TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/29 97/08/0544

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.03.2000
beobachten
merken

Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §140 Abs1;
NotstandshilfeV §2 Abs2;
NotstandshilfeV §6 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des Dipl. Ing. H in G, vertreten durch Dipl. Ing. Dr. P, Rechtsanwalt in G, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 13. März 1997, Zl. LGS600/LA2/1218/1997-Dr. Puy/Fe, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 27. August 1996 Notstandshilfe. Er gab als seinen ordentlichen Wohnsitz eine Adresse in Graz an und legte eine schriftliche Bestätigung seiner in Wundschuh wohnhaften Ehegattin vor, wonach sie den Beschwerdeführer, ihren "getrennt lebenden Mann", im Falle von Arbeitslosigkeit bzw. Mittellosigkeit nicht finanziell unterstütze.

In einer am 16. September 1996 mit ihm aufgenommenen Niederschrift gab der Beschwerdeführer an, der eheliche Haushalt sei seit ca. fünf Jahren aufgelöst. Der Beschwerdeführer wohne seit 1991 von seiner Ehegattin getrennt. Eine Scheidungs- bzw. Unterhaltsklage sei aus privaten Gründen nicht eingebracht worden. Einen Nachweis über das Einkommen seiner Ehegattin werde er nicht vorlegen.

Mit Bescheid vom 26. September 1996 gab die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Graz dem Antrag auf Gewährung der Notstandshilfe keine Folge. Begründend wurde ausgeführt, da der Beschwerdeführer nicht bereit sei, die erforderlichen Einkommensnachweise seiner Gattin vorzulegen, müsse angenommen werden, dass diese ein Einkommen erziele, welches den Bezug von Notstandshilfe durch den Beschwerdeführer ausschließe.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid machte der Beschwerdeführer geltend, die Anrechnungsvoraussetzung eines gemeinsamen Haushaltes zwischen ihm und seiner Ehegattin sei nicht gegeben. Die urgierten Einkommensnachweise, zu deren Herausgabe er seine Ehegattin auch nicht zwingen könne, seien daher entbehrlich.

Mit Schreiben vom 25. Oktober 1996 forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer zur Vorlage folgender Unterlagen auf:

"1. eine Kopie Ihres Meldezettels (oder wenn Sie mehrere Wohnsitze haben, aller Meldezettel)

2. einen Nachweis darüber, dass eine gerichtliche Bewilligung für eine getrennte Wohnsitznahme vorliegt

3.

einen Nachweis über eine eventuell eingeleitete Scheidung

4.

einen Nachweis darüber, dass Sie Schritte setzten, damit Ihre Gattin ihrer Unterhaltspflicht nachkommt."

Der Beschwerdeführer legte Kopien von Meldezetteln vor, wonach er einerseits in Wundschuh, wo er am 14. Februar 1990 angemeldet worden sei, den "Hauptwohnsitz" ("bisheriger Hauptwohnsitz": eine Adresse in Pirka), und andererseits an seiner im Antrag auf Notstandshilfe angegebenen Adresse in Graz, wo er am 2. Dezember 1991 angemeldet worden sei, einen "ordentlichen Wohnsitz" habe ("weiterer ordentlicher Wohnsitz": die Adresse in Pirka). Er erklärte, dass er die Meldung in Wundschuh zur Wahrung seiner Ansprüche für den Fall der Scheidung beibehalten wolle. Da nach der Neugestaltung des Melderechtes nur ein Hauptwohnsitz zulässig sei, werde er "demnächst die Ummeldung von Wundschuh in den Zweitwohnsitz durchführen". Die getrennte Wohnsitznahme begründete der Beschwerdeführer damit, dass seine Ehegattin ihm in für ihn "ganz wichtigen Belangen die eheliche Beistandspflicht verweigert" habe und ihm darüber hinaus ständig das Gefühl vermittle, sich von ihm physisch bedroht zu fühlen, was für ihn unerträglich sei. Er sehe keinen Grund dafür, sich die getrennte Wohnsitznahme gerichtlich genehmigen zu lassen, zumal sich seine Ehegattin "mittlerweile" bereit erklärt habe, ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht nachzukommen. Die Unterstützung betrage aber nur S 6.500,-- pro Monat, weshalb er auf zusätzliche Mittel aus der Notstandshilfe angewiesen sei. Die zur Errechnung wahrscheinlich erforderlichen Einkommensnachweise seiner Ehegattin werde er nachreichen. Ein Scheidungsverfahren sei nicht anhängig.

Die belangte Behörde ermittelte von sich aus den Arbeitgeber der Ehegattin des Beschwerdeführers, holte von diesem eine Lohnbescheinigung ein und wies die Berufung des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab, weil der aufgrund des Einkommens der Ehegattin des Beschwerdeführers anzurechnende Betrag die dem Beschwerdeführer zustehende Notstandshilfe übersteige. Dass die Anrechnung vorzunehmen sei, begründete die belangte Behörde wie folgt:

"Der Gesetzgeber schreibt vor, dass bei Beurteilung der Notlage das Einkommen des Ehepartners, ja sogar des Lebensgefährten, heranzuziehen ist. Ehepartner sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes verpflichtet, einander in Notzeiten beizustehen und gegenseitig Unterhalt zu gewähren. Nach dem gesamten Erscheinungsbild (an der gemeinsamen Adresse gemeldet, keine getrennte Wohnsitznahme beantragt, keine Scheidung eingeleitet) liegt eine aufrechte Ehe vor, die allenfalls eine gewisse Entfremdung erfahren hat. Die Unterhaltspflicht nach privatem Recht und Berücksichtigung des Einkommens der Ehegattin nach öffentlichem Recht (Arbeitslosenversicherung) sind daher gegeben bzw. kann Ihr etwaiger Verzicht auf die Ihnen von Ihnen einforderbare zustehende Unterhaltsleistung nicht zu Lasten der Allgemeinheit (Arbeitslosenversicherungsfonds, in den Dienstgeber und Dienstnehmer in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis einzahlen und in den Steuerzahler Zuschüsse leisten) gehen. Ein derartiges Verhalten ist dem Verlassen des gemeinsamen Haushaltes, um der Einkommensanrechnung zu entgegen, gleichzusetzen. Die Berücksichtigung des Einkommens Ihrer Gattin ist wie folgt vorzunehmen: ..."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

§ 2 Abs. 2 der insoweit auf § 36 Abs. 2 AlVG beruhenden Notstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 352/1973, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 388/1989, lautet:

"(2) Bei der Beurteilung der Notlage sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des (der) Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen (der Arbeitslosen) im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) zu berücksichtigen. Durch eine vorübergehende Abwesenheit (Kur-, Krankenhausaufenthalt, Arbeitsverrichtung an einem anderen Ort uä.) wird der gemeinsame Haushalt nicht aufgelöst. Gleiches gilt, wenn der (die) Arbeitslose die Hausgemeinschaft mit dem Ehepartner (Lebensgefährte bzw. der Lebensgefährtin) nur deshalb aufgegeben hat oder ihr ferngeblieben ist, um der Anrechnung des Einkommens zu entgehen."

Die - im § 6 Notstandshilfeverordnung näher geregelte - Anrechnung des Einkommens des Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) bezieht sich unmittelbar auf dessen (bzw. deren) Einkommen und nicht auf einen daraus erst abzuleitenden Unterhaltsanspruch des Leistungswerbers.

Die belangte Behörde hat - ungeachtet ihrer Bezugnahme auf das "gesamte Erscheinungsbild" (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 16. März 1993, Zlen. 92/08/0177, 0179) - nicht festgestellt, der gemeinsame Haushalt zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehegattin sei aufrecht, der Beschwerdeführer sei nur vorübergehend abwesend oder er habe die Hausgemeinschaft nur zur Verhinderung der Einkommensanrechnung aufgegeben. Feststellungen hierüber erschienen der belangten Behörde entbehrlich, weil sie der Ansicht war, ein etwaiger Verzicht des Beschwerdeführers auf ihm bei "aufrechter Ehe" zustehende Unterhaltsleistungen sei "dem Verlassen des gemeinsamen Haushaltes, um der Einkommensanrechnung zu entgegen (gemeint: entgehen), gleichzusetzen".

Diese Deutung ihrer Entscheidung wird von der belangten Behörde in der Gegenschrift noch bekräftigt. Zur Abwehr des in der Beschwerde erhobenen Vorwurfs, die belangte Behörde habe über das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehegattin kein ordentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt und den maßgebenden Sachverhalt nicht bzw. unvollständig festgestellt, wird in der Gegenschrift ausgeführt:

"Da das Bestehen der Ehe unbestritten war, desgleichen die unterlassenen Schritte, zu einer Unterhaltsleistung seitens der Ehefrau zu kommen, war es auch nicht erforderlich, ein umfangreiches Ermittlungsverfahren zu führen, welches an den hier ausschlaggebenden rechtlichen Verhältnissen keine Änderung herbeigeführt hätte."

Der Rechtsstandpunkt, auf dem die angefochtene Entscheidung somit beruht, ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes klar gesetzwidrig:

Zunächst ist festzuhalten, dass der von der belangten Behörde ins Auge gefasste Anrechnungsgrund eines Verzichtes auf Unterhaltsleistungen in § 2 Abs. 2 Notstandshilfeverordnung nicht vorgesehen ist. Sollte sich auch für den Fall getrennter Haushalte - hievon geht die belangte Behörde aus - über den Wortlaut der Verordnung hinaus aus einem Verzicht des Beschwerdeführers auf Unterhaltszahlungen der Wegfall seines Anspruchs auf Notstandshilfe ergeben können, so ließe sich dies aber nicht, wie es der belangten Behörde vorzuschweben scheint, auf eine Analogie zu einem der in § 2 Abs. 2 Notstandshilfeverordnung geregelten Fälle der unmittelbaren Anknüpfung an das Einkommen des Partners stützen. Ausgangspunkt einer derartigen Überlegung müssten die Rechtsfolgen sein, die sich im Falle getrennter Haushaltsführung aus der tatsächlichen Leistung von Unterhaltszahlungen durch die Ehegattin des Leistungswerbers ergeben würden. Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom 16. März 1999, Zl. 97/08/0554, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, näher dargestellt hat, ist eine Anrechnung solcher Zahlungen auf die Notstandshilfe nach der auch im vorliegenden Fall anzuwendenden Rechtslage nicht vorgesehen. Dieser Umstand entzieht dem Gedankengang der belangten Behörde, der von der Schädlichkeit eines Verzichts auf Unterhaltszahlungen ausgeht, von vornherein jede Grundlage.

Da sich die belangte Behörde aufgrund ihrer falschen Rechtsansicht mit den entscheidungswesentlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Notstandshilfeverordnung nicht näher befasst und die erforderlichen Tatsachenfeststellungen hierüber nicht getroffen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Ein zusätzlicher Anspruch auf Ersatz von Umsatzsteuer aus dem Schriftsatzaufwand besteht danach nicht.

Wien, am 29. März 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1997080544.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten