TE Vwgh Erkenntnis 2018/5/29 Ro 2018/21/0003

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Veröffentlicht am 29.05.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ABGB §22;
AVG §56;
AVG §9;
BFA-VG 2014 §7 Abs1 Z3;
BFA-VG 2014;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
B-VG Art132 Abs2;
FrPolG 2005 §61 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §61 Abs3;
FrPolG 2005 §61;
MRK Art13;
VwGVG 2014 §17;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision der N A, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen Spruchpunkt A.IV. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. März 2017, W170 2148991-1/2E, betreffend Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist eine am 21. Dezember 2016 geborene syrische Staatsangehörige. Ihre Eltern und ihr Bruder, ebenfalls syrische Staatsangehörige, hatten den Herkunftsstaat Syrien im Jahr 2013 verlassen und waren nach einem längeren Aufenthalt in der Türkei über Griechenland auf der sogenannten "Balkanroute" nach Österreich gelangt. Hier stellten sie am 30. Jänner 2016 Anträge auf internationalen Schutz.

2 Diese Anträge wurden im Instanzenzug mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 24. Oktober 2016 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückgewiesen. Unter einem wurde festgestellt, dass Kroatien für die Prüfung der Anträge zuständig sei. Weiters wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung der Eltern und des Bruders der Revisionswerberin nach Kroatien angeordnet. Im Hinblick auf die Schwangerschaft der Mutter der Revisionswerberin - erwarteter Geburtstermin war der 31. Dezember 2016 - sprach das BVwG (von Amts wegen) gemäß § 61 Abs. 3 FPG allerdings aus, dass die Durchführung der Außerlandesbringungen bis acht Wochen nach der Geburt der Revisionswerberin aufgeschoben werde. Bei diesem Ausspruch bezog sich das BVwG auf die §§ 3 bis 5 des Mutterschutzgesetzes 1979. Die in diesen Bestimmungen zum Ausdruck kommende generelle Wertung, dass schwangere Frauen in der Zeit acht Wochen vor und nach der Entbindung einer körperlichen Schonung bedürfen, könne auch auf "Ausweisungen/Außerlandesbringungen im Asylrecht" übertragen werden. Dieses Erkenntnis wurde am 3. November 2016 zugestellt und blieb in der Folge unbekämpft.

3 Ungeachtet des gewährten Durchführungsaufschubs wurden der Vater, der Bruder und die mit ihr schwangere Mutter der Revisionswerberin in Vollziehung eines Festnahme- und Abschiebeauftrags des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 8. November 2016 festgenommen, bis zum 10. November 2016 angehalten und an diesem Tag auf dem Luftweg nach Kroatien überstellt.

4 Mit einem am 20. Dezember 2016 beim BVwG eingebrachten Schriftsatz erhoben die Eltern und der Bruder der Revisionswerberin, aber auch sie selbst - bezeichnet als "Nasciturus der E. A." - gegen die Festnahmen und Anhaltungen einerseits und gegen die Abschiebungen andererseits Maßnahmenbeschwerden.

5 In Stattgebung der Beschwerden der drei Erstgenannten erklärte das BVwG mit Erkenntnis vom 16. März 2017 deren Festnahmen am 8. November 2016 und die anschließenden Anhaltungen sowie deren Abschiebung nach Kroatien für rechtswidrig, und zwar schon deshalb, weil die bereits am 10. November 2016 vollzogenen Anordnungen zur Außerlandesbringung nach Kroatien zu diesem Zeitpunkt im Hinblick auf den bis acht Wochen nach der Geburt der Revisionswerberin gewährten Durchführungsaufschub nicht durchsetzbar gewesen seien. Demzufolge ging das BVwG auf den in der Beschwerde weiters vorgetragenen Einwand, die genannten Maßnahmen seien auch deshalb rechtswidrig gewesen, weil die Abschiebungen aus näher dargestellten unionsrechtlichen Gründen rechtswidrig gewesen seien, nicht ein.

6 Die Beschwerde der Revisionswerberin wies das BVwG dagegen mit dem bekämpften Spruchpunkt A.IV. dieses Erkenntnisses als unzulässig zurück. Begründend führte es dazu - unter Wiedergabe einer näher genannten Entscheidung des Asylgerichtshofes - aus, dass Rechte im Verwaltungsrecht erst mit der tatsächlichen Geburt begründet würden. Zwar bestimme § 22 ABGB, dass ungeborene Kinder vom Zeitpunkt ihrer Empfängnis an einen Anspruch auf den Schutz der Gesetze hätten und ihnen eine bedingte und beschränkte Rechtsfähigkeit zukomme. Sie könnten - unter der Voraussetzung, dass sie lebend geboren werden - bereits Rechtsträger werden, sofern dies zu ihrem Vorteil sei. Rechtlich relevant seien die beschränkten und bedingten Rechte des Nasciturus aber insbesondere (nur) im Zusammenhang mit dem Erbrecht und mit der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen. Das Verwaltungsrecht kenne keine derartige Rechtsstellung des Nasciturus, weshalb davon auszugehen sei, dass eine solche vom Gesetzgeber nicht gewollt sei. Daher sei die Beschwerde "des Nasciturus der E. A." als unzulässig zurückzuweisen.

7 In Bezug auf Spruchpunkt A.IV. seines Erkenntnisses sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur "Stellung des Nasciturus bei Maßnahmenbeschwerden" fehle.

8 Gegen den genannten Spruchpunkt A.IV., allerdings eingeschränkt auf die Zurückweisung der gegen die Abschiebung nach Kroatien erhobenen Maßnahmenbeschwerde, erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 23.11.2017, E 1475/2017, ablehnte und sie mit weiterem Beschluss vom 6.12.2017 über nachträglichen Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

9 Über die sodann fristgerecht eingebrachte (ordentliche) Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens und Vorlage der Akten durch das BVwG - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

10 Die Revision erweist sich aus dem vom BVwG angeführten Grund als zulässig, sie ist aber nicht berechtigt:

11 Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit. Zur diesbezüglichen Beschwerdelegitimation normiert Art. 132 Abs. 2 B-VG, gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt könne wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch sie in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Dazu ist festzuhalten, dass es auch nach der (seit 1. Jänner 2014) geltenden Rechtslage zulässig ist, im Wege einer Beschwerde gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung durch das BVwG prüfen zu lassen. Bei dieser Beurteilung ist auf den Zeitpunkt des Vollzugs der Abschiebung abzustellen (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0179 bis 0182, Rn. 14, mit dem Hinweis auf VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0089, Rn. 8, mwN). Maßnahmenbeschwerde gegen eine Abschiebung kann demnach erheben, wer durch sie in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

12 Solche subjektiven Rechte, auf die sich die Revisionswerberin berufen könnte, sind weder dem FPG noch dem BFA-VG zu entnehmen. Gegenteiliges wird von der Revisionswerberin auch nicht behauptet. Demzufolge wurde in Bezug auf die nunmehr nur noch gegenständliche Überstellung nach Kroatien zur Beschwerdelegitimation der Revisionswerberin in der Beschwerde auch nur vorgebracht, dem Nasciturus komme auch im Anwendungsbereich verwaltungsrechtlicher Bestimmungen insoweit Rechtsfähigkeit zu, als ihm dadurch keine Rechtsnachteile entstehen (Hinweis auf VwGH 11.2.1980, 0201/79). Die Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes dienten nicht nur der Wahrung der besonderen Schutzbedürftigkeit von Frauen in ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft, sondern auch dem Schutz ihres noch ungeborenen Kindes. Durch die angefochtene Amtshandlung werde somit auch die Rechtsphäre des Nasciturus berührt, zumal die rechtswidrige Abschiebung auf seine körperliche und psychische Integrität und Entwicklung "Einfluss nehmen konnte".

13 Dazu ist zunächst anzumerken, dass die Gewährung des Durchführungsaufschubes im Erkenntnis des BVwG vom 24. Oktober 2016 nicht direkt auf das Mutterschutzgesetz 1979 gestützt wurde, sondern nur daraus ableitbare Wertungen für die Beurteilung nach § 61 Abs. 3 FPG übernommen wurden. Das erwähnte Vorbringen in der Beschwerde, das im Wesentlichen auch in der Revision wiederholt wird, ist daher dahin zu verstehen, dass die Einräumung eines Durchführungsaufschubes nicht nur im Interesse der Mutter der Revisionswerberin, sondern auch zu ihrem eigenen Schutz vorgenommen worden sei. Richtig ist daran zwar, dass auch die Revisionswerberin - jedenfalls bis zu ihrer Geburt - mittelbar vom Schutzzweck dieser Anordnung erfasst war. Allerdings war die Revisionswerberin nicht Partei des Verfahrens, in dem das erwähnte Erkenntnis vom 24. Oktober 2016 erging, sie war daher auch nicht Adressatin dieses Erkenntnisses und es ist demzufolge auch ihr gegenüber nicht erlassen worden. Sie kann daher aus der Nichtbeachtung des dort verfügten Durchführungsaufschubes unmittelbar keine eigenen subjektiven Rechte ableiten. Aus den mittelbaren Wirkungen dieser Anordnung allenfalls resultierende Ansprüche sind aber nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde, die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zielt und einen einseitigen Eingriff in subjektive Rechte des Betroffenen voraussetzt (vgl. dazu etwa VwGH 28.1.2016, Ra 2014/07/0069, Punkt 3. der Entscheidungsgründe, mwN). Soweit in der Revision in diesem Zusammenhang noch ein "zweifelsohne" durch die Abschiebung bewirkter Eingriff in "Persönlichkeitsrechte" der Revisionswerberin ins Treffen geführt wird, fehlt dazu aber eine nachvollziehbare Konkretisierung.

14 Ähnliche Überlegungen gelten auch für die bekämpfte Zwangsmaßnahme selbst, war doch schon der ihr zugrunde liegende Abschiebeauftrag nur auf die Mutter der Revisionswerberin bezogen und es war auch nur sie (rechtlich) unmittelbar von der zwangsweisen Überstellung nach Kroatien betroffen; für die Revisionswerberin ergaben sich daraus nur mittelbar Konsequenzen (vgl. VwGH 27.1.2016, Ra 2015/10/0129). Auch das steht der Zulässigkeit einer Maßnahmenbeschwerde der bei der gegenständlichen Abschiebung ihrer Mutter nach Kroatien noch ungeborenen Revisionswerberin entgegen.

15 Schon deshalb erfolgte die Zurückweisung der von der Revisionswerberin eingebrachten Maßnahmenbeschwerde im Ergebnis zu Recht.

16 Die genannten Gesichtspunkte werden in der Revision, die vor allem mit Ausführungen betreffend die - aus § 9 AVG iVm § 17 VwGVG und § 22 ABGB gefolgerte - grundsätzliche (bedingte und beschränkte) Rechtsfähigkeit des Nasciturus die in der Rn. 6 wiedergegebene Auffassung des BVwG bekämpft, außer Acht gelassen. In der Revision wird zwar auch noch versucht, aus Art. 13 EMRK ein Recht auf Einbringung einer Maßnahmenbeschwerde der Revisionswerberin abzuleiten, weil die vorgenommene Abschiebung eine Form der unverhältnismäßigen Gewaltanwendung darstelle, die geeignet gewesen sei, das Leben der Revisionswerberin ernsthaft zu gefährden und damit in den Anwendungsbereich von Art. 3 EMRK zu reichen. Dazu ist allerdings zunächst darauf hinzuweisen, dass ein in diese Richtung gehendes Tatsachenvorbringen in der Beschwerde nicht erstattet worden war und diesbezügliche konkrete Anhaltspunkte auch in der Revision nicht dargelegt werden. Vor allem ist diesem Einwand aber zu erwidern, dass in der vorliegenden Konstellation - angesichts der für die (schwangere) Mutter bestehenden Möglichkeit, die gegen sie vollzogene Abschiebung mit Beschwerde zu bekämpfen und auf diesem Weg die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit zu erlangen - kein dem Art. 13 EMRK widersprechendes Rechtsschutzdefizit besteht, wenn dem Nasciturus in diesem Fall keine eigene Beschwerdemöglichkeit zukommt.

17 Die Revision erweist sich daher insgesamt als nicht berechtigt. Sie war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 29. Mai 2018

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018210003.J00

Im RIS seit

29.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

03.07.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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