TE OGH 2009/2/19 12Os3/09x

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Veröffentlicht am 19.02.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Februar 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab und Dr. T. Solé sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klugar als Schriftführerin in der Strafsache gegen Tamer F***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Tamer F***** und Ali A***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 13. Oktober 2008, GZ 13 Hv 51/08h-18, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Tamer F***** und Ali A***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter am 15. Oktober 2007 in Klagenfurt Karoline K***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem sie sie an den Armen erfassten, rücklings zu Boden drückten und ihre Hose und Unterbekleidung bis auf Höhe der Unterschenkel nach unten zogen, wobei Ali A***** sie in weiterer Folge am Hals fest- und ihr den Mund zuhielt und Tamer F***** mit seinem Penis in ihre Scheide eindrang.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von Tamer F***** aus den Gründen der Z 5, 5a und 9 lit a und von Ali A***** aus jenen der Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden verfehlen ihr Ziel.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Tamer F*****:

Das unvollständige und unzureichende Begründung behauptende Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter und vierter Fall) stellt sich in Wahrheit als unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung dar. Diese haben den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechend sowie dem Gebot der gedrängten Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend, begründet dargelegt, warum sie der leugnenden Verantwortung der Angeklagten zuwider den belastenden Depositionen der Karoline K***** unter Beachtung der sonstigen Verfahrensergebnisse Glauben geschenkt und sie als Feststellungsgrundlage herangezogen haben (US 6 ff). Die Beschwerde verkennt, dass ein Begründungsmangel nicht schon deshalb gegeben ist, weil nicht der vollständige Inhalt sämtlicher Aussagen und überhaupt sämtliche Verfahrensergebnisse im einzelnen erörtert und darauf untersucht wurden, wie weit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen. Unerhebliche Widersprüche der Beweisergebnisse sind dabei ohnehin nicht erörterungsbedürftig (Ratz, WK StPO § 281 Rz 428). Letztlich stellen Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit (wie hier: der Belastungszeugin) nichts anderes als eine erhebliche Tatsache dar, deren sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung in Frage zu stellen auf eine Bekämpfung der Beweiswürdigung hinausläuft (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431, vgl zuletzt 13 Os 137/08h).

Im Einzelnen:

Mutmaßungen, Meinungen, Werturteile und Schlussfolgerungen sind nicht Gegenstand des Zeugenbeweises (Fabrizy, StPO9 § 150 Rz 1), weshalb die als übergangen reklamierte (Z 5 zweiter Fall) Aussage des Zeugen Dr. Christoph H*****, ihm sei die Sache „irgendwie eigenartig" vorgekommen (ON 12 S 12), mit der sich die Tatrichter im Übrigen ohnehin auseinandersetzten (US 8), keiner detaillierten Erörterung bedurfte. Die vom Zeugen bestätigten Umstände fehlender Verletzungsfolgen und unrichtiger Angabe des Tatzeitpunkts durch das Tatopfer hat das Schöffengericht in seine Erwägungen einbezogen (US 7).

In welchem psychischen Zustand sich Karoline K***** drei Tage nach dem Vorfall befand, betrifft keinen für die Feststellung entscheidender Tatsachen erheblichen Umstand. Dazu vorliegende Beweisergebnisse bedurften daher keiner Erörterung. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, weshalb die - entsprechende Behauptungen der Zeugin K***** bestätigende - Aussage des Zeugen B*****, wonach die Genannte am 18. Oktober 2008 gegen 19. 00 Uhr völlig aufgelöst gewirkt und geweint habe, in erörterungsbedürftigem Widerspruch zu ihrem Gemütszustand anlässlich der polizeilichen Einvernahme (um 21:42 Uhr [ON 2 S 17]) und der amtsärztlichen Untersuchung (um 23:50 Uhr [ON 2 S 21] stehen sollte. Dora K***** berichtete entgegen dem Beschwerdevorbringen zudem von Wahrnehmungen zu verändertem Verhalten ihrer Tochter vor Anzeigeerstattung (ON 12 S 23).

Dass das Tatopfer erst drei Tage nach dem Vorfall Anzeige erstattete, sich in diesem Zeitraum niemandem anvertraute, während des Angriffs nicht um Hilfe rief und sich unmittelbar nach der Vergewaltigung von einem der Täter zum Bahnhof chauffieren ließ, wurde - den auf Z 5 zweiter und vierter Fall gestützten Beschwerdeeinwänden zuwider - vom Erstgericht nicht unberücksichtigt gelassen (US 7 f), sondern erörtert. Indem der Beschwerdeführer aus diesen Verfahrensergebnissen für ihn günstigere Schlüsse zieht und jene der Tatrichter substratlos als „willkürliche Annahmen" bezeichnet, bekämpft er bloß die Beweiswürdigung.

Inwiefern die im Bericht des Stadtpolzeikommandos festgehaltene Tatsache, dass die Anzeigerin keine genaue Täterbeschreibung abgeben konnte, obwohl sie - wie sie anlässlich ihrer anschließenden Einvernahme ohnehin offen legte (ON 2 S 20) - einen der Täter mit Vornamen „Ali" aus dem Boxverein kannte, als gegen ihre Glaubwürdigkeit sprechendes Beweisergebnis zu erörtern gewesen wäre, erklärt die Beschwerde nicht.

Welche Gespräche die Angeklagten vor der Tathandlung mit Karoline K***** führten und wodurch diese bewogen wurde, sich mit den Beschwerdeführern zur Nachtzeit in einen Park zu begeben, ist für die Lösung der Schuld- und Subsumtionsfrage ohne Belang. Im Übrigen lässt sich den Entscheidungsgründen unmissverständlich entnehmen, dass die Tatrichter den Angaben der Genannten folgten, wonach sie das Angebot des Ali A*****, sie nach gemeinsamem Rauchen einer Zigarette im Park nach Hause zu fahren, annahm (US 4 iVm US 7).

Dass sie den Tätern nach den Feststellungen des Erstgerichts Tritte versetzte, demgegenüber aber (unter anderem) aus Angst nicht um Hilfe rief (US 8), macht den Ausspruch über entscheidende Tatsachen nicht widersprüchlich iSd Z 5 dritter Fall, wie die Beschwerde der Sache nach behauptet.

Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen (Z 5a) werden mit diesem Vorbringen nicht aufgezeigt.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) behauptet ohne nähere Konkretisierung das Fehlen „ausreichender Feststellungen" zur subjektiven Tatseite, räumt jedoch ein, dass diese „formal getroffen" wurden (US 6) und erweist sich solcherart als unschlüssig.

Soweit mit den daran anschließenden Ausführungen unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) dieser Konstatierungen behauptet werden soll, verkennt der Rechtsmittelwerber, dass der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen aus dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden und bei leugnenden Angeklagten in der Regel methodisch gar nicht zu ersetzen ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452). Aus welchen Gründen die Tatrichter der Verantwortung der Angeklagten, Karoline K***** habe „in den ... Sexualkontakt eingewilligt" den Glauben versagten, wurde ausführlich erörtert (US 7 ff).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Ali A*****:

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde der Antrag auf Einholung eines dermatologischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass bei der von der Privatbeteiligten geschilderten mehrfachen Gewaltanwendung durch zwei Täter zwingend Hautverletzungen im Sinne von Rötungen, Schürfungen, Hämatomen etc eintreten hätten müssen (ON 12 S 23) zu Recht abgewiesen, weil weder Abwehrbewegungen des Tatopfers noch die festgestellten Tätlichkeiten (Erfassen an den Armen, Zu-Boden-Drücken, Mund-Zu-Halten und Festhalten am Hals) zwingend Verletzungsfolgen herbeiführen und die Lösung dieser Frage daher kein spezielles Fachwissen erforderte (15 Os 100/06d). Soweit die Begründung der Abweisung unter dem Aspekt der Z 5 vierter Fall kritisiert wird, wird übersehen, dass unterlassene Beweisaufnahmen nicht Gegenstand der Mängelrüge sind (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 457; 15 Os 67/08d).

Wie bereits dargelegt hat das Erstgericht die leugnende Verantwortung der Angeklagten mit mängelfreier Begründung als widerlegt angesehen. Details ihrer Angaben (wie die - ohnehin den Urteilsannahmen entsprechende - Aussage des Tamer F*****, nur er habe sexuellen Kontakt mit Karoline K***** gehabt und seine Einlassung, weder er noch der Zweitangeklagte hätten Gewalt ausgeübt) bedurften daher keiner gesonderten Erörterung (Z 5 zweiter Fall).

Mit seinen weiteren - inhaltlich jenen des Erstangeklagten weitgehend entsprechenden - Einwänden unvollständiger und offenbar unzureichender Begründung ist der Rechtsmittelwerber auf die hier gleichermaßen zutreffenden Ausführungen eingangs der Beantwortung der Mängelrüge des Tamer F***** zu verweisen.

Die Beschwerde erschöpft sich insoweit ebenfalls in im Nichtigkeitsverfahren unzulässiger Kritik an der Beweiswürdigung der Tatrichter und gegenteiligen eigenen Schlussfolgerungen aus einzelnen - im Urteil umfassend erörterten - Verfahrensergebnissen (wie dem Fehlen von Verletzungsfolgen und dem Verhalten des Tatopfers während und nach dem Vorfall, vgl dazu US 7 ff) und verlässt solcherart den Anfechtungsrahmen einer Mängelrüge.

Aktenwidrig (Z 5 letzter Fall) ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (zum Ganzen Ratz, WK-StPO § 281 Rz 419, 421, 444, 467). Mit dem Vorwurf, die Tatrichter hätten die Aussage des Zeugen Dr. Christoph H***** falsch „interpretiert", wird ein solcher Begründungsmangel gar nicht behauptet. Wie bereits dargelegt bedurfte die subjektive Einschätzung des Genannten von der Glaubwürdigkeit des Tatopfers keiner gesonderten Erörterung. Ob er im Zuge seiner Tätigkeit als Amtsarzt bei manchen der von ihm früher untersuchten Vergewaltigungsopfer nur im Genitalbereich oder auch an sonstigen Körperteilen keine Verletzungen feststellen konnte, ist zudem für die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage gänzlich irrelevant. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO). Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Anmerkung

E9040112Os3.09x

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0120OS00003.09X.0219.000

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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