TE Lvwg Erkenntnis 2018/11/14 VGW-001/009/12607/2017

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.11.2018
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Entscheidungsdatum

14.11.2018

Index

20/06 Konsumentenschutz
27/01 Rechtsanwälte

Norm

ECG 2001 §3 Abs8
ECG 2001 §20 Abs1
ECG 2001 §20 Abs2
ECG 2001 §21 Z10
ECG 2001 §22
RAO §57 Abs2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Wartecker über die Beschwerde des Herrn Dr. A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, eingelangt am 21.8.2017, gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt …, vom 12.7.2017, Zahl …, wegen Übertretung des § 8 Abs. 1 und 2 Rechtsanwaltsordnung, RAO, RGBl. Nr. 96/1868 idgF iVm § 57 Abs. 2 leg. cit., nach am 18.10.2018 durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung

zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG eingestellt.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III. Der Haftungsausspruch gem. § 9 Abs. 7 VStG entfällt.

IV. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit dem angefochtenen o.a. Straferkenntnis der belangten Behörde vom 12.7.2017 wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe es als Geschäftsführer und somit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener der C. GmbH mit Sitz in D.-Straße, E., Deutschland, zu verantworten, dass diese Gesellschaft dadurch, dass sie, wie aus dem Internetauftritt unter www.c.at vom 9.6.2016 hervorgehe, die Durchsetzung von Fluggastentschädigungen gegen „Erfolgsprovision“ anbiete und „notfalls“ auch gerichtlich vorgehen würde, gegen Entgelt gewerbsmäßig Leistungen anbiete, die gemäß § 8 RAO den österreichischen Rechtsanwälten vorbehalten seien.

Er habe dadurch § 8 Abs. 1 und 2 Rechtsanwaltsordnung, RGBl. Nr. 96/1868 idgF iVm § 57 Abs. 2 leg. cit. verletzt, weswegen über ihn gemäß § 57 Abs. 2 leg.cit. iVm § 9 Abs. 1 VStG eine Geldstrafe iHv € 700,-- (1 Tag 18 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe im NEF) verhängt wurde. Zudem wurde ihm ein entsprechender Verfahrtenskostenbeitrag iHv € 70,-- auferlegt.

Außerdem wurde die Haftung der C. GmbH gemäß § 9 Abs. 7 VStG ausgesprochen.

Begründet wurde diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der geltend gemachte Einwand des Vorranges des am 1.1.2002 in Kraft getretenen § 20 Abs. 2 ECG nicht zutreffend sei, weil der mit 1.1.2008 in Geltung gesetzte § 57 Abs. 2 RAO dieser Norm derogiere. Zudem sei das Herkunftslandprinzip des § 20 Abs. 1 ECG nicht auf die Vertretung einer Partei und die Verteidigung ihrer Interessen vor den Gerichten anzuwenden. Mit dem Internetauftritt erzeuge die haftungspflichtige Gesellschaft den Eindruck, dass sie nicht nur selbst die Ansprüche (an Fluglinien) prüfe, sondern auch außergerichtlich und notfalls gerichtlich durchzusetzen versuche. In der Domain-Endung „.at“ des Internetauftrittes sei der Anknüpfungspunkt für die Anwendung österreichischen Rechts und damit der RAO zu erblicken, da diese offenbare, dass die seitens der C. GmbH dort genannten Dienstleistungen in Österreich und für österreichische Kunden angeboten würden. Mit dem Anbieten der in Rede stehenden Leistungen werde das gesetzliche Tatbild bereits erfüllt.

In der dagegen form- und fristgerecht eingebrachten Beschwerde wendet der Beschwerdeführer im Wesentlichen ein, es gebe kein Anbot anwaltlicher Leistungen in Österreich, allenfalls (auch) ein Angebot der C. GmbH auch an Fluggäste mit Wohnsitz in Österreich. Als Inkassodienstleister beschäftige sich die GmbH mit der außergerichtlichen Anspruchsbetreibung am Unternehmenssitz in Deutschland. Notfalls würden sachkundige zugelassene Rechtsanwälte eingeschaltet. Die fraglichen Ansprüche könnten im Übrigen auch vor Gerichten außerhalb Österreichs geltend gemacht werden. Somit lägen keine Angebote anwaltlicher Tätigkeit in Österreich vor.

§ 20 Abs. 1 ECG habe als lex posterior und im Hinblick auf den Online-Vertrieb von Dienstleistungen auch als lex specialis jedenfalls dem § 57 Abs. 2 RAO derogiert. Unter Hinweis auf das OGH-Urteil vom 21.11.2006, 4 Ob 62/06f wurde angemerkt, dass der OGH gerade nicht auf die Top Level Domain (Länderkennung) abgestellt habe, sondern sei diese für die Beurteilung des Herkunftslandprinzips nach dem ECG dabei völlig irrelevant gewesen. Mit dem ECG sei die E-Commerce-RL (2000/31/EG) in das österreichische Recht umgesetzt worden und genieße das Sekundärrecht (RL, VO) der EU gegenüber dem nationalen Recht Anwendungsvorrang. In den koordinierten Bereich würden Rechtsvorschriften für die Aufnahme und Ausübung von Online-Tätigkeiten wie etwa die Qualifikation und das Verhalten der Dienstanbieter, einschließlich der für Werbung und Verträge geltenden Bestimmungen fallen.

Die Rechtsanwaltskammer Wien replizierte dazu im Wesentlichen Folgendes:

Gemäß § 8 Abs. 2 RAO sei die Befugnis zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung nach § 8 Abs. 1 RAO in allen gerichtlichen, außergerichtlichen, öffentlichen und privaten Angelegenheiten den Rechtsanwälten vorbehalten, aber auch die Vertretung eines Klienten in Rechtsangelegenheiten gegenüber Dritten im Zuge einer vor- oder nachprozessualen Korrespondenz. Der Versuch der Durchsetzung rechtlicher Ansprüche sei eine den Rechtsanwälten im Rahmen ihres traditionellen Leistungsspektrums typischerweise vorbehaltene Tätigkeit, zumal es sich dabei um rechtliche Beratung in außergerichtlichen Angelegenheiten handle. Mit der Veröffentlichung einer Website durch eine GmbH mit den von ihr - entgeltlich - erbrachten Dienstleistungen sei die Tatbegehung des Anbietens erfüllt, es werde angesichts der Endung .at jedenfalls unbestrittener Weise auch der österreichische Markt angesprochen.

Dazu entgegnete der Beschwerdeführer insbesondere, die C. GmbH sei befugt, im Bereich der Inkassodienstleistungen Rechtsdienstleistungen in Deutschland zu erbringen. Im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit (Art 56 bis 62 AEUV) sei jeder Gewerbetreibende im Umfang seiner Gewerbeberechtigung auch berechtigt, die von diesem Gewerbe umfassten Leistungen auch gegenüber Angehörigen anderer Mitgliedstaaten anzubieten; die Bewerbung der Dienstleistungen der C. GmbH im Internet stünden damit in Einklang; nur eine (zumindest vorübergehende) Ausübung der Tätigkeit im anderen Mitgliedstaat bringe ein Unterliegen unter die Voraussetzungen dieses Mitgliedstaates mit sich. Gegenständlich komme das Herkunftslandprinzip des ECG zum Tragen, § 20 Abs. 1 ECG gehe der Bestimmung des § 57 Abs. 2 RAO vor und habe die E-Commerce-RL gegenüber nationalem Recht Anwendungsvorrang, weshalb auch unionsrechtlich eine Verdrängung des o.a. Herkunftslandprinzips unzulässig wäre.

Anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien ergänzten bzw. konkretisierten der Beschwerdeführervertreter bzw. der Vertreter der Rechtsanwaltskammer Wien ihre bisherigen schriftlichen Vorbringen zusammengefasst wie folgt:

Der Vertreter der Rechtsanwaltskammer brachte vor, dass sich das Anbot, welches gegenständlich als inkriminiertes Anbot erachtet werde, gezielt auf österreichische Kunden bzw. österreichisches Territorium gerichtet sei. Insbesondere ergäbe sich ein Anbieten des Einschreitens vor einem Gericht. Auf der Website ergebe sich weiters, dass beim Auftritt unter der Domain .at das österreichische Publikum angesprochen werden solle. So sei auch als Abflugflughafen nur der Flughafen Wien-Schwechat genannt, weiters gebe es einen Verweis auf standard.at und orf.at womit dargelegt werden solle, worum es sich bei c.at handle. Bezüglich des aufgeworfenen Herkunftslandprinzips werde auf § 21 Z 10 E-Commerce Gesetz - ECG verwiesen. Demnach liege diese Ausnahme (vom Herkunftslandprinzip) gegenständlich vor. Nach § 22 Abs. 2 Z 5 ECG seien aber auch Abweichungen vom Herkunftslandprinzip zum Schutz von Verbrauchern möglich.

Der Beschwerdeführervertreter verwies dazu auf § 22 Abs. 1 ECG, wonach ausdrücklich festgehalten werde, dass eine Einschränkung des Herkunftslandprinzips nicht ohne weiters mit der vorhin erwähnten Bestimmung möglich sei, sondern Maßnahmen zum Schutz des Rechtsgutes Verbraucherschutz erforderlich sein müssten, was gegenständlich keinesfalls zutreffend sei, zumal durch die Tätigkeit der C. GmbH Verbraucherinteressen nicht eingeschränkt, sondern vielmehr die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher erleichtert werde, indem auch bei geringfügigen Forderungen das Prozesskostenrisiko übernommen werde. Von der Gesellschaft vermittelte und von Einzelpersonen beauftragte Anwälte würden zu den spezialisiertesten in ganz Europa zählen und auch schon in unzähligen Verfahren bis zum EuGH Erfolge erzielt haben. Es sei entgegen der Meinung des Kammervertreters nicht zutreffend, dass der Gerichtsstand in Verbraucherangelegenheiten in Österreich liege, vielmehr sei in Transportangelegenheiten der Verbrauchergerichtsstand ausdrücklich ausgeschlossen (Art. 17 Abs. 3 der sog. „Brüssel-Ia-Verordnung“).

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Folgender Sachverhalt wird als erwiesen festgestellt:

Bei der haftungspflichtigen, vom Beschwerdeführer als Geschäftsführer verwaltungsstrafrechtlich nach außen vertretenen Kapitalgesellschaft handelt es sich um eine nach deutschem Recht (Rechtsdienstleistungsgesetz) im Rechtsdienstleistungsregister registrierte und im Handelsregister des Amtsgerichtes E. eingetragene Inkassodienstleisterin mit Sitz in E.

Diese Gesellschaft betreibt u.a. eine Website unter dem Domain www.c.at. Aus der Homepage und den diversen Webseiten ergibt sich bzw. ergab sich auch zum verfahrensgegenständlich relevanten Zeitpunkt (9.6.2016), dass diese Gesellschaft die Website besuchenden potentiellen Kunden in Aussicht stellt bzw. anbietet, für deren Fluggastrechte, insbesondere für die Entschädigung bei Flugverspätungen oder Flugausfällen einzutreten und diese Ansprüche durchzusetzen; dies für eine Erfolgsprovision und wenn nötig, gehe man auch ohne Kostenrisiko für den Kunden vor Gericht. Es handelt sich dabei entsprechend den AGB um eine rein erfolgsbasierte Durchsetzung der Ansprüche auf Ausgleichszahlung, die Passagieren auf Grundlage der EU-Fluggastrecht-verordnung 261/2004 gegen Fluggesellschaften zustehen können. Dabei wird in erster Linie versucht, gemäß der Befugnis nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz die Forderung gegen die Fluggesellschaft außergerichtlich durchzusetzen. Bei Scheitern dieser Bemühungen zur Durchsetzung der Forderung durch die C. GmbH muss ein Rechtsanwalt gegebenenfalls zur gerichtlichen Durchsetzung der jeweiligen Forderung eingeschaltet bzw. bevollmächtigt werden; die C. GmbH gibt auf der Website an, selbst nicht dafür (bei Gericht) befugt zu sein. Die genannte Gesellschaft bietet die erwähnten Leistungen gewerbsmäßig an und verspricht die sofortige Weiterleitung der von der Fluggesellschaft geleisteten Entschädigung unter Abzug einer 20-30%igen „Erfolgsprovision“.

Diese Feststellungen basieren im Wesentlichen auf dem Webauftritt der in Rede stehenden Gesellschaft.

In rechtlicher Hinsicht ist auszuführen:

Maßgebliche rechtliche Bestimmungen:

Rechtsanwaltsordnung, RGBl. Nr. 96/1868 idF BGBl. I Nr. 68/2008:

„II. Abschnitt.

Rechte und Pflichten der Rechtsanwälte.

§ 8. (1) Das Vertretungsrecht eines Rechtsanwalts erstreckt sich auf alle Gerichte und Behörden der Republik Österreich und umfaßt die Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und privaten Angelegenheiten. Vor allen Gerichten und Behörden ersetzt die Berufung auf die Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis.

(2) Die Befugnis zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung im Sinn des Abs. 1 ist den Rechtsanwälten vorbehalten. Die Berufsbefugnisse, die sich aus den österreichischen Berufsordnungen für Notare, Patentanwälte, Wirtschaftstreuhänder und Ziviltechniker ergeben, werden hiedurch nicht berührt.

(3) Jedenfalls unberührt bleiben auch die in sonstigen gesetzlichen Bestimmungen des österreichischen Rechts eingeräumten Befugnisse von Personen oder Vereinigungen zur sachlich begrenzten Parteienvertretung, der Wirkungsbereich von gesetzlichen Interessenvertretungen und von freiwilligen kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigungen der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer, die Auskunftserteilung oder Beistandsleistung durch Personen oder Vereinigungen, soweit sie nicht unmittelbar oder mittelbar dem Ziel wirtschaftlicher Vorteile dieser Personen oder Vereinigungen dienen, sowie in sonstigen gesetzlichen Bestimmungen des österreichischen Rechts eingeräumte Befugnisse, die in den Berechtigungsumfang von reglementierten oder konzessionierten Gewerben fallen.

(4) Die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ dürfen nur die in den Listen der Rechtsanwaltskammern eingetragenen Personen führen. Andere Personen, die auf Grund der Vorschriften des EIRAG die Berufsbezeichnung Rechtsanwalt zu führen berechtigt sind, dürfen diese Berufsbezeichnung nur mit dem Hinweis auf den Ort ihres Kanzleisitzes im Ausland führen. Die Bezeichnung „Rechtsanwalt“ darf nur der Firma einer berufsbefugten Rechtsanwalts-Gesellschaft (§ 21c) beigefügt und nur bei einer solchen als Geschäftszweig (§ 3 Z 5 FBG) angegeben und in das Firmenbuch eingetragen werden. Gleiches gilt auch für alle auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft hindeutenden Begriffe und Wendungen.

(5) Wird ein Rechtsanwalt als Mediator tätig oder führt er eine öffentliche Versteigerung nach § 87c NO durch, so hat er auch dabei die ihn als Rechtsanwalt treffenden Berufspflichten einzuhalten. Besondere Regelungen für Mediatoren nach anderen Rechtsvorschriften werden dadurch nicht berührt.

VIII. ABSCHNITT

Strafbestimmungen

§ 57. (1) Wer unberechtigt die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“, eine der in der Anlage zum EIRAG angeführten Anwaltsbezeichnungen oder eine der sich aus dem 5. Teil des EIRAG ergebenden Berufsbezeichnungen für international tätige Rechtsanwälte führt, seiner Firma beifügt, als Geschäftszweig oder Gegenstand des Unternehmens angibt, sonst zu Werbezwecken verwendet oder auf andere Weise die Befugnis zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft vortäuscht, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 10 000 Euro zu bestrafen.

(2) Wer unbefugt eine durch dieses Bundesgesetz den Rechtsanwälten vorbehaltene Tätigkeit gewerbsmäßig anbietet oder ausübt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 16 000 Euro zu bestrafen. Diese Tat darf nicht auch nach anderen Bestimmungen über die Strafbarkeit der Winkelschreiberei geahndet werden.

(3) Die vorstehenden Bestimmungen sind nicht anzuwenden, wenn eine der nach Abs. 1 und 2 strafbaren Handlungen zugleich den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bildet.

E-Commerce-Gesetz – ECG, BGBl. I Nr. 152/2001 idF BGBl. I Nr. 34/2015:

„1. Abschnitt

Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen

Anwendungsbereich

§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt einen rechtlichen Rahmen für bestimmte Aspekte des elektronischen Geschäfts- und Rechtsverkehrs. Es behandelt die Zulassung von Diensteanbietern, deren Informationspflichten, den Abschluss von Verträgen, die Verantwortlichkeit von Diensteanbietern, das Herkunftslandprinzip und die Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten im elektronischen Geschäfts- und Rechtsverkehr.

(2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes über das Herkunftslandprinzip (§§ 20 bis 23) und die Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten (§ 25) sind nur auf den Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums anzuwenden.

Begriffsbestimmungen

§ 3. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten:

1.

Dienst der Informationsgesellschaft: ein in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz auf individuellen Abruf des Empfängers bereitgestellter Dienst (§ 1 Abs. 1 Z 2 Notifikationsgesetz 1999), insbesondere der Online-Vertrieb von Waren und Dienstleistungen, Online-Informationsangebote, die Online-Werbung, elektronische Suchmaschinen und Datenabfragemöglichkeiten sowie Dienste, die Informationen über ein elektronisches Netz übermitteln, die den Zugang zu einem solchen vermitteln oder die Informationen eines Nutzers speichern;

2.

Diensteanbieter: eine natürliche oder juristische Person oder sonstige rechtsfähige Einrichtung, die einen Dienst der Informationsgesellschaft bereitstellt;

3.

niedergelassener Diensteanbieter: ein Diensteanbieter, der eine Wirtschaftstätigkeit mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit tatsächlich ausübt, wobei das Vorhandensein und die Nutzung von technischen Mitteln und Technologien, die zur Bereitstellung des Dienstes erforderlich sind, für sich allein noch keine Niederlassung des Diensteanbieters begründen;

4.

Nutzer: eine natürliche oder juristische Person oder sonstige rechtsfähige Einrichtung, die zu beruflichen oder sonstigen Zwecken einen Dienst der Informationsgesellschaft in Anspruch nimmt, insbesondere um Informationen zu erlangen oder Informationen zugänglich zu machen;

5.

Verbraucher: eine natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die nicht zu ihren gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeiten gehören;

6.

kommerzielle Kommunikation: Werbung und andere Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbildes eines Unternehmens dienen, ausgenommen

a)

Angaben, die einen direkten Zugang zur Tätigkeit des Unternehmens ermöglichen, etwa ein Domain-Name oder eine elektronische Postadresse, sowie

b)

unabhängig und insbesondere ohne finanzielle Gegenleistung gemachte Angaben über Waren, Dienstleistungen oder das Erscheinungsbild eines Unternehmens;

7.

Mitgliedstaat: ein Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum;

8.

koordinierter Bereich: die allgemein oder besonders für Dienste der Informationsgesellschaft und für Diensteanbieter geltenden Rechtsvorschriften über die Aufnahme und die Ausübung einer solchen Tätigkeit, insbesondere Rechtsvorschriften über die Qualifikation und das Verhalten der Diensteanbieter, über die Genehmigung oder Anmeldung sowie die Qualität und den Inhalt der Dienste der Informationsgesellschaft - einschließlich der für die Werbung und für Verträge geltenden Bestimmungen - und über die rechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter.

6. Abschnitt

Herkunftslandprinzip und Ausnahmen

Herkunftslandprinzip

§ 20. (1) Im koordinierten Bereich (§ 3 Z 8) richten sich die rechtlichen Anforderungen an einen in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Diensteanbieter nach dem Recht dieses Staats.

(2) Der freie Verkehr der Dienste der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat darf vorbehaltlich der §§ 21 bis 23 nicht auf Grund inländischer Rechtsvorschriften eingeschränkt werden, die in den koordinierten Bereich fallen.

Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip

§ 21. Das Herkunftslandprinzip ist in folgenden Bereichen nicht anzuwenden:

1.

Belange des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte, der gewerblichen Schutzrechte sowie des Datenbank- und Halbleiterschutzes;

2.

die Ausgabe elektronischen Geldes durch Institute, auf die die Mitgliedstaaten eine der in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/46/EG, ABl. Nr. L 275 vom 27. Oktober 2000, S 39, vorgesehenen Ausnahmen angewendet haben;

3.

Rechtsvorschriften über die Werbung für Investmentfonds und andere Organismen für gemeinsame Anlagen von Wertpapieren im Vertriebsstaat;

4.

die in Titel I Kapitel VIII und in Art. 179 und Art. 181 Abs. 2 der Richtlinie 2009/138/EG betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (Neufassung), ABl. Nr. L 335 vom 17.12.2009 S. 1, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2014/51/EU, ABl. Nr. L 153 vom 22.05.2014 S. 1, sowie die in Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. L Nr. 177 vom 04.07.2008 S. 6, berichtigt durch ABl. Nr. L 309 vom 24.11.2009 S. 87, enthaltenen Rechtsvorschriften über die freie Niederlassung und den freien Dienstleistungsverkehr von Versicherungsunternehmen im Europäischen Wirtschaftsraum, über die Verpflichtungen von Versicherungsunternehmen zur Vorlage der Bedingungen für eine Pflichtversicherung an die zuständige Aufsichtsbehörde sowie über das anwendbare Recht bei Nicht-Lebens- und Lebensversicherungsverträgen, die in einem Mitgliedstaat gelegene Risiken decken;

5.

die Freiheit der Parteien eines Vertrags zur Rechtswahl;

6.

vertragliche Schuldverhältnisse in Bezug auf Verbraucherverträge einschließlich der gesetzlichen Informationspflichten, die einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidung zum Vertragsabschluss haben;

7.

die Rechtswirksamkeit von Verträgen zur Begründung oder Übertragung von Rechten an Immobilien, sofern diese Verträge nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sich die Immobilie befindet, zwingenden Formvorschriften unterliegen;

8.

die Zulässigkeit nicht angeforderter Werbung und anderer Maßnahmen zur Absatzförderung im Weg der elektronischen Post;

9.

die Tätigkeit von Notaren und die Tätigkeit von Angehörigen gleichwertiger Berufe, soweit diese öffentlich-rechtliche Befugnisse ausüben;

10.

die Vertretung einer Partei und die Verteidigung ihrer Interessen vor den Gerichten, vor unabhängigen Verwaltungssenaten oder vor Behörden im Sinne des Art. 133 Z 4

 

B-VG;

11.

Gewinn- und Glücksspiele, bei denen ein Einsatz, der einen Geldwert darstellt, zu leisten ist, einschließlich von Lotterien und Wetten;

12.

Rechtsvorschriften über Waren, wie etwa Sicherheitsnormen, Kennzeichnungspflichten, Verbote und Einschränkungen der Innehabung oder des Besitzes, sowie über die Haftung für fehlerhafte Waren;

13.

Rechtsvorschriften über die Lieferung von Waren einschließlich der Lieferung von Arzneimitteln und

14.

Rechtsvorschriften über Dienstleistungen, die nicht elektronisch erbracht werden.

Abweichungen vom Herkunftslandprinzip

§ 22. (1) Ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde kann im Rahmen seiner bzw. ihrer gesetzlichen Befugnisse abweichend vom Herkunftslandprinzip Maßnahmen ergreifen, die den freien Verkehr der Dienste der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat einschränken. Solche Maßnahmen müssen jedoch zum Schutz eines der in Abs. 2 genannten Rechtsgüter erforderlich sein. Sie dürfen sich nur gegen einen Diensteanbieter richten, der eines dieser Rechtsgüter beeinträchtigt oder ernstlich und schwerwiegend zu beeinträchtigen droht. Auch müssen sie in einem angemessenen Verhältnis zu den damit verfolgten Zielen stehen.

(2) Der freie Verkehr der Dienste der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat kann nur aus folgenden Gründen eingeschränkt werden:

1.

Schutz der öffentlichen Ordnung, etwa zur Verhütung, Ermittlung, Aufklärung oder Verfolgung strafbarer Handlungen, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität;

2.

Schutz der Würde einzelner Menschen;

3.

Schutz der öffentlichen Gesundheit;

4.

Schutz der öffentlichen Sicherheit einschließlich der Wahrung nationaler Sicherheits- und Verteidigungsinteressen und

5.

Schutz der Verbraucher einschließlich des Schutzes der Anleger.“

Die C. GmbH als Inkassodienstleisterin (deutschen Rechts) bewirbt und verspricht den potentiellen (auch) österreichischen Kunden mit ihrem Webauftritt die rasche und effektive, in erster Linie außergerichtliche Erlangung einer berechtigten Entschädigung etwa bei Flugverspätungen. Nur für den Fall vermeintlich unbegründeter Weigerung eines Flugunternehmens wird für den Kunden - frei von jedem Kostenrisiko - ein gerichtliches Vorgehen mithilfe eines beizuziehenden und vom Kunden zu bevollmächtigenden, vor Gericht tätig werden könnenden Rechtsanwaltes „mitangeboten“, welcher Umstand aus dem Gesamtauftritt der Gesellschaft im Web im Ergebnis unmissverständlich hervorgeht.

Die gegenständliche Gesellschaft beruft sich zunächst zu recht auf die Grundsätze der Dienstleistungsfreiheit nach dem AEUV, aber auch des Herkunftslandprinzips nach dem ECG, welches den hier einschlägigen Bestimmungen der RAO derogiert. Der von der C. GmbH angebotene Dienst ist als solcher der Informationsgesellschaft iSd § 3 Z 1 ECG anzusehen. Dafür gilt § 20 Abs 1 ECG, wonach sich im koordinierten Bereich (§ 3 Z 8 ECG) die rechtlichen Anforderungen an einen in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Diensteanbieter nach dem Recht dieses Staats richten (Herkunftslandprinzip). Der freie Verkehr der Dienste der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat darf vorbehaltlich der §§ 21 bis 23 ECG nicht auf Grund inländischer Rechtsvorschriften eingeschränkt werden, die in den koordinierten Bereich fallen (§ 20 Abs. 2 ECG). Nach § 21 Z 10 ECG ist das Herkunftslandprinzip auf die Vertretung einer Partei und die Verteidigung ihrer Interessen vor den Gerichten, [vor unabhängigen Verwaltungssenaten oder vor Behörden iSd Art 133 Z 4 B-VG] nicht anzuwenden. Diese Ausnahme entspricht Art I Abs 5 lit d der Richtlinie 2000/31/EG vom 8. 6. 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft (E-Commerce-RL). Danach ist die Vertretung eines Mandanten und Verteidigung seiner Interessen vor Gericht von der Anwendung des Herkunftslandprinzips ausgenommen.

Die von Seiten des Beschwerdeführers angezogene Entscheidung des OGH vom 21.11.2006, 4 Ob 62/06f, spricht nun im Lichte des oben festgestellten Sachverhaltes für die verfahrensgegenständlich vorgenommene Würdigung. So heißt es in besagter Entscheidung u.a. zum einen, dass Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip eng auszulegen seien. In diesem Sinn werde durch § 21 Z 10 ECG dezidiert (nur) die kontradiktorische Auseinandersetzung vor Gericht vom Herkunftslandprinzip ausgenommen (nicht aber etwa die bloße Rechtsberatung). Zum anderen hält der OGH fest: „Die Vorschriften über das Vertretungsmonopol der österreichischen Rechtsanwälte gelten in Österreich; sie sind auf Tätigkeiten im Ausland, wie die Gründung einer „Limited" in Großbritannien und damit zusammenhängende Beratungsleistungen sowie die Übermittlung der Urkunden an den (österreichischen) Klienten, nicht anzuwenden.“

§ 22 ECG lässt zum Schutz bestimmter Rechtsgüter Abweichungen vom Herkunftslandprinzip zu. Ob im vorliegenden Fall etwa der Verbraucherschutz (§ 22 Abs 2 Z 5 ECG) die Anwendung österreichischen Rechts und somit eine Abweichung vom Herkunftslandprinzip erforderlich macht, kann beim gegenständlich zu beurteilenden Sachverhalt verneint werden, ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass Verbraucher durch das Anbot und die Tätigkeit der C. GmbH eher zu ihrem Recht kommen, jedenfalls sind aber keine verbraucherschutzrelevanten Nachteile von der Behörde behauptet oder unter Beweis gestellt worden.

Nach dem damit anzuwendenden Herkunftslandprinzip unterliegt die von der C. GmbH entfaltete Tätigkeit nicht österreichischem Recht bzw. derogiert wie erwähnt § 20 ECG - in Ansehung der angebotenen außergerichtlichen Tätigkeiten (ein eigenes gerichtliches Einschreiten der C. GmbH bei Gericht [in Österreich] lässt sich aus dem Gesamtauftritt [und nicht bloß bei isolierter Betrachtung einzelner Passagen] im Web nicht ableiten) - dem § 57 Abs. 2 RAO.

Die Vorschriften über das Vertretungsmonopol der österreichischen Rechtsanwälte gelten in Österreich; solches diesem Monopol widersprechendes Handeln durch die C. GmbH selbst kann im Kontext des Webauftritts dieser Gesellschaft, deren in Deutschland vorgenommen Tätigkeiten im Übrigen offenkundig von ihrer dortigen Berechtigung als Inkassodienstleister umfasst sind, bei verständiger Lesart im vorliegenden Fall aber nicht angenommen werden.

Im Lichte obiger Ausführungen war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (VwGH 18.06.2014, Ra 2014/01/0029). Trotz fehlender Rechtsprechung des VwGH liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, wenn die Rechtslage eindeutig ist oder bereits durch ein Urteil des EuGH gelöst wurde (VwGH 28.05.2014, Ra 2014/07/0053; 28.02.2014, Ro 2014/16/0010). Die hervorgekommenen Rechtsfragen waren auf Grundlage der zitierten Rechtsgrundlagen klar lösbar.

Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Herkunftslandprinzip; Dienstleistungsfreiheit; koordinierter Bereich; E-Commerce-RL; Vertretungsmonopol

Anmerkung

VwGH v. 24.5.2019, Ra 2019/03/0018; Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.001.009.12607.2017

Zuletzt aktualisiert am

03.02.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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