TE Lvwg Erkenntnis 2017/2/2 405-11/24/1/22-2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.02.2017
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Entscheidungsdatum

02.02.2017

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

NAG 2005 §11 Abs2 Z1
EMRK Art8

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Salzburg hat durch die Richterin Dr. Christine Scharfetter über die Beschwerde des AB AA, geb XY, StA NN, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. EE FF Dr. GG HH, II-Straße, LL, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Salzburg vom 8.7.2016, Zahl xxxxx/1-2016,

zu Recht e r k a n n t:

1.           Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

2.           Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 8.7.2016, Zahl xxxxx/1-2016, hat die belangte Behörde Folgendes erwogen: "Der Antrag des Herrn AB AA, NN, geboren am XY in MM NN, NN, derzeit wohnhaft in, vom 14.2.2016, auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG, BGBl.I.Nr. 100/2005 i.d.F. BGBl.I.Nr. 70/2015, wird abgewiesen."

In der Begründung kommt die belangte Behörde im Rahmen des § 11 Abs 2 iVm § 11 Abs 4 Z 1 NAG zu einer negativen Prognoseentscheidung; dies aufgrund von mehrmonatigen Haftstrafen (rk Verurteilungen aus dem Jahre 2010 und 2011), die der Beschwerdeführer verbüßen musste.

Dagegen hat der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde darauf verwiesen, dass er im Jahre 2011 freiwillig aus Österreich ausgereist sei; seither sei er nicht mehr straffällig geworden. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe zudem in seiner Stellungnahme festgestellt, dass der Beschwerdeführer sich seit seiner freiwilligen Ausreise wohlverhalten habe und daher eine "durchaus positive Zukunftsprognose erstellt werden kann". Der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen nicht nur bezüglich seines Wohlverhaltens, sondern auch bezüglich seiner bereits getätigten Integrationsbemühungen; der Vorwurf des Magistrates Salzburg sei daher unbegründet. Darüber hinaus sei auszuführen, dass ein Aufenthaltstitel trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 1 bis 6 erteilt werden könne, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten sei. Der Beschwerdeführer habe sehr viele ihm nahestehende Familienangehörige in LL, darunter nicht nur seine Eltern, sondern auch drei Brüder und zwei Cousins mit ihren jeweiligen Familien. Die Abweisung des beantragten Aufenthaltstitels würde sein Familien- und Privatleben nach Art 8 EMRK wesentlich berühren.

Die belangte Behörde brachte dem Landesverwaltungsgericht Salzburg die Beschwerde samt Verwaltungsakt mit Schreiben vom 11.8.2016 zur Entscheidung in Vorlage.

Am 20.12.2016 fand am Landesverwaltungsgericht Salzburg eine öffentliche mündliche Verhandlung statt; zu dieser erschienen die Beschwerdeführervertreterin, der Vater des Beschwerdeführers als Zeuge und Vertreter der belangten Behörde. Am 18.1.2017 gab die Beschwerdeführervertreterin eine abschließende schriftliche Stellungnahme ab und legte weitere Urkunden vor. In ihrer Stellungnahme hob die Beschwerdeführervertreterin ua hervor, dass aus dem nunmehr viele Jahre zurückliegenden Fehlverhalten des Beschwerdeführers nicht auf das Vorliegen einer gegenwärtigen, tatsächlichen und erheblichen "Gefahr" geschlossen werden könne und zitierte dazu zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 20.10.2011, 2008/18/0787; VwGH 24.10.2007, 2006/21/0155) sowie eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien (VwG Wien 24.6.2014, VGW-151/046/4680/2014).

Auf Grund der Aktenlage steht folgender

S a c h v e r h a l t

fest:

Der Beschwerdeführer wurde am XY in MM NN, NN, geboren; am 20.10.2005 kam er legal nach Österreich. Am 19.12.2007 schloss der Beschwerdeführer mit OO PP – seiner Cousine - vor dem Amtsgericht QQ/NN die in Eheregister Nr ZZ unter Nr ZZZ, Blatt ZZZZ, eingetragene Ehe. Im Zeitraum 4.9.2009 bis 12.1.2010 waren der Beschwerdeführer und seine Ehegattin laut ZMR an der Adresse RR-Gasse, LL, gemeldet. Ab dem 12.1.2010 (bis 4.3.2011) war die Ehegattin im TT-Haus LL gemeldet. Der derzeitige Wohnsitz der OO PP befindet sich nur wenige hundert Meter vom beabsichtigen Wohnsitz des Beschwerdeführers.

Laut ZMR scheinen in Österreich im Hinblick auf den Beschwerdeführer folgenden Meldungen (Hauptwohnsitz) auf:

20.10.2005 bis 11.7.2006 Hauptwohnsitz (UU-Straße, LL)

11.7.2006 bis 27.11.2007 Hauptwohnsitz (VV-Straße, LL)

27.11.2007 bis 1.4.2010 Hauptwohnsitz (RR-Gasse, LL)

14.4.2010 bis 10.11.2011 Hauptwohnsitz (WW-Straße, LL)

Laut ZMR scheinen in Österreich im Hinblick auf den Beschwerdeführer folgenden Meldung (Nebenwohnsitz) auf:

30.12.2009 bis 30.3.2010 Nebenwohnsitz (Justizanstalt …)

19.2.2011 bis 25.2.2011 Nebenwohnsitz (Polizeianhaltezentrum Salzburg)

6.4.2011 bis 9.11.2011 Nebenwohnsitz (Justizanstalt …)

Der Beschwerdeführer verfügte in den angeführten Zeiträumen über Niederlassungsbewilligungen:

22.9.2006 bis 21.9.2007

22.9.2007 bis 7.9.2008

8.9.2008 bis 7.9.2009

8.9.2009 bis 7.9.2010

Der Beschwerdeführer war in nachstehend angeführten Zeiträumen in folgenden Betrieben beschäftigt:

3.4.2006 bis 21.12.2007 CH Hotel Betriebs GmbH

5.1.2008 bis 13.2.2008 Hotel und Gasthof LE

13.3.2008 bis 21.8.2008 CH Hotel Betriebs GmbH

2.9.2008 bis 28.10.2009 TN Gastronomie GmbH

8.5.2010 bis 21.9.2010 CH Hotel Betriebs GmbH

22.9.2010 bis 27.3.2011 Hotel und Gasthof LE

Der Beschwerdeführer weist in nachstehenden Zeiträumen einen Arbeitslosengeldbezug auf:

26.8.2008 bis 1.9.2008

29.10.2009 bis 7.11.2009

18.11.2009 bis 15.12.2009

29.12.2009 bis 29.12.2009

31.3.2010 bis 7.5.2010

Zur Verurteilung im Jahre 2010:

Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 17.3.2010, Zahl yyyyy wurde der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten (unbedingte Teil der Freiheitsstrafe: 6 Monate) verurteilt. Dies deshalb, weil er

?      seine Ehegattin in der Zeit von Mitte September 2009 bis 18.12.2009 in wiederholten Angriffen mit Gewalt (Versetzen von Schlägen, gewaltsames Werfen auf das Bett) zur Vornahme bzw Duldung des Beischlafs genötigt hat (§ 201 Abs 1 StGB);

?      seine Ehegattin in der Zeit von Mitte September 2009 bis 22.12.2009 in wiederholten Angriffen durch Vorhalten eines Messers und der Äußerung, er werde sie umbringen und verbrennen, wobei er zur Unterstreichung seiner Drohung auf einen am Balkon stehenden Behälter mit benzinähnlicher, leicht trüben Flüssigkeit hingewiesen hat, gefährlich mit dem Tode bedroht hat, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen (§ 107 Ab 1 und 2 StGB);

?      seine Ehegattin in der Zeit von Mitte September 2009 bis zum 22.12.2009 bzw 23. und 25.12.2009 durch wiederholte Äußerungen (teilweise fernmündlich), er werde sie umbringen, wenn sie nicht nach NN zurückgehe bzw wenn sie zurückkomme, sohin durch Drohung mit dem Tode zu einer Handlung, nämlich Ausreise aus Österreich bzw Rückkehr nach NN, zu zwingen versucht hat (§§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB) und

?      seine Ehegattin am 28.12.2009 durch die fernmündliche Äußerung, er werde sie umbringen, falls er sie finde, gefährlich mit dem Tod bedroht hat, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen (§ 107 Abs 1 StGB).

Der Beschwerdeführer hielt seit seiner ersten Einvernahme am 30.9.2009 an seiner leugnenden Verantwortung fest; in der Beschuldigtenvernehmung führte er zudem aus (Strafakt yyyyy, AS 65, BV, Seite 5, 6. Absatz): "Meine Frau war bei einem Zauberer in NN und wollte von ihm, dass er mich verzaubert um sie nochmals zu heiraten um den Aufenthaltstitel in Österreich zu bekommen. Seitdem sie in Österreich ist, spüre ich diesen Zauber auch, da mein Kopf nicht mehr so richtig funktioniert wie früher." Der Beschwerdeführer befand sich unter Berücksichtigung einer bedingten Strafnachsicht im Zeitraum 30.12.2009-30.3.2010 in der Justizanstalt …. Im Rahmen der bedingten Strafnachsicht (datiert: 18.3.2010) wurde dem Beschwerdeführer die Weisung erteilt, dass er von sich aus jeglichen persönlichen und telefonischen Kontakt mit der Ehefrau OO PP zu unterlassen hat.

Dieser Weisung hat sich der Beschwerdeführer in weiterer Folge widersetzt (siehe Verurteilung im Jahre 2011). Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 31.8.2010, Zahl ggggg, wurde über den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Die Sicherheitsdirektion Salzburg hat die dagegen eingebrachte Berufung mit Bescheid vom 3.12.2010, Zahl hhhhh, abgewiesen und den bekämpften Bescheid der Bundespolizeidirektion bestätigt.

Zur Verurteilung im Jahre 2011:

Mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 14.7.2011, Zahl … wurde der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 Monaten verurteilt. Dies deshalb, weil er

?      seine Ehegattin in LL zwischen 25.3.2011 und 28.3.2011 in mehreren Angriffen durch die wiederholte – teils telefonisch erfolgte – Äußerung, er werde sie finden, egal wohin sie gehe, er werde sie umbringen, ihr die Augen ausreißen und den Kopf abschneiden, durch Drohung mit dem Tod gefährlich bedroht hat, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen (§ 107 Abs 1 und Abs 2 StGB);

?      im Zeitraum 30.3.2010 bis 28.3.2011 dadurch, dass er sich nach seiner Haftentlassung zumindest zweimal pro Woche in der Nähe des Standortes seiner Ehegattin aufgehalten habe und ihr demonstrativ in einigem Abstand gefolgt sei und seit 25.3.2011 durch unerwünschte, mehrmals erfolgte Anrufe im Wege der Telekommunikation und durch Aufsuchen ihrer räumlichen Nähe über einen längeren Zeitraum widerrechtlich beharrlich in einer Weise verfolgt hat, die geeignet gewesen sei, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen (§ 107a Abs 1 und Abs 2 Z 1 und Z 2 StGB) und

?      zwischen 25.3.2011 und 28.3.2011 durch die sinngemäße Aufforderung, sie (Ehegattin) solle bei Gericht aussagen, in dem gegen den Beschwerdeführer zu yyyyy geführten Strafverfahren vor dem Landesgericht gelogen zu haben, damit das Urteil aufgehoben werde, versucht zu bestimmen, vor Gericht als Zeugin anlässlich ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache in dem Verfahren zur Wiederaufnahme des Strafverfahrens falsch auszusagen (§§ 12 2. Fall, 15 Abs 1, 288 Abs 1 StGB).

Der Beschwerdeführer war - nachdem seine Ehe mit OO PP am 6.4.2011, Zahl mmmm, einvernehmlich geschieden wurde - im Zeitraum 6.4.2011 bis 9.11.2011 in der Justizanstalt Salzburg untergebracht; Anträge auf bedingte Entlassungen wurden abgelehnt. Letztlich wurde der Beschwerdeführer infolge des rechtskräftigen unbefristeten Aufenthaltsverbotes (Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 31.8.2010, Zahl …) gemäß § 133a StVG aus dem Strafvollzug entlassen und verließ am 10.11.2011 das österreichische Bundesgebiet (freiwillige Rückkehr). Seit seiner freiwilligen Ausreise/10.11.2011 lebt er in NN im Haus seines Großvaters und ist arbeitslos; soweit ersichtlich bestreitet er seinen Lebensunterhalt überwiegend aus Zuwendungen seines Vaters. Die Tage verbringt er mit Spaziergängen (so wie damals, als er in Österreich war) oder Aufenthalten in der Moschee. In NN lebt ein Bruder des Beschwerdeführers samt seiner Familie. Seine Eltern, sowie zwei bzw drei weitere Brüder (ua mit Familie) leben in Österreich/Salzburg.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 7.8.2015, Zahl …, wurde das mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 31.8.2010, Zahl …, erlassene Aufenthaltsverbot von Amts wegen aufgehoben. Dies mit folgender Begründung (Bescheid, Seite 3, 1. Absatz): "Nach Art 11 Abs 2 RL 2008/115/EG und aufgrund der Judikatur Info vom 17.3.2015 BMI LR 15000/005-BFA über unmittelbare Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie, wegen nicht zeitgerechter innerstaatlicher Umsetzung und deren Auswirkungen auf vor dem 01.07.2011 erlassenen Aufenthalts- und Rückkehrverbote, muss das Aufenthaltsverbot aufgehoben und gelöscht werden." Im Bescheid weiter (aaO, Seite 2, 5. Absatz): "Es ist nicht zu erkennen, dass von Ihnen noch eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, öffentliche Sicherheit oder nationale Sicherheit ausgeht. Sie traten auch seit der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung."

Am 4.2.2016 stellte der Beschwerdeführer bei der österreichischen Botschaft in WV einen Erstantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung-Angehöriger" und legte diverse Unterlagen vor (Goethe-Zertifikat A1, Haftungserklärung, etc); weitere Unterlagen wurde in der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 20.12.2016 bzw im Anschluss daran in der schriftlichen Stellungnahme am 18.1.2017 vorgelegt.

Zur

B e w e i s w ü r d i g u n g

ist auszuführen, dass die obigen Feststellungen auf Grund der insoweit unbedenklichen Aktenlage (ua Verwaltungsakt der belangten Behörde/Akt des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg/Strafakt yyyyy/Strafakt …) sowie dem durchgeführten Beweisverfahren zu treffen waren.

Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt ergibt sich nachstehende

r e c h t l i c h e B e u r t e i l u n g:

Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer am 4.2.2016 einen Erstantrag gemäß § 47 Abs 3 Z 3 NAG gestellt hat. Gemäß § 47 Abs 3 Z 3 NAG kann Angehörigen auf Antrag eine "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und sonstige Angehörige des Zusammenführenden sind, die vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen haben (lit a), die mit dem Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben (lit b) oder bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die Pflege durch den Zusammenführenden zwingend erforderlich machen (lit c). Im vorliegenden Fall beruft sich der Beschwerdeführer auf § 47 Abs 3 Z 3 lit a NAG.

Die Angehörigeneigenschaft gemäß § 47 Abs 3 Z 3 NAG, die das Bestehen familienrechtlicher Bande (siehe VwGH 3.4.2009, 2008/22/0864) erfordert, ist gegenständlich zu bejahen.

Zu prüfen ist vorweg, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzung des

§11 Abs2 Z1 iVm § 11 Abs 4 Z 1 NAG (Abweisungsgrund im angefochtenen

Bescheid) erfüllt:

Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden gemäß § 11 Abs 2 Z 1 NAG nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Gemäß §11 Abs4 Z1 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden dem öffentlichen Interesse, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (ua VwGH 14.4.2011, 2008/21/0257) eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognoseentscheidung vorzunehmen.

Dazu im Einzelnen:

Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 17.3.2010, Zahl yyyyy zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten verurteilt, weil er seine damalige Ehegattin unter Anwendung von Gewalt (ua Versetzen von Schlägen) mehrfach vergewaltigte und in wiederholten Angriffen persönlich oder fernmündlich mit dem Tode bedrohte [(ua durch Vorhalten eines Messers und der Äußerung, er werde sie umbringen und verbrennen (unter Hinweis auf einen am Balkon stehenden Behälter mit benzinähnlicher, leicht trüben Flüssigkeit)]. Die Drohungen standen ua auch damit in Zusammenhang, dass der Beschwerdeführer von seiner Ehegattin verlangte, dass diese nach NN zurückkehren solle und von dort nicht wieder zurückkommen solle. Die angeführten Straftaten sind durch besondere Brutalität, Hartnäckigkeit und Energie gekennzeichnet. Darüber hinaus haben die mehrfachen Vergewaltigungen überwiegend in einem Zeitraum stattgefunden, in dem die Ehegattin des Beschwerdeführers nachweislich in medizinischer Behandlung (Harnwegsinfekt, Pilzinfektion, etc) im Universitätsklinikum LL für Frauenheilkunde und Geburtenhilfe war und große Schmerzen im Unterleib hatte; wovon der Beschwerdeführer wusste (Strafakt, yyyyy, Seite 4, unten). Dass der Beschwerdeführer keine Einsichtsfähigkeit im Hinblick auf sein Fehlverhalten hat, zeigt seine leugnende Verantwortung bis zum Schluss des Strafverfahrens. Bedenklich stuft das erkennende Gericht die damalige Aussage des Beschwerdeführers in der Beschuldigtenvernehmung vor dem Polizeikommando Salzburg am 30.9.2009 ein, in der er Folgendes zu Protokoll gab (Strafakt yyyyy, Seite 5, 6. Absatz): "Meine Frau war bei einem Zauberer in NN und wollte von ihm, dass er mich verzaubert um sie nochmals zu heiraten um den Aufenthaltstitel in Österreich zu bekommen. Seitdem sie in Österreich ist, spüre ich diesen Zauber auch, da mein Kopf nicht mehr so richtig funktioniert wie früher." Sein Fehlverhalten zeigt zudem seine Gleichgültigkeit und die von ihm ausgehende massive Gefahr in Bezug auf die körperliche Integrität anderer sowie die mangelnde Verbundenheit mit den in Österreich rechtlich geschützten Werten. Dass Vergewaltigungen beim Opfer auch noch nach Jahren schwere psychische Schäden hervorrufen können, nahm der Beschwerdeführer bewusst in Kauf. Daran kann auch der Umstand, dass die damalige Ehegattin des Beschwerdeführers nunmehr in einer neuen Beziehung lebt und keinerlei Kontakt zum Beschwerdeführer hat (so die Behauptung des Beschwerdeführers), nichts ändern. Die ungewollten Kontaktaufnahmen sind stets vom Beschwerdeführer ausgegangen und konnten von seiner damaligen Ehegattin nicht verhindert werden. Gerade das durch massive Drohungen unterstützte Bestreben des Beschwerdeführers, seine damalige Ehegattin nach NN zu verbringen, verliert nichts an Aktualität; verwandtschaftliche Berührungspunkte sind nicht von der Hand zu weisen. Immerhin ist die damalige Ehegattin des Beschwerdeführers auch gleichzeitig seine Cousine (Tochter der Schwester seiner Mutter), die nach wie vor Kontakt zu seiner Mutter hat (Protokoll vom 20.12.2016, Seite 4, 5. Absatz). Auch die beabsichtigte Wohnadresse des Beschwerdeführers ist nur wenige hundert Meter von der Adresse seiner damaligen Ehegattin entfernt.

Wenn in der Stellungnahme vom 18.1.2017 (Seite 3, 4. Absatz) ausgeführt wird, dass dem Beschwerdeführer das Privileg der bedingten Strafnachsicht zugestanden wurde, weil das Gericht damals von einer positiven Zukunftsprognose beim Beschwerdeführer ausgegangen ist, so ist dem entgegen zu halten, dass diese positive Zukunftsprognose vom Beschwerdeführer selbst sehr rasch widerlegt wurde und dieser das Privileg der bedingten Strafnachsicht in Form der vorzeitigen Entlassung nur dazu genützt hat, um sich nach dem Strafvollzug über gerichtliche Weisungen (kein persönlicher und telefonischer Kontakt zu seiner damaligen Ehegattin) hinweg zu setzen und trotz verhängtem Aufenthaltsverbot wieder straffällig zu werden.

Am 14.7.2011 wurde der Beschwerdeführer nämlich erneut verurteilt (Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 Monaten/Haft: 6.4.2011-9.11.2011); entgegen der gerichtlichen Weisung hat der Beschwerdeführer seine damalige Ehegattin wiederum ua massiv bedroht (Augen ausreißen, Kopf abschneiden) und hat auch das Landesgericht Salzburg in seiner Urteilsbegründung als erschwerend erachtet, dass der Beschwerdeführer einschlägig vorbestraft ist, mehrere Vergehen zusammengetroffen sind und ein rascher Rückfall (letztes rechtskräftiges Urteil vom 17.3.2010) vorliegt. Dass der Beschwerdeführer seine Strafe nicht zur Gänze verbüßen musste, verdankte er § 133a StVG und dem Umstand, dass er das österreichische Bundesgebiet am 10.11.2011 infolge eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes freiwillig verließ. Entgegen dem Vorbringen, dass selbst das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seinem Bescheid vom 7.8.2015, eine "durchaus positive Zukunftsprognose" erkannt habe, ist festzuhalten, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bei seiner knappen rechtlichen Beurteilung (Aufenthaltsverbot musste wegen der Rückführungsrichtlinie aufgehoben werden) lediglich die Verurteilung aus dem Jahre 2010, nicht jedoch auch die aus dem Jahre 2011 herangezogen hat, als sie feststellte: "Sie traten auch seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung."

Gerade der rasche Rückfall und die wiederkehrenden Verurteilungen gegen Ende des Aufenthaltes indizieren nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (ua VwGH 24.6.2010, 2008/01/0230), dass sich die Persönlichkeit des Beschwerdeführers gegen Ende seines Aufenthaltes zum Schlechteren entwickelt hat. Darüber hinaus konnte der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren bis auf seine Erwerbstätigkeit während seines rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich keinerlei Integrationsbemühungen vorweisen. Dass ihm seine eigene Familie und drei Bekannte ein gutes Zeugnis ausstellen (Bestätigung vom 17.12.2016), ändert daran genau so wenig, wie der Umstand, dass er die deutsche Sprache nach fast sechsjährigem – nicht immer rechtmäßigen – Aufenthalt in Österreich nur auf Sprachniveau A1 (Stand: 9.1.2016) beherrscht. Der Beschwerdeführer hat es zudem unterlassen, in den nunmehr fünf Jahren seines Heimataufenthaltes einer nennenswerten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sein von ihm ins Treffen geführtes Wohlverhalten beschränkt sich auf Spaziergänge und Moscheebesuche in seinem Heimatland. Dieser Umstand erscheint im Hinblick darauf, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen grundsätzlich gesunden, 38-jährigen, arbeitsfähigen Mann handelt, nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer hat vor seiner Inhaftierung im Gastgewerbebereich gearbeitet und wäre ihm eine solche Tätigkeit auch in NN durchaus zumutbar gewesen. Es stellt sich damit die Frage, warum es der Beschwerdeführer bislang unterlassen hat, einer geregelten Erwerbstätigkeit nachzugehen, dies jedoch in Österreich laut einem Schreiben vom 16.12.2016 zu tun beabsichtige (wiewohl die beantragte Niederlassungsbewilligung nur zur befristeten Niederlassung ohne Erwerbstätigkeit berechtigt). Insoweit der Beschwerdeführer nun um eine Chance ersucht, um zeigen zu können, dass er eine gute Arbeitsleistung erbringen könne (die er mit der beantragten Niederlassungsbewilligung ohnedies nicht ausüben dürfte), übersieht er, dass er diese Chance in den letzten fünf Jahren in NN ungenützt gelassen hat. Weder ist der Beschwerdeführer seit seiner Haftentlassung einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgegangen, noch wurde behauptet, dass er zwischenzeitlich eine Ausbildung absolviert hätte oder sich in sonstiger Weise engagiert hätte. An der familiären Situation des Beschwerdeführers hat sich nichts geändert; er ist nach seiner Scheidung von seiner damaligen Ehegattin (April 2011) noch immer alleinstehend. Die familiäre Situation hat sich daher – was sein eigenes Privat- und Familienleben betrifft – zu seinem Nachteil entwickelt; hat aber auch zuvor nicht in schützenswertem Umfang bestanden, weil die gemeinsam verbrachte Zeit in Österreich (September-Dezember 2009) von schweren körperlichen Übergriffen und Drohungen überschattet war. Es ist dem Beschwerdeführer im Vergleich zum Zeitpunkt seiner Ausreise, nicht gelungen, sein Leben positiv zu ordnen. Vielmehr wurde der Eindruck gewonnen, dass der Beschwerdeführer die seit seiner Haftentlassung in NN verbrachte Zeit lediglich verstreichen hat lassen.

Verhaltensweisen wie die vom Beschwerdeführer gesetzten sowie das daraus mangels persönlicher Weiterentwicklung abzuleitende unveränderte Charakterbild des Beschwerdeführers (erschwert durch den für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbaren Glauben an Zauberkräfte) stellen im Ergebnis klare Indizien dafür dar, dass der Beschwerdeführer auch in Zukunft die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden wird, weil ihm ua auch die Tragweite seiner gesetzten Handlungen nicht bewusst ist. Gegen die Annahme künftigen Wohlverhaltens spricht auch der Umstand, dass das Verhalten des Beschwerdeführers ein sehr hohes Aggressionspotential gezeigt hat und die Hemmschwelle in Bezug auf Verletzungen der österreichischen Rechtsordnung sehr niedrig liegt. Fünf Jahre ohne nennenswerte Verbesserung der eigenen Lebenssituation bzw ohne persönliche Weiterentwicklung verstreichen zu lassen und sich einzig und alleine darauf zu berufen, im Heimatland nicht straffällig geworden zu sein, vermag die Prognoseentscheidung nicht abzuändern. Das erkennende Gericht kommt daher zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass der einzige gegen die Annahme der angezogenen Rechtsgrundlage (§ 11 Abs 2 Z 1 iVm § 11 Abs 4 Z 1 NAG) behauptete Umstand, der Beschwerdeführer sei nach der Ausreise nicht mehr straffällig geworden, weshalb eine günstige Prognoseentscheidung zu fällen sei, nach seiner bisherigen "kriminellen Karriere" keine Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft keine strafbaren Handlungen mehr begehen werde; dazu ist der seit der letzten Straftat verstrichene Zeitraum noch zu kurz. Die Feststellung, dass vom Beschwerdeführer keine nachhaltige und maßgebliche Gefahr mehr ausgehen würde, konnte im Verfahren daher nicht getroffen werden.

Die vom Beschwerdeführer zitierten Entscheidungen VwGH 20.10.11, 2008/18/0787 und VwG Wien 24.6.2014, VWG-151/046/4680/2014, welche eine strenge Judikaturlinie (siehe auch VwGH 3.3.2011, 2011/22/0010; VwGH 17.11.2015, Ra 2015/22/0087) im Hinblick auf den Wohlverhaltenszeitraum aufzeigen, sind zwar aufgrund der vorliegenden Straftaten nicht unmittelbar vergleichbar (2008/18/0787: Schlepperei, unbedingte Freiheitsstrafe von 5 Monaten; VWG-151/046/4680/2014: Einbruchsdiebstahl, reumütiges Geständnis/Freiheitsstrafe 10 Monate/9 Monate bedingt); es zeigt sich jedoch deutlich, dass der Wohlverhaltenszeitraum in beiden Fällen ca 7 ½ Jahre betrug. Im Hinblick auf VwGH 24.10.2007, 2006/21/0155 war zwar der Wohlverhaltenszeitraum 3 ½ Jahre; doch war der Täter ein Jugendstraftäter (bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Jahr), die Straftat tatbestandmäßig anderes gelagert und von einmaliger Natur (anders als beim Beschwerdeführer, der mehrfache Straftaten beging und trotz gerichtlicher Weisungen und verhängtem unbefristetem Aufenthaltsverbot wieder mehrfach straffällig wurde); darüber hinaus hat der in diesem Verfahren beteiligte Beschwerdeführer den Zeitraum nach der begangenen Straftat genützt, um sein Leben zu ordnen (Heirat einer österreichische Staatsangehörige/beruflich und sozial integriert).

Eine Verletzung des Art 8 EMRK konnte im gesamten Verfahren nicht erblickt werden. Eine Prüfung bzw Interessensabwägung zwischen den einzuhaltenden öffentlichen Interessen und den privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Zusammenleben mit seinen in Österreich lebenden Eltern und Brüdern ergibt aufgrund des noch nicht lange genug zurückliegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers (ua fehlendes Schutzdenken gegenüber der körperlichen Unversehrtheit), ein massives Übergewicht der strikt einzuhaltenden öffentlichen Interessen. Eine Fortsetzung des bereits seit Ende 2011 lediglich auf Besuchen und telefonischem Kontakt beruhenden Familienlebens erscheint dem Beschwerdeführer bis auf weiteres zumutbar.

Aufgrund des Vorliegens der negativen Voraussetzung gemäß § 11 Abs 2 iVm § 11 Abs 4 Z 1 NAG waren die weiteren Erteilungsvoraussetzungen nicht mehr zu prüfen und daher auch keine Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG (außer zu § 11 Abs 2 Z 1 iVm § 11 Abs 4 Z 1) bzw zu § 47 Abs 3 Z 3 lit a NAG zu treffen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der beispielhaft oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen oder ist diese als uneinheitlich zu beurteilen. Im konkreten Fall waren eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose sowie eine einzelfallbezogene Interessenabwägung vorzunehmen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wird - nicht revisibel. Liegen die genannten Voraussetzungen vor, hängt eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG ab.

Schlagworte

Prognose, Abwägung EMRK, Wohlverhalten Straftaten, Aufenthalt, öffentliches Interesse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGSA:2017:405.11.24.1.22.2017

Zuletzt aktualisiert am

02.03.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Salzburg LVwg Salzburg, https://www.salzburg.gv.at/lvwg
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