TE OGH 1978/10/10 11Os148/78

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Veröffentlicht am 10.10.1978
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.Oktober 1978 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, Dr. Kießwetter, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Seidl als Schriftführer in der Strafsache gegen Margarete A und einen anderen wegen des Vergehens der Veruntreuung nach dem § 133 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur gegen die Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 4.Juli 1977, GZ. 9 U 181/77-9, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, zu Recht erkannt:

Spruch

Durch die Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 4. Juli 1977, GZ. 9 U 181/77-9, mit welcher gegen Margarete A wegen der Vergehen der Veruntreuung nach dem § 133 Abs. 1 StGB und der Vollstreckungsvereitelung nach dem § 162 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen verhängt wurde, ist das Gesetz in den Bestimmungen der § 451 Abs. 1, zweiter Satz, und 460 Abs. 1 StPO verletzt.

Diese Strafverfügung sowie alle darauf beruhenden Beschlüsse und (weiteren) Verfügungen werden aufgehoben.

Dem Strafbezirksgericht Wien wird aufgetragen, dem Gesetz gemäß vorzugehen.

Text

Gründe:

Das Strafbezirksgericht Wien erließ am 4.Juli 1977

gegen die Verkäuferin Margarete A die Strafverfügung GZ. 9 U 181/77- 9, in welcher der Genannten angelastet wurde, im Sommer 1976 in Wien eine ihr von der Firma Fotohandel Helmut B gegen Ratenzahlung unter Eigentumsvorbehalt anvertraute 'Chinon Sound' (einen Filmprojektor: S. 47 d.A.) in der Absicht, sich oder einen anderen dadurch unrechtmäßig zu bereichern, weitergegeben sowie bei ihr gepfändete Gegenstände, nämlich einen Fernsehapparat und eine Waschmaschine, beiseite geschafft und dadurch die Befriedigung des Gläubigers vereitelt zu haben; hiedurch habe sie die Vergehen der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 StGB und der Vollstreckungsvereitelung nach § 162 Abs. 1 StGB begangen. Wegen dieser Vergehen verhängte das Gericht über Margarete A eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 70 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 25 Tagen.

Gegen diese dem Bezirksanwalt zur Einsicht vorgelegte und sodann der Beschuldigten zugestellte Strafverfügung wurde kein Einspruch erhoben (S. 54 d.A.); sie steht jedoch mit dem Gesetz in mehrfacher Beziehung nicht im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Die Erlassung einer Strafverfügung setzt zwar keinen ausdrücklich darauf abzielenden Antrag des Anklägers, wohl aber - wie die Anordnung einer Hauptverhandlung im ordentlichen Verfahren vor den Bezirksgerichten - einen allgemeinen, schriftlich oder mündlich eingebrachten Antrag auf gesetzliche Bestrafung voraus (§ 451 Abs. 1 zweiter Satz StPO). Dieser Antrag muß unter deutlicher Bezeichnung der Tat, deren Bestrafung begehrt wird, gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtet sein; denn der Anklagegrundsatz gilt auch für das bezirksgerichtliche Verfahren uneingeschränkt. Im vorliegenden Fall richtete sich jedoch der aus S. 40 der Akten ersichtliche Bestrafungsantrag des Bezirksanwaltes vom 30.Juni 1977 wegen der vorbezeichneten Vergehen nicht gegen Margarete A, sondern gegen den im Rahmen der vorangegangenen Vorerhebungen (S. 47 d.A.) als Verdächtiger vernommenen Ernst C (und ist insoweit bislang unerledigt geblieben). In Ansehung der ursprünglich angezeigten Margarete A lagen dem Gericht bloß Anträge des öffentlichen Anklägers vor, gegen sie wegen des Verdachtes der in Rede stehenden strafbaren Handlungen bestimmte Vorerhebungen durchzuführen, nämlich ihren Aufenthalt auszuforschen (S. 1 d.A.) und sie als 'Beschuldigte' (richtig: Verdächtige) zu vernehmen sowie die Exekutionsakten beizuschaffen (S. 25 d.A.). Da nun nach Vornahme der beantragten Vorerhebungen die Strafverfügung gegen Margarete A ohne einen gegen sie gerichteten Antrag (des öffentlichen Anklägers) auf gesetzliche Bestrafung erlassen wurde - welcher Antrag im übrigen auch nicht durch den nachträglichen Einsichtsvermerk des Bezirksanwaltes gemäß § 460 Abs. 2 StPO auf der Strafverfügung ersetzt werden konnte (vgl. EvBl. 1968/435) -, ist demnach das Gesetz im § 451 Abs. 1 zweiter Satz StPO verletzt worden.

Gemäß § 460 Abs. 1 StPO kann der Richter - ohne vorausgehendes Verfahren - eine Geldstrafe von nicht mehr als 60 Tagessätzen durch Strafverfügung festsetzen, wenn von einer Behörde oder von einem Sicherheitsorgan ein auf freiem Fuß befindlicher Beschuldigter auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmung oder eines Geständnisses angezeigt wird oder die durchgeführten Erhebungen zur Beurteilung aller für die Entscheidung maßgebenden Umtände ausreichen. Ob letzteres zutrifft oder nicht, ist der freien Beweiswürdigung nur insofern entrückt, als es darum geht, ob dem Grundsatz des beiderseitigen Gehörs in einer der Erforschung der materiellen Wahrheit dienlichen Weise Rechnung getragen wurde (ÖJZ-LSK. 1977/16 = ZVR. 1977/89). Darnach waren aber die Voraussetzungen der - vorliegend allein zur Beurteilung stehenden - dritten Alternative des § 460 Abs. 1 StPO insofern nicht gegeben, als eine Vernehmung der Margarete A zu dem in der Anzeige der Firma Helmut B gegen sie (unter anderem) mit Beziehung auf die Exekutionsakten erhobenen - der erlassenen Strafverfügung (mit-) zugrundegelegten - Vorwurf, gepfändete Gegenstände beiseite geschafft und dadurch die Befriedigung des Gläubigers in dem anhängigen Zwangsvollstreckungsverfahren vereitelt zu haben, überhaupt nicht stattgefunden hatte (vgl. S. 37 d.A.). Durch die Erlassung der Strafverfügung wurde sohin unter den gegebenen Umständen auch gegen die Bestimmungen des § 460 Abs. 1 StPO verstoßen.

Beide Gesetzesverletzungen gereichen der Beschuldigten Margarete A offensichtlich zum Nachteil, weshalb gemäß § 292 StPO wie im Spruch zu erkennen war.

Anmerkung

E01545

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1978:0110OS00148.78.1010.000

Dokumentnummer

JJT_19781010_OGH0002_0110OS00148_7800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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