Entscheidungsdatum
17.05.2018Index
L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung WienNorm
WMG §4 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Mag. Zotter nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung über die Beschwerde des Herrn Pa. P., vertreten durch R. H., p.A. C. gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, vom 05.03.2018, Zl. SH/..., in einer Angelegenheit des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG), zu Recht erkannt:
I.
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid behoben und dem Beschwerdeführer für den Zeitraum 01.04.2018 bis 30.06.2018 Bedarfsorientierte Mindestsicherung von monatlich 969,82 Euro bewilligt.
II.
Gegen diese Entscheidung ist die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Magistrat der Stadt Wien den Antrag des nunmehrigen Beschwerdeführers vom 02.03.2018 auf Zuerkennung einer Leistung zur Deckung des Lebensunterhaltes und Wohnbedarfes nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) abgewiesen. Begründend wird ausgeführt, der Beschwerdeführer sei als polnischer Staatsbürger seit 17.05.2006 in Österreich aufhältig. Er sei in Österreich durchgehend jeweils weniger als ein Jahr unselbständig erwerbstätig gewesen. Eine Krankenversicherung habe seit 2006 insgesamt 3,86 Jahre vorgelegen. Der Beschwerdeführer erreiche somit nicht die erforderlichen Versicherungszeiten innerhalb von fünf Jahren und sei eine befristete Erwerbsunfähigkeit von einem Jahr erst ab August 2014 festgestellt worden. Es seien keine Nachweise erbracht worden, dass der Beschwerdeführer erwerbstätig sei oder dass ihm die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten geblieben sei. Er sei daher österreichischen Staatsangehörigen nicht gleichgestellt und nicht anspruchsberechtigt.
Dagegen richtet sich die folgende Beschwerde. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei seit Juli 2006 durchgehend in Österreich aufhältig und habe zunächst bis Oktober 2006 als Kellner gearbeitet. Von Juli 2008 bis Ende April 2011 habe er ein Einzelunternehmen im Reinigungsgewerbe betrieben. Vom 02.05.2011 bis 11.05.2011 und vom 23.05.2011 bis 21.01.2012 sei er bei der X. GmbH in Wien unselbständig erwerbstätig gewesen. Über Weihnachten 2011 sei er in Krankenstand gewesen und sei das Dienstverhältnis per 21.02.2012 vom Dienstgeber gekündigt worden. Daraufhin habe er sich beim Arbeitsmarktservice als arbeitslos gemeldet und sei seinen laufenden Meldeverpflichtungen nachgekommen. Im Herbst 2012 habe sich sein Gesundheitszustand sukzessive verschlechtert und habe er sich im Februar 2013 eine komplizierte Oberarmfraktur zugezogen. Deshalb habe ihn das Arbeitsmarktservice als aus gesundheitlichen Gründen bis auf weiteres nicht vermittelbar eingestuft und an die MA 40 verwiesen. Aus den dargelegten Umständen ergebe sich, dass dem Beschwerdeführer seit 01.07.2013 das Recht auf Daueraufenthalt gemäß § 53a Abs. 1 NAG zukomme. Er sei nämlich von 01.07.2008 bis 21.01.2012 selbständig und in der Folge als Arbeitnehmer erwerbstätig gewesen. Zufolge seiner rechtzeitigen Meldung beim AMS sei ihm die Erwerbstätigeneigenschaft über den genannten Zeitpunkt hinaus erhalten geblieben. Er sei daher österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt.
Im Beschwerdeverfahren hat der Magistrat der Stadt Wien als belangte Behörde Verwaltungsakten vorgelegt und wurde eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.
Der Beschwerdeführer machte folgende Angaben:
„Ich bin im Jahr 2006 nach Ö gekommen und war hier in T. als Reinigungskraft tätig. Bis Oktober 2006 war ich im Krankenstand. Zwischen Oktober 2006 und 1.7.2008 war ich in T. privat bei einer Familie beschäftigt und habe dort Reinigungs- und Hilfstätigkeiten ausgeübt. Ich hatte keine Krankenversicherung.
Ab 1.7.2008 war ich dann selbstständig. erwerbstätig mit einem Reinigungsunternehmen. Da ich dann die Möglichkeit bekommen habe, in Wien eine Arbeit aufzunehmen, habe ich die selbstständige. Erwerbstätigkeit aufgegeben und im Hotel … als Kellner und Barkeeper gearbeitet. Ab etwa Juni 2011 habe ich beim Hoteldirektor privat als Butler gearbeitet. Das war dann bis Jänner 2012. Da ich dann gesundheitliche Probleme bekommen habe (Leberschaden) wurde ich gekündigt. Ich habe mich dann beim AMS als arbeitslos gemeldet und von der MA 40 ab 1.3.2012 Mindestsicherung bekommen. In der Folge habe ich noch AMS-Kurse besucht und zwar von Oktober 2012 bis 9.1.2013. Während dieser Zeit habe ich ein Praktikum im … absolviert. Seit Jänner 2013 bin ich arbeitsunfähig. Diesbezüglich gibt es die entsprechenden ärztlichen Begutachtungen. Diese von der MA 40 veranlassten Begutachtungen haben jeweils ergeben, dass ich befristet arbeitsunfähig war und zwar jeweils auf ein Jahr. Aktuell gibt es ein Gutachten über die Arbeitsunfähigkeit bis September 2018.
Zur Beendigung des Dienstverhältnisses im Jänner 2012 verweise ich auf die Arbeitsbescheinigung vom 18.01.2012, wonach die Beendigung durch Dienstgeberkündigung eingetreten ist. In den wirtschaftlichen Verhältnissen und in den Wohnverhältnissen ist keine Änderung eingetreten.“
Aufgrund der aufgenommenen Beweise steht nachfolgender Sachverhalt fest:
Der am …1973 geborene Beschwerdeführer ist polnischer Staatsangehöriger und seit 17.05.2006 in Österreich durchgehend aufhältig. Von Juli 2006 bis September 2006 war er in Niederösterreich als Reinigungskraft unselbständig erwerbstätig. Von Oktober 2006 bis 30.06.2008 war er ohne Krankenversicherung in Niederösterreich bei einer Familie mit Hilfstätigkeiten beschäftigt. Von 01.07.2008 bis 30.04.2011 war er als Reinigungskraft selbständig erwerbstätig. Ab 02.05.2011 hat er bei der PH. gesmbH und ab 23.05.2011 bei der X. GesmbH eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt. Das letztere Dienstverhältnis wurde am 12.1.2012 mit 21.1.2012 vom Dienstgeber gekündigt und hat sich der Beschwerdeführer anschließend beim AMS als arbeitssuchend gemeldet. Von 15.10.2012 bis 09.01.2013 hat er eine Kursmaßnahme des AMS absolviert und ist er seit Jänner 2013 wegen einer Lebererkrankung und einer Oberarmfraktur und damit aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen (jeweils befristet) arbeitsunfähig. Der Beschwerdeführer verfügt über kein Einkommen, die monatliche Miete beträgt 600 Euro.
Diese Feststellungen stützen sich auf den Akteninhalt, die mit der Beschwerde vorgelegten Unterlagen (Sozialversicherungsdatenauszug, ärztliche Befunde, AMS Unterlagen) und die Angaben des Beschwerdeführers in der öffentlichen mündlichen Verhandlung.
Rechtlich ergibt sich Folgendes:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG) lauten:
Erfasste Bedarfsbereiche
§ 3. (1) Die Wiener Mindestsicherung deckt den Mindeststandard in den Bedarfsbereichen Lebensunterhalt, Wohnen, Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung ab.
(2) Der Lebensunterhalt umfasst den Bedarf an Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und Energie sowie andere persönliche Bedürfnisse, zu denen auch die soziale und kulturelle Teilhabe zählt.
(3) Der Wohnbedarf umfasst den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen Aufwand an Miete, Abgaben und allgemeinen Betriebskosten.
(4) Der Bedarf bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung umfasst den Aufwand, der bei Bezieherinnen und Beziehern einer Ausgleichszulage aus der Pensionsversicherung durch die gesetzliche Krankenversicherung im Rahmen der Wiener Gebietskrankenkasse abgedeckt ist.
Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen
§ 4. (1) Anspruch auf Leistungen der Wiener Mindestsicherung hat, wer
1. zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 5 Abs. 1 und 2) gehört,
2. seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss,
3. die in § 3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,
4. einen Antrag stellt und am Verfahren und während des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung entsprechend mitwirkt.
(2) Ein Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs einschließlich Mietbeihilfe besteht ab einem errechneten Mindestbetrag von fünf Euro monatlich.
Personenkreis
§ 5. (1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur volljährigen österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.
(2) Den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie volljährig sind, sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:
2. Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG) erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben und deren Familienangehörige;
Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs
§ 7. (1) Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs haben volljährige Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 und 2. Der Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs kann nur gemeinsam geltend gemacht werden und steht volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zu. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören.
(2) Die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft erfolgt nach folgenden Kriterien:
1. Volljährige Personen, zwischen denen keine unterhaltsrechtliche Beziehung oder Lebensgemeinschaft besteht, bilden jeweils eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie mit anderen Personen in der Wohnung leben (Wohngemeinschaft), sofern nicht Z 2, 4 oder 5 anzuwenden ist.
Mindeststandards
§ 8. (1) Die Bemessung der Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs erfolgt auf Grund der Mindeststandards gemäß Abs. 2, die bei volljährigen Personen auch einen Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs im Ausmaß von 25 vH des jeweiligen Mindeststandards enthalten.
(2) Die Mindeststandards für den Bemessungszeitraum von einem Monat betragen:
1. 100 vH des Ausgleichszulagenrichtsatzes nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG abzüglich des Betrages für die Krankenversicherung
a) für volljährige Personen ab dem vollendeten 25. Lebensjahr, die in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 1 leben (Alleinstehende);
(3) Bei folgenden Personen erfolgt die Bemessung auf Grund der Mindeststandards gemäß Abs. 2 Z 1 und 2:
1. Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und auf Dauer arbeitsunfähig sind,
2. Personen, die am 1. Jänner 2014 das 50. Lebensjahr vollendet haben und für die Dauer von mindestens einem halben Jahr arbeitsunfähig sind,
3. Personen, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht haben.
Der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs beträgt 13,5 vH der Mindeststandards, wenn sie alleinstehend sind oder mit Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, in der Bedarfsgemeinschaft leben. Liegen bei mehr als einer Person in der Bedarfsgemeinschaft diese Voraussetzungen vor, beträgt der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs 9 vH der Mindeststandards.
(4) Personen, die am 1. Jänner 2014 das 50. Lebensjahr vollendet haben und für die Dauer von mindestens einem halben Jahr arbeitsunfähig sind, Personen, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht haben, und volljährigen, auf Dauer arbeitsunfähigen Personen ist zum monatlich wiederkehrenden Mindeststandard jährlich in den Monaten Mai und Oktober je eine Sonderzahlung in der Höhe des Mindeststandards zuzuerkennen. Ein 13. oder 14. Monatsbezug, den die Person von anderer Seite erhält, ist auf diese Sonderzahlungen anzurechnen. Die erstmalige Sonderzahlung fällt nur anteilsmäßig an, wenn die Leistung gemäß § 8 Abs. 3 im jeweiligen Sonderzahlungsmonat und den letzten fünf Kalendermonaten davor nicht durchgehend bezogen wurde. Die Höhe der Sonderzahlung verringert sich dabei je Kalendermonat ohne diese Leistung um ein Sechstel.
Mietbeihilfe
§ 9. (1) Ein über den Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs nach § 8 Abs. 1 hinausgehender Bedarf wird an die anspruchsberechtigten Personen als Bedarfsgemeinschaft in Form einer monatlichen Geldleistung (Mietbeihilfe) zuerkannt, wenn dieser nachweislich weder durch eigene Mittel noch durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann. Die Mietbeihilfe gebührt ab dem auf die Antragstellung folgenden Monat.
(2) Die Mietbeihilfe ist, bei durch unbedenkliche Urkunden nachgewiesenen tatsächlich höheren Kosten der Abdeckung des Wohnbedarfs, bis zur Höhe der Bruttomiete zuzuerkennen und wird wie folgt berechnet:
1. Den Ausgangswert bilden die nach Abzug sonstiger Leistungen tatsächlich verbleibenden Wohnkosten bis zu den Mietbeihilfenobergrenzen nach Abs. 3.
2. Dieser Ausgangswert wird durch die Anzahl der in der Wohnung lebenden volljährigen Personen geteilt und mit der Anzahl der volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft multipliziert.
3. Von dem für die Bedarfsgemeinschaft ermittelten Wert wird ein Betrag in folgender Höhe vom jeweiligen Mindeststandard nach § 8 Abs. 2 abgezogen:
a) für jede volljährige Hilfe suchende oder empfangende Person ein Betrag in der Höhe von 25 vH;
b) für jede Hilfe suchende oder empfangende Person, die am 1. Jänner 2014 das 50. Lebensjahr vollendet hat und für die Dauer von mindestens einem halben Jahr arbeitsunfähig ist, für jede Person, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht hat und für jede volljährige auf Dauer arbeitsunfähige Person, wenn sie alleinstehend ist oder mit Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, in der Bedarfsgemeinschaft lebt, ein Betrag in der Höhe von 13,5 vH;
(3) Die Mietbeihilfenobergrenzen werden pauschal nach Maßgabe der in der Wohnung lebenden Personen und der angemessenen Wohnkosten unter Berücksichtigung weiterer Beihilfen durch Verordnung der Landesregierung festgesetzt.
Anrechnung von Einkommen und sonstigen Ansprüchen
§ 10. (1) Auf den Mindeststandard ist das Einkommen der Person, für die der jeweilige Mindeststandard gilt, anzurechnen. Bei der Berechnung der Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs von mehreren Personen, die eine Bedarfsgemeinschaft bilden, erfolgt die Bemessung für die Bedarfsgemeinschaft. Dabei ist auf die Summe der heranzuziehenden Mindeststandards die Summe der Einkommen aller anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen, sofern nicht § 7 Abs. 3 anzuwenden ist. Das Einkommen eines Elternteils, einer Ehegattin, eines Ehegatten, einer eingetragenen Partnerin, eines eingetragenen Partners, einer Lebensgefährtin oder eines Lebensgefährten, die nicht anspruchsberechtigt sind, ist jeweils in dem Maß anzurechnen, das 75 vH des Ausgleichszulagenrichtsatzes nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG abzüglich des Beitrages für die Krankenversicherung übersteigt.
Einsatz der Arbeitskraft und Mitwirkung an arbeitsmarktbezogenen sowie die Arbeitsfähigkeit oder Vermittelbarkeit fördernden Maßnahmen
§ 14. (1) Arbeitsfähige Hilfe suchende und empfangende Personen sind verpflichtet, ihre Arbeitskraft einzusetzen, insbesondere von sich aus alle zumutbaren Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen bis Lebensunterhalt und Wohnbedarf der Bedarfsgemeinschaft aus eigenen Mitteln – unabhängig von Leistungen der Mindestsicherung – gedeckt sind. Diese Pflichten bestehen insbesondere auch dann, wenn mit einer ausgeübten Beschäftigung der Lebensunterhalt und Wohnbedarf nicht gedeckt werden kann oder das volle Beschäftigungsausmaß nicht erreicht wird. Das Vorliegen von Arbeitsfähigkeit (§ 8 AlVG) und Zumutbarkeit (§ 9 AlVG) wird von den zuständigen Stellen, insbesondere jenen für die Gewährung von Arbeitslosengeld, beurteilt.
(2) Arbeitsfähige Hilfe suchende und empfangende Personen sind verpflichtet, sich bei den regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice zur Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stellen, eine durch die regionale Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen und an allen Angeboten zur Feststellung von Kompetenzen und Eignungen, zur Steigerung der Arbeitsfähigkeit oder Vermittelbarkeit und zur Eingliederung oder Wiedereingliederung in das Erwerbsleben mitzuwirken. Dazu zählen – abhängig vom Einzelfall – insbesondere:
1.
Kompetenzchecks,
2.
Nach- und Umschulungen,
3.
Beschäftigungsmaßnahmen,
4.
Orientierungs- und Aktivierungsmaßnahmen,
5.
Beratung, Betreuung und Coaching,
6.
Integrationsmaßnahmen.
(3) Fehlt eine abgeschlossene Berufsausbildung, sind insbesondere bei Personen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs vorrangig die Möglichkeiten zur Vermittlung in eine Ausbildung zu nutzen.
(4) Der Einsatz der Arbeitskraft und die Mitwirkung an arbeitsmarktbezogenen sowie die Arbeitsfähigkeit oder Vermittelbarkeit fördernden Maßnahmen darf nicht verlangt werden von Personen, die
1.
das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht haben,
2.
arbeitsunfähig sind,
Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung der Wiener Landesregierung zum Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG-VO) lauten:
§ 1.
Mindeststandards, Grundbeträge zur Deckung des Wohnbedarfs und Geringfügigkeitsgrenze
(1) Für volljährige alleinstehende Personen und volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in Wohngemeinschaft leben, und für volljährige Personen, die ausschließlich mit Personen nach § 7 Abs. 2 Z 3 oder Z 4 WMG eine Bedarfsgemeinschaft bilden, beträgt der Mindeststandard EUR 863,04.
Dieser enthält folgenden Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs:
a) für volljährige Personen, soweit sie nicht unter lit. b fallen
EUR 215,76;
b) für Personen, die das Regelpensionsalter erreicht haben, oder für auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähige Personen EUR 116,50.
§ 2.
Mietbeihilfenobergrenzen
(1) Die Mietbeihilfenobergrenzen betragen:
1. bei 1 bis 2 Bewohnerinnen oder Bewohnern EUR 322,54;
(2) Die Mietbeihilfenobergrenzen beinhalten den jeweiligen Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs.
Im Beschwerdefall war im ersten Schritt zu prüfen, ob der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger eines EU-Staates österreichischen Staatsangehörigen gleichgestellt und auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung anspruchsberechtigt ist. Diesbezüglich kommt beim Beschwerdeführer der Gleichstellungstatbestand gemäß § 5 Abs. 2 Z 2 WMG in Betracht. Da der Beschwerdeführer nicht erwerbstätig ist, war zu prüfen, ob ihm die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 NAG erhalten geblieben ist oder ob er das Recht auf Daueraufenthalt gemäß § 53a NAG erworben hat. Die diesbezüglich maßgeblichen Vorschriften lauten:
Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (NAG)
„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.
§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.“
Nach den getroffenen Feststellungen war der Beschwerdeführer von 1.7.2008 bis 30.4.2011 selbständig und daran anschließend unselbständig erwerbstätig, wobei das letzte Dienstverhältnis im Jänner 2012 durch Kündigung seitens des Dienstgebers beendet wurde. Anschließend war der Beschwerdeführer beim AMS als arbeitssuchend vorgemerkt bzw. in der Folge (vorübergehend) arbeitsunfähig. In seinem Urteil vom 20. Dezember 2017 in der Rechtssache C-442/16, Florea Gusa/Minister for Social Protection, Ireland und Attorney General, hat der Europäische Gerichtshof ausgesprochen, dass mit der Unionsbürgerrichtlinie die Bedingungen festgelegt werden sollen, unter denen ein Unionsbürger das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebietes der Mitgliedsstaaten genießt. Zu diesem Zweck unterscheidet die Richtlinie unter anderem die Situation der wirtschaftlich tätigen Bürger von der Situation der nichterwerbstätigen Bürger und Studierenden. Hingegen trifft sie keine Unterscheidung zwischen im Aufnahmemitgliedstaat unselbständig und selbständig erwerbstätigen Bürgern. Mit der Richtlinie soll der Ansatz überwunden werden, der für die früheren Richtlinien, die unter anderem Arbeitnehmer und Selbständige getrennt behandelten, charakteristisch war. Eine Unterscheidung dahingehend, dass jemand im Aufnahmemitgliedstaat eine selbständige oder eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hat und daran anschließend inwieweit in dem einen bzw. anderen Fall diese Erwerbstätigeneigenschaft erhalten bleiben soll, soll nicht mehr getroffen werden.
Das bedeutet für den Beschwerdefall, dass der Beschwerdeführer nach einer Erwerbstätigkeit, die insgesamt (selbständige und unselbständige Erwerbstätigkeit zusammengerechnet) etwas über 3,5 Jahre angedauert hat, durch Kündigung seitens des Dienstgebers unfreiwillig arbeitslos geworden ist und sich daran anschließend der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung gestellt hat. Ihm ist daher gemäß § 51 Abs. 2 Z 2 WMG die Erwerbstätigeneigenschaft (nicht nur für weitere sechs Monate) erhalten geblieben. Gleiches gilt für die Zeiten, in denen der Beschwerdeführer wegen einer Erkrankung vorübergehend arbeitsunfähig war (§ 51 Abs. 2 Z 1 WMG). Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer nach Ablauf von fünf Jahren ab Beginn der selbständigen Erwerbstätigkeit am 1.7.2008 (das ist der 1.7.2013) das Recht auf Daueraufenthalt gemäß § 53a Abs. 1 NAG erworben hat. Er ist daher im gegenständlichen Entscheidungszeitraum (ab 1.4.2018, da bis 31.3.2018 die Bedarfsorientierte Mindestsicherung geleistet wurde) österreichischen Staatsangehörigen gleichgestellt und auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung dem Grunde nach anspruchsberechtigt.
Der Beschwerdeführer ist alleinstehend und ohne Einkommen. Der Einsatz der Arbeitskraft kann von ihm derzeit nicht verlangt werden, da er nach einer im September 2017 zuletzt erfolgten ärztlichen Begutachtung bis September 2018 vorübergehend erwerbsunfähig ist. Es gebührt ihm daher Mindestsicherung im Ausmaß des Mindeststandards gemäß § 1 Abs. 1 WMG-VO in der ab 01.02.2018 geltenden Fassung. Gemäß § 1 Abs. 1 lit. a und b dieser Bestimmung enthält diese Mindeststandards einen Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfes von 215,76 Euro (lit. b mit dem Betrag von 116,50 Euro kommt beim Beschwerdeführer deshalb nicht zur Anwendung, weil er weder am 01.01.2014 das fünfzigste Lebensjahr vollendet hatte und für die Dauer von mindestens einem halben Jahr arbeitsunfähig ist noch das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht hat und auch nicht auf Dauer arbeitsunfähig ist). Für die Berechnung der Mietbeihilfe ist die Mietbeihilfenobergrenze gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 WMG-VO (322,54 Euro) heranzuziehen. Davon ist der erwähnte Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfes von 215,76 Euro abzuziehen, sodass die Mietbeihilfe monatlich 106,78 Euro und der Gesamtanspruch der Mindestsicherung monatlich 969,82 Euro beträgt. Ein Anspruch auf Sonderzahlung im Mai 2018 besteht nicht, da die diesbezüglichen Voraussetzungen gemäß § 8 Abs. 4 WMG nicht vorliegen, insbesondere weil der Beschwerdeführer nicht auf Dauer sondern vorübergehend arbeitsunfähig ist und das 50. Lebensjahr noch nicht erreicht hat.
Die ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Mindestsicherung; Gleichstellung; Unionsbürger; Daueraufenthalt; Aufenthaltstitel, unbefristeter; Unionsbürgerrichtlinie; Recht auf Freizügigkeit; selbständig, unselbständig erwerbstätig; Erwerbstätigkeit; Erwerbstätigeneigenschaft; Arbeitsunfähigkeit; Kündigung; arbeitslosEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.141.028.4137.2018Zuletzt aktualisiert am
02.07.2018