abs. 1 StGB gründet sich im Wesentlichen auf den Vorwurf, den von ihr gehaltenen Hund unzureichend verwahrt zu haben, wodurch es zu einer Verletzung einer Person gekommen ist. Auch mit dem hier zu beurteilenden Straferkenntnis der belangten Behörde wird gegen die Beschwerdeführerin der Vorwurf erhoben, den von ihr gehaltenen Hund nicht ordnungsgemäß verwahrt zu haben, was eine Gefährdungssituation heraufbeschworen habe (die in eine Verletzung eines Menschen mündete).

Die im angefochtenen Straferkenntnis ausgesprochene Bestrafung nach § 13 Abs. 2 Z 1 Wiener Tierhaltegesetz umfasste keine anderen Aspekte des tatsächlichen Geschehens als die Gesichtspunkte, die für die gegenständliche Strafverfolgung der Beschwerdeführerin nach § 88 Abs. 1 StGB relevant waren. Pönalisiert ist jeweils der durch nicht ordnungsgemäße Verwahrung eines Tieres (Hundes) eingetretene Erfolg (Gefährdung bzw. Verletzung eines Menschen). Die mit dem Tierhaltegesetz verfolgten Ziele entsprechen denen, die mit dem StGB verfolgt werden. Es liegen somit Straftatbestände vor, die in ihren "wesentlichen Elementen" gleich sind (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2001, Franz Fischer, Nr. 37 950/97, Z 25), (vgl. VwGH 29.01.2009, 2006/10/0015).

Der herangezogene strafrechtliche Deliktstypus erschöpft gegenständlich den Unrechts- und Schuldgehalt des Täterverhaltens, sodass kein weiteres Strafbedürfnis gegeben ist.

Die Bestrafung der Beschwerdeführerin wegen Übertretung des § 3 Z 1 Wiener Tierhaltegesetz stünde somit im Lichte obiger Ausführungen und Überlegungen in Anbetracht der bereits erfolgten Strafverfolgung gemäß § 88 Abs. 1 StGB wegen desselben Verhaltens (unzureichende Verwahrung des Hundes, wodurch es zu einer eine Gefährdung mitumfassenden Verletzung einer Person kam) in Widerspruch zu der in Verfassungsrang stehenden Bestimmung des Art. 4 des 7. ZPEMRK.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die im Spruch zitierte Gesetzesstelle.

Gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG konnte eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass das mit Beschwerde angefochtene Straferkenntnis aufzuheben war.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Tierhaltung; Verwahrung; Gefährdung; Zusammentreffen von strafbaren Handlungen; Doppelbestrafungsverbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.001.009.5597.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.07.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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