TE Lvwg Erkenntnis 2017/10/17 VGW-103/048/11228/2017

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Veröffentlicht am 17.10.2017
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Entscheidungsdatum

17.10.2017

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

PassG 1992 §3 Abs1
PassG 1992 §3 Abs2
AVG §68 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Dr. Frank über die Beschwerde des Herrn A. P., vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 62, vom 29.06.2017, Zl. MA 62 - 349.695-2017, mit welchem der Antrag auf Ausstellung eines österreichischen Reisepasses mit dem Geschlechtseintrag "X" wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, nach Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung am 17.10.2017 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid, wonach der Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden war, bestätigt.

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 05.10.2016, LVwG-750382/MZ/MR, war - durch Bestätigung eines abweisenden Bescheids der Bezirkshauptmannschaft F. auf Ausstellung eines Reisepasses mit dem Geschlechtseintrag „X“ – die Beschwerde rechtskräftig abgewiesen worden.

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich begründete seine Entscheidung im Erkenntnis vom 05.10.2016 im Wesentlichen wie folgt:

„[…]Der Beschwerdeführer sei am 07.09.1976 in S. geboren worden. Bei der Anzeige der Geburt durch das Landeskrankenhaus S. sei das Geschlecht mit „männlich“ bestimmt worden. Sie erhielten damals den Vornamen „Jürgen“. Die Geburt sei beim Standesamt S. unter der Geburtenbuchnummer ... verzeichnet worden. In Ihrem (2016) gültigen Reisepass ... sei als Geschlecht „männlich“ eingetragen.

Ihre Geschlechtsmerkmale seien zum Zeitpunkt der Geburt uneindeutig gewesen. Sie seien trotz der Geschlechtsbezeichnung „männlich“ im Geburtenbuch aufgrund ärztlicher Empfehlungen als Mädchen erzogen worden. Hormonbehandlungen und operative Eingriffe zur Erzielung weiblicher Geschlechtsmerkmale und zur Entfernung männlicher Geschlechtsmerkmale seien vorgenommen worden. 2004 hätten Sie sich die durch Hormongaben entwickelte Brust entfernen lassen und sich als zwischengeschlechtliche Person geoutet.

Am 13.11.1978 sei eine behördliche Namensänderung auf den geschlechtsneutralen Vornamen „A.“ durchgeführt und diese Änderung als Vermerk im Geburtenbuch des Standesamtes S. eingetragen worden. Der Geschlechtseintrag im Geburtenbuch habe immer auf „männlich“ gelautet.

Nach § 3 Abs 1 Z 1 iVm. Abs 2 und 2a Passgesetz iVm § 1 PassV und Anlage A Z. 8 sei das Geschlecht in den Reisepass einzutragen. Diese Bestimmungen sowie andere gesetzliche Bestimmungen in Österreich würden nicht anordnen, dass die Geschlechtsbezeichnung zwingend auf „männlich“ oder „weiblich“ zu lauten habe. Jedoch sei aus der österreichischen Gesamtrechtsordnung das Prinzip ableitbar, dass jeder Mensch entweder „weiblichen“ oder „männlichen“ Geschlechts sei (unter Hinweis auf Art. 7 Abs 2 B-VG. Art. 12 EMRK sowie VwGH vom 30.09.1997, Zl. 95/01/0061).

An die Festlegung des Geschlechts im ZPR (Zentralen Personenstandsregister) und darauf auch beruhend die Ausstellung entsprechender Urkunden wie Reisepässe sei nicht Selbstzweck, sondern es knüpften sich zahlreiche, insbesondere familienrechtliche Konsequenzen wie etwa die Frage der Möglichkeit der Eheschließung (§ 44 ABGB, dazu aktuell VfGH E 230-231/ 2016-27), des Eingehens einer eingetragenen Partnerschaft (§ 2 EPG) oder der Abstammung (§§ 143f ABGB), daran an. Da spezifische Regelungen für ein Geschlecht „X“,“unspecified“ oder Ähnliches - soweit ersichtlich - nicht existieren würden, hätte die Eintragung einer anderen Geschlechtsbezeichnung als „männlich“ oder „weiblich“ zur Folge, dass zahlreiche Regelungen der österreichischen Rechtsordnung mangels Anknüpfungspunktes für Sie nicht mehr anwendbar wären. Sie seien im Zentralen Personenstandsregister und in der Geburtsurkunde rechtlich richtig als „männlich“ eingetragen (unter Hinweis auf ein Erkenntnis des LVwG Oberösterreich vom gleichen Tag zur Zl. LVwG-750369-2016). Im Hinblick auf das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung könne der Datensatz „Geschlecht" im Reisepass nicht von jenem im Zentralen Personenstandsregister oder in sonstigen Urkunden abweichen (unter Hinweis auf VwH vom 05.12.1963, 0307/63).[…]“

Daraufhin stellte der Beschwerdeführer am 21.04.2017 beim Magistrat der Stadt Wien, Magistratischen Bezirksamt für den ... Bezirk, im Rahmen einer Niederschrift die Ausstellung eines gewöhnlichen österreichischen Reisepasses mit dem Geschlechtseintrag „X“.

Im Zuge dieser Antragstellung legten Sie die Geburtsurkunde des Standesamtes des Magistrates der Stadt S. vom 17.02.2004. Zl. ... vor, worin Ihr Geschlecht mit „männlich“ eingetragen ist.

Im ebenfalls vorgelegten Staatsbürgerschaftsnachweis der Marktgemeinde ... vom 10.04.2017. Zl. 102/2017 ist Ihr Geschlecht mit „männlich“ ausgewiesen.

Der im Zuge der Reisepassbeantragung am 21.04.2017 im Magistratischen Bezirksamt für den ... Bezirk ebenfalls vorgelegte Schriftsatz mit dem Antrag auf Ausstellung eines gewöhnlichen Reisepasses mit dem Geschlechtseintrag „X“, mit der Angabe des Verlustes ihres bisherigen Reisepasses, enthält folgenden wesentlichen Inhalt:

Im Geburtenbuch des Magistrates der Stadt S. sei Ihr Geschlecht als „männlich“ eingetragen. Sie seien jedoch kein Mann. Sie seien als intergeschlechtlicher Mensch geboren, wobei die physischen Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig gewesen seien und bereits zum Geburtszeitpunkt weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen gewesen seien. Dennoch seien Sie damals von ärztlicher Seite als „männlich“ eingestuft worden.

Nach diversen Untersuchungen hätten die MedizinerInnen Ihren Eltern empfohlen Sie aufgrund der geschlechtlichen Ambivalenzen als Mädchen zu erziehen. In den folgenden Jahren seien körperliche Geschlechtsmerkmale entfernt worden, um Ihren Körper optisch dem eines Mädchens anzunähern. Sie konnten sich als Frau nicht identifizieren und fühlten sich auch nicht als solche und ließen die durch künstliche Hormongaben entwickelte Brust wieder entfernen.

Sie seien von Geburt an ein intergeschlechtlicher Mensch gewesen, als solcher würden Sie sich identifizieren und seit mehr als zehn Jahren offen leben.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 29.06.2017 gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Antrag vom 21.04.2017 bringe keine neuen Tatsachen vor, die tatsächlichen Verhältnisse und die rechtlichen Grundlagen seien vielmehr gleich geblieben, weshalb entschiedene Sache iSd § 68 Abs 1 AVG vorliege.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde machte der Beschwerdeführer auf das Wesentliche zusammengefasst Folgendes geltend: Richtig sei zwar, dass mit dem vorliegenden Antrag ein vom Beschwerdeführer bereits oftmals gestellter Antrag wiederholt werde. Der neuerliche Antrag versuche aber nicht etwa, das frühere Verwaltungsverfahren neu aufzurollen, vielmehr würde mit ihm darauf abgestellt, dass nunmehr der Reisepass verloren gegangen und eine gänzlich neue Urkunde auszustellen wäre.

Begründend führte schon die belangte Behörde aus, die Zurückweisung eines Antrags gemäß § 68 Abs 1 AVG setze voraus, dass sich der neue Antrag auf eine rechtskräftig entschiedene Sache beziehe; es dürfe weder der relevante Sachverhalt noch die maßgebliche Rechtslage geändert sein und es müsse sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren decken. Wolle eine Partei eine neuerliche Entscheidung in einer bereits rechtskräftig abgeschlossenen Angelegenheit herbeiführen, müsse sie selbst die wesentlichen neuen, gegebenenfalls die Rechtskraft zu durchbrechenden geeigneten Umstände geltend machen. Fehlten solche Gründe, sei der neuerliche Antrag wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs 1 AVG zurückzuweisen.

Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände stellten keine wesentliche Änderung der Sachlage dar. Die zu klärende Rechtsfrage wurde schon durch das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich rechtskräftig entschieden. Der nunmehrige Beschwerdeführer hatte dagegen keine Rechtsbehelfe ergriffen. Dass nunmehr die Reisepassurkunde in Verlust gegangen wäre, stellt eine tatsächliche Umgestaltung (res facti non iuris) aber keine neuerlich zu beantwortende Rechtsfrage dar. Die Rechtsfrage ist eine vielmehr die selbe anhand der selben Rechtslage zu beurteilende.

Wie der Verwaltungsgerichtshof zum VwGVG bereits ausgesprochen hat, darf über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen (grundsätzlich) nicht mehr in merito entschieden werden; die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens. Auch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts wird mit ihrer Erlassung rechtskräftig, wobei alle Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens einen Rechtsanspruch auf Beachtung der eingetretenen Rechtskraft haben. Im Zusammenhang mit diesem Grundsatz ist die einschlägige Rechtsprechung zu § 68 AVG in sinngemäßer Weise heranzuziehen. Daraus ist abzuleiten, dass über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden ist. Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen und folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung an eine behördliche Entscheidung (vgl zum Ganzen VwGH vom 24.05.2016, Ra 2016/03/0050, mwN).

Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist auch vom Verwaltungsgericht von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne deren sachliche Richtigkeit nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen (die Ausstellung eines Reispasses mit „X“ beim Geschlechtseintrag) mit dem früheren deckt.

Dass die diesbezügliche Beurteilung der belangten Behörde, einer neuerlichen Sachentscheidung über den verfahrensgegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers, sich außerhalb der Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bewegen würde (was vorliegend voraussetzte, dass sich der entscheidende Sachverhalt seit der eben genannten Entscheidung geändert hätte), wird vom Beschwerdeführer nicht aufgezeigt. Der Umstand, dass der Antrag nunmehr sich auf den Verlust einer Reisepassurkunde bezieht, begründet ebenso keine relevante Sachverhaltsänderung, die Gefahr einer geschlechtlichen Falschbezeichnung kann dann schon gar nicht bestehen.

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Wiederholungsverbot; res iudicata; ne bis in idem; entschiedene Sache; Geburtenbuch; Geschlechtsbezeichnung; Reisepass, Verlust des; Passurkunde; res facti non iuris; Rechtskraft

Anmerkung

VwGH v. 9.8.2018, Ra 2018/22/0078
VfGH v. 24.9.2018, E 7/2018; Einstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.103.048.11228.2017

Zuletzt aktualisiert am

02.10.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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