TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/09 C2 318083-1/2008

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Veröffentlicht am 09.09.2008
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Spruch

C2 318083-1/2008/8E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Marth als Einzelrichter über die Beschwerde des E. B., geb. 1962, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.06.2008, FZ. 06 13.426-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.06.2008 zu Recht erkannt:

 

Dem Devolutionsantrag von E. B. vom 12.12.2006 wird gemäß § 73 Abs. 2 AVG stattgegeben.

 

Dem Antrag von E. B. vom 12.12.2006 wird stattgegeben und E. B. gemäß § 3 AsylG der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

 

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass E. B. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I.

 

I.1. Verfahrensgang

 

Der Antragsteller hat am 12.12.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens vor dem Bundesasylamt wurde der Antragsteller am 12.12.2006 einer Erstbefragung und am 18.12.2006 und am 16.2.2007 einer Einvernahme unterzogen.

 

Mit Schriftsatz vom 5.12.2007 wurde ein Devolutionsantrag gestellt, der vorerst zurückgezogen und am 11.3.2008 abermals gestellt wurde.

 

Nach Aufforderung durch den Unabhängigen Bundesasylsenat teilte das Bundesasylamt mit Schriftsatz vom 20.3.2008 mit, dass eine Entscheidung wegen der "derzeitigen Arbeitsüberlastung" noch nicht erfolgt sei.

 

Vom entscheidenden Richter wurde am 15.5.2008 eine mündliche Verhandlung unter Beziehung eines Dolmetschers und eines Sachverständigen abgehalten.

 

Im Verfahren vor dem Asylgerichtshof wurden folgende Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Antragstellers in das Verfahren als Beweismittel eingeführt:

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Oktober 2007

 

Amnesty International, ai Jahresbericht 2007, Todesstrafe für alle Straftaten abgeschafft, 1.01. bis 31.12.2006

 

Home Office, Operational Guidance Note Turkey, April 2007

 

Home Office, Country of Origin Information Report Turkey, März 2007

 

Human Rights Watch, Turkey, Jänner 2007

 

Schweizer Flüchtlingshilfe, Türkei, Zur Aktuellen Situation, Oktober 2007

 

U.S. Department of State, Turkey, Country Reports on Human Rights Practices, März 2007

 

Weiters wurden im Verfahren vor dem Bundesasylamt bzw. vor dem Asylgerichtshof folgende Beweismittel vorgelegt oder von Amts wegen beigeschafft:

 

Ein auf den Antragsteller lautendes Nüfus;

 

Eine Mitteilung der MA35 vom 10.11.2006 über die derzeitige Nichtverleihung der Staatsbürgerschaft;

 

Ein auf den Antragsteller lautender türkischer Reisepass;

 

Eine Bestätigung des RA P. über die angebliche Einstellung Antragstellers zum und die regelmäßige Teilnahme desselben an den Aktivitäten des x;

 

Eine kriminaltechnische Untersuchung des Personalausweises des Antragstellers;

 

Eine den Antragsteller und Frau E. Y. betreffende Heiratsurkunde;

 

Ein beglaubigte Übersetzung eines türkischen Ehefähigkeitszeugnisses aus dem Jahre 2002;

 

Eine beglaubigte Übersetzung einer Geburtsurkunde des Antragstellers;

 

Der Nachweis einer privaten Krankenversicherung aus dem Jahr 2006;

 

Ein Versicherungsdatenauszug der WGKK vom 24.3.2006;

 

Mehrere ausländerbeschäftigungsrechtliche Bescheide sowie

 

Die Verwaltungsakte des Asylverfahrens betreffend den Antrag des Antragstellers aus dem Jahre 1992.

 

I.2. Feststellungen und Beweiswürdigung

 

Die nachfolgenden Feststellungen gründen sich auf die oben erwähnten Beweismittel und auf den gesamten erstinstanzlichen Verwaltungsakt sowie auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof.

 

Der Antrag wurde am 12.12.2006 gestellt und war am 11.3.2008 noch immer nicht erledigt.

 

Das ergibt sich aus den Verwaltungsakten.

 

Die Verzögerung der Erledigung ist alleine dem Bundesasylamt zuzurechnen.

 

Das Bundesasylamt war - trotz entsprechendem Vorhalt - nicht in der Lage, darzutun, war eine Entscheidung in der Entscheidungsfrist nicht ergehen hatte können. Wenn das Bundesasylamt "Arbeitsüberlastung" anführt, so wurde dies einerseits im dreizeiligen Antwortschreiben nicht begründet und ist deshalb - auch im Hinblick auf die zurückgehenden Antragszahlen - nicht nachvollziehbar. Weiters geht ein Organisationsversagen jedenfalls zu Lasten der Behörde. Da der Antragsteller an allen Verfahrenshandlungen teilgenommen hatte, war ihm kein Verschuldensteil zuzurechnen.

 

Dies ergibt sich aus den Verwaltungsakten und dem Schriftsatz des Bundesasylamtes "Aktenvorlage betreffend Devolutionsantrag" vom 20.3.2008.

 

Der Antragsteller führt den Namen E. B., ist 1962 geboren und türkischer Staatsangehöriger.

 

Die Identität des Antragstellers steht auf Grund eines vorgelegten, unbedenklichen Identitätsdokuments fest.

 

Der Antragsteller hat die gegenwärtig bestehende Gefahr einer Verfolgung durch staatliche Organe wegen seiner politischen Gesinnung glaubhaft gemacht.

 

Der Antragsteller hatte glaubhaft, von Beweismittel unterlegt und vom Sachverständigen geschildert, dass er aktiver Mitarbeiter des x war und an allen außenwirksamen Aktionen des x teilgenommen hätte. Auch hatte er ebenso geschildert, dass er aus Protest gegen die Festnahme des Öcalan bei der Besetzung der Botschaft beteiligt war.

 

Laut den Ausführungen des Sachverständigen seien die Bilder von der Besetzung damals vom Fernsehen ausgestrahlt worden; auch sei in der kurdischen Szene allgemein bekannt, dass der Antragsteller bei der Besetzung dabei gewesen sei und es sei wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher, dass ein Foto von ihm ausgestrahlt worden sei.

 

Im Zeitraum nach der Festnahme des Öcalan sei die Unruhe im Bereich der türkischen Botschaft in Wien so groß gewesen, dass die Angehörigen der Botschaft als politische und juristische Ankläger aufgetreten seien und Daten der Beteiligten gesammelt hätten. Ziel sei eine Anklage der an den Protestaktionen teilnehmenden Kurden gewesen. Es sei sehr wahrscheinlich, dass die türkische Vertretungsbehörde über die Teilnahme des Antragsstellers an den damaligen Besetzungen Bescheid wisse.

 

Im Falle einer Rückkehr würde den Antragsteller einerseits ein Strafverfahren sowie ein Verhör am Flughafen nach der Abschiebung erwarten, bei dem ein reales Risiko besteht, dass es zum Einsatz von Folter oder unmenschlicher Behandlung kommt.

 

Dies alles ergibt sich aus den unwidersprochen gebliebenen Ausführungen des Sachverständigen.

 

Dem Antragsteller steht eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung.

 

Der Antragsteller wird in der Türkei von staatlichen Organen verfolgt. Es besteht ein großes Risiko, dass diese in der Lage sind, den Antragsteller im Laufe der Zeit aufzuspüren und seiner habhaft zu werden.

 

Darüber hinaus besteht ein großes Risiko, dass der Antragsteller unmittelbar nach der Abschiebung bereits am Flughafen bzw. Grenzübergang festgenommen wird und somit in die Hand der Verfolger gerät.

 

Dies alles ergibt sich aus den unwidersprochen gebliebenen Ausführungen des Sachverständigen und dem Amtswissen.

 

Es liegen keine Gründe vor, nach denen die antragstellende Partei von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen ist.

 

Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

 

II.

 

II.1.: Zur Zulässigkeit des Devolutionsantrages:

 

Anzuwenden war das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG 2005"), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter; ebenso entscheidet der Asylgerichtshof gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005 durch Einzelrichter, wenn im vor dem 1.7.2008 anhängigen Verfahren bereits vor diesem Zeitpunkt eine Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat stattgefunden hatte; dies ist im vorliegenden Verfahren der Fall, sodass der erkennende Richter als Einzelrichter zur Entscheidung zuständig war.

 

Gemäß § 73 Abs. 1 AVG sind die Behörden - also auch das Bundesasylamt - verpflichtet, wenn sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt, binnen sechs Monaten nach Einlagen eines Antrages über diesen zu entscheiden. Der Antrag ist am 12.12.2006 beim Bundesasylamt eingelangt und es wäre daher bis zum 12.6.2007 zu entscheiden gewesen; daher ist das Bundesasylamt säumig.

 

Wenn nicht binnen der Entscheidungsfrist entschieden wird, geht die Entscheidungspflicht gemäß § 73 Abs. 2 AVG unter anderem auf den im Instanzenzug übergeordneten unabhängigen Verwaltungssenat über. Der gegenständliche Antrag wurde am 11.3.2008 gestellt und daher ging die Entscheidungsfrist (damals) auf den Unabhängigen Bundesasylsenat über; dessen Aufgaben übernahm am 1.7.2008 der Asylgerichtshof, der nunmehr zur Entscheidung zuständig ist.

 

Der Antrag auf Zuständigkeitsübergang wäre abzuweisen gewesen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen wäre; das ist hier nicht der Fall.

 

Der Devolutionsantrag war daher zulässig, ihm war statt zu geben und damit ist die Zuständigkeit am 11.3.2008 an den Unabhängigen Bundesasylsenat und am 1.7.2008 an den Asylgerichtshof übergegangen.

 

II.2. Zur Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz:

 

Zur Anwendbarkeit der relevanten Rechtsvorschriften und zur Zuständigkeit des entscheidenden Richters siehe oben II.1. i. und ii..

 

Gemäß § 3 AsylG 2005 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in Folge: GFK), droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ereignete sich erst nach Abschluss des Asylverfahrens aus dem Jahre 1992 und kann daher nicht von der Rechtskraft der das damalige Verfahren abschließenden Entscheidung mit umfasst sein, sodass sich eine weitere Befassung mit dem Thema, ob eine entschiedene Sache vorliegt, erübrigt.

 

Der Antragsteller hat eine Verfolgung durch staatliche Organe in der Türkei glaubhaft gemacht, Gründe, nach denen die antragstellende Partei von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen wäre und eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative sind nicht hervorgekommen. Daher war dem Antrag statt zu geben und gemäß § 3 Abs. 5 auszusprechen, dass dem Antragsteller damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

 

II.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Devolution, Folter, gesamte Staatsgebiet, politische Gesinnung, strafrechtliche Verfolgung, Verhöre, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
20.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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