TE Vwgh Erkenntnis 2005/5/25 2003/09/0152

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Veröffentlicht am 25.05.2005
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §273 Abs1;
ABGB §273a Abs1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §9;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des K in S, vertreten durch die (mit Beschluss des Bezirksgerichtes Salzburg vom 20. August 2003) bestellte Sachwalterin Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Mühlbacherhofweg 2/Erzabt-Klotz-Straße 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 27. August 2003, Zl. UVS-14/10237/4-2003, betreffend Übertretung des Salzburger Landespolizeistrafgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer der Begehung einer Verwaltungsübertretung gemäß § 2 des Salzburger Landespolizeistrafgesetzes dahingehend für schuldig befunden, er habe am 25. Februar 2003 in der Zeit von 18.30 bis 18.45 Uhr in Salzburg, Bstraße durch lautes Brüllen im Stiegenhaus sowie Herumtrampeln in seiner Wohnung in ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt; über ihn wurde hiefür eine Geldstrafe in Höhe von EUR 72,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) verhängt.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die bestellte Sachwalterin macht in der Beschwerde geltend, das Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters für den Beschwerdeführer sei über Anregung der Gefährdetenhilfe Salzburg vom 13. Jänner 2003 eingeleitet worden; in diesem Verfahren sei sodann mit Beschluss des Bezirksgerichtes Salzburg vom 6. Februar 2003, Zl. 3P 9/03k-3, ein einstweiliger Sachwalter für den Beschwerdeführer bestellt worden. Nach einem neuropsychiatrischen Gutachten von Univ.-Prof. Dr. M (erstellt von Dr. G) vom 29. Mai 2003 bedürfe der Beschwerdeführer (auf Grund seiner fortgeschrittenen Alkoholkrankheit) für sämtliche Angelegenheiten eines Sachwalters bzw. sei er nicht in der Lage, die im Sachwalterbestellungsbeschluss übertragenen Angelegenheiten ohne Nachteil zu besorgen. Mit Beschluss vom 20. August 2003 habe das Bezirksgericht Salzburg für den Beschwerdeführer einen Sachwalter bestellt; dieser Sachwalter habe insbesondere (auch) die Vertretung des Beschwerdeführers gegenüber Ämtern, Behörden und Gerichten zu besorgen. Es sei daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren nicht handlungs- bzw. geschäftsfähig gewesen sei; zudem habe ihm im Zeitpunkt der Tathandlung die Schuldfähigkeit gefehlt.

Nach Ausweis der vorgelegten erstinstanzlichen Verwaltungsstrafakten (Anmerkung: die Akten des Berufungsverfahrens hat die belangte Behörde dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorgelegt) wurde am 25. Februar 2003 wegen einer an diesem Tag behauptetermaßen begangenen Tathandlung Anzeige gegen den Beschwerdeführer erstattet; die Aufforderung zur Rechtfertigung wurde ihm am 24. März 2003 (durch postamtliche Hinterlegung) zugestellt. Das erstinstanzliche Straferkenntnis vom 23. April 2003 wurde sodann am 6. Mai 2003 (durch postamtliche Hinterlegung) an den Beschwerdeführer zugestellt. Der vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtene Berufungsbescheid vom 27. August 2003 wurde - nach dem Beschwerdevorbringen - am 29. September 2003 an den Beschwerdeführer zugestellt; der angefochtene Bescheid ist im Hinblick auf die Beschwerdeerhebung durch die bestellte Sachwalterin dieser tatsächlich zugekommen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargelegt hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 23. April 1996, Zl. 95/11/0365, und vom 20. Februar 2002, Zl. 2001/08/0192) wirkt die Sachwalterbestellung insofern konstitutiv, als ab ihrer Wirksamkeit die Prozess- und Handlungsfähigkeit im dort umschriebenen Ausmaß keinesfalls mehr gegeben ist. Für die Zeit davor ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer schon damals nicht mehr prozessfähig gewesen ist und somit nicht mehr in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in diesem ereigneten prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten. Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 2000, Zl. 2000/05/0012).

Im Beschwerdefall ist daher ab der mit Beschluss vom 20. August 2003 erfolgten Sachwalterbestellung die Prozess- und Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers im dort umschriebenen Ausmaß - also insbesondere hinsichtlich der Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden und Gerichten - jedenfalls nicht mehr gegeben. Mit Rücksicht auf die schon im Jänner 2003 angeregte Einleitung des Verfahrens zur Bestellung eines Sachwalters und die kurze Zeit später mit Beschluss vom 6. Februar 2003 erfolgte Bestellung eines - auf den Aufgabenkreis der Vertretung in diesem Verfahren beschränkten - einstweiligen Sachwalters erscheinen Zweifel an der Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers aber schon beginnend ab der Einleitung des Strafverfahrens betreffend die ihm angelastete Verwaltungsübertretung (25. Februar 2003) gerechtfertigt. In diesem Zusammenhang kann etwa dem mit der Beschwerde vorgelegten Beschluss des Bezirksgerichtes Salzburg vom 6. Februar 2003 (betreffend die Bestellung des einstweiligen Sachwalters) entnommen werden, dass der Beschwerdeführer - nach dem Ergebnis der Erstanhörung vom 28. Jänner 2003 - nicht in der Lage erschien, alle seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, da bei ihm eine beginnende Hirnleistungsminderung gegeben sei. Nach dem in der Beschwerde ins Treffen geführten Gutachten vom 29. Mai 2003 bedürfe der Beschwerdeführer auf Grund seiner fortgeschrittenen Alkoholkrankheit für sämtliche Angelegenheiten eines Sachwalters bzw. sei er nicht in der Lage, die im Sachwalterbestellungsbeschluss übertragenen Angelegenheiten ohne Nachteil zu besorgen.

Es sind daher geeignete Ermittlungen darüber notwendig, ob die gegenüber dem Beschwerdeführer vor dem Zeitpunkt der Sachwalterbestellung gesetzten Verfahrenshandlungen (Zustellungen) im Hinblick auf die gegen seine Prozessfähigkeit bestehenden Bedenken ohne die Beiziehung eines Sachwalters wirksam vorgenommen werden durften (konnten).

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Ersatz des Schriftsatzaufwandes beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren (betreffend Umsatzsteuer) war abzuweisen, weil es in diesen Bestimmungen keine Deckung findet.

Wien, am 25. Mai 2005

Schlagworte

Handlungsfähigkeit Prozeßfähigkeit natürliche Person Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachwalter

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003090152.X00

Im RIS seit

03.07.2005
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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