Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Dr. Kurt N*****, und 2.) Dr. Heinz U*****, beide vertreten durch Dr. Friedrich Pechthold, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dipl.-Ing. Roland S*****, vertreten durch Dr. Paul Herzog, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. April 1984, GZ 41 R 75/84-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 24. Oktober 1983, GZ 5 C 238/83-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig, den Klägern die Wohnung im Hochparterre des Hauses *****, bestehend aus drei Zimmern, zwei Kabinetten, Vorzimmer, Küche, Bad, WC und Balkon sowie die in diesem Haus befindliche Garage geräumt zu übergeben und ihnen die Prozesskosten zu ersetzen, wird abgewiesen.
Die Kläger sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Beklagten die mit 8.943,03 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin 630,15 S Umsatzsteuer und 436 S Barauslagen) sowie die mit 4.446,90 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 393,54 S Umsatzsteuer und 318 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die Kläger sind darüber hinaus schuldig, dem Beklagten auch die mit 2.888,05 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 236,37 S Umsatzsteuer und 288 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Eigentümerin des Hauses *****, war bis zum Jahre 1971 Gertrude V*****. Mit Vertrag vom 24. 5. 1971 verkaufte sie die Liegenschaft samt Haus (EZ ***** KG *****) den Klägern, die seither je zur Hälfte Eigentümer sind. Im Kaufvertrag wurde unter anderem Folgendes vereinbart:
„Die Verkäuferin und im Falle des Überlebens ihr Ehemann Herr Andor V*****, behalten das unentgeltliche Wohnrecht im ganzen Wohnhaus *****, sowie das Recht auf die ausschließliche Benützung und Nutzung des Gartens auf Lebensdauer.“
Das Haus umfasst drei Wohnungen, von denen eine als Hausbesorgerwohnung benützt wird. Von den anderen beiden Wohnungen benützte im Jahre 1971 die eine das Ehepaar V*****, die zweite war vermietet. Nach dem Verkauf wurde der Mietzins für die vermietete Wohnung weiter an Gertrude V***** bezahlt.
Gertrude V***** war bei Verkauf der Liegenschaft daran gelegen, für sich und ihren Gatten auf Lebenszeit ein Wohnrecht im Haus zu behalten. Den Klägern kam es darauf an, dass das Haus nach Beendigung dieses Wohnrechts bestandfrei sei. Aus diesem Grunde wurde mit dem Mieter der einen Wohnung eine Vereinbarung dahin geschlossen, dass dessen Mietverhältnis im Falle des Todes des Ehepaars V***** beendet werde. Es wurde ausgemacht, dass das Hauptmietverhältnis bei Verkauf in ein Untermietverhältnis mit Gertrude V***** umgewandelt werde. Allerdings wurde ein solcher Untermietvertrag in der Folge nicht abgeschlossen. Was für den Fall des Auszugs dieses Mieters geschehen solle, wurde zwischen den Parteien des Kaufvertrags nicht besprochen, doch war vereinbart, dass die Verkäuferin ihre Wohnung im Falle des Auszugs nicht an Dritte weitergeben dürfe.
Im Jahre 1975 zog der Mieter der einen Wohnung aus. Gertrude V***** wandte sich an den Hausverwalter mit dem Ersuchen, wieder Mieter ins Haus zu nehmen, weil sie noch eine Partei im Haus haben wollte. Der Verwalter nahm mit den Klägern Kontakt auf. Diese stimmten unter der Voraussetzung, dass sich an dem Rechtsverhältnis nichts ändere, also die Mietrechte mit dem Nutzungsrecht des Ehepaars V***** erlöschen, einer Vermietung zu. Hierauf vermietete der Verwalter namens der Gertrude V***** die Wohnung dem Beklagten. Hiebei wies er diesen darauf hin, dass Gertrude V***** nur „Nutzungsberechtigte“ sei beziehungsweise ihr ein Wohnrecht an allen Räumen des Hauses zustehe und daher die Mietrechte mit deren Tod erlöschen würden. Den Mietzins, der dieselbe Höhe hatte, wie der Mietzins des Vormieters, zahlte der Beklagte Gertrude V*****.
Gertrude V***** verstarb am 12. 1. 1981. Andor V***** am 2. 1. 1983.
Bezüglich der Erhaltungskosten für das Haus wurde zwischen den Parteien des Kaufvertrags nichts ausgemacht, jedoch besprochen, dass größere Auslagen die Kläger und kleinere Gertrude V***** tragen sollten. Dies wurde auch so gehandhabt. Da jedoch zwischen den Vertragsteilen ein gutes Einvernehmen bestand, ließ die Verkäuferin auch Reparaturen ausführen, ohne die Kläger zu fragen, so etwa eine Reparatur an der Feuermauer und an der Gasleitung. Dagegen zahlten die Kläger eine Reparatur an der Wasserleitung. Die Grundsteuer wurde je zur Hälfte getragen. Einen ca zwei Jahre nach Beginn des Mietverhältnisses des Beklagten auftretenden Schaden am Balkon seiner Wohnung zahlten der Beklagte und Gertrude V*****. Die Kläger beteiligten sich daran nicht, weil sie diese Erneuerung als nicht notwendig und stilwidrig ansahen.
Auch nach dem Verkauf des Hauses bestritt Gertrude V***** die Betriebskosten, doch wurden Wasser, Strom und dergleichen auf die Kläger umgemeldet. Ebenso schlossen die Kläger weitere Hausbesorgerdienstverträge ab. Der Hausverwalter hatte sowohl von den Klägern als auch von Gertrude V***** Vollmacht. Er bezahlt die Betriebskosten und schrieb sie dem Ehepaar V***** vor.
Beide Vorinstanzen haben dem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren stattgegeben. Sie vertraten hiebei den Standpunkt, nur der Fruchtgenussberechtigte schließe Hauptmietverträge ab, nicht aber derjenige, der nur ein Wohnungsgebrauchsrecht hat. Welcher der beiden Vertragstypen vorliege, sei eine Auslegungsfrage. Im vorliegenden Fall sprechen die Umstände eher für ein bloßes Gebrauchsrecht, so dass der Vertrag des Beklagten als Untermietvertrag zu qualifizieren sei, weshalb er mit dem Tode des letzten Nutzungsberechtigten erloschen sei. Darüber hinaus führte das Berufungsgericht auch noch aus, ein Fruchtgenussrecht könne schon deshalb nicht angenommen werden, weil ein solches Recht nur durch Eintragung in das Grundbuch entstehe.
Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, dass der Wert des Streitgegenstands 60.000 S, nicht aber 300.000 S übersteigt und die Revision für zulässig erklärt.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist gerechtfertigt.
Richtig ist allerdings, dass eine bloße Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht Gegenstand einer gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässigen Revision sein kann. Fragen des Verfahrensrechts von grundsätzlicher Bedeutung, die eine Zulassung der Revision im Sinne der erwähnten Bestimmung rechtfertigen würden, zeigt aber die Revision nicht auf. Sie behauptet lediglich einen einfachen Verfahrensmangel, der darin gelegen sein soll, dass eine vom Beklagten gar nicht aufgestellte Behauptung nicht näher geprüft worden sei.
In rechtlicher Hinsicht ist dagegen davon auszugehen, dass der Grundsatz, demzufolge vom Fruchtnießer abgeschlossene Mietverträge als Hauptmietverträge zu qualifizieren sind, nicht erst durch das Mietrechtsgesetz aufgestellt worden ist, sondern bereits lange vorher von der Judikatur und der Literatur entwickelt wurde. Es war bereits sei langem gesicherte Rechtsprechung, dass der Eigentümer nach Beendigung des Fruchtgenussrechts in die vom Fruchtnießer abgeschlossenen Mietverträge eintritt und diese Verträge daher erst aufgrund einer Aufkündigung erlöschen (Petrasch in Rummel Rz 3 zu § 509, Klang2 II, 588; MietSlg 30.235, 19.119, EvBl 1980/36 ua). Die Judikatur hat diesen Grundsatz allerdings nicht nur auf Fruchtnießer beschränkt. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurde sie auch auf jene Mietverträge angewandt, die der Pächter oder der Mieter eines ganzen Hauses oder selbständiger Teile davon begründete, wobei allerdings auch im Falle des Mieters der Vertragszweck darauf gerichtet gewesen sein musste, diesen die gewinnbringende Verwertung der Bestandobjekte durch Weitergabe zu ermöglichen (MietSlg 31.160, 18.235, EvBl 1980/36 ua). Auf jeden Fall war aber dieser Grundsatz von einer dinglichen Begründung des Fuchtgenussrechts durch Eintragung in das Grundbuch unabhängig. Nutzungsrechte, die inhaltlich einem Fruchtgenuss entsprechen, können nämlich auch ohne Eintragung in das Grundbuch mit obligatorischem Charakter begründet werden (Petrasch in Rummel, Rz 3 zu § 521; MietSlg 29.057, 28.045, 27.062 ua). Die Beurteilung der vom Fruchtnießer abgeschlossenen Mietverträge als Hauptmietverträge beruht auf der Erwägung, dass der Fruchtnießer bezüglich des Gegenstands, auf den sich die Dienstbarkeit bezieht, weitgehend die Rechte des Eigentümers ausübt und daher seine Stellung in diesem Umfang der Stellung eines Eigentümers gleicht. Ihm obliegt bezüglich dieses Objekts auch die Verwaltung. Von ihm abgeschlossene Verträge können daher nicht anders behandelt werden als die von einem vom Eigentümer eingesetzten Verwalter abgeschlossenen. Diese Stellung des Fruchtnießers im Verhältnis zum Eigentümer ist aber unabhängig von der Eintragung seines Rechts im Grundbuch. Demnach konnten nach der alten Rechtslage was die Beurteilung der vom Fruchtnießer abgeschlossenen Mietverträge anlangt, auch Fruchtgenussrechte bloß obligatorischen Charakters, nicht anders behandelt werden, als im Grundbuch eingetragenen Rechte.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat das Mietrechtsänderungsgesetz an dieser Rechtslage nichts geändert, Neu in diesem Gesetz ist allerdings der Umstand, dass § 2 Abs 1 ausdrücklich ausführt, in welchem Falle eine Hauptmiete vorliegt, und zwar dann, wenn der Mietvertrag mit dem Eigentümer oder Fruchtnießer der Liegenschaft geschlossen wird. Der Umstand, dass das Gesetz den Ausdruck „Fruchtnießer“ verwendet und man im Allgemeinen darunter einen dinglichen Berechtigten versteht, rechtfertigt nicht die Annahme einer Änderung der Rechtslage, wie sie vor dem Mietrechtsänderungsgesetz unter Berücksichtigung der Judikatur bestanden hat. Schon seinerzeit wurde, wie bereits oben dargetan, der Ausdruck „Fruchtgenussrecht“ auch für bloß obligatorische Nutzungsrechte verwendet. Aus dem Motivenbericht zum Mietrechtsänderungsgesetz (425 der BlgNR XV. GP, 36 zu § 2) ergibt sich eindeutig, dass mit der vorerwähnten Definition der Haupt- und Untermiete die bisherige Rechtslage und die zu ihr ergangene Judikatur übernommen werden sollte. Sohin kann die Bestimmung des § 2 Abs 1 MRG nur dahin ausgelegt werden, dass unter „Fruchtnießer“ nicht nur eine Person zu verstehen ist, die ein dingliches Fruchtgenussrecht an einer Liegenschaft hat, sondern auch eine Person, deren diesbezügliches Recht mangels Eintragung im Grundbuch bloß obligatorisch besteht. (Ob die aufgezeigte Erweiterung der bisherigen Judikatur auch auf Pächter und Mieter weiterhin aufrecht zu erhalten sein wird, muss hier nicht erörtert werden.) Die Ausführungen bezüglich der Geltung des § 2 Abs 1 MRG für Verträge, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes abgeschlossen worden sind, gehen, abgesehen davon, dass § 43 Abs 1 MRG eine solche Geltung anordnet, insoferne an der Sache vorbei, als § 2 Abs 1 MRG keine Änderung der bisherigen Rechtslage gebracht hat.
Demnach musste nicht geprüft werden, ob das Recht der Eheleute V***** im Grundbuch aufschien. Zu prüfen war nur, ob es als Fruchtgenussrecht zu qualifizieren war oder nicht.
Das ABGB regelt das Wohnrecht nicht als eigene Dienstbarkeit, sondern als Gebrauch oder Fruchtgenuss an Wohnräumen, je nachdem, ob diese nur zum persönlichen Bedarf oder ohne diese Einschränkung benützt werden dürfen. Welche von beiden Formen des Wohnrechts vorliegt, ist eine Auslegungsfrage (Klang2 II, 598, Gschnitzer Sachenrecht 150, Petrasch in Rummel Rz 1 zu § 521). Das Wohnungsgebrauchsrecht ist das Recht, alle bewohnbaren Teile des Hauses zu seinem Bedürfnis zu benützen, die Wohnungsfruchtnießung hingegen das Recht, alle bewohnbaren Teile des Hauses ohne Einschränkung zu genießen. Im Zweifel ist Gebrauch, Fruchtgenuss aber dann anzunehmen, wenn ein selbständiges Gebäude oder auch bloß räumlich begrenzte bewohnbare Gebäudeteile zur Wohnung eingeräumt werden (Petrasch in Rummel Rz 1 zu § 521, MietSlg 24.036, 24.035, 29.057 ua).
Im vorliegenden Fall hatten sich allerdings die Kläger als Eigentümer bezüglich der Wohnungen im Haus Rechte vorbehalten, die im Allgemeinen einem Fruchtnießer zukommen, wie insbesondere das Recht, einer Weitergabe von Wohnungen zuzustimmen bzw einen Hausbesorger zu bestellen. Demgegenüber wurde aber dem seinerzeitigen Eigentümer ein Benützungsrecht bezüglich des gesamten Hauses, also auch einer seinerzeit vermieteten Wohnung deren direkte Benützung durch die Nutzungsberechtigte nie in Aussicht genommen war, eingeräumt. Diese Wohnung hat die Nutzungsberechtigte nach dem Willen der Vertragsparteien nicht zur Befriedigung eines Wohnbedürfnisses, sondern zur Erzielung von Erträgnissen im eigenen Interesse verwendet. Dieser Umstand spricht eindeutig für eine Qualifikation des Rechtsverhältnisses als Fruchtgenussrecht. Hiezu kommt, dass die Nutzungsberechtigten die laufenden Lasten des ganzen Hauses getragen haben. Auch ein erheblicher Teil der Aufwendungen für die Erhaltung des Hauses wurde von ihnen bestritten. Dass ein Teil hievon von den Klägern getragen worden ist, spricht nicht gegen die Annahme eines Fruchtgenussrechts. Nach § 513 ABGB hat nämlich der Fruchtnießer die Erhaltung der dienstbaren Sache nur nach Maßgabe des Ertrags zu übernehmen. Darüber hinaus muss hiefür der Eigentümer aufkommen (Petrasch in Rummel Rz 2 zu § 513; MietSlg 20.038, 20.039 ua).
Es ist also richtig, dass das Rechtsverhältnis zwischen den Klägern und der Voreigentümerin zwar nicht zur Gänze dem gesetzlichen Modell eines Fruchtgenussrechts entsprach, doch lagen die Umstände des Einzelfalls derart, dass es bei der Auslegung eher diesem Vertragstyp als dem bloßen Gebrauchsrecht an einer Wohnung zuzuordnen war. Dies führt aber dazu, dass dieses Rechtsverhältnis bezüglich der von der Voreigentümerin abgeschlossenen Mietverträge als Fruchtgenussrecht im Sinne des § 2 Abs 1 MRG beurteilt werden muss. Demnach ist der Beklagte Hauptmieter der Wohnung, so dass die Kläger in dieses Mietverhältnis eingetreten sind. Sie können daher das Mietverhältnis, mangels Vorliegens eines anderen Auflösungsgrundes, nur mittels einer Aufkündigung beenden. Die auf die Behauptung titelloser Benützung gestützte Räumungsklage entbehrt sohin einer Grundlage.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Textnummer
E118223European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00644.840.1011.000Im RIS seit
02.06.2017Zuletzt aktualisiert am
02.06.2017