TE UVS Wien 1991/08/20 03/14/189/91

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.08.1991
beobachten
merken
Betreff

Die Versammlungsanzeige enthielt keinen Hinweis auf die gegenständliche Manifestation.

Spruch

Gemäß § 66 Abs 4 AVG wird das angefochtene Straferkenntnis zu Punkt 1) mit der Abänderung bestätigt, daß die Tatumschreibung wie folgt zu lauten hat:

" Sie (Herr Mag S) haben in Wien 12, Marschallplatz 4 am 8.5.1991 um 07.38 Uhr durch Besteigen eines auf dem Anhänger des LKW mit dem amtlichen Kennzeichen 0W 54 AH befindlichen Schaufelbaggers und durch Ihr dortiges Verweilen bis 09.42 Uhr ein Verhalten gesetzt, das geeignet ist, Ärgernis zu erregen und das die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört hat."

Die Strafsanktionsnorm hat Art IX Abs 1 EGVG zu lauten. Der Berufungswerber hat zu 1) gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in der Höhe von S 80,--, das sind 20 % der verhängten Geldstrafe zu bezahlen. In Punkt 2) wird das angefochtene Straferkenntnis gemäß § 66 Abs 4 AVG aufgehoben und das diesbezügliche Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

Gemäß § 65 VStG hat der Berufungswerber zu Punkt 2) keinen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.

Text

Begründung:

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien legt folgenden, vom Berufungswerber unbestritten gebliebenen, Sachverhalt seiner Entscheidung zugrunde:

In den Morgenstunden des 8.5.1991 wurde durch die Anwesenheit von etwa 30 Personen in Wien 12, Marschallplatz 4 (Wohnstraße) zwei Baufahrzeugen die Zufahrt zu einer in der Rohrwassergasse gelegenen Baustelle verwehrt. Eine der dort anwesenden Personen legte sich unter den LKW  mit dem amtlichen Kennzeichen OW 54 AH, der Berufungswerber bestieg um 07.38 Uhr den auf dem LKW-Anhänger befindlichen Schaufelbagger und verblieb dort bis 09.42 Uhr. Auch drei weitere Personen begaben sich auf dieses Baufahrzeug. Ca 20 Personen, wie Passanten, Erwachsene, die Kinder zur Schule begleiteten, gaben ihrem Unmut über das Verhalten des Berufungswerbers und der anderen Personen, die die Zufahrt zur Baustelle verhinderten, kund. Um 09.42 Uhr wurde der Berufungswerber festgenommen und von mehreren Sicherheitswachebeamten vom Baufahrzeug entfernt, um 13.27 Uhr wurde er aus der Haft entlassen.

In seinem Rechtsmittel gegen das angefochtene Straferkenntnis wegen Übertretung 1) des Art IX Abs 1 Z 1 EGVG und 2) des  § 76b Abs 2 StVO, worin über den Beschuldigten Geldstrafen von je S 400,--, unter Anrechnung der am 8.5.1991 von 09.42 Uhr bis 13.27 Uhr erlittenen Vorhaft (3 Stunden 45 Minuten = S 75,--) auf 1), bei Uneinbringlichkeit je 20 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und ein Kostenbeitrag zum erstinstanzlichen Strafverfahren von 10 % der Geldstrafen sowie der Ersatz der Barauslagen von S 80,-- (Arrestantenwagen) vorgeschrieben wurde, wendet der Berufungswerber ein, daß er lediglich sein Recht auf Demonstrations- und Kundgebungsfreiheit ausgeübt habe, indem er das ihm zur Last gelegte Verhalten anläßlich einer Kundgebung im Sinne des Versammlungsgesetzes gesetzt habe.

Die Ausübung dieses demokratischen Rechtes könne weder sittenwidrig sein, noch könne dadurch die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört werden bzw eine Übertretung der Straßenverkehrsordnung darstellen, da die Abhaltung einer Kundgebung - ganz im Gegenteil - zu den demokratischen Pflichten jedes Bürgers zähle.

Ad 1):

Eine Verwaltungsübertretung nach Art IX Abs 1 Z 1 EGVG begeht, wer durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist, die Ordnung an öffentlichen Orten stört.

Nach der ständigen Rechtsprechung ist das Tatbild der "Ordnungsstörung"  durch zwei Elemente gekennzeichnet:

Zum ersten muß der Täter ein Verhalten gesetzt haben, das objektiv geeignet ist, Ärgernis zu erregen. Zum zweiten muß durch dieses Verhalten die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört worden sein.

Maßgebend ob ein Verhalten objektiv geeignet ist Ärgernis  zu erregen sind die guten Sitten:

Die Beurteilung, ob einem Verhalten die objektive Eignung der Ärgerniserregung zukommt, ist nicht nach dem Empfinden der durch das Verhalten besonders betroffenen Personen vorzunehmen, sondern unter der Vorstellung, wie unbefangene Menschen auf ein solches Verhalten reagieren würden; von einem Ärgernis wird man dan sprechen können, wenn eine Handlung  bei anderen die lebhafte Empfindung des Unerlaubten und Schändlichen hervorzurufen geeignet ist.

Dafür, daß durch das Verhalten die Ordnung an einem öffentlichen Ort (tatsächlich) gestört wird, ist es nicht erforderlich, daß das Verhalten zu Aufsehen, einem Zusammenlaufen von Menschen führt, es muß vielmehr nur unmittelbar oder mittelbar zur Folge haben, daß ein Zustand geschaffen wird, der geordneten Verhältnissen an einem öffentlichen Ort widerspricht; eine solche Störung (negative Veränderung der gewöhnlichen Verhältnisse) ist schon dann zu bejahen, wenn eine Person dazu bewogen wurde sich anders zu verhalten, als wenn der Vorfall nicht stattgefunden hätte. Zur Herbeiführung eines derartigen Zustandes genügt es, daß etwa mehrere Personen an dem Verhalten Ärgernis genommen haben. Verstößt ein Verhalten gegen jene ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Befolgung als unentbehrliche Voraussetzung für ein gedeihliches Miteinander der Menschen angesehen wird, dann ist es geeignet bei einem unbefangenen Menschen die lebhafte Empfindung nicht nur des Unerlaubten, sondern auch des Schändlichen (somit was dem Täter zur Schande gereicht) hervorzurufen, und somit auch objektiv geeignet, Ärgernis zu erregen.

Unter Berücksichtigung der oben zitierten höchstgerichtlichen Judikatur ist das Verhalten des Berufungswerbers, seinen eigenen Angaben (vgl ha eingebrachte Maßnahmenbeschwerde vom 14.6.1991, betreffend die dem gegenständlichen Vorfall zugrundeliegende Festnahme, Zahl UVS-02/32/24/91, Seite 2) zufolge, begab er sich auf den Baggerarm eines auf dem Anhänger eines LKW befindlichen Schaufelbaggers und setzte sich dort unter Festhalten an Hydraulikschläuchen nieder, als ein solches zu qualifizieren, das objektiv geeignet ist, bei unbeteiligten Personen das lebhafte Empfinden des Unerlaubten und Schändlichen hervorzurufen. Im übrigen ist unstrittig, daß mehrere Personen (unbeteiligte Passanten) an seinem Verhalten tatsächlich Ärgernis nahmen. Der Beschuldigte beruft sich allerdings auf die Ausübung seines demokratischen Grundrechtes auf Demonstrations- und Kundgebungsfreiheit, indem er ausdrücklich darauf hinweist, daß sich der gegenständliche Vorfall anläßlich einer "Kundgebung iSd Versammlungsgesetzes" ereignet habe.

Der Berufungswerber vermeint offenbar, es könne die Ausübung der von ihm ins Treffen geführten Rechte von vornherein und unter welchen Umständen immer das Tatbestandsbild des Art IX Abs 1 Z 1 EGVG nicht erfüllen.

Vorweg ist anzumerken, daß den vom Berufungswerber zitierten Freiheitsrechten "Demonstrations- und Kundgebungsfreiheit" offenbar die Versammlungsfreiheit ( Art 12 StGG, Art 11 MRK) und möglicherweise auch das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 13 StGG, Art 10 MRK) angesprochen sein sollten.

Auch wenn der Rechtsansicht des Berufungswerbers, sein Verhalten habe sich während einer Versammlung ereignet, gefolgt wird, demnach erübrigt sich auch die beantragte zeugenschaftliche Einvernahme des Meldungslegers, ist ihm entgegenzuhalten, daß das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Recht auf Meinungsäußerung nach der Verfassungsrechtslage (Art 12,13 StGG, Art 10 Abs 2, Art 11 Abs 2 MRK) unter anderem an den Schranken der strafrechtlichen, sohin auch der verwaltungsstrafrechtlichen Normen ihre Grenzen finden.

Das bedeutet, daß auch bei der Ausübung dieser verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte die gesetzlichen Schranken zu beachten sind, die der Sicherheit der staatlichen Ordnung vor entarteter Meinungsäußerung dienen. (Vgl VwGH 3.7.1978, Zl 607/78)

Damit aber erweist sich die in der Rechtsmeinung, es könne die Gebrauchnahme von Freiheitsrechten den Tatbestand des Art IX EGVG nicht erfüllen implizit zum Ausdruck gebrachte Auffassung des Berufungswerbers von der Zulässigkeit einer schrankenlosen Ausübung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte als unzutreffend.

Das dem Berufungswerber zur Last gelegte Verhalten ist auch nicht nach § 6 VStG gerechtfertigt:

Ein an sich rechtswidriges Verhalten während einer Versammlung ist dann  gemäß § 6 VStG rechtmäßig, wenn es unerläßlich wäre um eine Versammlung in der beabsichtigten Weise durchzuführen (vgl VfGH 8.10.1988, B 281/88).

Abgesehen davon, daß die gegenständliche Manifestation (Hinaufsteigen und Verweilen auf eine(r) Baggerschaufel) wohl kaum als eine unbedingt notwendige Begleiterscheinung einer Versammlung bezeichnet werden kann, hätte diese in der Versammlungsanzeige ausreichend konkretisiert werden müssen um das an sich strafbare Verhalten im Rahmen einer notwendigen Begleiterscheinung einer Versammlung als gerechtfertigt ansehen zu können.

Davon kann im gegenständlichen Fall nicht die Rede sein, die vom Berufungswerber selbst eingebrachten Versammlungsanzeigen ("Anmeldungen politischer Kundgebungen" vom 29.4.1991 und 3.5.1991) enthalten überhaupt keinen Hinweise auf derartige Manifestationen. Als Versammlungsveranstalter hat der Berufungswerber die Unvollständigkeit der Anzeigen selbst zu vertreten.

Die dem Berufungswerber angelastete Tat war daher als erwiesen anzusehen, weshalb der Berufung keine Folge zu geben und der erstinstanzliche Schuldspruch zu Punkt 1) zu bestätigen war. Die Abänderung im Spruch diente der genaueren Tatumschreibung und Anpassung an den Straftatbestand bzw der richtigen Zitierung der heranzuziehenden gesetzlichen Bestimmung.

Eine Herabsetzung der Strafe kam trotz Berücksichtigung der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit und der angenommenen Vermögenslosigkeit nicht in Betracht:

Die Tat schädigte nicht nur das Interesse der Wahrung des öffentlichen Anstandes sondern auch jenes an der Aufrechterhaltung der Verkehrsflüssigkeit und der widmungsgemäßen Verwendung öffentlicher Verkehrsflächen.

Der Unrechtsgehalt der Tat war als bedeutend zu werten. Da die gegenständliche Verwaltungsübertretung vorsätzlich begangen wurde, war das Verschulden als erheblich zu qualifizieren. Da der Berufungswerber Angaben über seine Einkommensverhältnisse verweigerte, waren sie vom Unabhängigen Verwaltungssenat einzuschätzen. Im Hinblick auf das Alter und die berufliche Stellung des Berufungswerbers (Beamter mit akademischer Ausbildung) war von durchschnittlichen Einkommensverhältnissen auszugehen.

Das Fehlen gesetzlicher Sorgepflichten wurde berücksichtigt. Unter Bedachtnahme auf diese Strafzumessungsgründe und auf den bis 3.000 S reichenden Strafsatz war die verhängte Strafe angemessen und keineswegs zu hoch.

Gemäß § 51e Abs 2 1. Fall VStG konnte die Durchführung einer

öffentlichen mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Ad 2):

Dem Berufungswerber wurde zur Last gelegt § 76b Abs 2 StVO übertreten zu haben. Diese Rechtsvorschrift normiert:

"In Wohnstraßen ist das Betreten der Fahrbahn und das Spielen gestattet. Der erlaubte Fahrzeugverkehr darf aber nicht mutwillig behindert werden."

Die herangezogene Strafsanktionsnorm § 99 Abs 3 lit a StVO lautet:

"Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 10.000 S, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu 2 Wochen zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges, als Fußgänger, als Reiter oder als Treiber oder Führer von Vieh gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Absätzen 1, 2 oder 4 zu bestrafen ist."

Das dem Berufungswerber im angefochtenen Straferkenntnis angelastete Verhalten ist weder als "Betreten der Fahrbahn" oder als "Spielen" zu qualifizieren, noch hat er es in der Eigenschaft als "Fußgänger" gesetzt.

Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom 24.3.1982, Zl 3162/80, wonach nicht Fußgänger iSd § 76 Abs 1 StVO ist, wer sich auf der Fahrbahn legt und den Verkehr behindert um dadurch auf die ungeklärten Besitzverhältnisse am Straßengrund aufmerksam zu machen. Ein solches Verhalten verwirklicht den Tatbestand des § 99 Abs 3 lit d leg cit demzufolge jede Benützung einer Straße zu verkehrsfremden Zwecken ohne Bewilligung verboten ist, sofern das Gesetz für ein solches Verhalten nicht einen eigenen Straftatbestand vorsieht.

Das Straferkenntnis war daher zu Punkt 2) spruchgemäß aufzuheben und das diesbezügliche Verfahren einzustellen.

Gemäß § 51e Abs 1, 2. Fall VStG konnte die Durchführung einer öffentlichem mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Schlagworte
öffentliches Ärgernis, Demonstrationsfreiheit, Störung der Ordnung an öffentlichen Orten
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten