TE Vwgh Erkenntnis 2004/8/3 2001/13/0022

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Veröffentlicht am 03.08.2004
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Index

E3L E09301000;
E6J;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
23/01 Konkursordnung;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
32/04 Steuern vom Umsatz;

Norm

31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art17;
61987CJ0342 Hoge Raad VORAB;
BAO §184;
KO §1;
KO §3;
KO §81;
KO §83;
UStG 1972 §11 Abs12;
UStG 1972 §12;
UStG 1972 §18;
UStG 1994 §11 Abs12;
UStG 1994 §11 Abs14;
UStG 1994 §12;
UStG 1994 §18;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Seidl LL.M., über die Beschwerde des G als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der F in W, vertreten durch Preslmayr & Partner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 12, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat I, vom 23. November 2000, Zl. RV/553-15/15/99, betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 1994 bis 1996, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er das Jahr 1994 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, soweit er das Jahr 1995 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, und soweit er das Jahr 1996 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die (nunmehrige) Gemeinschuldnerin befasste sich in den Streitjahren mit dem Vertrieb von Druckschriften.

Im Zuge einer die Jahre 1994 und 1995 umfassenden abgabenbehördlichen Prüfung wurde festgestellt, dass sie sich zur Aufstellung von Selbstbedienungsständen für Zeitungen und Zeitschriften zahlreicher, zumeist ausländischer Personen bedient habe. Darüber seien Belege mit Umsatzsteuerausweis erstellt worden. Die Belege seien - weil von der Gemeinschuldnerin ausgestellt - als Gutschriften im Sinne des § 11 UStG zu qualifizieren. Die Gemeinschuldnerin habe sich nicht überzeugt, ob die Honorarempfänger zum gesonderten Ausweis der Steuer in einer Rechnung berechtigt gewesen seien. Die Belege hätten auch nicht den Hinweis enthalten, dass der Leistungserbringer zur Abfuhr der ausgewiesenen Umsatzsteuer verpflichtet sei.

Überprüfungen der Monate März 1994 und Oktober 1995 hätten ergeben, dass lediglich 9 von 90 (März 1994) bzw. 23 von 120 Honorarempfängern (Oktober 1995) zum gesonderten Ausweis von Umsatzsteuer in einer Rechnung berechtigt gewesen seien. Weiters seien nach dem Ergebnis von Meldeamtserhebungen Honorarempfänger teilweise nicht an der angegebenen Adresse gemeldet gewesen.

Den Aussteller einer Gutschrift treffe - so die Ausführungen der Prüferin in Tz. 13 des Betriebsprüfungsberichtes - eine erhöhte Sorgfaltspflicht, wenn es, wie im Beschwerdefall, zweifelhaft sein müsse, ob der Empfänger der Gutschrift zum gesonderten Ausweis der Steuer in einer Rechnung berechtigt sei. Er habe sich in geeigneter Weise darüber Klarheit zu verschaffen, ob ein Regelbesteuerungsantrag nach § 6a UStG 1972 bzw. § 6 Abs. 3 UStG 1994 vorliege. Die Gemeinschuldnerin habe sich teilweise nicht einmal der Identität der Personen, mit denen abgerechnet worden sei, versichert. Auch das Einverständnis der Empfänger der Gutschriften sei insoweit anzuzweifeln, als die Honorarempfänger teilweise der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen seien. Die für den Monat März 1994 durchgeführten Erhebungen bei den Finanzämtern und Meldebehörden hätten ergeben, dass (lediglich) 9,09 % der Honorarempfänger sowohl steuerlich erfasst als auch an der angegebenen Adresse gemeldet gewesen seien. Dieselben Erhebungen für Oktober 1995 durchgeführt, hätten einen Satz von 17,74 % ergeben. Wende man diese Prozentsätze auf die für die Jahre 1994 und 1995 insgesamt geltend gemachten Vorsteuern aus Fremdleistungen an, ergäben sich für 1994 Vorsteuerkürzungen von S 2,256.141,47 und für 1995 von S 2,019.678,27.

Das Finanzamt nahm die Verfahren betreffend Umsatzsteuer 1994 und 1995 wieder auf und erließ, der Ansicht der Prüferin folgend, entsprechend geänderte Sachbescheide.

Im Ergebnis einer Umsatzsteuervoranmeldungsprüfung ergingen Festsetzungsbescheide für alle Kalendermonate des Jahres 1996. Dabei wurden die geltend gemachten Vorsteuerbeträge auf der Basis von Erhebungen für den Zeitraum November 1996 insoweit gekürzt, als lediglich 18,77 % der geltend gemachten Vorsteuern aus Honorarabrechnungen anerkannt wurden.

Die Gemeinschuldnerin erhob Berufung betreffend Umsatzsteuer 1994 und 1995 sowie gegen die bescheidmäßige Festsetzung von Umsatzsteuervorauszahlungen für 1996. Begründend wurde auf vorangegangene Umsatzsteuernachschauergebnisse verwiesen, welche im nunmehr strittigen Punkt zu keinen Beanstandungen geführt hätten. Im Vertrauen auf die "Verlässlichkeit des Prüfungsergebnisses" habe die Gemeinschuldnerin die nunmehr bemängelte Vorgangsweise beibehalten. Davon abgesehen sei jedenfalls "ein Größenschluss von einem Zwölftel auf das Jahresganze" in Anbetracht der finanziellen Auswirkungen unzulässig.

In einer Stellungnahme zur Berufung erwiderte die Prüferin, dass im Verlaufe des Prüfungsverfahrens keine Einwendungen gegen die Schätzungsmethode erhoben worden seien. Die Überprüfung der Abrechnungen für jeweils einen Monat eines Jahres stelle eine ausreichende Größe dar, um eine mathematisch-statistische Hochrechnung anzustellen, deren Ergebnis die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich habe. Bei den vorangegangenen Umsatzsteuervoranmeldungsprüfungen seien die Honorarnoten keiner Überprüfung unterzogen worden. Dass die Gemeinschuldnerin die Honorarnoten selbst erstellt habe, die ausgewiesenen Adressen teilweise unrichtig und die Honorarempfänger zum Teil der deutschen Sprache nicht mächtig und steuerlich nicht erfasst seien, seien Umstände, die erst im Rahmen der abgabenbehördlichen Prüfung hervorgekommen seien.

Nach Ergehen einer abweisenden Berufungsvorentscheidung beantragte die Gemeinschuldnerin die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Darin trat sie der Feststellung des Finanzamtes, bei den Abrechnungen würde es sich um Gutschriften handeln, entgegen. Sie habe lediglich auf Verlangen der Auftragnehmer, die oftmals der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig gewesen seien, Hilfestellung bei "der Ausfüllung der Rechnungen" geleistet. Auch sei es unzulässig, Vorsteuern auf Grund "mathematisch-statistischer Verfahren" nicht anzuerkennen. Selbst hinsichtlich der überprüften drei Monate sei die Prüferin mit großer Sorglosigkeit vorgegangen. So seien hinsichtlich März 1994 von 91 angeführten Auftragnehmern 38 Namen falsch wiedergegeben worden und deshalb die Erhebungen ins Leere gelaufen. Der Gemeinschuldnerin sei es gelungen, 35 zusätzliche Steuernummern zu eruieren. Für Oktober 1995 betrage die Fehlerquote bei 120 Personen "59 Fehlbenennungen und 79 von mir zusätzlich festgestellte Steuernummern". Hinsichtlich November 1996 betrage die Fehlerquote bei 155 Personen "59 Fehlbenennungen und 75 von mir zusätzlich festgestellte Steuernummern". Beim Vorsteuerabzug handle es sich um keine Steuerbegünstigung, sondern um die Herstellung der Steuerneutralität innerhalb der Unternehmerkette. Habe ein Kleinunternehmer zu Unrecht Umsatzsteuer ausgewiesen, schulde er diese, ohne selbst zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein. Das Recht auf Vorsteuerabzug durch die Gemeinschuldnerin bestehe hingegen auch im Falle unberechtigten Steuerausweises.

Mit dem angefochtenen (bereits gegenüber dem Masseverwalter ergangenen) Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung nur insoweit Folge als der in den Streitjahren jeweils anzuerkennende Prozentsatz auf 12,47 % (1994), 25,02 % (1995) und 28,59 % (1996) erhöht wurde.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Gemeinschuldnerin habe aus einer großen Anzahl von Honorarnoten Vorsteuerabzüge geltend gemacht. Bei näherer Überprüfung dieser Rechnungen sei festgestellt worden, dass sie "layout-mäßig" ein gleiches Aussehen hätten. Der Name des Leistungserbringers sei handschriftlich hinzugefügt und vom angegebenen Leistungserbringer unterschrieben worden. Die Rubrik "Ich habe folgende Steuernummer ..." sei oftmals unausgefüllt geblieben. Aus diesem Grund seien die "Honorarnoten" nicht als Rechnungen, sondern als Gutschriften zu qualifizieren. Bei einer Gutschrift rechne nicht der Leistende, sondern der Leistungsempfänger über die Leistung ab. Die (allenfalls) unrichtige Versicherung des Empfängers einer Gutschrift, zur Erteilung von Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis berechtigt zu sein, verschaffe dem auf die Richtigkeit einer derartigen Versicherung vertrauenden Aussteller der Gutschrift nicht die Berechtigung zum Abzug der in der Gutschrift gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer. Erforderlich sei vielmehr, dass sich der Aussteller einer Gutschrift Klarheit darüber verschaffe, ob der Leistungserbringer steuerpflichtige Leistungen erbracht habe. Werde eine Gutschrift ausgestellt, obwohl der Leistende zur Ausstellung einer Rechnung mit gesondertem Steuerausweis nicht berechtigt sei, verliere er das Recht auf den Vorsteuerabzug. Der Aussteller einer Gutschrift müsse sich - wenn er die umsatzsteuerlichen Verhältnisse des Gutschriftsempfängers nicht genau kenne - von diesem "eine verbindliche Erklärung geben lassen". Allerdings verhelfe auch eine solche Erklärung, wenn sie unrichtig sei, nicht zum Vorsteuerabzug. Es komme ihr aber Bedeutung im Zusammenhang mit der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche zu. Der Aussteller einer Gutschrift habe sich "zusätzlich abzusichern, dass der Gutschriftsempfänger (Leistungserbringer) zum gesonderten Ausweis der Steuer berechtigt" sei. Das Risiko, dass das nicht der Fall sei, trage der Aussteller der Gutschrift. Die Gemeinschuldnerin hätte sich neben einer verbindlichen Erklärung sonstige Beweismittel, wie z.B. mit Finanzamtsstempel versehenen Antrag zur Regelbesteuerung, vorlegen lassen müssen.

Gegenständlich handle es sich bei den Leistungserbringern durchwegs um Kleinunternehmer im Sinne des § 6 Abs. 1 Z. 27 UStG 1994 bzw. § 6 Z. 18 UStG 1972. Diese seien unecht steuerbefreit und nur im Falle einer Option zur Steuerpflicht zum Ausweis von Umsatzsteuer berechtigt.

Die Betriebsprüfung habe für die zu prüfenden Kalenderjahre je einen Monat herausgegriffen und sämtliche Honorarnoten darauf hin geprüft, ob es sich bei den Leistungserbringern um Kleinunternehmer gehandelt habe, welche zur Regelbesteuerung optiert hätten. Auf Grund dieser Ermittlungen habe die Betriebsprüfung die Vorsteuern aufgeteilt. Jene Vorsteuern, die von Unternehmern ausgewiesen worden seien, die zur Regelbesteuerung optiert haben und steuerlich erfasst waren, seien anerkannt worden. Nicht anerkannt worden seien hingegen jene Vorsteuern, die von nicht zur Regelbesteuerung optierenden Unternehmern ausgewiesen worden seien. Das Ergebnis sei in ein "zahlenmäßiges Verhältnis gesetzt und auf ein Jahr hochgerechnet" worden.

Die belangte Behörde schließe sich zwar den Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 25. Februar 1998, 97/14/0107, an, doch änderten diese Ausführungen nichts daran, dass Kleinunternehmer nicht zum gesonderten Steuerausweis berechtigt seien und aus diesem Grund keine Gutschriften im Sinne des UStG vorlägen. Werde in einer Gutschrift unberechtigt Umsatzsteuer ausgewiesen, liege einerseits keine Rechnung vor, welche den Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtige, andererseits entstehe aber auch keine Steuerschuld nach § 11 Abs. 12 UStG.

Nach Wiedergabe des § 184 BAO und allgemeinen Ausführungen zur Schätzungsberechtigung und Schätzungsmethode wird im angefochtenen Bescheid sodann sachverhaltsbezogen ausgeführt, der Gemeinschuldnerin sei von der Betriebsprüfung laufend mitgeteilt worden, wie vorgegangen werde und zu welchem Ergebnis die Prüferin gelangt sei. Die "Behauptung", die Abgabenbehörde dürfe nicht von einem Monat auf ein Jahr hochrechnen, gehe ins Leere, da "die Bp. nicht alle Belege durchsehen und ein ganzes Jahr kontrollieren" müsse. Bei der Durchführung von Betriebsprüfungen sei vielmehr auf größtmögliche Wirtschaftlichkeit des Verfahrens zu achten. Soweit wie möglich seien Stichprobenprüfungen - allenfalls unter Anwendung mathematisch-statistischer Methoden - anzustreben. Glaube die Gemeinschuldnerin, dass die Ergebnisse dieser Monate nicht repräsentativ seien, müsse sie insofern mitwirken, als sie "konkrete Zahlen und Ergebnisse" vorlege.

Da die Gemeinschuldnerin die Namenslisten der Prüferin berichtigt und weitere Steuernummern der Leistungsempfänger eruiert habe, seien entsprechende Überprüfungen vorgenommen worden, welche die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis als die Betriebsprüfung hätten kommen lassen. Anhand der "berichtigten Namenslisten" habe sich ergeben, dass mehr Personen zur Regelbesteuerung optiert hätten. Daraus errechneten sich für die einzelnen Monate höhere Prozentsätze, die wiederum für das ganze Jahr angewendet würden.

Nichts zu gewinnen sei für die Gemeinschuldnerin aus dem Umstand, dass einzelne Voranmeldungszeiträume bereits einer Umsatzsteuernachschau unterzogen worden seien. Bei einer bloßen Nachschau seien die Befugnisse der Abgabenbehörden wesentlich geringer als bei einer abgabenbehördlichen Prüfung. Auch würden andere Schwerpunkte gesetzt. Es sei daher zulässig, auch für Zeiträume, für die bereits eine Nachschau durchgeführt worden sei, eine abgabenbehördliche Prüfung vorzunehmen.

Die amtswegige Ermittlungspflicht bestehe nur innerhalb der Grenzen des Möglichen und des vom Verfahrenszweck her gebotenen und zumutbaren Aufwandes. Eine vollständige Erhebung und Überprüfung jedes einzelnen Geschäftsfalles anlässlich einer abgabenbehördlichen Prüfung sei nicht notwendig und für die Abgabenbehörde unzumutbar. Auch treffe den Abgabepflichtigen eine Mitwirkungspflicht. Die bloße Behauptung der Gemeinschuldnerin, die Abgabenbehörde müsse "jeden Monat, jedes Jahres genau nachrechnen, ist lediglich ein Hinweis, dem die belangte Behörde nicht nachkommen" müsse. Die Art der Tätigkeit sei eine regelmäßige, die darin bestehe, Zeitungen an bestimmten Plätzen aufzustellen. Solcherart erscheine es der belangten Behörde "denkmöglich, dass man von einem Monat auf ein Jahr hochrechnen kann". Wiewohl von der Betriebsprüfung in den verschiedenen Jahren verschiedene Monate herangezogen worden seien, würden sich die ermittelten Prozentsätze nur geringfügig unterscheiden.

Auch der Grundsatz von Treu und Glauben stehe der gegenständlichen Sachentscheidung nicht entgegen. Die Gemeinschuldnerin sei seitens der Behörde nicht zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert worden. "Und lediglich das unbewiesene Nachfragen bzw. Vorlegen der Honorarnoten bei einer nicht näher bezeichneten Amtsperson rechtfertigt nicht ein Verhalten nach Treu und Glauben."

Hinsichtlich des Jahres 1996 wird im angefochtenen Bescheid ausgeführt, die Gemeinschuldnerin habe Berufung gegen die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide für die Monate Jänner bis Dezember 1996 erhoben. Die Festsetzungsbescheide seien durch die Erlassung eines Jahresbescheides aus dem Rechtsbestand ausgeschieden und die Berufung "in einem anderen Verfahren" als unzulässig zurückgewiesen worden. Die Gemeinschuldnerin habe die Jahreserklärung für 1996 mit dem Hinweis "unter Protest - Verweis auf die Berufung vom 16.11.1998" beim Finanzamt eingebracht. Dieses habe erklärungsgemäß veranlagt. Eine Berufung gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid liege nicht vor. Da die belangte Behörde davon ausgehen könne, den Inhalt der unterlassenen Berufung zu kennen und "die Entscheidung des Senates für die Bw. ein günstigeres Ergebnis ergibt", habe die belangte Behörde - obzwar eine Berufung für dieses Jahr nicht vorliege - auch über das Veranlagungsjahr 1996 abgesprochen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerde bezeichnet ausdrücklich die Gemeinschuldnerin als Beschwerdeführerin und enthält die Erklärung, dass die Beschwerdeführerin durch den Masseverwalter und dieser durch eine bevollmächtigte Rechtsanwaltspartnerschaft vertreten werde. Da die vorliegende Bezeichnung der beschwerdeführenden Partei als der so genannten "Vertretertheorie" folgende, zulässige Bezeichnung des Masseverwalters im Prozess gedeutet werden kann (vgl. den hg. Beschluss vom 21. Mai 1990, 89/15/0058, mit weiteren Nachweisen), ist die Beschwerde als solche des Masseverwalters zu verstehen.

Gemäß § 6 Z. 18 UStG 1972 in der für das Jahr 1994 geltenden Fassung sind die Umsätze von Kleinunternehmern steuerfrei. Kleinunternehmer ist ein Unternehmer, dessen Umsätze im Veranlagungsjahr 300.000 S nicht übersteigen. Für die Veranlagungsjahre 1995 und 1996 sieht § 6 Z. 27 UStG 1994 eine vergleichbare Regelung vor.

Der Unternehmer schuldet gemäß § 11 Abs. 12 UStG 1972 (1994) einen Umsatzsteuerbetrag auf Grund der Rechnung, wenn er in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen Steuerbetrag ausweist, den er nach diesem Bundesgesetz für den Umsatz nicht schuldet. Eine Steuerschuld nach § 11 Abs. 14 UStG 1972 (1994) entsteht, wenn die in Rechnung gestellte Leistung gar nicht erbracht wurde, oder wenn ein Nichtunternehmer eine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis ausstellt.

Im Erkenntnis vom 25. Februar 1998, 97/14/0107, hat der Verwaltungsgerichtshof zum zeitlichen Geltungsbereich des UStG 1972 ausgeführt, dass das UStG in den Abs. 12 und 14 des § 11 zwei Tatbestände geschaffen hat, die zu einer Steuerschuld führen, welche nicht durch eine umsatzsteuerpflichtige Lieferung oder sonstige Leistung ausgelöst wird. Beide Tatbestände dienten in erster Linie der Verhinderung von Missbräuchen und Schädigungen des Steuergläubigers. Die Bestimmung des § 11 Abs. 12 UStG 1972 bezwecke die Gewährleistung der betragsmäßigen Identität zwischen der Steuerschuld des leistenden Unternehmers und dem Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers, weshalb die vom leistenden Unternehmer auf Grund der Vorschrift des § 11 Abs. 12 UStG 1972 geschuldete Steuer - im Gegensatz zu der nach § 11 Abs. 14 UStG 1972 geschuldeten Steuer - vom Leistungsempfänger in der Regel als Vorsteuer abgezogen werden könne.

Für den zeitlichen Geltungsbereich des UStG 1994 werde nach dem zitierten Erkenntnis hingegen im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH in richtlinienkonformer Interpretation davon auszugehen sein, dass sich der Anspruch auf Vorsteuerabzug nicht auf eine Steuer erstreckt, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auf das Urteil des EuGH vom 13. Dezember 1989, Rs C-342/87, Slg. 1989, 4.227, verwiesen. Danach kann der Leistungsempfänger nach Art. 17 der

6. RL 77/388/EWG nur den Betrag an Mehrwertsteuer abziehen, den der leistende Unternehmer auf Grund der Leistung schuldet. Das Recht auf Vorsteuerabzug ist somit für eine Steuer ausgeschlossen, die - entweder weil sie höher ist als die gesetzlich geschuldete Steuer oder weil der betreffende Umsatz nicht der Mehrwertsteuer unterliegt - in keinem Zusammenhang mit einem bestimmten Umsatz steht, sondern nur auf Grund der Rechnungslegung geschuldet wird.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ist im Beschwerdefall nach den jeweiligen Streitjahren zu unterscheiden.

Veranlagungszeitraum 1994:

Für den Geltungsbereich des UStG 1972 hat der Verwaltungsgerichtshof im angeführten Erkenntnis 97/14/0107 ausgesprochen, dass auch Gutschriften zur Steuerschuld nach § 11 Abs. 12 UStG 1972 und zum korrespondierenden Vorsteuerabzug führen. Aus dem Aufbau der Bestimmung des § 11 UStG 1972 ergebe sich, dass der Gesetzgeber die Sonderregelungen für unrichtigen bzw. unzulässigen Steuerausweis auch für Gutschriften habe treffen wollen.

Anders als die belangte Behörde meint, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis vom 25. Februar 1998 nicht nur eine grundsätzliche Gleichstellung von Rechnungen und Gutschriften vorgenommen, sondern das Recht auf Vorsteuerabzug ausdrücklich auch für den Fall bejaht, dass eine Gutschrift (und nicht eine Rechnung) zur Steuerschuld nach § 11 Abs. 12 UStG 1972 führt. Der diesem Erkenntnis zu Grunde liegende Sachverhalt ist mit dem vorliegenden in jeder Hinsicht vergleichbar. Auch in jenem Beschwerdefall ging es um den unberechtigten Ausweis von Umsatzsteuer im Zusammenhang mit von Kleinunternehmern erbrachten Leistungen. Strittig war nicht die Vorschreibung von Umsatzsteuer gemäß § 11 Abs. 12 UStG 1972, sondern die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs aus den Provisionsabrechnungen.

Wie im seinerzeitigen Beschwerdefall hat die belangte Behörde daher auch gegenständlich den geltend gemachten Vorsteuern des Jahres 1994 zu Unrecht deshalb die Anerkennung versagt, weil die zu Grunde liegenden Belege Gutschriften und nicht Rechnungen anderer Art gewesen sind. Bei dieser Rechtslage kann es auf sich beruhen, ob - was der Beschwerdeführer bestreitet - die belangte Behörde überhaupt zur Feststellung gelangen durfte, dass die Abrechnungsbelege als Gutschriften (und nicht als Rechnungen) anzusehen sind.

Der angefochtene Bescheid war somit in seinem Abspruch betreffend Umsatzsteuer 1994 gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Veranlagungszeitraum 1995:

Nach dem angeführten Urteil des EuGH vom 13. Dezember 1989 kann der Leistungsempfänger nach Art. 17 der 6. RL 77/388/EWG nur den Betrag an Mehrwertsteuer abziehen, den der leistende Unternehmer auf Grund der Leistung schuldet. Im zeitlichen Geltungsbereich des UStG 1994, bei dessen Auslegung im Hinblick auf den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union die Rechtsprechung des EuGH zu beachten ist, ist somit ein Vorsteuerabzug für eine Steuer ausgeschlossen, die nur auf Grund der Rechnungslegung geschuldet wird. Dabei kommt es gleichfalls nicht darauf an, ob die Abrechnung mittels Gutschrift oder durch Rechnungen anderer Art erfolgt ist.

Der Vorsteuerabzug ist an die Erfüllung persönlicher und sachlicher Voraussetzungen geknüpft. Er ist nicht von Amts wegen vorzunehmen, sondern wird nur auf Antrag gewährt. Es liegt beim Unternehmer, ob er das Recht auf Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen möchte. Keine Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist eine ordnungsgemäße Buchführung, eine ordnungsgemäße Führung der Aufzeichnungen nach § 18 UStG oder ein buchmäßiger Nachweis (vgl. Ruppe, UStG2, Tz. 12 bis 14 zu § 12, und die dort angeführte Rechtsprechung).

Als Nachweis der Höhe abzugsfähiger Vorsteuern dienen in der Regel Urkunden, in denen über Leistungen abgerechnet wird.

Im Beschwerdefall hat die Gemeinschuldnerin den Vorsteuerabzug auf Grund von Abrechnungsbelegen ("Honorarnoten") vorgenommen, in welchen Steuer gesondert ausgewiesen war. Die belangte Behörde hat dessen ungeachtet den Vorsteuerabzug teilweise mit der Begründung versagt, dass die leistenden Unternehmer unter die Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 gefallen seien und nicht zur Steuerpflicht optiert hätten. Sie hat sich dabei entscheidend auf den Umstand gestützt, dass die Honorarempfänger steuerlich nicht erfasst seien (der zuständigen Abgabenbehörde keine Optionserklärung vorliege) und auch keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Leistungserbringer aus sonstiger unternehmerischer Tätigkeit die maßgebliche Umsatzgrenze überschritten haben könnten.

Soweit sich diese Feststellungen auf den überprüften Voranmeldungszeitraum Oktober 1995 beziehen, bestreitet der Beschwerdeführer zu Recht nicht, dass die Beweiskraft der vorgelegten Belege erschüttert war und insoweit der Vorsteuerabzug versagt werden durfte. Wie schon im Verwaltungsverfahren die Gemeinschuldnerin wendet sich der Beschwerdeführer gegen die schätzungsweise Ermittlung des Vorsteuerabzugs für die restlichen Voranmeldungszeiträume des Jahres.

Die belangte Behörde hat die Versagung des Vorsteuerabzugs insoweit auf § 184 BAO gestützt. Sie hat ihre Schätzungsberechtigung damit begründet, dass es der Abgabenbehörde unzumutbar sei, eine Vielzahl von Rechnungen darauf hin zu überprüfen, ob der Leistungserbringer zum gesonderten Ausweis von Umsatzsteuer berechtigt sei.

Die Befugnis (Verpflichtung) zur Schätzung beruht allein auf der objektiven Voraussetzung der Unmöglichkeit, die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln oder zu berechnen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1995, 94/14/0157). Schätzen ist ein Akt der Feststellung tatsächlicher Gegebenheiten und Verhältnisse, die trotz Bemühens der Behörde um Aufklärung nicht mit der erforderlichen Sicherheit ermittelt werden können (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 1.912 und die dort angeführte hg. Rechtsprechung).

Ob eine Rechnung (ein sonstiger Abrechnungsbeleg) zum Vorsteuerabzug berechtigt, bedarf auf den jeweiligen Beleg bezogener Feststellungen. Dies gilt auch dann, wenn ein Unternehmer mit einer "größeren Anzahl" von Honorarempfängern abrechnet. Überlegungen der Verfahrensökonomie mögen Erhebungen hinsichtlich geringfügiger Beträge unzweckmäßig erscheinen lassen. Die rechtliche Folgerung derartiger verwaltungsökonomischer Gesichtspunkte kann allerdings nicht darin bestehen, sich über vorgelegte Beweismittel hinwegzusetzen und Abgaben im Schätzungswege festzusetzen. Dass es nach der Lage des Beschwerdefalles nicht zu beanstanden ist, wenn die Abgabenbehörde mangels steuerlicher Erfassung einzelner Honorarempfänger zur Feststellung gelangt ist, eine Berechtigung dieser Personen zum Steuerausweis habe nicht bestanden, wurde bereits ausgeführt. Solcherart ist aber nicht zu erkennen, warum es - worauf der Beschwerdeführer zutreffend hinweist - den Abgabenbehörden nicht möglich gewesen sein sollte, entsprechende Datenabfragen hinsichtlich aller zu beanstandenden Belege vorzunehmen und dem Abgabepflichtigen das Ergebnis dieser Erhebungen zur Vorlage allenfalls weiterer Beweismittel zur Kenntnis zu bringen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher in seinem Abspruch betreffend Umsatzsteuer 1995 mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet und war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Veranlagungszeitraum 1996:

Die belangte Behörde hat die vom Beschwerdeführer nicht bestrittene Sachverhaltsfeststellung getroffen, dass eine Umsatzsteuerveranlagung für das Jahr 1996 vorliegt und eine Berufung gegen diesen Umsatzsteuerjahresbescheid nicht erhoben wurde. Dessen ungeachtet hat sie eine Sachentscheidung getroffen. Mangels erhobener Berufung gegen den Umsatzsteuerbescheid 1996 war die belangte Behörde aber zur Entscheidung über eine solche Berufung nicht zuständig. Damit hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde belastet. Die beschwerdeführende Partei wird durch die Sachentscheidung in ihrem im Rahmen des Beschwerdepunktes (Anerkennung von Vorsteuern) gelegenen subjektiv-öffentlichen Recht auf Beachtung der einfachgesetzlichen Zuständigkeitsordnung verletzt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1995, 90/14/0225), was vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 Abs. 1 VwGG von Amts wegen wahrzunehmen war.

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Abspruch hinsichtlich Umsatzsteuer 1996 gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 3. August 2004

Schlagworte

Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH AllgemeinMangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Mangel der Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit sowie der Ermächtigung des Einschreiters

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001130022.X00

Im RIS seit

01.09.2004

Zuletzt aktualisiert am

16.05.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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