TE OGH 1952/8/1 2Ob619/52

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.08.1952
beobachten
merken

Norm

ABGB §1295 (1)
ABGB §1304
ABGB §1311
Straßenpolizeigesetz §18 (1)
Straßenpolizeiordnung §80 (1)

Kopf

SZ 25/216

Spruch

Schadensteilung bei Beschädigung eines Tieres, das mit anderen Tieren von einem noch nicht 16jährigen Treiber, der die Herde vorübergehend sich selbst überließ, getrieben wurde, wenn Motorradfahrer es unterließ, stehen zu bleiben oder die Geschwindigkeit herabzusetzen.

Entscheidung vom 1. August 1952, 2 Ob 619/52.

I. Instanz: Bezirksgericht Wiener Neustadt; II. Instanz:

Kreisgericht Wiener Neustadt.

Text

Der Kläger begehrte vom Beklagten den Ersatz des Schadens, den er dadurch erlitten hat, daß ein ihm gehöriges zehn Monate altes Kalb (Jungochse) vom Motorrad des Beklagten niedergestoßen worden ist und infolge der Verletzungen notgeschlachtet werden mußte.

Das Prozeßgericht hat das Klagebegehren abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat ihm stattgegeben.

Der Oberste Gerichtshof hat dem Kläger die Hälfte seines Schadens zugesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach den Feststellungen des Prozeßgerichtes, die das Berufungsgericht nicht abgeändert hat, trieb am 10. November 1950 um etwa 15 Uhr die damals zwölfjährige Tochter des Klägers auf der rechten Seite der Bezirksstraße nächst G. in der Richtung gegen W. sechs (richtig acht) Rinder, sechs Schafe und drei Lämmer. Der Beklagte kam ihr mit seinem Motorrad auf der anderen Straßenseite entgegen und verminderte seine Geschwindigkeit auch nicht wesentlich, als er der Herde nahe war. Als er nur mehr etwa 10 m von der Herde entfernt war, wurde ein Jungochse von einer nachfolgenden Kuh zur Straßenmitte gestoßen; der Beklagte konnte nicht mehr vollständig abbremsen und stieß den Jungochsen nieder. Die Tochter des Klägers war im Zeitpunkt des Unfalles abgelenkt, weil sie einem Lamm, das aus dem Trieb ausgebrochen war, über die Straße nacheilte. Das gegen den Beklagten bei Gericht eingeleitete Strafverfahren ist gemäß § 90 StPO. eingestellt worden, hingegen ist er von der Bezirkshauptmannschaft rechtskräftig der Übertretung nach § 20 Abs. 6 StPolO. schuldig erkannt worden, weil er "trotz eines ihm entgegenkommenden Viehtriebes sein Fahrzeug nicht angehalten hat, wodurch ein Rind verletzt wurde und notgeschlachtet werden mußte".

Während das Prozeßgericht angenommen hat, daß den Kläger das alleinige Verschulden an dem Unfall treffe, weil er nicht die entsprechende Anzahl geeigneter Treiber beigestellt hatte, ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Beklagte von seiner grundsätzlichen Haftung nach § 7 Abs. 1 Kraftf.-Verk.G. nur dann befreit ist, wenn der Unfall auf ein unabwendbares Ereignis zurückzuführen ist; da das Berufungsgericht die Voraussetzungen für diesen Haftbefreiungsgrund verneint und einen Kausalzusammenhang zwischen der Außerachtlassung der Bestimmung des § 80 Abs. 1 StPolO. durch den Kläger und dem Unfall ausgeschlossen hat, hat es dem Beklagten das Alleinverschulden angelastet und ihm den Ersatz des gesamten Schadens, dessen Höhe nicht mehr bestritten ist, aufgetragen.

Der Beklagte erblickt einen Verfahrensmangel darin, daß das Berufungsgericht den von ihm in der ersten Instanz beantragten Beweis durch seine Vernehmung als Partei nicht durchgeführt hat, durch den festgestellt worden wäre, daß der Jungochse plötzlich in das Motorrad hineingesprungen sei. Die Beweisaufnahme war jedoch entbehrlich, da auch die vom Beklagten mit ihr angestrebte Feststellung nicht ausgereicht hätte, ihn von jeder Haftung zu befreien. Selbst wenn die Verletzung des Jungochsen auf ein unabwendbares Ereignis, also auf einen Zufall im Sinne des § 1311 ABGB., zurückgeführt werden könnte, so hat der Beklagte doch, wie auf Grund seiner rechtskräftigen Verurteilung durch die Verwaltungsbehörde feststeht, ein Gesetz, das den zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht, übertreten. Der Unfall wäre auf jeden Fall - zumindestens in dem Ausmaß - vermieden worden, wenn der Beklagte entsprechend der Vorschrift des § 18 Abs. 6 StPolG. überhaupt stehen geblieben wäre oder wenigstens seine Geschwindigkeit so herabgesetzt hätte, um innerhalb einer Strecke von 10 m stehenbleiben zu können. Denn bei jeder Vorbeifahrt an einer Viehherde muß der Fahrer ins Kalkül ziehen, daß - aus was immer für Gründen - ein Vieh in seine Fahrbahn gerät; er darf daher nur eine solche Fahrgeschwindigkeit wählen, bei der die Sicherheit des Viehes nicht gefährdet werden kann (§ 18 Abs. 1 StPolG.). Dem Berufungsgericht ist daher insoweit ein Rechtsirrtum nicht unterlaufen, als es das Verschulden des Beklagten angenommen hat.

Hingegen kommt der Berufung Berechtigung zu, sofern in ihr dagegen Stellung genommen wird, daß das Berufungsgericht ein Mitverschulden des Klägers ausgeschlossen hat. Nach § 80 Abs. 1 StPolO. müssen Tiere auf der Straße so getrieben oder geführt werden, daß der übrige Verkehr möglichst wenig behindert wird; insbesondere dürfen Personen unter 16 Jahren nicht allein als Treiber verwendet werden. Selbstverständlich wird auch ein erwachsener Viehtreiber nicht unter allen Umständen in der Lage sein, ein plötzliches Ausbrechen eines Tieres aus der Reihe zu verhindern. Er hätte sich jedoch im konkreten Fall bestimmt anders verhalten als die Tochter des Klägers, der es trotz des Herannahens des Motorradfahrers nur darum zu tun gewesen ist, einem über die Straße gelaufenen Lamm nachzueilen, und die hiebei die übrige Herde gerade in diesem Zeitpunkt sich selbst überlassen hat. Was im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 1311 ABGB. gegen den Beklagten geltend gemacht worden ist, muß auch der Kläger gegen sich gelten lassen. Auch er hat ein Gesetz, das den zufälligen Beschädigungen vorzubeugen versucht, nämlich die oben erwähnte Bestimmung des § 80 StPolO., übertreten und hat den Schaden mitzutragen. Nur wenn feststunde, daß der Unfall auch bei einer Befolgung der gesetzlichen Vorschrift unvermeidlich gewesen wäre, käme ein Mitverschulden nicht in Frage; in dieser Richtung hat jedoch der Kläger einen Beweis nicht angetreten und hätte ihn unter den gegebenen Verhältnissen wohl auch kaum erbringen können. Er hat daher gemäß § 1304 ABGB. zu gleichen Teilen mit dem Beklagten seinen Schaden zu tragen.

Anmerkung

Z25216

Schlagworte

Minderjähriger unter 16 Jahren als Viehtreiber, Schadenersatz bei Tötung von Vieh durch Motorrad, Vieh, Tötung durch Motorrad

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1952:0020OB00619.52.0801.000

Dokumentnummer

JJT_19520801_OGH0002_0020OB00619_5200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten