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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §67a Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, in der Beschwerdesache des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 28. Mai 1999, Zl. UVS 20.3-72, 73, 74/98-10, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß §§ 67a Abs. 1 Z. 2 und 67c AVG (mitbeteiligte Partei: HB in R, vertreten durch Dr. Klaus Hirtler, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Hauptplatz 10/II), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. Mai 1999 traf die belangte Behörde über die unter anderem vom Mitbeteiligten an die belangte Behörde gerichtete, die "Verletzung subjektiver Rechte gemäß § 88 SPG" behauptende Beschwerde vom 21. Dezember 1998 folgende Entscheidung:
"Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Erich Kundegraber über die Beschwerde des HB, geb. am 1. Februar 1953, vertreten durch Dr. Klaus Hirtler, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß §§ 67a Abs. 1 Z. 2 und 67c Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im Folgenden: AVG) sowie Artikel V Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 (im Folgenden: EGVG) und § 24 Strafprozessordnung (im Folgenden: StPO), wie folgt entschieden:
Das Öffnen des Kofferraumes des Fahrzeuges des Beschwerdeführers Kennzeichen LI-1JTD am 8. November 1998 vor dem Gendarmerieposten Liezen auf Grund der Anweisung eines Gendarmeriebeamten des GPK Liezen war
rechtswidrig.
Die Bezirkshauptmannschaft Liezen hat dem Beschwerdeführer gemäß § 79a AVG in Verbindung mit der Aufwandersatzverordnung UVS, BGBl. Nr. 855/1995, die Kosten des Verfahrens in der Höhe von S 18.980,-- binnen vier Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstiger Exekution zu bezahlen."
Die belangte Behörde stellte als Sachverhalt im angefochtenen Bescheid fest:
"Am 8. November 1998, um ca. 14.30 Uhr, wurden die beiden Meldungsleger im Außendienst über eine Anzeige wegen einer angeblichen Sachbeschädigung durch den Beschwerdeführer über Funk informiert. Nachdem sie den Tatort besichtigten und den Anzeiger über den Sachverhalt befragten, fuhren sie mit dem Dienstfahrzeug in Richtung Pyhrn weiter, wobei ihnen das Fahrzeug des Beschwerdeführers entgegenkam. Im Fahrzeug befanden sich der Beschwerdeführer und die Ehefrau. Daraufhin wurde der Beschwerdeführer angehalten und es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, wobei dem Beschwerdeführer der Grund der Anhaltung, nämlich die Anzeige wegen Sachbeschädigung, mitgeteilt wurde. Da am Tatort Fußspuren im Erdreich von den Meldungslegern wahrgenommen wurden, wurde der Beschwerdeführer aufgefordert auf den Gendarmerieposten Liezen mitzukommen, um einen Schuhabdruck abzunehmen. Der im Befehlston vorgetragenen Aufforderung zum Gendarmerieposten mit dem Fahrzeug zu folgen, wurde vom Beschwerdeführer nachgekommen. Am Parkplatz vor dem Gendarmerieposten wurde der Beschwerdeführer von
Rev. Insp. Schubert aufgefordert den Kofferraum des Fahrzeuges zu öffnen. Der Beschwerdeführer entgegnete ihm, er möge einen Untersuchungsbefehl holen und könne sodann in den Kofferraum schauen. Nach einer kurzen weiteren Diskussion öffnete die Frau des Beschwerdeführers den Kofferraum und wurden dort bei der Nachschau keine Schuhe vorgefunden.
Am Gendarmerieposten wurde der Beschwerdeführer aufgefordert auf zwei Blätter Papier hinaufzusteigen, um einen Schuhabdruck anzufertigen und wurde dies von ihm verweigert. Auch verweigerte der Beschwerdeführer seine Schuhsohlen herzuzeigen und protestierte lautstark gegen die Vorgangsweise der Meldungsleger. Da der Beschwerdeführer im Zuge der Amtshandlung zugab, zur Tatzeit am Tatort gewesen zu sein, wurde von einer weiteren Einvernahme Abstand genommen."
Die belangte Behörde führte weiter aus:
"Die getroffenen Feststellungen gründen sich auf die im Wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der einvernommenen Zeugen und des Beschwerdeführers. Hiebei wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass über das Vorliegen einer etwaigen Verwaltungsübertretung nach dem Sicherheitspolizeigesetz von Seiten des Beschwerdeführers und der Ehefrau in dem Verfahren keine Feststellungen zu treffen waren. Im Übrigen geht die erkennende Behörde davon aus, dass die Aufforderung auf den Gendarmerieposten Liezen zu folgen, als auch die Öffnung des Kofferraumes am Parkplatz vor dem Gendarmerieposten Liezen keinesfalls im Lichte einer 'freiwilligen' Handlung von Seiten des Beschwerdeführers zu sehen ist, da bereits aus den Rahmenbedingungen der Amtshandlung (Anhaltung durch zwei uniformierte Gendarmeriebeamte, sowie der befehlsartige Ton des Meldungslegers auf Grund der vorerst verbalen Weigerung des Beschwerdeführers) sich ein Befehlscharakter ableiten lässt."
Sie beurteilte diesen Sachverhalt folgendermaßen:
"Die Aufforderung zum Mitkommen auf den Gendarmerieposten Liezen als auch zum Öffnen des Kofferraumes vor dem Gendarmerieposten Liezen wurde gemäß Artikel V EGVG im Dienste der Strafjustiz vorgenommen. Unbestritten ist auch, dass dem im Beschwerdefall bekämpften Verwaltungsakt kein richterlicher Auftrag zugrunde lag. Die Gesetzmäßigkeit einer solchen Maßnahme setzt jedoch gemäß § 24 StPO unter anderem voraus, dass das unverzügliche Einschreiten des Untersuchungsrichters nicht erwirkt werden kann. Bei Nichterfüllung der Voraussetzung findet die Maßnahme im Gesetz keine Deckung (VwGH 13.12.1989, 89/03/0114; 13.12.1989, 89/03/0126; 13.11.1991, 91/01/0135). Soweit vom Meldungsleger behauptet wird, es sei für ihn in der Situation Gefahr in Verzug vorgelegen, kann dem keinesfalls zugestimmt werden, da eine telefonische Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Richter jedenfalls am Gendarmerieposten Liezen möglich gewesen wäre, überdies waren die Meldungsleger mit Funkgeräten ausgerüstet, sodass bereits bei der ersten Kontaktaufnahme mit dem Beschwerdeführer eine Verbindung mit dem zuständigen Richter hergestellt hätte werden können (VfGH 29.9.1992, B 1282/90-27). Es wäre somit durchaus im Bereich der Möglichkeit gewesen den richterlichen Auftrag für die Nachschau im Kofferraum des PKWs mündlich einzuholen.
Ausdrücklich wird festgehalten, dass unter dem Schutz des Hausrechtes auch die Durchsuchung eines Kofferraumes eines PKWs gehört (VfSlg. 9525).
Ob bei dem angefochtenen Verwaltungsakt auch noch eine andere Rechtswidrigkeit bestand - der Beschwerdeführer bringt die Aufforderung auf dem Gendarmerieposten Liezen mitzukommen für die Rechtswidrigkeit ins Treffen - braucht nicht näher geprüft zu werden (VwGH 2.6.1998, 97/01/0754). Es handelt sich nämlich hiebei um einen Verwaltungsakt und ist dieser bereits durch die Öffnung des Kofferraumes in seiner Rechtswidrigkeit festgestellt, sodass es keiner weiteren Überprüfung weiterer Rechtswidrigkeitserklärungen in dem Verwaltungsakt bedarf."
Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenäußerung.
Der Beschwerdeführer bringt zur Zulässigkeit der Beschwerde vor, dass § 88 Abs. 1 SPG gegenüber der Regelung des § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG die speziellere Rechtsgrundlage für die gegenständliche Beschwerde des Mitbeteiligten an die belangte Behörde sei. Gegenstand dieser Beschwerde sei die Aufforderung an diesen durch zwei Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, den Kofferraum des PKW Kennzeichen LI-1JDT zu öffnen und den Beamten auf den Gendarmerieposten Liezen zu folgen. Es handle sich dabei - wie die belangte Behörde richtig darstelle - um Teile einer Amtshandlung, die im Dienste der Strafjustiz geführt worden und der Bezirkshauptmannschaft Liezen zuzurechnen sei, weil sie jene Sicherheitsbehörde ist, der die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterstellt seien. Der Beschwerdeführer sei daher zur Erhebung der auf § 91 SPG gestützten Beschwerde berechtigt.
Diese Ansicht ist unrichtig. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24. Februar 1995, Zl. 94/02/0500, ausgesprochen hat, kommt § 88 Abs. 1 SPG nach den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (148 Blg NR, 18. GP) im Hinblick auf Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG keine eigenständige normative Bedeutung zu; sie gebe "nur die durch das B-VG getroffene Regelung sicherheitspolizeispezifisch formuliert wieder". Der Verwaltungsgerichtshof erblickte daher in der in § 88 Abs. 1 SPG geregelten Beschwerdemöglichkeit kein selbständiges Rechtsinstitut, sondern nur einen Fall der im Allgemeinen im B-VG und AVG vorgesehenen sogenannten Maßnahmenbeschwerde, die es ohne ausdrückliche Erwähnung im SPG auch in Ansehung spezifisch sicherheitspolizeilicher Maßnahmen in gleicher Weise gebe. In solchen Maßnahmenbeschwerden ist die ausdrückliche Berufung auf bestimmte Rechtsgrundlagen, wie sich aus § 67c Abs. 2 AVG und § 88 Abs. 4 SPG ergibt, nicht erforderlich. Die ausdrückliche Berufung eines Beschwerdeführers auf § 88 SPG ändert somit am Rechtscharakter der Maßnahmenbeschwerde nichts.
Es ist daher ohne rechtliche Bedeutung, auf welche rechtliche Bestimmung der Mitbeteiligte seine Beschwerde an die belangte Behörde stützte und welche Norm die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid herangezogen hat, wenn sich die Entscheidung inhaltlich (auch) als solche gemäß § 88 Abs. 1 SPG darstellt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. September 1998, Zl. 97/01/1065).
Allerdings erlangt die Unterscheidung, ob es sich um einen Fall der im Allgemeinen im B-VG und AVG vorgesehenen Maßnahmenbeschwerde handelt, oder um den in § 88 Abs. 1 SPG geregelten Unterfall betreffend Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Bedeutung für die Zulässigkeit einer auf § 91 SPG gestützten Amtsbeschwerde. Denn das SPG räumt dem Bundesminister für Inneres lediglich ein Beschwerderecht gegen Entscheidungen der unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden gemäß den §§ 88 und 89 SPG oder Entscheidungen der Datenschutzkommission über Beschwerden gemäß § 90 SPG ein.
Im gegenständlichen Fall besteht bei den Verfahrensparteien Einigkeit darüber, dass im gegenständlichen Fall die Beamten des Gendarmeriepostens Liezen eine Amtshandlung im Dienste der Strafjustiz führten. Auch der Verwaltungsgerichtshof erblickt hierin keine Rechtswidrigkeit.
Die Abgrenzung ist im gegenständlichen Fall über § 22 Abs. 3 SPG vorzunehmen. Danach haben die Sicherheitsbehörden nach einem gefährlichen Angriff, unbeschadet ihrer Aufgabe nach der Strafprozessordnung 1975 (StPO), BGBl. Nr. 631/1975, die maßgebenden Umstände, einschließlich der Identität des dafür Verantwortlichen, zu klären, soweit dies zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich ist. Sobald ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist, gelten ausschließlich die Bestimmungen der StPO; die §§ 57 und 58 SPG sowie die Bestimmungen über den Erkennungsdienst bleiben jedoch unberührt.
Regelungsgegenstand des SPG sind nach dieser Bestimmung die zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlichen Maßnahmen; der Gesetzgeber geht dabei im Grundsatz davon aus, dass von einem Täter so lange eine (Wiederholungs) Gefahr ausgeht, als seine Täterschaft unbekannt, die Tat also ungeklärt ist (vgl. RV 148 Blg NR 18. GP, Seite 29). Jedenfalls endet eine bis dahin mögliche parallele Anwendbarkeit des SPG neben der StPO mit der Klärung der Identität des Verdächtigen. Ab diesem Zeitpunkt gelten ausschließlich die Bestimmungen der StPO. Das SPG tritt mit seinen Präventionsanliegen hinter das Strafprozessrecht zurück (vgl. Hauer-Keplinger, Handbuch zum Sicherheitspolizeigesetz, 122; Wiederin, Sicherheitspolizeirecht 1998, Rz 294, u.a.).
Im gegenständlichen Fall wurde der Mitbeteiligte bereits durch die Anzeigeerstattung seines Sohnes als mutmaßlicher Täter beschuldigt. Seine Identität war den amtshandelnden Organen auf Grund früherer Einsätze bekannt. Damit kann kein Zweifel daran bestehen, dass § 22 Abs. 3 zweiter Satz SPG ("ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist") zum Tragen kommt und im konkreten Fall ausschließlich die Bestimmungen der StPO gelten.
Somit handelt es sich beim gegenständlichen Fall um einen jener Fälle des § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG, in denen sich die Entscheidung inhaltlich nicht auch als solche gemäß § 88 Abs. 1 SPG darstellt. Die belangte Behörde hat daher den angefochtenen Bescheid zu Recht ausschließlich auf § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG und nicht auf § 88 Abs. 1 SPG gestützt. Sie war dabei - wie bereits ausgeführt - auch nicht an die vom Mitbeteiligten in seiner Beschwerde an die belangte Behörde herangezogenen Gesetzesbestimmungen gebunden.
Da dem Bundesminister für Inneres aber gegen Entscheidungen der unabhängigen Verwaltungssenate ausschließlich über die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG keine Beschwerdelegitimation eingeräumt ist, erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unzulässig.
Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung mit Beschluss zurückzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 51 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 16. Februar 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999010339.X00Im RIS seit
31.05.2001