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41/01 Sicherheitsrecht;Norm
SPG 1991 §65 Abs1 idF 2000/I/085;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des HP in G, vertreten durch Dr. Franz Müller, Rechtsanwalt in 3470 Kirchberg am Wagram, Georg-Ruck-Straße 9, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 11. Juli 2002, Zl. 11-S-734-2002, betreffend Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung und Ladung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid verpflichtete die belangte Behörde den Beschwerdeführer zur Durchführung (gemeint: Mitwirkung an der Durchführung) der erkennungsdienstlichen Behandlung am Gendarmerieposten Großweikersdorf (Spruchpunkt I.) sowie dazu, sich zu diesem Zweck bei sonstiger zwangsweiser Vorführung am 24. Juli 2002 bei dem genannten Gendarmerieposten einzufinden (Spruchpunkt II.). Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am 28. Mai 2002 vom Gendarmerieposten Großweikersdorf "wegen des Verdachtes eine mit Strafe bedrohte Handlung nach § 84 StGB begangen zu haben bei der Staatsanwaltschaft Krems angezeigt" worden, einer Aufforderung des Gendarmeriepostens und in der Folge einer formlosen Aufforderung der belangten Behörde, sich einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen, aber nicht nachgekommen. In einer Stellungnahme vom 21. Juni 2002 habe er unter anderem geltend gemacht, dass das Vorliegen einer Strafanzeige nicht ausreiche, weil die Behörde "von einer erkennungsdienstlichen Behandlung absehen kann", wenn und solange nicht zu befürchten sei, dass der Betroffene "weitere gefährliche Angriffe" begehen werde. Der Behörde sei diesbezüglich - nach der in der Stellungnahme des Beschwerdeführers vertretenen Auffassung - Ermessen eingeräumt, dessen Ausübung sie zu begründen habe. Nach Ansicht der belangten Behörde stehe der Beschwerdeführer im Sinne des § 65 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) "im Verdacht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben," und es sei "nicht gesichert, dass keine neuerliche Begehung weiterer gefährlicher Angriffe erfolgen wird". Eine Ermessungsentscheidung im Hinblick auf die Abstandnahme von der erkennungsdienstlichen Behandlung habe "daher" nicht getroffen werden können. Die belangte Behörde habe "den vorliegenden Sachverhalt geprüft" und stelle "fest, dass die Befugnis des § 65 Abs. 1 SPG nicht schuld-, sondern gefährlichkeitsbezogen ist und im vorliegenden Fall von der Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht Abstand genommen wird".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Nach § 65 Abs. 1 SPG in der hier anzuwendenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 85/2000 sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, einen Menschen, der in Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn der Betroffene im Rahmen krimineller Verbindungen tätig wurde "oder dies sonst zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint". Was sich der Gesetzgeber unter dieser "Vorbeugung" vorstellt, ergibt sich aus der in § 65 Abs. 5 zweiter Satz SPG getroffenen Anordnung, wonach der Betroffene im Zusammenhang mit der erkennungsdienstlichen Behandlung "darauf hinzuweisen" ist, "dass die erkennungsdienstliche Behandlung deshalb erfolgte, um der Begehung gefährlicher Angriffe durch sein Wissen um die Möglichkeit seiner Wiedererkennung entgegenzuwirken" (vgl. zu dieser Rechtslage und der weitgehend ähnlichen der Novelle BGBl. I Nr. 146/1999 die hg. Erkenntnisse vom 19. Juni 2001, Zl. 2000/01/0185 und Zl. 2000/01/0491, sowie vom 11. Dezember 2001, Zl. 2001/01/0289; zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Begründungspflicht der Behörde die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Februar 2002, B 433/01, und vom 26. Juni 2002, B 931/02).
Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Beschwerdeführers zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer "Vorbeugung" durch eine erkennungsdienstliche Behandlung nicht näher auseinander gesetzt. Sie hat es genügen lassen, dass es ihr aus nicht näher genannten Gründen "nicht gesichert" erscheine, dass der Beschwerdeführer in Zukunft keine gefährlichen Angriffe begehen werde, und dies mit Ausführungen über das Unterbleiben einer "Abstandnahme" von der erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden, die sich im Sinne der insoweit verfehlten Argumentation des Beschwerdeführers auf eine Ermessungsübung nach der Rechtslage vor der Novelle BGBl. I Nr. 146/1999 zu beziehen scheinen (vgl. zu dieser Rechtslage zuletzt das hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0034). Richtigerweise hätte sie ihren Bescheid auf eine konkrete fallbezogene Prognose stützen müssen, wobei es in dieser Hinsicht nach dem zitierten Erkenntnis vom 11. Dezember 2001 für die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht genügt, dass "nicht ausnahmsweise ein spezialpräventives Bedürfnis" nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung "ausgeschlossen werden" kann, sondern umgekehrt das Vorhandensein eines solchen Bedürfnisses konkret feststellbar sein muss. Bei Beachtung der in der zitierten Rechtsprechung dargestellten Maßstäbe hätte die belangte Behörde auf Grund der hier aktenkundigen Verdachtslage, wonach der Beschwerdeführer unter näher beschriebenen Umständen seine Ehegattin mit einem Messer verletzt haben soll, prüfen müssen, ob er insbesondere im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol dazu neigen könnte, auch unter Umständen, unter denen seine Wiedererkennbarkeit nicht auch ohne erkennungsdienstliche Behandlung gesichert wäre, gefährliche Angriffe zu begehen, und eine Vorbeugung durch eine erkennungsdienstliche Behandlung aus diesem Grund erforderlich ist.
Da die belangte Behörde dies nicht erkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 17. September 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2002010320.X00Im RIS seit
18.10.2002