TE OGH 2010/3/23 8ObS4/10m

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Veröffentlicht am 23.03.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch Freimüller Noll Obereder Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei IEF-Service GmbH, 1150 Wien, Linke Wienzeile 244-246, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Entgelt (45,53 EUR sA), über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 30. November 2009, GZ 9 Rs 55/09p-12, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. November 2008, GZ 4 Cgs 198/08i-8, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seiner Revision selbst zu tragen.

Text

B e g r ü n d u n g :

Der Kläger stand zur Gemeinschuldnerin in einem ursprünglich mit 13. 9. 2006 befristeten Lehrverhältnis. Tatsächlich beendete der Kläger dieses Lehrverhältnis nach Konkurseröffnung über das Vermögen seines Lehrherrn bereits am 1. 8. 2006 durch vorzeitigen Austritt gemäß § 25 Abs 1 KO. Im unmittelbaren Anschluss daran setzte er die Lehre in einem anderen Unternehmen bis 30. 9. 2006 fort, war danach als Arbeiter tätig und absolvierte den Zivildienst. Zwischen den Parteien ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig, dass die sechsmonatige Behaltepflicht (§ 18 BAG iVm Punkt IV Abs 3 des Kollektivvertrags für das metallverarbeitende Gewerbe) nach Abschluss des Lehrverhältnisses zur Gemeinschuldnerin für den Kläger - unter Berücksichtigung der Dauer des Zivildienstes - am 13. 12. 2007 geendet hätte.

Mit Bescheid vom 11. 3. 2008 lehnte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Insolvenz-Entgelt für seinen Schadenersatzanspruch nach § 25 Abs 2 KO betreffend den Zeitraum vom 13. 12. bis 14. 12. 2007 ab.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage wird vorgebracht, die Gemeinschuldnerin hätte das während der Behaltefrist einzugehende Dienstverhältnis unter Einhaltung der kollektivvertraglichen Kündigungstermine frühestens zum 14. 12. 2007 beenden können, weshalb dem Kläger auch noch bis zu diesem Tag Schadenersatz nach § 25 Abs 2 KO gebühre. Die beklagte Partei wandte ein, der entschädigungspflichtige Zeitraum sei mit dem Ende der Behaltefrist begrenzt, zumal der Abschluss eines befristeten Dienstverhältnisses möglich gewesen wäre.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, die Behaltepflicht gemäß § 18 BAG hätte wegen der Fortsetzung des Lehrverhältnisses in einem anderen Unternehmen nicht mehr die Gemeinschuldnerin, sondern den neuen Lehrherrn getroffen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge, sprach ihm Insolvenz-Entgelt in Höhe von 45,53 EUR netto für den 13. 12. 2007 zu und bestätigte die Abweisung des Mehrbegehrens. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts schließe ein neues Lehrverhältnis den Schadenersatzanspruch aus der vorzeitigen Beendigung des mit der Gemeinschuldnerin abgeschlossenen Lehrvertrags nicht aus. Die fiktive Behaltezeit des Klägers habe bei richtiger Berechnung erst am 13. 12. 2007 geendet. Die Behauptungs- und Beweislast für Umstände, die eine darüber hinausreichende Dauer des fiktiven Dienstverhältnisses begründen würden, liege jedoch beim Kläger. Da er nicht behauptet habe, dass die Gemeinschuldnerin im Anschluss an die Lehrzeit mit ihm ein unbefristetes Arbeitsverhältnis abgeschlossen hätte, stehe ihm kein Anspruch für den 14. 12. 2007 zu.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Frage der Behauptungs- und Beweislast für den Abschluss eines unbefristeten fiktiven Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien eines Lehrvertrags bei berechtigtem Austritt vor Abschluss der Lehrzeit fehle. Dieser Rechtsfrage komme eine über den Anlassfall hinausgehende Bedeutung zu.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist zwar zur Klarstellung der Rechtslage aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Beendet ein Arbeitnehmer sein Dienstverhältnis durch vorzeitigen Austritt gemäß § 25 Abs 1 KO, kann er den Ersatz des verursachten Schadens als Konkursforderung verlangen. Das zeitliche Maß des Ersatzanspruchs nach § 25 Abs 2 KO wird durch die für den Arbeitgeber hinsichtlich des konkreten Arbeitnehmers - unter Außerachtlassung der Konkurseröffnung - im Zeitpunkt des Austritts bestehende Beendigungsmöglichkeit bestimmt (8 ObS 16/04t, 8 ObS 15/07z).

Ob oder wann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich gekündigt hätte, wenn dieser nicht ausgetreten wäre, ist für das Ausmaß des Entschädigungsanspruchs nicht zu prüfen. Es besteht kein Anlass, von dieser abstrakten Betrachtungsweise im Fall der Beendigung eines Lehrverhältnisses durch Austritt abzuweichen.

Der Lehrling, mit dem der Lehrberechtigte keinen Arbeitsvertrag für die Behaltezeit abschließt, hat Anspruch auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens, der ihm durch die Nichterfüllung der Kontrahierungspflicht verursacht wurde. Gleiches gilt nach der Rechtsprechung auch bei Vereitelung des Eintritts der Kontrahierungspflicht; der Berechnung der Kündigungsentschädigung ist dann die fiktive anschließende Behaltezeit unter Berücksichtigung der Anrechnungsvorschriften des § 1162b ABGB zugrundezulegen (RIS-Justiz RS0021683).

Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts und der Revision ist dabei aber genausowenig ein hypothetischer Geschehensablauf zu ermitteln, wie bei der Beurteilung einer Kündigungsentschädigung (§ 1162b ABGB; § 29 AngG, § 84 GewO 1859). Es kommt nicht darauf an, ob die Gemeinschuldnerin ohne vorzeitige Beendigung mit dem Kläger im Anschluss an die Lehrzeit ein unbefristetes, ein befristetes oder überhaupt kein Dienstverhältnis vereinbart hätte, sondern wann der Arbeitgeber eine fiktive Weiterverwendung des Lehrlings unter Ausnützung der ihm offen stehenden, gesetzlich und kollektivvertraglich zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten frühestens zu Ende bringen hätte können. Die im Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts aufgeworfenen Fragen der Behauptungs- und Beweislast für einen hypothetischen Vertragsabschluss stellen sich dabei - worauf auch die Revisionsbeantwortung hinweist - überhaupt nicht. Auf die darauf Bezug nehmenden Revisionsausführungen ist daher nicht weiter einzugehen.

Die Weiterbeschäftigung eines Lehrlings während der Behaltezeit nach § 18 Abs 1 BAG erfolgt nicht automatisch, sondern bedarf grundsätzlich einer ausdrücklichen oder schlüssigen - wenn auch vom Lehrling einforderbaren - Vereinbarung (RIS-Justiz RS0021683; RS0052853). Die Behaltepflicht erlegt dem Arbeitgeber lediglich die Verpflichtung auf, dem Lehrling nach Beendigung der Lehrzeit den Abschluss eines Arbeitsvertrags für die gesetzliche bzw kollektivvertragliche Mindestfrist anzubieten (RIS-Justiz RS0052702 [T6]; Preiss in ZellKomm, § 18 BAG Rz 6).

Der Revision ist zwar beizupflichten, dass der Abschluss eines befristeten Dienstvertrags einer ausdrücklichen Vereinbarung bedarf, sie lässt aber außer Acht, dass der Lehrling keinen gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Anspruch auf eine unbefristete Weiterverwendung hat. Erklärt sich der Arbeitgeber zum Abschluss eines mit dem Ende der Behaltezeit befristeten Dienstvertrags bereit, hat er damit seine gesetzliche Anbotspflicht zur Gänze erfüllt. Der Lehrling kann zwar wählen, ob er dieses Anbot annehmen oder von seinem nur einseitig zwingenden (Preiss aaO, § 18 BAG Rz 7) Weiterverwendungsrecht keinen Gebrauch machen will, im letzteren Fall steht ihm aber mangels rechtswidriger Vereitelung des Vertragsabschlusses durch den Dienstgeber keine Entschädigung zu.

Der Anspruch auf Schadenersatz nach § 25 Abs 2 KO wegen berechtigten Austritts endet daher mit dem letzten Tag der Behaltefrist, sodass der Revision keine Folge zu geben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden weder behauptet, noch haben sich dafür Anhaltspunkte ergeben.

Schlagworte

11 Arbeitsrechtssachen,

Textnummer

E93674

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:008OBS00004.10M.0323.000

Im RIS seit

22.05.2010

Zuletzt aktualisiert am

04.10.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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