TE OGH 2010/10/22 9ObA36/10z

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Veröffentlicht am 22.10.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gillinger und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** J*****, vertreten durch Dr. Walter Silbermayr, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Nocker, Rechtsanwalt in Wien, wegen 2.053,89 EUR brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Dezember 2009, GZ 9 Ra 125/09g-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 6. Mai 2009, GZ 8 Cga 39/09a-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen zu lauten haben:

„Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 2.053,89 EUR brutto samt 11,7 % Zinsen seit 5. 3. 2008 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 589,15 EUR (darin 98,19 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit 665,97 EUR (darin 90,33 EUR USt und 124 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiter schuldig, der beklagten Partei die mit 556,52 EUR (darin 61,92 EUR USt und 185 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 23. Dezember 2005 bis 14. November 2007 bei der Beklagten als Arbeiterin (Reinigungskraft) beschäftigt. Vom 7. September 2007 an befand sie sich in einem durchgehenden Krankenstand bis 2. April 2008. Die beklagte Arbeitgeberin kündigte mit Schreiben vom 5. November 2007 das Arbeitsverhältnis zum 14. November 2007 auf. Spätestens am 16. November 2007 war das Kontingent der Entgeltfortzahlung für das laufende Arbeitsjahr (§ 2 Abs 1 EFZG) erschöpft.

Die Klägerin begehrt die Entgeltfortzahlung (sechs Wochen voll, vier Wochen halb) für die Zeit vom 23. Dezember 2007 bis 4. März 2008. Mit 23. Dezember 2007 hätte ein neues Arbeitsjahr begonnen. Die Kündigung durch die Arbeitgeberin habe wegen des durchgehenden Krankenstands das Entstehen eines neuen Entgeltfortzahlungsanspruchs im folgenden (fiktiven) Arbeitsjahr nicht verhindern können.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren. Sie räumte ein, dass bei durchgehendem Krankenstand im neuen Arbeitsjahr auch ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entstehen könne, dies setze aber voraus, dass bei Beginn des neuen Arbeitsjahrs noch ein aufrechtes Arbeitsverhältnis bestehe. Im vorliegenden Fall sei das Arbeitsverhältnis bereits vor Beginn eines neuen Arbeitsjahrs infolge der Kündigung beendet gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren Folge. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass § 5 EFZG so auszulegen sei, dass bei durchgehendem Krankenstand unabhängig von der Arbeitgeberkündigung dennoch ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch in einem neuen Arbeitsjahr entstehe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es berief sich auf die Entscheidung 9 ObA 115/05k: Der Sinn des § 5 EFZG bestehe auch darin, die Beschneidung von Entgeltfortzahlungsansprüchen durch Arbeitgeberkündigung in der Nähe des Endes des Arbeitsjahrs bzw bei ineinander übergehenden Entgeltfortzahlungszeiten hintanzuhalten. Im Fall eines durchgehenden Krankenstands sei dieselbe Betrachtung auch dann angezeigt, wenn das Entgeltfortzahlungskontingent schon vor Ende des laufenden Arbeitsjahrs erschöpft gewesen sei und der Entgeltfortzahlungszeitraum des fiktiven neuen Arbeitsjahrs daher nicht unmittelbar an den des vorigen Arbeitsjahrs anschließen könne. Das Problem eines mehrjährigen Krankenstands brauche nicht behandelt zu werden, weil hier kein solcher vorgelegen sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob § 5 EFZG auch den Fall erfasse, dass ein dauernder Krankenstand in ein neues fiktives Arbeitsjahr hineinreiche, aber keine ineinander greifenden Zeiträume der Entgeltfortzahlung gegeben sind, keine Judikatur vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist auch berechtigt.

Seit der Entscheidung 8 ObA 163/98y (= ZAS 1999/18 [Pernkopf] = SZ 72/17 ua) geht die einhellige Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0111429) in Übereinstimmung mit der herrschen Lehre (s die Zitate in SZ 72/17) dahin, dass bei ununterbrochen fortdauernder krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung mit Beginn des nächsten Arbeitsjahrs ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch auch dann entsteht, wenn der Arbeitnehmer zuerst wegen Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs kein Entgelt mehr erhalten hatte. Dieser Rechtsprechung lagen jedoch immer fortdauernde, das heißt im relevanten Beurteilungszeitraum noch nicht beendete Arbeitsverhältnisse zu Grunde.

Wird der Arbeitnehmer während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG gekündigt, ohne wichtigen Grund vorzeitig entlassen oder trifft den Arbeitgeber ein Verschulden an dem vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers, so bleibt gemäß § 5 EFZG der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die nach diesem Bundesgesetz vorgesehene Dauer bestehen, wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet.

Diese Regelung soll verhindern, dass sich der Arbeitgeber von der Pflicht zur Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer dadurch befreit, dass er während der Arbeitsverhinderung das Dienstverhältnis durch Kündigung oder ungerechtfertigte Entlassung löst; der Anspruch auf Entgeltfortzahlung soll so auch über die rechtliche Dauer des Arbeitsverhältnisses hinaus gewahrt werden. Für die Frage der Entgeltleistung wird in diesem Fall die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses ohne den Hinderungsgrund fingiert, die vereinbarte Leistung gilt als geleistet. Sonst könnte der Arbeitgeber über den Kündigungszeitpunkt bzw den Zeitpunkt der Entlassung zeitlich hinausgehende Ansprüche des Arbeitnehmers zunichte machen (RIS-Justiz RS0109426).

Zu 9 ObA 115/05k hatte sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage auseinander zu setzen, ob im Falle, dass ein Arbeiter während des Krankenstands gekündigt wird und ein neues Arbeitsjahr zwar erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, aber noch während des fortdauernden Krankenstands beginnt, ein neuer EFZ-Anspruch entsteht. Der Oberste Gerichtshof bejahte diese Frage. Der Schutzzweck des § 5 EFZG (s oben) gebiete auch dann das Entstehen eines neuen Entgeltfortzahlungsanspruchs, wenn das Arbeitsverhältnis noch im alten Arbeitsjahr, aber während eines fortdauernden Krankenstands geendet habe, und wenn die Fortzahlungszeiträume des alten und (fiktiven) neuen Arbeitsjahrs ineinander übergriffen.

Diese Entscheidung wurde in der Lehre geteilt aufgenommen:

Kallab (DRdA 2007, 237 f) begrüßt das Ergebnis dieser Entscheidung, hält jedoch im Falle des durchlaufenden Krankenstands eine Einschränkung, wie das Ineinanderübergehen des „alten“ und „neuen“ Entgeltfortzahlungszeitraums für verfehlt, weil § 5 EFZG nur auf die Dauer des Krankenstands abstelle. Dem Einwand, dass bei mehrjährigem Krankenstand trotz beendetem Arbeitsverhältnis in jedem fiktiven neuen Arbeitsjahr unbegrenzt ein neuer Fortzahlungsanspruch entstehen könnte, hält er lediglich entgegen, dass „es der Gesetzgeber offensichtlich hingenommen habe, dass in diesen wenigen Fällen extreme Lösungen möglich sind“.

Rauch (Krankenentgelt nach EFZG und neues Arbeitsjahr, in ASoK 2007, 18, 21) führt dagegen ins Treffen, dass nach der Rechtsprechung der Grundsatz „Neues Arbeitsjahr - neuer Anspruch“ gelte. Ein neuer Jahresanspruch iSd § 2 Abs 1 EFZG setze somit den Beginn eines neuen Arbeitsjahrs voraus. Die Verpflichtung des Arbeitgebers sei daher für jedes Arbeitsjahr gesondert zu beurteilen. Übertragen auf die Fälle der Kündigung während des Krankenstands bei Ablauf des Arbeitsjahrs nach Ende der Kündigungsfrist sei festzuhalten, dass ein neues Arbeitsjahr keine Rolle spielen könne, wenn das Arbeitsverhältnis noch im alten Arbeitsjahr beendet worden sei, weil bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses im alten Arbeitsjahr ein Anspruch aus einem neuen Arbeitsjahr nicht mehr entstehen könne. Ansprüche nach § 5 EFZG aus einem neuen Arbeitsjahr würden somit voraussetzen, dass das Arbeitsverhältnis erst im neuen Arbeitsjahr ende. Laufe hingegen die Kündigungsfrist noch im alten Arbeitsjahr ab, so gebe es für dieses Arbeitsverhältnis kein „neues Arbeitsjahr“ und könne daher auch die Formel „Neues Jahr - neuer Anspruch“ nicht zur Anwendung gelangen. § 5 EFZG beziehe sich immer nur auf die Beendigung im laufenden Arbeitsjahr, bezwecke aber keinesfalls uferlose Ansprüche für eine unbeschränkte Zukunft.

Ähnlich kritisch argumentiert Rothe (Entgeltfortzahlung: Neues Jahr - neuer Anspruch? Alles beim Alten? in ecolex 2010, 585f), der darauf hinweist, dass allein das Abstellen auf den von einem in das andere Jahr übergreifenden Krankenstand bei mehrjähriger Arbeitsunfähigkeit keine taugliche Eingrenzung sei. Dem Gesetzgeber sei aber nicht zuzusinnen, mit § 5 EFZG eine solche Konsequenz beabsichtigt zu haben.

Die vorgenannte Kritik veranlasst den erkennenden Senat, von der zu 9 ObA 115/05k eingenommenen Position Abstand zu nehmen. Gerade die im Ergebnis zustimmende Meinung Kallabs (aaO) zeigt deutlich auf, dass eine Eingrenzung des EFZ-Anspruchs bei arbeitsjahresübergreifendem Krankenstand auf ineinander übergreifende Fortzahlungszeiträume aus dem Gesetz nicht ableitbar ist. Bei näherer Betrachtung überzeugt aber auch das Argument nicht, dass der Gesetzgeber trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses den Fall des mehrjährig fortdauernden Krankenstands für ein immer wieder neues Aufleben des Entgeltfortzahlungsanspruchs in Kauf nehmen wollte.

§ 5 EFZG geht grundsätzlich davon aus, dass ein Krankenstand der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während der Dauer der Arbeitsverhinderung nicht entgegensteht. Dem kranken Arbeitnehmer soll aber der volle Anspruch auf Ausschöpfung des nicht verbrauchten Kontingents an Entgeltfortzahlung aus dem laufenden Arbeitsjahr auch dann gewahrt bleiben, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung erfolgt. Endet jedoch das Arbeitsverhältnis vor Beginn des neuen Arbeitsjahrs und kann daher kein neues Arbeitsjahr zu laufen beginnen, gibt § 5 EFZG trotz fortdauernden Krankenstands keine geeignete Grundlage ab, einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 2 Abs 1 EFZG entstehen zu lassen.

Dem Umstand, dass mit der Klägerin nach Ende der Arbeitsverhinderung erneut ein Dienstverhältnis begründet wurde, kommt in diesem Zusammenhang keine rechtserhebliche Bedeutung zu.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Schlagworte

11 Arbeitsrechtssachen,

Textnummer

E95470

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:009OBA00036.10Z.1022.000

Im RIS seit

19.11.2010

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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