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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AufG 1992 §1 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde der am 1966 geborenen JP in Wien, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Mai 1996, Zl. 302.024/5-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin verfügte über einen vom 30. Juni 1993 bis 2. November 1994 reichenden Sichtvermerk. Ein im Sinn des § 13 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) rechtzeitig eingebrachter Verlängerungsantrag wurde im Instanzenzug mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Juli 1995 abgewiesen. Ein weiterer Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vom 21. August 1995 wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Oktober 1995 abgewiesen.
Am 10. November 1995 stellte die Beschwerdeführerin den verfahrengegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung und gab als Aufenthaltszweck die Ausübung einer "selbständigen" Erwerbstätigkeit als Küchenhilfe sowie die Familiengemeinschaft mit ihrem Ehegatten und ihren Kindern, jeweils österreichische Staatsbürger, an. Dem Antrag legte sie einen Befreiungsschein mit Gültigkeit vom 16. Juni 1993 bis 15. Juni 1998 bei.
Der Landeshauptmann von Wien wies mit Bescheid vom 17. November 1995 den Antrag gemäß § 6 Abs. 2 AufG mangels einer Antragstellung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus ab. Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, in der sie u.a. geltend machte, mit einem Österreicher verheiratet zu sein. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Mai 1996 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) abgewiesen. Die belangte Behörde stellte fest, daß sich die Beschwerdeführerin nach ihren eigenen Angaben im Bundesgebiet aufhalte und einer Erwerbstätigkeit nachgehe, ohne über die dafür erforderliche Aufenthaltsbewilligung zu verfügen. Dadurch zeige sie, daß sie nicht gewillt sei, die österreichische Rechtsordnung, insbesondere in einem Bereich, der für den geordneten Ablauf eines geregelten Fremdenwesens vorgesehen sei, zu respektieren und könnte ihr Verhalten durchaus Beispielswirkung auf andere Fremde haben, weshalb dies eine Gefährdung für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. Vor allem das weitere Verbleiben im Bundesgebiet nach und trotz mehrmaliger rechtskräftiger Abweisung ihrer Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maß. Im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen habe die Berufungsbehörde festgestellt, daß unter Abwägung der persönlichen Interessen mit den öffentlichen im Sinne des Art. 8 MRK die öffentlichen Interessen überwögen. Dabei sei berücksichtigt worden, daß der Gatte und die Kinder der Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürger seien.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 AufG lauteten:
"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist.
§ 6. ...
(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der
Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. .... Eine
Antragstellung im Inland ist ausnahmsweise zulässig: ... schließlich
für jene im Bundesgebiet aufhältige Personen, für die dies in einer Verordnung gemäß § 2 Abs. 3 Z. 4 festgelegt ist ...."
§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautete:
"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
....
4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"
Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (nach den unbestrittenen Angaben der Beschwerdeführerin am 24. Mai 1996) ist für seine Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof die Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1996, BGBl. Nr. 854/1995, maßgeblich.
§ 4 Z. 2 dieser Verordnung lautete:
"§ 4. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung kann ausnahmsweise im Inland gestellt werden, von:
...
2. Angehörigen von österreichischen Staatsbürgern (§ 3 Abs. 1 Z. 1 Aufenthaltsgesetz), die gemäß § 14 Abs. 3 FrG einreisen oder denen vor der Einreise ein gewöhnlicher Sichtvermerk erteilt wurde;"
Vorauszuschicken ist, daß auf den vorliegenden Beschwerdefall die Bestimmung des § 113 Abs. 6 oder 7 des Fremdengesetzes 1997 deshalb keine Anwendung findet, weil es sich beim verfahrensgegenständlichen Antrag nach Abweisung eines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrages (und eines dazwischenliegenden weiteren Antrages) um einen als Erstantrag zu wertenden Antrag der Beschwerdeführerin handelt.
Die belangte Behörde hat ihre Gefährdungsprognose im Sinn des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG einerseits darauf gestützt, daß sich die Beschwerdeführerin nach Ablauf ihres Sichtvermerkes und trotz rechtskräftiger Abweisung ihres Verlängerungsantrages sowie eines weiteren Antrages nach wie vor im Bundesgebiet aufhalte und andererseits einer Erwerbstätigkeit nachgehe, ohne über die dafür erforderliche Aufenthaltsbewilligung zu verfügen. Die belangte Behörde unterließ es jedoch, in diesem Zusammenhang festzustellen, wann die letzte Einreise der Beschwerdeführerin, die Angehörige eines österreichischen Staatsbürgers ist und im Besitze eines Sichtvermerkes war, in das Bundesgebiet erfolgte.
Wie der Verwaltungsgerichtshof (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. März 1997, Zl. 95/19/0867) ausgesprochen hat, rechtfertigt ein längerdauernder Aufenthalt eines Fremden im Anschluß an die rechtskräftige Abweisung seines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrages grundsätzlich die Annahme, sein weiterer Aufenthalt werde die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gefährden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat jedoch dann Platz zu greifen, wenn der sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltende Fremde zur ausnahmsweisen Antragstellung im Inland berechtigt ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1997, Zl. 96/19/2066, ausgeführt hat, gibt der Gesetzgeber durch die Gestattung der ausnahmsweisen Antragstellung im Inland zu erkennen, daß er den unrechtmäßigen Aufenthalt von Fremden, die zur Inlandsantragstellung berechtigt sind, nicht als so gravierende Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens empfindet, daß ihnen aufgrund einer daraus abzuleitenden Prognose, auch ihr weiterer Aufenthalt aufgrund der zu erteilenden Bewilligung werde die öffentliche Ordnung gefährden, die zulässigerweise im Inland beantragte Bewilligung zu versagen wäre.
In Verkennung dieser Rechtslage unterließ es die belangte Behörde, Feststellungen darüber zu treffen, wann die Beschwerdeführerin zuletzt in das Bundesgebiet einreiste. War der Beschwerdeführerin aber vor ihrer letzten Einreise der gewöhnliche Sichtvermerk erteilt worden, so wäre sie gemäß § 4 Z. 2 der Verordnung BGBl. Nr. 854/1995 als eine Angehörige eines österreichischen Staatsbürgers zur Antragstellung vom Inland aus berechtigt. Der belangten Behörde wäre es dann verwehrt, ihre Gefährdungsprognose auf den bloßen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Anschluß an die rechtskräftige Abweisung ihrer (Verlängerungs)Anträge zu stützen.
Die belangte Behörde ging weiters davon aus, daß der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG deshalb verwirklicht sei, weil die Beschwerdeführerin einer Erwerbstätigkeit nachgehe, ohne im Besitze einer Aufenthaltsbewilligung zu sein. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung die Ansicht vertreten, daß bei Verletzung (bloß) aufenthaltsrechtlicher, nicht jedoch auch ausländerbeschäftigungsrechtlicher Bestimmungen durch die Aufnahme einer ausländerbeschäftigungsrechtlich erlaubten Erwerbstätigkeit der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht verwirklicht sei (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 1997, Zl. 96/19/1837). Nach den vorgelegten Verwaltungsakten verfügte die Beschwerdeführerin über einen vom 16. Juni 1993 bis 15. Juni 1998 gültigen Befreiungsschein. Ihre Erwerbstätigkeit verstieß somit nicht gegen ausländerbeschäftigungsrechtliche Bestimmungen. Der der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang allein vorwerfbare Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht reicht ebenfalls nicht aus, um die nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG erforderliche Gefährdungsprognose zu begründen.
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 18. September 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996191992.X00Im RIS seit
02.05.2001