TE Vfgh Erkenntnis 2012/6/30 G132/11

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Veröffentlicht am 30.06.2012
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Index

L4 Innere Verwaltung
L4000 Anstandsverletzung, Ehrenkränkung, Lärmerregung,
Polizeistrafen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art10 Abs1 Z6
B-VG Art11 Abs2
B-VG Art15 Abs2
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art117 Abs7
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art7, Art8
Oö L-VG 1991 Art16, Art40
Oö PolStG §1a, §1b, §10
VStG §35

Leitsatz

Abweisung eines Drittelantrags von Mitgliedern des Oberösterreichischen Landtages auf Aufhebung von Bestimmungen betreffend die Bettelei in Oberösterreich; Kompetenz des Landesgesetzgebers zur Erlassung der Regelungen als Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei; kein absolutes Bettelverbot im Oö Polizeistrafgesetz normiert; kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und das Sachlichkeitsgebot; Bettelei kein geschützter Erwerbszweig und nicht vom Schutzbereich des Rechts auf Privatleben nach der EMRK umfasst; Zulässigkeit der Bestellung besonderer Aufsichtsorgane zur Festnahme von Personen

Spruch

              Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

              I. Antragsvorbringen und Vorverfahren

              1. Die antragstellenden Mitglieder des Oberösterreichischen Landtages (im Folgenden: Oö. Landtag) beantragen die Aufhebung von in dem Antrag näher bezeichneten Bestimmungen betreffend Bettelei, die durch die Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle 2011, LGBl. 36, in das Gesetz vom 21. März 1979 über polizeirechtliche Angelegenheiten (O.ö. Polizeistrafgesetz - O.ö.PolStG.), LGBl. 36, (im Folgenden: Oö. Polizeistrafgesetz) eingefügt wurden, als verfassungswidrig.

              2. Wörtlich beantragen die antragstellenden

Mitglieder des Oö. Landtages

              "der Verfassungsgerichtshof möge gemäß Art140 B-VG und §62 VfGG im Gesetz vom 21. März 1979 über polizeirechtliche Angelegenheiten (Oö.Polizeistrafgesetz - OÖ.PolStG), LGBl Nr. 36/1979 in der Fassung LGBl Nr 36/2011, als verfassungswidrig aufheben

              a. den §1a (Bettelei) zur Gänze, in §10 Abs1 die Textfolge '1a', §10 Abs1 litb) zur Gänze ('§1a Abs1 und Abs3 mit Geldstrafe bis 720 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu einer Woche'), in §10 Abs1 litd) die Textfolge '§1a Abs2 und' sowie den §10 Abs5 zur Gänze,

              b. in §1b (Kontrolle der Einhaltung) Abs1 Z1 das Wort 'oder' und §1b Abs1 die Z2 zur Gänze ('besondere Aufsichtsorgane bestellen. Die Bestellung kann befristet erfolgen.'), und §1b Abs2, 3, 4, 5, 6 zur Gänze,

-

b1. in eventu §1b Abs3 Z3 zur Gänze,

-

b2. in eventu in §1b Abs2 die Worte 'sowie zur Sicherung des Strafverfahrens und des Strafvollzugs' und die Worte 'Anhaltung von Personen zum Zweck der Feststellung ihrer Identität und',

-

b3. in eventu sowohl §1b Abs3 Z3 zur Gänze als auch in §1b Abs2 die Worte 'sowie zur Sicherung des Strafverfahrens und des Strafvollzugs' und die Worte 'Anhaltung von Personen zum Zweck der Feststellung ihrer Identität und'." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

              2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten idF

LGBl. 36/2011 (zur Prüfung gestellter Teil hervorgehoben):

"§1a

Bettelei

              (1) Wer in aufdringlicher oder aggressiver Weise, wie durch Anfassen oder unaufgefordertes Begleiten oder Beschimpfen, um Geld oder geldwerte Sachen an einem öffentlichen Ort bettelt oder von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus umherzieht, um so zu betteln oder als Beteiligter einer organisierten Gruppe in dieser Weise bettelt, begeht eine Verwaltungsübertretung.

              (2) Wer eine andere Person zum Betteln im Sinn des Abs1, in welcher Form auch immer, veranlasst oder ein solches Betteln organisiert, begeht eine Verwaltungsübertretung.

              (3) Wer eine unmündige minderjährige Person beim

Betteln im Sinn des Abs1, in welcher Form auch immer, mitführt, begeht eine Verwaltungsübertretung.

              (4) Bei Verwaltungsübertretungen nach Abs1 bis 3 ist jeweils auch der Versuch strafbar.

              (5) Eine Verwaltungsübertretung liegt nicht vor, wenn eine Tat gemäß Abs1 bis 4 den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.

§1b

Kontrolle der Einhaltung

              (1) Die Kontrolle der Einhaltung dieses Abschnitts dieses Landesgesetzes fällt - unbeschadet der §§9 und 10 - in die Zuständigkeit der Gemeinden; die Gemeinden können mit der Kontrolle der Einhaltung

              1. Mitglieder eines in der Gemeinde eingerichteten Gemeindewachkörpers betrauen oder

              2. besondere Aufsichtsorgane bestellen. Die Bestellung kann befristet erfolgen.

              (2) Für die Bestellung der Aufsichtsorgane, das Ende der Bestellung, deren Dienstabzeichen und Dienstausweis sowie dem Schutz dieser gelten §5b bis 5d und §6 Abs3

Oö. Parkgebührengesetz sinngemäß.

              (3) Aufsichtsorgane haben die Befugnis zur Mitwirkung an der Vollziehung dieses Abschnitts durch

              1. Vorbeugemaßnahmen gegen drohende Verwaltungsübertretungen,

              2. Maßnahmen, die für die Einleitung von Verwaltungsstrafverfahren sowie die Sicherung des Strafverfahrens und des Strafvollzugs erforderlich sind, insbesondere die Anhaltung von Personen zum Zweck der Feststellung ihrer Identität und Erstattung von Anzeigen,

              3. die Festnahme von Personen, die sie bei einer Verwaltungsübertretung nach §1a Abs1 bis 4 auf frischer Tat betreten, sofern die übrigen Voraussetzungen des §35 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 vorliegen, aber kein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einschreiten kann. Die festgenommenen Personen sind, wenn der Grund der Festnahme nicht schon vorher entfallen ist, von den Aufsichtsorganen unverzüglich der Behörde vorzuführen oder einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zweck der Vorführung vor die Behörde zu übergeben.

              (4) Aufsichtsorgane haben nach Maßgabe des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 zusätzlich folgende Befugnisse:

              1. Aussprechen von Ermahnungen gemäß §21 Abs2 VStG;

              2. Beschlagnahme von Gegenständen gemäß §39 Abs2

VStG;

              beschlagnahmte Gegenstände sind unverzüglich der Behörde oder zur Übergabe an diese einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu übergeben;

              3. Ausstellung von Organstrafverfügungen gemäß §50 VStG nach Ermächtigung durch die Verwaltungsstrafbehörde.

              Als gelinderes Mittel kommt jeweils die Wegweisung der Person vom öffentlichen Ort in Betracht.

              (5) Die Aufsichtsorgane sind bei der Durchführung der Kontrolle gemäß Abs1 an die Weisungen der zuständigen Gemeindeorgane gebunden. Sie haben alle in Ausübung ihres Amtes gemachten Wahrnehmungen, die ein behördliches Tätigwerden erfordern, der zuständigen Behörde unverzüglich mitzuteilen, unterliegen im Übrigen aber der Amtsverschwiegenheit nach Art20 Abs3 B-VG und sind in Ausübung ihres Dienstes Beamte im Sinn des §74 StGB.

              (6) Bei der Durchführung der Kontrolle gemäß Abs1

haben die Aufsichtsorgane so vorzugehen, dass damit eine möglichst geringe Beeinträchtigung verbunden ist und jedes unnötige Aufsehen tunlichst vermieden wird.

              [...]

§10

Strafbestimmungen

              (1) Verwaltungsübertretungen gemäß den §§1, 1a, 2

Abs3, §2a Abs5 und §3 sind von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Wirkungsbereich einer Bundespolizeidirektion von dieser, bei Übertretungen nach

              a) den §§1 und 3 mit Geldstrafe bis 360 Euro,

              b) §1a Abs1 und Abs3 mit Geldstrafe bis 720 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu einer Woche,

              c) §2a Abs5 mit Geldstrafe bis 7.200 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen,

              d) §1a Abs2 und §2 Abs3 mit Geldstrafe bis

14.500 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen

zu bestrafen.

              [...]

              (5) Als Strafe kommt auch die Erklärung von Geld und geldwerten Sachen, die durch eine Verwaltungsübertretung nach §1a Abs1 bis 3 erworben worden sind, für verfallen in Betracht. "

              2.2. Dazu führen die Mitglieder des Oö. Landtages in ihrem Antrag aus, dass in §517 StG 1852 (Anm: Strafgesetz 1852, RGBl. 117) die Bettelei ursprünglich als Übertretung gegen die öffentliche Sittlichkeit gesehen worden sei, sie heute jedoch nicht als unsittlich, sondern als eine unter dem Schutz des Art8 EMRK stehende frei gewählte Lebensform gelte, die auch in der Öffentlichkeit gezeigt und gelebt werden dürfe. Nicht unter diesem Schutz stehe das aufdringliche und aggressive Betteln und es sei legitime Aufgabe der Gesetzgebung durch aufdringliches und aggressives Verhalten belästigte, bedrängte und beängstigte Menschen zu schützen. Diese Aufgabe komme nach der Kompetenzordnung der Bundesverfassung (Art10 Abs1 Z7 B-VG) jedoch dem Bundesgesetzgeber zu. Der Bundesgesetzgeber habe aufdringliches und aggressives Verhalten in der Öffentlichkeit insbesondere durch §81 Abs1 und §82 Abs1 Sicherheitspolizeigesetz 1991, BGBl. 566, idgF (im Folgenden: SPG) unter Verwaltungsstrafe gestellt. Aufdringliches und aggressives Betteln sei ein "besonders rücksichtsloses Verhalten", störe die "öffentliche Ordnung" und sei nach §81 Abs1 SPG mit den sich an diesen Paragraphen knüpfenden Sanktionen verboten. Die für die Novelle LGBl. 36/2011 des Oö. Polizeistrafgesetzes Beschluss fassende Mehrheit des Oö. Landtages habe jedoch §§81, 82 SPG außer Acht gelassen und die Kompetenz zum Erlass von Beschränkungen der aufdringlichen und aggressiven Bettelei auf die örtliche Sicherheitspolizei (Art15 Abs2 B-VG iVm Art10 Abs1 Z7 B-VG und Art118 Abs3 Z3 B-VG) gestützt. Solche Betteleibeschränkungen würden aber nicht in die örtliche Sicherheitspolizei, sondern in die allgemeine Sicherheitspolizei fallen.

              Der Landesgesetzgeber - so die antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages - habe mit den Neuregelungen die "Belästigten, Bedrängten und Beängstigten" schützen wollen.

              Wörtlich führen sie weiters aus:

              "Der VfGH hob bereits in VSlg 11195 §3a Sbg.Landes-Polizeistrafgesetz, das die Landstreicherei unter Verwaltungsstrafe stellte, als kompetenzwidrig auf, weil Verwaltungsstraftatbestände gegen die Landstreicherei in die allgemeine Sicherheitspolizei, nicht in die örtliche Sicherheitspolizei fallen.

              Schon immer ging die Justiz davon aus, dass 'Betteln

und Landstreicherei ihrem Wesen nach eng verwandt' sind und

'zumeist Hand in Hand gehen' (OGH SSt.XXV 26, JBl 1954

S. 407). Der Justizausschuss führte zum

Strafrechtsanpassungsgesetz 1974, BGBl Nr 422/1974, das

insbesondere justizstrafrechtliche Bestimmungen im

Zusammenhang mit der Landstreicherei aufhob, - auch in

Kenntnis der bereits beschlossenen B-VG-Novelle 1974, BGBl

Nr 444/1974, welche die Abgrenzung der örtlichen zur

allgemeinen Sicherheitspolizei in Art15 Abs2 B-VG neu wertete

- ausdrücklich aus, 'dass ... die gesamte Materie in Hinkunft

unter Bedachtnahme ... auf sicherheitspolizeiliche

Gesichtspunkte durch Bundesgesetz geregelt werden' wird (1236 BlgNR XIII.GP).

              Der VfGH begründete in VfSlg 11195 die Aufhebung des

der allgemeinen Sicherheitspolizei zugehörigen

Verwaltungsstraftatbestands der Landstreicherei im

Sbg.Landes-Polizeistrafgesetz wie folgt: 'Schon rein

begrifflich handelt es sich bei der Abwehr (allgemeiner)

Gefahren, die von Personen ausgehen, die weder einen

bestimmten Wohnsitz noch die Mittel für ihren Unterhalt

besitzen, und weder ein Gewerbe noch einen Beruf gewerbsmäßig

ausüben, um eine Angelegenheit, die nicht im ausschließlichen

oder überwiegenden Interesse einer ... Gemeinde ... gelegen

sein kann. Gleichgültig, ob man die Zielsetzung des

Regelungsgegenstandes in der Hintanhaltung kriminogener

Einflüsse oder anderer die Sicherheit und Ordnung betreffender

Umstände erblickt, handelt es sich jedenfalls nicht um eine

bloße Wahrung des öffentlichen Anstandes. Die beabsichtigte

Gefahrenabwehr hat den Schutz von allgemeine Bedeutung

besitzenden und nicht nur den örtlichen Verhältnissen

zuzuordnenden Rechtsgütern zum Ziel, deren Beeinträchtigung

mit den lokalen Verhältnissen offenkundig weder in sachlicher

noch in persönlicher Hinsicht notwendig verknüpft ist ...

Dafür spricht nicht zuletzt ..., dass es sich bei der Landstreicherei um ein Problem handelt, das europaweit besteht. Auch wenn die Landstreicherei tatsächlich nur in bestimmten Gemeinden (Städten) in Erscheinung treten sollte, ist dieser Umstand für die Zuordnung der Materie Landstreicherei zur allgemeinen Sicherheitspolizei ohne Bedeutung. Falls der - zuständige - (Bundes-)Gesetzgeber es nicht für erforderlich erachten sollte, eine gesetzliche Regelung zu treffen, so ist dies ebenfalls unmaßgeblich. Kompetenzmäßig entscheidend ist, dass es sich beim Regelungsgegenstand um eine Angelegenheit handelt, die der örtlichen Sicherheitspolizei nicht zugezählt werden kann'.

              Im Erkenntnis VfSlg 11195 ließ der VfGH die Frage der Zuordnung der Bettelei zur örtlichen Sicherheitspolizei oder zur Sittlichkeitspolizei nach Art118 Abs3 Z8 B-VG mangels Relevanz für den zu entscheidenden Fall ausdrücklich offen. Aber alle Argumente, mit denen der VfGH die Kompetenzwidrigkeit verwaltungsstrafrechtlicher Regelungen des Landes gegen die Landstreicherei begründete, treffen in gleicher Weise für die Bettelei, insbesondere für die aufdringliche oder aggressive Bettelei, zu. Auch hier geht es um die Abwehr von allgemeinen Gefahren, die von Personen ausgehen, die etwa die Mittel für ihren Unterhalt nicht besitzen. Die Gefahrenabwehr hat den Schutz von allgemeine Bedeutung besitzenden und nicht nur den örtlichen Verhältnissen zuzuordnenden Rechtsgütern zum Ziel, deren Beeinträchtigung mit den lokalen Verhältnissen weder in sachlicher noch in persönlicher Hinsicht notwendig verknüpft ist. Das Phänomen der Bettelei besteht europaweit. Auch wenn es tatsächlich nur in bestimmten Gemeinden (Städten) in Erscheinung treten sollte, ist damit der spezifisch örtliche Bezug nicht gegeben. Dass der zuständige Bundesgesetzgeber keine Regelung gegen die Bettelei - was für die aufdringliche oder aggressive Bettelei im Hinblick auf §81 Abs1 SPG im Übrigen nicht stimmt - erlassen hat, ist kompetenzrechtlich unmaßgeblich.

              3. Diese kompetenzrechtlichen Überlegungen gelten

nicht nur für den Grundtatbestand des §1a Oö.PolStrG, der sich gegen das aufdringliche und aggressive Betteln richtet, sondern auch für die besonderen Formen des aufdringlichen und aggressiven Betteln[s], die im Weiteren in §1a Oö.PolStrG genannt sind. Also das Herumziehen von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus, um 'so' zu betteln, Beteiligung in einer organisierten Gruppe, um 'in dieser Weise' zu betteln (§1a Abs1 Oö.PolStrG); Veranlassung zum Betteln 'im Sinn des Abs1', Organisieren eines 'solchen Bettelns' (§1a Abs1 Oö.PolStrG); Mitführen einer unmündigen minderjährigen Person beim Betteln 'im Sinn des Abs1' (§1a Abs3 Oö.PolStrG)." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen).

              Neben kompetenzrechtlichen Bedenken werden zur Begründung der Aufhebung des §1a, der Textfolge "1a" in §10 Abs1 sowie des §10 Abs1 litb, sowie der Textfolge "§1a Abs2 und" in §10 Abs1 litd, sowie des §10 Abs5 zur Gänze auch ein Verstoß gegen das Bestimmtheits- und gegen das Übermaßverbot geltend gemacht und ein Verstoß gegen den "Gemeindeamts-, Stadtamts-, Magistratsvorbehalt" gerügt; des Weiteren wird vorgebracht, dass Festnahmen sowie Identitätsfeststellungen nur durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgen dürften. Zur Untermauerung ihrer Auffassung haben die antragstellenden Mitglieder des Oö. Landtages die in ihrem Antrag zitierten Rechtsgutachten beigelegt.

              Diese Bedenken formulieren sie wie folgt:

              "B. Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot [Antrag a]

              Gemäß Art18 Abs1 B-VG und Art7 Abs1 EMRK gilt insbesondere für das Verwaltungsstrafrecht ein Bestimmtheitsgebot. Die Verfassung verlangt eine klare Umschreibung des Tatbilds im Gesetz. Der Gesetzestext enthält in §1a Abs1 bis 3 Oö.PolStrG ein Sammelsurium von verschiedenen Aspekten des aufdringlichen und aggressiven Bettelns, das in Widerspruch zu der in den Erläuterungen vorgegebenen Intention steht, nur die Spitze des Bettelverhaltens, in denen Grenzen gegenüber dem Angebettelten überschritten werden, unter Strafe stellen zu wollen. Nach den Tatbildern des §1a Abs1 bis 3 Oö.PolStrG ist für niemanden die Grenze präzise absehbar, wann Bettelverhalten strafbar ist und wann nicht. Ein zunächst ruhiger Bettler, der auf eine Beschimpfung durch den Angebettelten mit einer Gegen-Beschimpfung angemessen reagiert, könnte schon strafbar sein. Auch ein Bettler, der jemanden anspricht und ihm einige[] Schritte nachgeht, um seine Bitte zu wiederholen, könnte schon strafbar sein, insbesondere weil der Gesetzestext während des Begleitens ein aggressives Verhalten nicht als Voraussetzung für die Strafbarkeit verlangt. Die bezüglichen Ausführungen im beiliegenden Gutachten Alois Birklbauer vom März 2011, Punkt 2, Verbot bestimmter Formen von Bettelei, S 3ff, werden zur Vermeidung von Weitläufigkeiten in diesen Schriftsatz inkludiert. Die Grenze zwischen erlaubtem und nicht erlaubtem Betteln wird vollends durch §1a Abs4 Oö.PolStrG verwischt, der unbeschadet aller unklarer Abgrenzungen in den Tatbildern auch noch den Versuch unter Strafe stellt. Funk, vgl das beiliegende Rechtsgutachten Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle 2011 - Bettelverbot, S 3, bezeichnet die Formulierungen des Gesetzestextes als 'schwerwiegende legislative Fehlleistung'. Zur Vermeidung von Weitläufigkeiten werden die bezüglichen Ausführungen im beiliegenden Gutachten in diesen Schriftsatz inkludiert. Birklbauer [bezeichnet] im genannten Gutachten S 6 [...] die Formulierung des Gesetzes als eine 'Einladung zu einer unsachlichen bzw willkürlichen Gesetzesanwendung'.

              C. Verstoß gegen das Übermaßverbot [Antrag a, b]

              Verwaltungsstraftatbestände des aufdringlichen und aggressiven Bettelns, wie sie §1a Oö.PolStrG formuliert, sind nach dem beiliegenden Rechtsgutachten Funk,

Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle 2011 - Bettelverbot, S 2 ff, unverhältnismäßige und verfassungswidrige Beschränkungen der Grundrechte der Achtung des Privatlebens (Art10 EMRK) [gemeint wohl: Art8 EMRK], der Erwerbsfreiheit (Art6 StGG), des Verbots erniedrigender Behandlung (Art3 EMRK) und des Gleichheitssatzes (Art7 B-VG, Art14 EMRK). Die gravierenden Strafdrohungen, verbunden mit den Möglichkeiten unmittelbaren Zwangs zur Sicherstellung von Sachen und zu Eingriffen in die persönliche Freiheit steh[en] zu den Schutzgütern, abzuwehrenden Gefahren, Vollzugsinstrumenten und Rechtsbeeinträchtigungen in einem Missverhältnis. Es ist zu erwarten, dass die Drohung mit der Anwendung von Zwangsmitteln und Sanktionen dazu führt, dass auch gesetzlich erlaubte Formen des Bettelns unterbunden werden, was auch der Sinn der Regelungen sein dürfte. Das Gesetz enthält geradezu eine Einladung zu einem Vorgehen, welches dem Übermaßverbot nicht entspricht.

              Dem vorprogrammierten Übermaß des Eingreifens steht ein auffallendes Untermaß bei den gesetzlichen Eignungserfordernissen der zur Gesetzesanwendung zugelassenen besonderen Aufsichtsorgane gegenüber. Die weitreichenden Eingriffsbefugnisse dieser Organe, deren Tätigkeit ein hohes Maß an Professionalität zur Sicherung eines rechtskonformen Vorgehens erfordert, haben keine Entsprechung in den Anforderungen an die Schulung und Ausbildung. Der Verweis auf die Bestellungsmodalitäten des Oö. Parkgebührengesetzes wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

              D. Gemeindeamts-, Stadtamts-, Magistratsvorbehalt

[Antrag b]

              1. Die Vollziehung der Landesmaterie der örtlichen Sicherheitspolizei, damit auch das Oö.PolStrG, obliegt gemäß Art118 Abs3 Z3 B-VG und §11 Abs2 Oö.PolStrG den Gemeinden im eigenen Wirkungsbereich. Im Rahmen der Gemeindeorganisation können Gemeindewachkörper als Organe der öffentlichen Sicherheit eingerichtet sein. Gemäß §9 OöPolStrG haben die Organe der Bundespolizei im Bereich des Verwaltungsstrafrechts durch Vorbeugemaßnahmen gegen drohende Verwaltungsübertretungen, Maßnahmen für die Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren und Anzeigepflichten mitzuwirken.

              2. Die Organisation der Gemeinden ist unter Bindung an die bundesverfassungsgesetzlichen Vorgaben Sache des Landesgesetzgebers. Eine Bindung gibt Art117 Abs7 B-VG vor:

'Die Geschäfte der Gemeinden werden durch das Gemeindeamt (Stadtamt), jene der Städte mit eigenem Statut durch den Magistrat besorgt. Zum Leiter des inneren Dienstes des Magistrates ist ein rechtskundiger Verwaltungsbeamter als Magistratsdirektor zu bestellen'. Alle Aufgaben der Gemeinde stehen unter diesem Amtsvorbehalt. Der Landesgesetzgeber darf daher amtliche Vollziehungsaufgaben nicht außerhalb des Gemeindeamts, Stadtamts und Magistrats organisieren. Das schließt nicht in das Gemeindeamt, Stadtamt, oder in den Magistrat eingebundene mit amtlichen Vollziehungsaufgaben des eigenen Wirkungsbereichs betraute Organe aus. Und das hat einen guten Grund. Mit der Eingliederung in das Amt ist sichergestellt, dass alle Gemeindeaufgaben unter einheitlicher Leitung auf einer rechtlich gesicherten Basis wahrgenommen werden. Für Magistrate verlangt Art117 Abs7 B-VG in diesem Sinn ausdrücklich einen 'rechtskundigen Verwaltungsbeamten' als Magistratsdirektor.

              3. Gegen Art117 Abs7 B-VG verstößt §1b Oö.PolStrG in den im Antrag b genannten Punkten. Für die Kontrolle der Einhaltung der 'Wahrung des öffentlichen Anstands' (§1 Oö.PolStrG) und der 'Bettelei' (§1a Oö.PolStrG) können die Gemeinden nach §1b Abs1 Z2 Oö.PolStrG Aufsichtsorgane bestellen. Das sind Privatpersonen, die zwar die Gemeinde bestellt, die aber nicht in das Amt eingegliedert sind. Daran ändert nichts, wenn §1a Oö. PolStrG die Aufsichtsorgane an die Weisungen der zuständigen Gemeindeorgane bindet und der Amtsverschwiegenheit unterwirft.

              Bei den Aufgaben der Aufsichtsorgane handelt es sich um massive bis zum Eingriff in die persönliche Freiheit reichende Zuständigkeiten. Bei diesen Aufgaben geht es nicht bloß um innerorganisatorische Vorkehrungen, die der VfGH für ausgliederungsfähig hält (VfSlg 8844). §1b Oö.PolStrG verstößt daher gegen den Gemeindeamts-, Stadtamts- und Magistratsvorbehalt des Art117 Abs7 B-VG.

              E. Festnahme nur durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts [Antrag b1, b3]

              1. Gemäß §35 VStG dürfen nur Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Dienste des Verwaltungsstrafrechts Personen festnehmen. Mit dem VStG hat der Bundesgesetzgeber von der Bedarfskompetenz des Art11 Abs2 B-VG Gebrauch gemacht, mit der Wirkung, dass von Verfassungs wegen der Bundes- und die Landesgesetzgeber 'abweichende Regelungen' nur erlassen dürfen, 'wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind'.

              2. §1b Abs3 Z3 Oö.PolStrG erlaubt - abweichend von §35 VStG - den kommunalen Aufsichtsorganen, Festnahmen wegen Anstandsverletzungen und Betteleien vorzunehmen. Warum sollte es erforderlich sein, dass im Bereich der örtlichen Sicherheitspolizei zusätzlich zu den Kompetenzen der Polizeiorgane private Aufsichtsorgane Festnahmen durchführen, wenn es allgemein, insbesondere in der allgemeinen Sicherheitspolizei, solche Festnahmerechte durch private Aufsichtsorgane nicht gibt? Weder der Initiativantrag der Abgeordneten, welche die gegenständliche Novelle des Oö.PolStrG initiierten (Blg 225/2011 LT XXVII.GP) noch der Bericht des Ausschusses für allgemeine innere Angelegenheiten (Blg LT 317/2011 XXVII.GP) sagen dazu etwas. Eine nachvollziehbare Begründung findet sich nirgends.

              3. Nicht zu vergleichen mit §1b Oö.PolStrG ist etwa §30 Eisenbahngesetz 1957, BGBl Nr 60/1957 idgF, der Eisenbahnaufsichtsorgane einsetzt und diesen in Abs3 auch die Festnahme erlaubt. Eisenbahnaufsichtsorgane sind Bedienstete von Eisenbahnunternehmen, sie haben besondere Schutzaufgaben. Sie schützen Eisenbahnanlagen und den Verkehr in Schienenfahrzeugen, wo Sicherheitsorgane nicht immer präsent sein können. Das rechtfertigt eine Abweichung von §35 VStG. Bei der Anstandsverletzung und der Bettelei ist eine solche spezifische Schutzaufgabe nicht zu erkennen.

              Soweit die Oö.PolStrG-Novelle 2011 selbst in §1b Abs2 Oö.PolStrG auf das der Finanzverfassung unterliegende Oö.Parkgebührengesetz verweist, so ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber bei der Einräumung besonderer Befugnisse für die Parküberwachungsorgane ausdrücklich auf die Beschränkung der Befugnisse hinwies. 'Ausdrücklich anzumerken bleibt, dass eine Befugnis zur Festnahme von Personen, auch wenn diese auf frischer Tat betreten werden, den Aufsichtsorganen nicht zukommt' (Blg 132/1992 LT XXIV.GP). Im Hinblick auf die Verfassungsbestimmung des §7 Abs6 F-VG idF BGBl I Nr 103/2007, der 'das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und der Gemeinden verwalteten Abgaben' nunmehr ausschließlich und ohne Möglichkeit der Abweichung dem Bund übertrug, muss vielleicht auch das O.ö.Parkgebührengesetz neu überdacht werden.

              F. Identitätsfeststellung nur durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts [Antrag b2, b3]

              §35 VStG impliziert in Z1 mittelbar das Recht der Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts zur Identitätsfeststellung. Nach VStG ist die Anhaltung zur Identitätsfeststellung nur im Zusammenhang mit §35 VStG erlaubt. Also bei Betreten auf frischer (Verwaltungsstraf)Tat zur Vermeidung einer Festnahme. Eine Befugnis zur vom Betreten auf frischer Tat unabhängigen Identitätsfeststellung kennt das VStG nicht.

              Die Bestimmung in §1b Abs3 Z2 Oö.PolStrG, die insbesondere die 'Anhaltung von Personen zum. Zweck der Feststellung ihrer Identität' erlaubt, ist eine Abweichung von §35 VStG, deren Erforderlichkeit nach Art11 Abs2 B-VG zu rechtfertigen ist. In den Materialien fehlt dazu jede nachvollziehbare Begründung, warum nach dem Oö.PolStrG eine Anhaltung von Personen zulässig sein sollte, auch wenn die Aufsichtsorgane die betroffenen Person gar nicht auf frischer Tat betreten haben, sondern etwa Informationen von irgendwelchen anderen Personen erhalten haben sollten." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen).

              3. Die Oö. Landesregierung erstattete eine Äußerung zu dem Antrag, in der sie zunächst das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen bestreitet, weil zum einen das Antragsvorbringen in Antragsteil a. zu eng gefasst und zum anderen die angeführten Gesetzesbestimmungen in den Eventualantragsteilen b2. und b3. falsch wiedergegeben seien.

              3.1. Inhaltlich tritt die Landesregierung den von den antragstellenden Mitgliedern des Oö. Landtages vorgebrachten kompetenzrechtlichen Bedenken - auszugsweise - wie folgt entgegen:

              "Der Oö Polizeistrafgesetz-Novelle 2011, LGBI.

Nr. 36[...], gingen mehrere Schreiben des Oö. Gemeindebunds, zahlreiche Resolutionen der jeweiligen Gemeinderäte sowie ein Initiativantrag voraus. Die Resolutionen [...] waren alle mit dem Ersuchen um Novellierung des Oö. Polizeistrafgesetzes dahingehend verbunden, dass Betteln in aggressiver und aufdringlicher Weise, Betteln als Beteiligter einer organisierten Gruppe sowie Betteln mit oder durch Minderjährige sowohl auf öffentlichen Plätzen als auch von Haus zu Haus verboten werden. Begründend wurde ausgeführt, dass die Bevölkerung diese Formen der Bettelei als Belästigung und beängstigend empfindet. Insgesamt würde das Bettlerunwesen großen Unmut bei der Bevölkerung erzeugen. Alle Resolutionen wurden vom Petitions- und Rechtsbereinigungsausschuss des Oö. Landtags dem Ausschuss für allgemeine innere Angelegenheiten zur weiteren Beratung zugewiesen. Auch die Schreiben des Oö. Gemeindebunds und der Initiativantrag selbst wiesen den Resolutionen vergleichbare 'Forderungen' und Inhalte auf. Die Betteleibestimmungen wurden insofern nicht unter dem Aspekt der Anstandswahrung oder der Sittlichkeit, sondern unter den - gleichfalls unter die örtliche Sicherheitspolizei fallenden - Aspekten der Abwehr allgemeiner Gefahren für die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung getroffen. Dieser Schutzzweck schließt jedoch - im Gegensatz zu der von den Antragstellern vertretenen Rechtsansicht - den Anwendungsbereich der örtlichen Sicherheitspolizei nicht aus. Vielmehr stehen auch bei den - unter den Kompetenztatbestand der örtlichen Sicherheitspolizei fallenden - gesetzlichen Bestimmungen der Länder zum Lärmschutz, zur Hundehaltung sowie zur Haltung von (gefährlichen) Tieren, die Abwehr allgemeiner Gefahren für die öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung und somit der Schutz der Allgemeinheit im Vordergrund. Ähnlich verhält es sich bei ortspolizeilichen Verordnungen, welche die Gemeinde gemäß Art118 Abs6 B-VG in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs zur Abwehr unmittelbar zu erwartender oder zur Beseitigung bestehender, das örtliche Gemeinschaftsleben störender Missstände zu erlassen hat.

              Zu der von den Antragstellern vorgeschlagenen Heranziehung der §§81 f SPG ist Folgendes zu sagen: §81 Abs1 SPG zufolge begeht eine Verwaltungsübertretung, wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört. Tatbildlich ist demnach jedes menschliche Verhalten, das als besonders rücksichtslos qualifiziert wird. Die besondere Rücksichtslosigkeit ist oft nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. dazu die bei Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, Kommentar4 [2011] §81 SPG, S 773 f, angeführten Anschauungsbeispiele). Zudem muss die Ordnung an einem öffentlichen Ort ungerechtfertigt gestört werden (Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, Kommentar4 [2011] §81 SPG, S 776).

§82 SPG bezieht sich auf aggressives Verhalten gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber Militärwachen. Die §§81 f SPG erfüllen jedoch nicht die vom Landesgesetzgeber mit der Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle 2011 verfolgten Zwecke, wonach aufdringliches oder aggressives Betteln, alle Formen des organisierten Bettelns sowie der Einsatz von unmündigen Minderjährigen zum Betteln als Verwaltungsübertretung qualifiziert und unter Strafe gestellt werden. Es ist anzunehmen, dass durch diese in §1a Oö. PolStG aufgezählten Formen des Bettelns die Tatbestandselemente des §81 Abs1 SPG (besondere Rücksichtslosigkeit, ungerechtfertigte Störung der öffentlichen Ordnung) meistens nicht erfüllt werden (mit anderen Worten 'niederschwelliger' sind). Die Normierung bestimmter Bettelverbote im Oö. Polizeistrafgesetz ist zur Wahrung öffentlicher Interessen, insbesondere zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erforderlich [...].

              Zur Beurteilung der zentralen Frage, jener der Abgrenzung zwischen örtlicher Sicherheitspolizei und allgemeiner Sicherheitspolizei, ist entscheidend, 'ob es um jenen Teil der Sicherheitspolizei geht, der das Interesse der Gemeinde zunächst berührt, ob also räumliche Grundlage des geschützten Interesses nur das Gemeindegebiet oder ein Teil davon ist und ob die Gemeinde innerhalb ihrer Grenzen durch eigene Kräfte besorgen kann' (Stolzlechner unter Verweis auf VfSlg. 9653/1983, Art118 B-VG, Rz. 5, in Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht,

3. Lfg. [2004]). Damit eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde vorliegt, genügt es, dass die Angelegenheit im überwiegenden Interesse der örtlichen Gemeinschaft gelegen ist; das Vorhandensein überörtlicher Interessen nimmt einer Angelegenheit nicht jene Merkmale, die für ihre Zuordnung zum eigenen Wirkungsbereich wesentlich sind. Erst wenn überörtliche Interessen überwiegen, liegt eine staatliche Verwaltungsaufgabe vor (Stolzlechner, Art118 B-VG, Rz. 5, in Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 3. Lfg. [2004]).

              Wendet man nun die für den eigenen Wirkungsbereich maßgeblichen Kriterien des 'Interesses' und der 'Eignung' auf das 'Bettelwesen' an, so ergibt sich, dass diese Angelegenheit dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde und somit dem Kompetenztatbestand der örtlichen Sicherheitspolizei zugeordnet werden kann und soll. Wie im Allgemeinen Teil der Erläuterungen zur Polizeistrafgesetz-Novelle 2011 unter dem Punkt 'Anlass und Inhalt des Gesetzentwurfs' ausgeführt, tritt Bettelei in Oberösterreich in unterschiedlichen Formen und in unterschiedlicher Intensität auf. So fühlen sich Personen im städtischen Bereich (konkret in den Ballungsräumen Linz, Wels und Steyr) insbesondere durch aufdringliches Betteln an öffentlichen Orten, jene im ländlichen Bereich überwiegend durch das Betteln von Haus zu Haus belästigt. Auf Grundlage der daraufhin erfolgten gesetzlichen Regelung der Bettelei auf Landesebene, können die Gemeinden nun gegen die in ihrem jeweiligen örtlichen Wirkungsbereich auftretenden Erscheinungsformen der Bettelei vorgehen. Die Tatsache, dass vielerorts, ja sogar europaweit gebettelt wird, ändert nicht[s] daran, dass es sich bei der Bettelei um eine Angelegenheit handelt, die zunächst das Gemeindeinteresse betrifft und somit (zumindest) im überwiegenden Interesse der Ortsgemeinschaft gelegen ist. Das 'Bettelwesen' eignet sich auch dazu, von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich besorgt zu werden, zumal eine entsprechende Mitwirkung von Bundesorganen in §9 Oö. PolStG vorgesehen ist und die Gemeinde zusätzlich Gemeindewachkörper oder besondere Aufsichtsorgane mit der Kontrolle der in §1a Oö. PolStG normierten Bettelverbote betrauen kann (vgl. §1b Abs1 Oö. PolStG). Auch aus den unter Punkt 1.2.1. dargestellten Regelungsinhalten der allgemeinen und der örtlichen Sicherheitspolizei ergibt sich eine Zuordnung der Bettelmaterie zur örtlichen Sicherheitspolizei.

              Zur Untermauerung der behaupteten Kompetenzwidrigkeit vergleichen die Antragsteller die Bettelei mit der Landstreicherei; alle Argumente, mit denen der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 11195/1986 die Kompetenzwidrigkeit verwaltungsstrafrechtlicher Regelungen des Landes gegen die Landstreicherei begründete, würden in gleicher Weise für die (aggressive und aufdringliche) Bettelei zutreffen.

              Diese Rechtsansicht wird nicht geteilt. Der Landstreicherei sind - im Gegensatz zur Bettelei - das Umherziehen, das Vagabundieren und somit die Überörtlichkeit immanent. Die in §1a Oö. PolStG als Verwaltungsübertretung normierten Betteltatbestände verfolgen das Ziel, gegen aggressives oder aufdringliches Betteln, Betteln mit Kindern sowie das Veranlassen oder Organisieren von Betteln vorzugehen. Dem Element des Umherziehens kommt dabei keine eigenständige rechtliche Bedeutung zu. Selbst das Betteln von Ort zu Ort, welches einen überörtlichen Aspekt aufweist, ist nur strafbar, wenn es in aufdringlicher oder aggressiver Weise erfolgt. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich sowohl die Erscheinungsformen der Landstreicherei und der Bettelei als auch deren rechtliche Beurteilung stets ändern. So ist beispielsweise die Landstreicherei im Hinblick auf das allen Unionsbürgern und ihren Angehörigen in den EU-Mitgliedstaaten zustehende allgemeine Aufenthalts- und Freizügigkeitsrecht neu zu definieren.

              Auch Oberndorfer hat zur Abgrenzung zwischen der örtlichen und der allgemeinen Sicherheitspolizei unter Anwendung der konkreten Beispiele der Landstreicherei und der Bettelei Folgendes ausgeführt: 'Auch die 'Landstreicherei' ist keine Angelegenheit der örtlichen Sicherheitspolizei (VfSIg. 11.195/1986), wohl aber kann die 'Bettelei' im Rahmen der örtlichen Sicherheitspolizei bekämpft werden, sofern sie nicht über den örtlichen Rahmen hinausgreift und wegen ihrer aggressiven Form einen zu bekämpfenden Missstand bildet.'

(Oberndorfer, Teil 1, Rz. 101: Allgemeine Bestimmungen in Klug/Oberndorfer/Wolny [Hrsg.], Das österreichische Gemeinderecht [2008]; Steiner, Teil 9, Rz. 52: Rechtsstellung und Aufgaben der Gemeindeorgane in Klug/Oberndorfer/Wolny [Hrsg.], das österreichische Gemeinderecht [2008])." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

              3.2. In weiterer Folge verteidigt die Landesregierung die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen betreffend Bettelei in ihrer Äußerung und tritt dabei ausführlich den vorgebrachten Bedenken im Einzelnen entgegen. So heißt es etwa zum aufgeworfenen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot auszugsweise:

              "2.2.3. Das Oö. Polizeistrafgesetz qualifiziert aufdringliches oder aggressives Betteln sowohl an öffentlichen Orten (§1a Abs1 erste Alternative) als auch im Umherziehen (§1a Abs1 zweite Alternative), das Betteln im Rahmen einer organisierten Gruppe sowohl an öffentlichen Orten als auch im Umherziehen (§1a Abs1 dritte Alternative), das Veranlassen anderer zum Betteln (§1a Abs2 erste Alternative), das Organisieren von Betteln (§1a Abs2 zweite Alternative) sowie das Mitführen von Minderjährigen beim Betteln (§1a Abs3) als Verwaltungsübertretung.

              2.2.4. Im Gutachten Birklbauer wird auf Seite 3 ausgeführt, dass die - trotz Anführung von Beispielen - sehr unbestimmten Begriffe 'aufdringlich' und 'aggressiv' schwer handhabbar sind und zur Willkür einladen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass im Sinn der zuvor angeführten Judikatur des Verfassungsgerichtshofs die Verwendung von unbestimmten Begriffen per se zulässig ist. Vielmehr ist die Verwendung unbestimmter Begriffe der Legistik immanent (versucht man doch durch den Einsatz abstrakter Begriffe unterschiedliche konkrete Sachverhalte zu erfassen) und kann keinesfalls zur Gänze vermieden werden. Der Landesgesetzgeber hat zudem nicht nur in den Erläuterungen, sondern im Gesetzestext selbst Beispiele für aufdringliches und aggressives Betteln angeführt, wodurch Inhalt und Umfang der Gesetzesbegriffe verdeutlicht werden sollen. Folglich lautet §1a Abs1 Oö. PolStG auszugsweise: 'Wer in aufdringlicher und aggressiver Weise, wie durch Anfassen oder unaufgefordertes Begleiten oder Beschimpfen, um Geld oder geldwerte Sachen an einem öffentlichen Ort bettelt ...'[.] Gerade durch die angeführten Beispiele 'Anfassen', 'unaufgefordertes Begleiten' oder 'Beschimpfen' sind sowohl für die das Polizeistrafgesetz vollziehenden Organe als auch für die Normadressaten jene Verhaltensweisen erkennbar, die der Landesgesetzgeber im Zusammenhang mit der Ausübung von aufdringlicher oder aggressiver Bettelei als Verwaltungsübertretung normieren wollte. Das in §1a Abs1 Oö. PolStG enthaltene Verbot aufdringlichen oder aggressiven Bettelns ist - samt seiner beispielhaften Konkretisierung - insbesondere auch hinsichtlich der Abgrenzung zu einem generellen Bettelverbot [] erforderlich. Schließlich liegt bei den Begriffen 'aufdringlich' und 'aggressiv' keine Gegensätzlichkeit vor, die zu einer verfassungswidrigen Unbestimmtheit führen könnte.

              Birklbauer weist in seinem Gutachten (S 3) darauf

hin, dass durch 'allzu aggressives Betteln' schon derzeit gerichtliche Straftatbestände erfüllt werden können. Die dazu angeführten Straftatbestände der gefährlichen Drohung (§107 StGB), der Nötigung (§105 StGB) und der Erpressung (§144 StGB) gehen jedoch weit über die Zielsetzung der Oö. Polizeistrafgesetz-Novelle 2011, durch die Normierung bestimmter Verwaltungsstraftatbestände gewissen von der Bevölkerung unerwünschten Formen der Bettelei entgegenzuwirken, hinaus (vgl. dazu AB 317/2011 BlgLT XXVII. GP, S 1). Auch ein Vergleich mit seinen sonstigen Regelungsinhalten zeigt, dass das Oö. Polizeistrafgesetz zur Verankerung spezifischer Bettelverbote samt damit einhergehender Strafbestimmungen geeignet und zweckmäßig ist.

              Betreffend den auf Seite 4 des Gutachtens Birklbauer enthaltenen Formulierungsvorschlag, dem zufolge nur 'inständiges' Betteln beim Begleiten strafbar sein soll, ist nicht nachvollziehbar, inwieweit die Verwendung des Begriffs 'inständig' dem behaupteten Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot abhelfen könnte. Das Anführen der zweiten Alternative des §1a Abs1 Oö. PolStG (vgl. dazu das Gutachten Birklbauer, S 4) ist insofern erforderlich, als die erste Alternative lediglich aufdringliches oder aggressives Betteln an einem öffentlichen Ort, die zweite Alternative jedoch derartiges Betteln im Umherziehen (von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus) umfasst, welches oftmals auf Privatgrundstücken (und somit nicht an öffentlichen Orten) ausgeübt wird. Zu den Ausführungen auf Seite 5 des Gutachtens Birklbauer wird klargestellt, dass bei der dritten Alternative von §1a Abs1 Oö.PolStG die Beteiligung an einer organisierten Gruppe das zentrale Tatbestandselement ist und nicht die Art des Bettelns (aufdringlich oder aggressiv). Die auf Seite 5 des Gutachtens Birklbauer zu §1a Abs2 Oö. PolStG entworfene Konstruktion, dass auch ein Vermieter, der seinen mittellosen Mieter auf die Straße setzt diesen zum Betteln veranlasst und daher strafbar ist, entspricht nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

              3.3. Zum Verstoß gegen das "Übermaßverbot" wird eine Darstellung der Oö. Landtagsdirektion vom 22. November 2010, L-219/3-XXVII-Mar, wiedergegeben, in welcher anlässlich der im Initiativantrag 225/2010 BlgLT XXVII. GP beantragten Erweiterung des Oö. Polizeistrafgesetzes um ein Bettelverbot eine Abgrenzung zwischen dem Oö. Sammlungsgesetz und der Bettelei erörtert wurde. Wörtlich heißt es dazu:

              "Gemäß §1 Abs1 Oö. Sammlungsgesetz 1996 gilt als

Sammlung die persönliche Aufforderung an eine Mehrheit von Personen zur Hingabe von Geld, wenn keine oder eine unverhältnismäßig geringfügige Gegenleistung in Aussicht gestellt wird und die Aufforderung in Form einer Haussammlung oder Straßensammlung erfolgt. [...] Einer reinen Wortinterpretation des §1 Abs1 Oö. Sammlungsgesetz 1996 (insbesondere der Passage 'persönliche Aufforderung an eine Mehrheit von Personen zur Hingabe von Geld') zufolge, würde auch das 'Betteln' den Sammlungsbegriff erfüllen. Die Interpretation der Worte hat jedoch gemäß den in §6 ABGB enthaltenen allgemeinen Auslegungsregeln in ihrem Zusammenhang und nach der klaren Absicht des Gesetzgebers zu erfolgen. Damit ist nicht nur der sprachliche Zusammenhang gemeint, sondern der Zusammenhang aller Sätze des Gesetzes und der Wille des (historischen) Gesetzgebers, der wiederum Schlüsse auf den Gesetzeszweck (Telos) zulässt (vgl. dazu Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts8 (1996), Rz 131). Schon eine nähere Betrachtung von §2 Oö. Sammlungsgesetz 1996, wo von einem Veranstalter, einem Sammlungszweck, einer Sammlungsform, einem Sammlungszeitraum und einem Sammlungsort gesprochen wird, verdeutlicht dass 'Bettelei' nicht in den Anwendungsbereich des Oö. Sammlungsgesetzes 1996 fällt. Diese Schlussfolgerung ergibt sich bereits daraus, dass ein Bettler nicht als 'Veranstalter einer Sammlung' zu qualifizieren ist, und mit Bettelei, unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung, grundsätzlich keine Bewilligungs- und Dokumentationspflichten, wie sie in den §§2 bis 4 Oö. Sammlungsgesetz 1996 vorgesehen sind, einhergehen. Auch die Materialien (GP XXIV RV 872/1996 AB 896/1996) zum Oö. Sammlungsgesetz 1996 enthalten keinen einzigen Hinweis darauf, dass das 'Betteln' eine (besondere) Sammlungsform darstellt und daher vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst ist. Den allgemeinen Erläuterungen zufolge sollte das Oö. Sammlungsgesetz 1996 das aus dem Jahr 1956 stammende Sammlungsgesetz an die geänderten Lebensverhältnisse anpassen und die bestehenden Bewilligungspflichten weitgehend einschränken. Als Kompetenzgrundlagen werden Art15 Abs1 B-VG und ArtIV BGBl. Nr. 685/1988, wodurch die Erlassung von Regelungen, die eine auf Gewinn gerichtete Tätigkeit in Verbindung mit Sammlungen für gemeinnützige und wohltätige Zwecke Beschränkungen unterwerfen, in die Kompetenz der Länder übertragen werden, genannt. Aus diesen Kompetenzgrundlagen lässt sich ebenfalls nicht ableiten, dass 'Bettelei', welche ihrem Inhalt nach dem Bereich der örtlichen Sicherheitspolizei zuzuordnen ist, unter das Oö. Sammlungsgesetz 1996 fällt. [...]". (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

   

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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