TE UVS Steiermark 2002/04/24 303.12-37/2001

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.04.2002
beobachten
merken
Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch die Kammermitglieder Dr. Renate Merl, Dr. Wigbert Hütter und Dr. Reingard Steiner über die Berufung des Herrn F L, vertreten durch K, W & P, Rechtsanwälte, G, gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 18.6.2001, GZ.: A4-St 966/1999/308, wie folgt entschieden:

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im Folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im Folgenden VStG) wird die Berufung dem Grunde nach abgewiesen. Hinsichtlich der verhängten Strafe wird der Berufung dahingehend Folge gegeben, dass über den Berufungswerber gemäß § 19 VStG eine Strafe von ? 2.540,-- im Uneinbringlichkeitsfall 4 Tage Ersatzarrest, welche binnen vier Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu leisten ist, verhängt wird. Dadurch vermindert sich der Kostenbeitrag für das Verwaltungsstrafverfahren erster Instanz auf den Betrag von ?

254,--; dieser ist binnen vier Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu leisten.

Der Spruch des Straferkenntnisses wird im Sachverhalt und bezüglich der verletzten Rechtsvorschrift wie folgt neu gefasst:

Herr F L ist als handelsrechtlicher Geschäftsführer der A G, Dienstleistungsgesellschaft mbH mit Sitz in G schuldig, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin von mehr als 250 Arbeitnehmern für die Betriebsstätte G von 11.1.1995 bis 14.9.1999 keinen Arbeitsmediziner bestellt hat, obwohl seit 1.1.1995 für Arbeitsstätten, in denen ein Arbeitgeber regelmäßig mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigt, Arbeitsmediziner zu bestellen sind. Dadurch wurde § 79 Abs 1 Arbeitnehmerschutzgesetz (ASchG) verletzt.

Text

Laut dem Straferkenntnis hat der Beschuldigte und nunmehrige Berufungswerber folgende Tat zu verantworten:

Sie haben es laut Strafantrag des AI G vom 29.10.1999 als

handelsrechtlicher

Geschäftsführer und damit zur Vertretung nach

außen berufenes Organ der A G Dienstleistungsgesellschaft m.b.H."

mit Sitz in G zu verantworten, dass wie am 14.09.1999 um ca. 10.00 Uhr anlässlich einer Kontrolle des AI G in der Betriebsstätte G festgestellt wurde, seitens der Arbeitgeberin (A G Dienstleistungsgesellschaft m.b.H.) in der Zeit vom 11.01.1995 bis 14.09.1999 keine Arbeitsmedizinerin bestellt wurde, obwohl in der Arbeitsstätte H derzeit und lt. Erhebung vom 08.04.1999, 540 Arbeitnehmerinnen beschäftigt sind und Arbeitgeber für Arbeitsstätten, wenn regelmäßig mehr 250 Arbeitnehmerinnen beschäftigt sind Arbeitsmediziner zu bestellen haben." Dadurch sei § 79 Abs 1 iVm § 115 Abs 2 und § 130 Abs 1 Z 27 Arbeitnehmerschutzgesetz - ASchG verletzt worden.

Nach § 130 Abs 1 Z 27 ASchG wurde eine Geldstrafe von ? 3.633,64 und nach § 16 VStG eine Ersatzfreiheitsstrafe von 5 Tagen verhängt.

Der Beschuldigte berief und focht das Straferkenntnis dem gesamten Inhalt nach an. Nach der Begründung der Berufung hat er die Tat nicht begangen, da für die Berechnung nicht die gesamte Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer heranzuziehen sei, sondern nur jene Personen, die in einer Arbeitsstelle tätig sind. Nach dem klaren Wortlaut des § 2 ASchG sind auswärtige Arbeitsstellen gesondert zu behandeln. In den Arbeitstätten, in denen die Mitarbeiter des Unternehmens des Beschuldigen beschäftigt werden, werden im Allgemeinen nicht mehr als zehn Mitarbeiter eingesetzt. Daher besteht die Verpflichtung zur Einrichtung einer arbeitsmedizinischen Betreuung erst seit 1.7.2000. Der Gesetzgeber hat bei der Regelung des sicherheitstechnischen Dienstes im § 77 ASchG ausdrücklich eine Einbeziehung von auswärtigen Arbeitsstätten vorgenommen, eine gleichartige Regelung aber bei der arbeitsmedizinischen Betreuung unterlassen. Daher ist auf die Arbeitnehmerzahl an jeder einzelnen Arbeitsstätte abzustellen, was sich sowohl auf das Ausmaß der arbeitsmedizinischen Betreuung auswirkt, als auch den Umstand, ob zum angezeigten Zeitraum überhaupt eine arbeitsmedizinische Betreuung hätte eingerichtet sein müssen. Die Strafbarkeit wäre jedenfalls verjährt, da die Anzeige am 29.10.1999 erfolgte, der Zeitraum der strafbaren Handlung aber mit 11.1.1995 bis 14.9.1999 angegeben wurde und der Beginn des angezeigten Zeitraumes mehr als sechs Jahre zurückliegt. Aber auch die verhängte Strafe ist weder schuld- noch tatangemessen, da der Beschuldigte unbescholten ist. Es wird beantragt das Straferkenntnis zu beheben und das Verfahren ersatzlos einzustellen. Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark verhandelte die Berufungssache am 24.4.2002 in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Berufungswerbers, jedoch in Anwesenheit seines Vertreters und eines Vertreters des AI G als mitbeteiligter Partei. Nach Vernehmung der Zeugin E W und auf Grund der Beilagen ./A und ./B gelangt die Berufungsbehörde zu folgenden Feststellungen: Der Berufungswerber ist handelsrechtlicher Geschäftsführer der A G Dienstleistungsgesellschaft m.b.H. mit Sitz in G. Die betriebliche Tätigkeit untergliedert sich in die beiden Abteilungen "Tägliche Unterhaltsreinigung" und Zusatzreinigung (Fensterreinigung, Grundreinigung, Schneeräumung). Im Jahr 1999 belief sich der Beschäftigtenstand ungefähr auf 540 Mitarbeiter, die alle in einem Dienstverhältnis standen, da keine Arbeitnehmer auf Werkvertragsbasis beschäftigt werden, und deckt sich im Wesentlichen mit dem Beschäftigtenstand im Jahr 1995. Die Betriebsleitung befindet sich am Firmensitz in Graz, wo es ein Büro mit maximal 20 Beschäftigten gibt, einschließlich 5 Organisationsleitern, die teilweise im Innendienst arbeiten, teilweise aber auch von Graz aus die Putztrupps an den Arbeitsstellen kontrollieren. Weiters gibt es eine Filiale in L mit einem Büro und 2 Organisationsleitern für die Obersteiermark. Den Organisationsleitern untergeordnet sind Vorarbeiter, die das Reinigungspersonal an den Arbeitsstellen beaufsichtigen und teilweise auch selbst mitarbeiten. Die Vorarbeiter und die Reinigungskräfte sind ausschließlich im Außendienst tätig und fahren von ihrem Wohnsitz direkt zur Arbeitsstelle. An den Betriebsstätten G und L gibt es auch jeweils ein Lager, in dem die Arbeitskleidung, Reinigungsmittel, Geräte und Wäsche (Putztücher) gelagert werden. Der Organisationsleiter versorgt die Reinigungskräfte jeweils am Ort des Arbeitseinsatzes mit dem nötigen Materialien. Die Gesellschaft hat bisher keinen Arbeitsmediziner bestellt. Der Sachverhalt ergibt sich, wie folgt, aus den Beweismitteln: Firmenname, Sitz und Vertretungsbefugnis ergeben sich aus dem Firmenbuchauszug, der restliche Sachverhalt aus der Aussage der Zeugin E W und den Beilagen ./A (Liste der Objekte) und ./B (Strafanzeige des AI G vom 17.4.2001). Die im Straferkenntnis genannte Beschäftigtenzahl von 540 wurde vom Berufungswerber nicht bestritten. Aus dem Schreiben der A Dienstleistungsgesellschaft m.b.H. an das AI vom 16.6.1999 im Akt der ersten Instanz ergibt sich eine Zahl von 542 Dienstnehmern. Die der ersten Instanz von der A Dienstleistungsges.m.b.H am 18.8.2000 gefaxte Liste der Objekte weist 646 Dienstnehmer aus, die Beilage ./B per 8.4.2002 651 Dienstnehmer. Laut Aussage der Zeugin E W war der Beschäftigtenstand im Jahr 1995 im Wesentlichen derselbe wie heute, allerdings um schätzungsweise 20 bis 30 Beschäftigte geringer. Da im Verlauf von Jahren der Beschäftigtenstand naturgemäß Schwankungen unterliegt, konnte keine einheitliche Zahl für die gesamte Tatzeit festgestellt werden. Die Zahl von ca 540 mit einer gewissen Schwankungsbreite scheint jedoch gesichert, wobei sich seit Ende der Tatzeit der Beschäftigtenstand jedoch erhöht hat. Rechtliche Beurteilung: Nach § 2 Abs 3 erster Satz ASchG sind Arbeitstätten im Sinne dieses Bundesgesetzes Arbeitsstätten in Gebäuden und Arbeitsstätten im Freien. Nach dem letzten Satz dieses Absatzes sind auswärtige Arbeitsstellen alle Orte außerhalb von Arbeitstätten, an denen andere Arbeiten als Bauarbeiten durchgeführt werden. § 19 Abs 1 ASchG: Arbeitsstätten sind

1. alle Gebäude und sonstigen

baulichen Anlagen, sowie Teile von Gebäuden und

sonstigen

baulichen Anlagen, in denen Arbeitsplätze eingerichtet sind oder eingerichtet werden sollen oder zu denen Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Arbeit Zugang haben (Arbeitsstätten im Gebäuden), sowie

2. alle Orte auf einem Betriebsgelände, zu denen

Arbeitnehmer im Rahmen ihrer

Arbeit Zugang haben (Arbeitsstätten im Freien). § 79 Abs 1 erster Satz ASchG: Arbeitgeber haben Arbeitsmediziner zu bestellen. § 115 Abs 3 ASchG: Arbeitnehmer, die auf Baustellen oder auswärtigen Arbeitsstellen beschäftigt werden, sind bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahl nach Abs 1 und 2 jener Arbeitsstätte zuzurechnen, der sie organisatorisch zugehören, im Zweifel dem Unternehmenssitz. Dies gilt nicht für Arbeitnehmer auf Baustellen, für die eine gesonderte diesem Bundesgesetz entsprechende, sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung eingerichtet ist. Das ASchG trat am 1.1.1995 in Kraft, woraus sich ergibt, dass die Verpflichtung zur Bestellung von Arbeitsmedizinern im Sinne des § 79 Abs 1 erster Satz ASchG seit diesem Datum besteht. Wenn § 19 Abs 1 Z 1 ASchG definiert, dass Arbeitstätten alle Gebäude sind, in denen Arbeitsplätze eingerichtet sind, folgt daraus, dass die Betriebsstätte G eine Arbeitstätte für die dort beschäftigten maximal 20 Personen bildet und die Filiale L eine Arbeitsstätte für die dort beschäftigten 2 Organisationsleiter. Hingegen suchen die Reinigungskräfte diese Arbeitsstätten nicht auf, sondern fahren direkt von ihren Wohnsitzen zu den Einsatzorten (Arbeitsstellen). Sie sind daher organisatorisch dem Unternehmenssitz zuzurechnen. Wenn in der Berufung die Meinung geäußert wurde, es fehlten hinsichtlich der arbeitsmedizinischen Betreuung ausdrückliche Normen, die dem § 77 ASchG vergleichbar sind, ist dies unrichtig, weil sich die relevante Regelung für die Ermittlung der Beschäftigtenzahl in § 115 Abs 3 ASchG findet. Selbst wenn jene 2 Beschäftigten in der Filiale L nicht der Betriebsstätte, zugleich Firmensitz G, zuzurechnen sind, ändert dies nichts Wesentliches am Beschäftigtenstand von ca 540 während des Tatzeitraums. Es bestand daher für die Gesellschaft bereits seit 1.1.1995 die Verpflichtung, einen Arbeitsmediziner zu bestellen. Da dies bis heute nicht geschehen ist, liegt jedenfalls während des Tatzeitraums eine Verletzung des § 79 Abs 1 ASchG vor, für welche der Berufungswerber als handelsrechtlicher Geschäftsführer im Sinne des § 9 Abs 1 VStG haftet. Wenn in der Berufung mit der Verjährung argumentiert wird, ist dies mit Hinweis auf § 31 Abs 2 VStG unrichtig, da das strafbare Verhalten bis heute nicht aufgehört hat, die Verjährungsfrist daher nicht in Gang gesetzt wurde. Strafbemessung: Nach § 130 Abs 1 Z 27 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von ?

145,35 bis ? 7.267,28, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 290,69 bis ? 14.534,57 zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber entgegen diesem Bundesgesetz oder den dazu erlassenen Verordnungen unter anderem die Verpflichtung zur Bestellung von Arbeitsmedizinern verletzt. Mangels einschlägiger Vorstrafen ist der erste Strafsatz anzuwenden. Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Die Verletzung der öffentlichen Interessen ist dadurch charakterisiert, dass die Haut der Reinigungskräfte beim Kontakt mit Reinigungs- und Desinfektionsmitteln geschädigt werden kann, und dass eine große Zahl von Arbeitnehmern vom Mangel der arbeitsmedizinischen Betreuung betroffen ist. Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen. Die erste Instanz wertete die lange Tatzeit als erschwerend und den Umstand, dass der Beschuldigte trotz mehrerer Aufforderungen den gesetzmäßigen Zustand nicht herstellte, als mildernd nichts. In der Berufung wird die Unbescholtenheit als Milderungsrund eingefordert. Dies erweist sich als zutreffend, da bei Tatzeitende keine rechtskräftige Vorstrafe vermerkt ist. Die mehreren Aufforderungen und die vom Arbeitsinspektorat geltend gemachte Einsichtslosigkeit, darf nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht als erschwerend gewertet werden, da eine bloße Anzeige nicht mit einer rechtskräftigen Vorstrafe im Sinn des § 33 Z 2 StGB gleichgesetzt werden darf (VwGH Zl.: 93/18/0195 vom 29.7.1993, im gleichen Sinn Z.: 93/18/0022). Allerdings lässt es die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu, Vorsatz anzunehmen, wenn der Beschuldigte der Aufforderung des AI, der Rechtsvorschrift Folge zu leisten, nicht nachkommt (Zl: 93/02/0304 vom 25.3.1994). Im Berufungsfall kann daher ebenfalls geschlossen werden, dass der Beschuldigte die Tat vorsätzlich begangen hat, es ist aber auch besonders auf die abschreckende Wirkung der Strafe abzuzielen. Zu den Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnissen liegen keine Angaben vor. Es ist anzunehmen, dass der Beschuldigte als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer Gesellschaft, die über 600 Mitarbeiter beschäftigt, ein überdurchschnittliches Einkommen bezieht. An Vermögen ist nur der Geschäftsanteil mit einer Stammeinlage von ? 91.567,77 ausgewiesen, die zur Hälfte eingezahlt ist. Da der Strafrahmen bis ? 7.267,28 reicht, erscheint bei erstmaliger Tatbegehung die Ausschöpfung des Strafrahmens bis zur Hälfte nicht gerechtfertigt zu sein, dies um so weniger, als die Unbescholtenheit in erster Instanz nicht als mildernd gewertet wurde. Auch die herabgesetzte Strafe wird dem Strafzweck noch ausreichend gerecht, des Gleichen die Ersatzfreiheitsstrafe. Die Berufung ist somit dem Grunde nach abzuweisen, hinsichtlich der Strafhöhe ist ihr stattzugeben.

Schlagworte
Beschäftigtenzahl Ermittlung Arbeitsmediziner Reinigungskräfte
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten