TE Vwgh Erkenntnis 2003/2/24 99/21/0227

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Veröffentlicht am 24.02.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
StGB §11;
StGB §201;
StGB §202;
StGB §21 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Reinhard Weber, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Anton-Schneider-Straße 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 9. Juni 1999, Zl. Fr-4250a-228/98, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) vom 9. Juni 1999 gerichtet, mit dem gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsbürger der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde.

Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer im Juni 1990 nach Österreich eingereist sei und im Rahmen der Familienzusammenführung seit 12. März 1991 entsprechende Aufenthaltstitel erhalten habe. Auf Grund seines fristgerecht gestellten Antrages auf Verlängerung seines letzten, bis 1. Februar 1998 gültigen Aufenthaltstitels halte er sich somit seit ca. neun Jahren durchgehend rechtmäßig in Österreich auf.

Auf Grund des langen Aufenthaltes sei zunächst zu prüfen gewesen, ob der fremdenpolizeilichen Maßnahme Aufenthaltsverfestigungstatbestände nach § 35 FrG entgegen stünden. Maßgeblich für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes seien die vom Beschwerdeführer im Mai und Juni 1995 sowie im Dezember 1996 gesetzten Sittlichkeitsdelikte gegen insgesamt drei minderjährige Mädchen gewesen. Vor diesem Zeitraum, somit vor Mai 1995, sei der Beschwerdeführer nicht einmal fünf Jahre durchgehend rechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen. Mangels Vorliegens der erforderlichen Zeitdauer sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, zumindest iSd § 35 FrG, zulässig.

Vom Landesgericht Feldkirch sei am 26. September 1995 ein Verfahren wegen geschlechtlicher Nötigung nach § 202 StGB wegen der Zurechnungsunfähigkeit des Beschwerdeführers gemäß § 11 StGB eingestellt worden. Der Anzeige sei zu Grunde gelegen, dass er im Mai 1995 ein auf dem Heimweg befindliches 17-jähriges Mädchen in L. überfallen, sie von hinten festgehalten und einen Geschlechtsakt nachgeahmt habe. Erst als sie zu schreien begonnen habe, habe er von ihr abgelassen. Am 13. Juni 1995 habe er ein 15- jähriges Mädchen überfallen, sie in einem dunklen Hauszugang von hinten umklammert und wiederum unter Stöhnen einen Geschlechtsakt nachgeahmt. Als sie zu schreien angefangen habe und ihr Onkel um die Ecke gekommen sei, habe er von ihr abgelassen und sei geflüchtet. Zu beiden Vorfällen sei er geständig gewesen.

Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 15. Mai 1997 sei der Beschwerdeführer gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden, weil er (am 20. Dezember 1996) mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit eine 16-jährige Schülerin, indem er sie von hinten umklammert und in eine Wiese gezerrt, ihr die Jacke, die Bluse und den Büstenhalter vom Oberkörper gerissen, sie von vorne mit beiden Händen festgehalten und zu Boden gestoßen, sich im Bereich der Oberschenkel auf sie gesetzt, als sie am Rücken gelegen sei, ihre Hände mit den Beinen eingeklemmt, ihre Brüste betastet und versucht habe, ihre Hose zu öffnen, zur Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht und mithin eine Handlung begangen habe, die zu dem mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Verbrechen der versuchten Vergewaltigung zu rechnen sei. Auf Grund seiner seit Geburt bestehenden geistig-seelischen Behinderung in Form einer Schwachsinnigkeit vom Schweregrad der Imbezillität, sohin einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes, der auf einer geistigen Abartigkeit höheren Grades beruhe, sei der Beschwerdeführer in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden.

Auch wenn im Urteil ausgesprochen werde, er wäre auf Grund seiner Behinderung nicht in der Lage, das Unrechtmäßige seines Handelns einzusehen und sich der Einsicht gemäß zu verhalten, ändere dies nichts an dem Umstand, dass er eine permanente Gefahr für seine Mitbürger darstelle, sondern vergrößere diese Gefahr eher noch, da ihm eine entsprechende Einsichtsfähigkeit fehle. Hinzu komme, dass er beim unkontrollierten Ausleben seines Sexualtriebes, wie dem Gerichtsurteil entnommen werden könne, auch noch eine brutale Vorgehensweise an den Tag gelegt habe. Es sei somit die Annahme gerechtfertigt, dass er auf Grund seines bisher mehrfach gesetzten Verhaltens eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle, und es könne gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 FrG ein Aufenthaltsverbot erlassen werden. Bestärkt werde die belangte Behörde in dieser Ansicht durch die Einweisung des Beschwerdeführers in eine "geschlossene Anstalt" für abnorme Rechtsbrecher sowie die - zumindest derzeit für notwendig befundene - "rund um die Uhr Betreuung" in einer Wohngemeinschaft der Lebenshilfe Vorarlberg bzw. der Kontrolle durch seine Eltern. Derartige Maßnahmen seien nur dann zulässig, wenn auch die Gerichte davon ausgingen, dass er sehr wohl eine Gefahr für Andere darstelle. Von der Möglichkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes werde zum Schutz der Bevölkerung Gebrauch gemacht. Die bloße Androhung des Aufenthaltsverbotes habe bereits im Jahre 1995 nicht genügt, um ihn von neuerlichen Übergriffen - noch dazu gegenüber minderjährigen Mädchen - abzuhalten.

In weiterer Folge sei zu prüfen gewesen, ob durch das Aufenthaltsverbot in unzulässiger Weise in das Privat- und Familienleben eingegriffen werde. Diesbezüglich ergebe sich aus dem vorliegenden Akt, dass sich der Beschwerdeführer seit ca. neun Jahren im österreichischen Bundesgebiet aufhalte, wobei er bis zur Einweisung in die Anstalt im gemeinsamen Haushalt mit seinem Bruder und seinen Eltern gelebt habe. Er spreche nur mangelhaft Deutsch, sei nicht in den Arbeitsprozess eingebunden gewesen und verfüge über keine sozialen Kontakte zu Freunden. Vor seiner Betreuung durch die Lebenshilfe sei somit keine soziale oder sonstige Integration des Beschwerdeführers in das österreichische Leben erfolgt. Derzeit besuche er an den Wochentagen die Förderwerkstätte der Lebenshilfe in R, wobei auf Grund des erst kurzfristigen Besuches noch von keiner besonderen Integration ausgegangen werden könne. Es finde somit lediglich insofern ein beachtlicher Eingriff in sein Privat- und Familienleben statt, als durch die aufenthaltsbeendende Maßnahme ein regelmäßiger Kontakt mit seinen Eltern erschwert werde.

Ein derartiger Eingriff sei jedoch zulässig, wenn die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes dringend erforderlich sei. Gerade in diesem Deliktsbereich zeige sich immer wieder die Schwierigkeit einer erfolgreichen Therapierbarkeit der Täter sowie einer schweren Abschätzbarkeit, ob eine Verhaltensänderung des Täters - auch für längere Zeit - erfolgreich herbeigeführt werden habe können. So würden derartige Täter oft auch nach längeren Zeiträumen des Wohlverhaltens wieder einschlägig rückfällig. Insbesondere der Umstand, dass gerade das vom Beschwerdeführer gesetzte Fehlverhalten bei anderen Menschen schwere seelische bzw. psychische Probleme auslöse, mache es zum Schutz seiner potenziellen Opfer dringend erforderlich, die aufenthaltsbeendende Maßnahme zu setzen.

Hinsichtlich seiner Interessen an einem Verbleib in Österreich könne nur seine Beziehung zu seinen Eltern zu seinen Gunsten herangezogen werden. Demgegenüber sei jedoch zu berücksichtigen, dass seine Opfer auf Grund der Vorfälle Beeinträchtigungen seelischer Natur erlitten hätten, welche nunmehr in ungerechtfertigter Art und Weise vom Beschwerdeführer bagatellisiert würden. So sei gerade im Bereich sexueller Übergriffe auf Frauen oder Mädchen bekannt, dass die Betroffenen oft über Jahre hinweg unter dem Erlebten leiden würden und die Aufarbeitung derartiger Übergriffe auch auf Grund der damit verbundenen Erniedrigung und Demütigung der Opfer sehr schwierig sei. Erschwerend sei zu bewerten, dass sich der Beschwerdeführer zudem an minderjährigen Mädchen vergriffen habe, in deren Leben dadurch gravierend und schmerzhaft eingegriffen worden sei. Dass er diese Auswirkungen als "vernachlässigbar" bewerte, sei für die belangte Behörde in keinster Weise nachvollziehbar. Vielmehr überwiege gerade im Hinblick auf die Folgen, die seine Übergriffe für die Opfer mit sich brächten, und im Interesse daran, anderen Frauen derartige Erfahrungen zu ersparen, das öffentliche Interesse an der Außerlandesschaffung des Beschwerdeführers den Eingriff in seine Lebenssituation. Hinzu komme, dass auch die Gerichte bzw. die Staatsanwaltschaft durch die Einweisung des Beschwerdeführers in eine "geschlossene Anstalt" sowie die anschließende, bis auf Weiteres vorgeschriebene Betreuung rund um die Uhr in einer Wohngemeinschaft zum Ausdruck gebracht hätten, dass sie davon ausgingen, dass er trotz der Therapie ohne ständige Kontrolle durch Dritte für seine Mitmenschen ein unberechenbares Gefahrenmoment darstelle. Derartige Maßnahmen seien nämlich nur dann zulässig, wenn davon ausgegangen werde, dass er unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde. So sei auch dem Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 2. Dezember 1998 zu entnehmen, dass eine weitere regelmäßige Betreuung des Beschwerdeführers unbedingt erforderlich sei. Ein Ausgang des Beschwerdeführers, nämlich Besuche an Samstagen und Sonntagen, würden nur - trotz seiner anscheinend positiven Entwicklung - unter elterlicher Aufsicht zugelassen. Dies dokumentiere ebenfalls, dass von Seiten des Gerichts und der Staatsanwaltschaft keineswegs davon ausgegangen werde, dass der Beschwerdeführer zum jetzigen Zeitpunkt bzw. auf absehbare Zeit bei einem völlig "freien" Leben keine Gefahr mehr für die körperliche Unversehrtheit anderer darstelle. Der gegenteiligen Ansicht des Beschwerdeführers, dass er keine Gefahr mehr darstelle, könne sich die belangte Behörde nicht anschließen. Vielmehr wäre bei Wegfall der von ihm ausgehenden Gefahr eine Kontrolle des Beschwerdeführers durch dritte Personen nicht mehr erforderlich gewesen und hätte die gerichtlich angeordnete Maßnahme aufgehoben werden müssen.

Dass eine Betreuung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland Jugoslawien nicht im selben Ausmaß möglich sei wie in Österreich, könne insofern nicht berücksichtigt werden, als im Rahmen der Interessenabwägung nur auf Umstände Bedacht zu nehmen sei, die den Aufenthalt des Fremden im Inland betreffen.

Es überwiege somit das öffentliche Interesse an der Setzung fremdenpolizeilicher Maßnahmen gegen einen Fremden, der seinen Sexualtrieb nicht unter Kontrolle halten könne und dadurch wiederholt in wesentliche Rechte bzw. Lebensbereiche Anderer eingegriffen habe und unter ständiger Kontrolle - sei es durch die Lebenshilfe oder seine Eltern - stehen müsse, um neue Übergriffe zu verhindern, den Eingriff in sein Privat- und Familienleben.

Die Dauer des Aufenthaltsverbotes erscheine erforderlich, um den angestrebten Verwaltungszweck, nämlich den Schutz der Bevölkerung vor neuerlichen Übergriffen durch den Beschwerdeführer zu erreichen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte unter Abfassung einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 36 Abs. 1 FrG ist die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen (die nationale Sicherheit, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer) erheblich gefährdet. Daraus folgt, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 36 Abs. 1 FrG nur dann in Betracht kommt, wenn ein solches erforderlich ist, um die festgestellte vom Fremden ausgehende Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden. In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinne des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist im Grund des § 36 Abs. 1 FrG das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die im Gesetz umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Die Aufzählung in § 36 Abs. 2 FrG ist jedoch lediglich demonstrativ und die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes ist auch dann zulässig, wenn zwar keiner der in § 36 Abs. 2 FrG aufgezählten Tatbestände verwirklicht ist, wohl aber auf Grund bestimmter Tatsachen die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Gefährlichkeitsprognose getroffen werden kann. Die in Abs. 2 leg. cit. genannten Sachverhalte sind dabei als Maßstab für die Schwere jener Tatsachen heranzuziehen, die bei der Verhängung eines bloß auf § 36 Abs. 1 FrG gegründeten Aufenthaltsverbots vorliegen müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. März 2002, Zl. 99/21/0340).

Gemäß § 37 Abs. 1 FrG ist ein durch ein Aufenthaltsverbot bewirkter Eingriff in das Privat- oder Familienleben des betroffenen Fremden nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Ein Aufenthaltsverbot darf gemäß § 37 Abs. 2 FrG nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Beurteilung ist gemäß dem zweiten Satz dieser Bestimmung auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden und seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären und sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 11. September 2001, Zl. 99/21/0365).

Der Beschwerdeführer bestreitet die dargestellten, vom Strafgericht als geschlechtliche Nötigungen nach § 202 StGB qualifizierten Tathandlungen vom Mai und Juni 1995 nicht. Er bestreitet aber, die ihm mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 15. Mai 1997 zur Last gelegte Tat der versuchten Vergewaltigung vom 20. Dezember 1996 begangen zu haben, wegen der er gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden ist. Seit 2. Dezember 1998 sei er auch de facto aus dem Maßnahmenvollzug entlassen, und der psychiatrische Sachverständige sowie der behandelnde Arzt hätten bestätigt, dass in seinem Fall weder durch therapeutische Maßnahmen noch durch medikamentöse Behandlung eine "Triebkorrektur" erforderlich gewesen wäre, weil dem Beschwerdeführer das Interesse am anderen Geschlecht völlig fehle. Letzterer gelange sogar zur Auffassung, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner Minderbegabung nicht fähig gewesen wäre, die ihm zur Last gelegte Tat (vom 20. Dezember 1996) zu begehen. Durch seine Unterbringung und Betreuung bei der Lebenshilfe Vorarlberg und seine Kontrolle in allen Lebensbereichen sei auch gewährleistet, dass von einer von ihm allenfalls ausgehenden Gefährdung nicht gesprochen werden könne. Auch sei das Aufenthaltsverbot nicht im Sinne des Art. 8 EMRK notwendig. Durch seine Abschiebung würde er der Sachwalterschaft und der medizinischen Behandlung entzogen. Es sei keinerlei Vorkehrung für seine Betreuung und Obsorge in seinem Heimatland getroffen.

Im vorliegenden Fall begegnet es keinen Bedenken, wenn die belangte Behörde - ungeachtet des Umstandes, dass kein Tatbestand des § 36 Abs. 2 FrG erfüllt war - die in § 36 Abs. 1 Z. 1 FrG umschriebene Gefährlichkeitsprognose auf Grund der vom Beschwerdeführer selbst unbestrittenen Tathandlungen des Jahres 1995 sowie seiner - rechtskräftig durch Gerichtsurteil festgestellten - Tathandlung vom 20. Dezember 1996 getroffen hat. Zutreffend weist die belangte Behörde auf die große Gefährlichkeit derartiger Sittlichkeitsdelikte und den schweren Schaden hin, der durch diese beim Opfer bewirkt werden kann. Auch hat die belangte Behörde zutreffend als beachtenswerten Gesichtspunkt ins Treffen geführt, dass im Bereich der Sexualdelikte trotz einer Therapie ein unberechenbares Gefahrenmoment verbleibt. Der belangten Behörde ist daher auch kein Vorwurf zu machen, wenn sie im vorliegenden Fall die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer als dringend geboten im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG erachtet hat.

Letztlich hat die belangte Behörde aber doch die Grundlagen für die Beurteilung, ob die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und die seiner Familie im Grunde des § 37 Abs. 2 FrG schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung, auf mangelhafte Weise bewertet.

Zum einen hat die belangte Behörde nämlich das Bestehen der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr damit begründet, dass weder das Gericht noch die Staatsanwalt davon ausgingen, dass er bei einem völlig "freien" Leben keine Gefahr mehr für die körperliche Unversehrtheit Anderer darstelle. Sie war offensichtlich der Auffassung, sie hätte die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr auf Grund der Annahme zu beurteilen, dass er ein "völlig freies Leben" führe und nicht mehr betreut werde. Bei der Beurteilung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr für die Zwecke der Abwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG hätte sie aber seine Gefährlichkeit auf der Grundlage seiner tatsächlichen Lebensverhältnisse beurteilen und berücksichtigen müssen, dass der Beschwerdeführer (dem die Sachverständigen einen geistigen Entwicklungsstand eines Kindes bescheinigt haben) offensichtlich - wie aus mehreren im Akt einliegenden Stellungnahmen hervorgeht - weiterhin in den Einrichtungen der Lebenshilfe Vorarlberg ständig betreut und auch entsprechend überwacht wird. Dieser Umstand wäre zumindest als Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden tatsächlichen Gefahr in Betracht zu ziehen gewesen. Auch wäre eine nähere Würdigung der etwa im Gutachten des Sachverständigen Univ. Doz. Dr. R.H. vom 29. Juli 1998 enthaltenen Darstellung seiner positiven Entwicklung sowie der Stellungnahme des Dr. H. S vom 4. August 1998, der Beschwerdeführer sei "als nicht gefährlich" einzustufen, erforderlich gewesen.

Hinsichtlich der Bewertung des Gewichts der privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgebracht, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und in der Folge seine Abschiebung für sein Fortkommen verheerende Folgen hätten, und er wegen des Fehlens von Beziehungen in seinem Heimatland mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der totalen Vernachlässigung und Verwahrlosung ausgesetzt wäre, die auf Grund seiner im Kindesalter stecken gebliebenen Entwicklung ernsthafte Gefahren für sein Leben mit sich bringen würden. Auch ist ein Schreiben des Generalkonsulats der Bundesrepublik Jugoslawien vom 22. Dezember 1998 aktenkundig, wonach in seinem Heimatland eine Unterbringung und Behandlung des Beschwerdeführers nicht möglich sei.

Zu dieser Problematik hat die belangte Behörde bloß mit der Aussage Stellung genommen, dass im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG nur auf Umstände Bedacht zu nehmen sei, die den Aufenthalt des Fremden im Inland betreffen. Damit hat sie jedoch die Rechtslage verkannt, weil zur Beurteilung der Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Fremden im Sinne des § 37 Abs. 2 FrG durchaus die Beurteilung der Frage gehört, ob dem Fremden im Fall der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Ausland etwa eine lebensnotwendige Behandlung fehlt (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Mai 2000, Zl. 98/21/0283, vom 27. Juni 2001, Zl. 2000/18/0117, und vom 22. März 2002, Zl. 2002/21/0027). Die belangte Behörde hätte sich daher auch im vorliegenden Fall bei der Bewertung der Schwere der Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation gemäß § 37 Abs. 2 FrG mit seinem Vorbringen hinsichtlich seines voraussichtlichen Schicksals nach seiner Ausreise als geistig schwer behinderte Person auseinander setzen müssen.

Indem der belangten Behörde sohin bei der Bewertung der für die Abwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG maßgeblichen Parameter eine rechtliche Fehlbeurteilung unterlief, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501.

Wien, am 24. Februar 2003

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:1999210227.X00

Im RIS seit

05.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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