TE OGH 1986/4/17 12Os59/86

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Veröffentlicht am 17.04.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.April 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr.Steininger, Dr. Felzmann und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Breycha als Schriftführer in der Strafsache gegen Friedrich H*** wegen des Vergehens der versuchten Täuschung nach §§ 15, 108 Abs. 1 und Abs. 2 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz vom 2. Jänner 1985, GZ 26 E Vr 1.341/82-47, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Kodek als Vertreter der Generalprokuratur jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluß des Landesgerichtes Linz vom 2.Jänner 1985, GZ 26 E Vr 1341/82-47, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 53 Abs. 3 StGB, 495 Abs. 3 StPO.

Dieser Beschluß wird aufgehoben, der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgewiesen und dem Erstgericht die Zustellung des Beschlusses über die Erteilung der Weisung auf Unterhaltsrückzahlung an den Verurteilten aufgetragen.

Text

Gründe:

I./ Aus den Akten 26 E Vr 1341/82 des Landesgerichtes Linz ergibt sich folgender Sachverhalt:

Mit Urteil eines Einzelrichters dieses Gerichtshofes vom 12. Oktober 1982, ON 19, wurde der am 18.Oktober 1940 geborene Tischlergeselle Friedrich H*** - in Abwesenheit - des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB sowie einer weiteren Straftat schuldig erkannt und unter Setzung einer 3-jährigen Probezeit zu einer gemäß § 43 Abs. 1 StGB bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Dem Schuldspruch wegen § 198 Abs. 1 StGB liegt zugrunde, daß der Beschuldigte in der Zeit von Anfang Oktober 1980 bis 30.April 1982 (bzw hinsichtlich seines Kindes Andreas nur bis 26.Februar 1982 [ausgenommen die Monate Februar und Juni 1981]) seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern Andreas, geb. 26.Februar 1963, Christian und Stefan, beide geb. 26. Juli 1964, gröblich dadurch verletzte, daß er keinen bzw nicht regelmäßig Unterhalt leistete und dadurch bewirkte, daß der Unterhalt dieser Unterhaltsberechtigten ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre.

Für die Probezeit wurde dem Beschuldigten mit dem in der Hauptverhandlung (in seiner Abwesenheit) verkündeten Beschluß des Einzelrichters die Weisung erteilt, zur Abdeckung seines Rückstandes, der zum damaligen Zeitpunkt hinsichtlich Andreas mit

14.960 S, hinsichtlich Stefan mit 16.550 S und hinsichtlich Christian mit 16.556 S angenommen wurde (S 89), monatlich ab 1. Dezember 1982 1.000 S zu bezahlen (S 83). Dieser Beschluß wurde dem Beschuldigten nicht zugestellt, sodaß die darin enthaltene Weisung, gegen die ihm eine Beschwerde offengestanden wäre, bisher nicht in Rechtskraft erwachsen ist.

Nachdem dem Verurteilten das Abwesenheitsurteil zugestellt worden war und dieser dagegen Einspruch und Berufung erhoben hatte, wies das Oberlandesgericht sowohl den Einspruch (ON 29) als auch die Berufung (ON 30), zurück. Das Urteil erwuchs daher mit 16. Jänner 1984 in Rechtskraft.

In der Endverfügung (ON 31) ordnete das Gericht daraufhin die Vorbereitung des Belehrungsdekretes StPO-Form BedV 1 an, in das die erwähnte Weisung aufgenommen wurde (S 123). Dem Verurteilten ist jedoch das Belehrungsdekret tatsächlich nie zugekommen (Postfehlberichte ON 33, 35, 37 bis 39, 41, 42). Das Erstgericht veranlaßte schließlich mittels StPO-Form Fahn 1 (ON 42) eine Erhebung durch die Bundespolizeidirektion Innsbruck, welche den neuen Aufenthaltsort des Verurteilten berichtete und eine Niederschrift mit ihm aufnahm, in der er ua deponierte, keine "unterhaltspflichtigen Kinder" zu haben und es ablehnte, sich mit dem Urteilsgericht in Verbindung zu setzen (ON 43). Daraufhin verfügte das Erstgericht die neuerliche Zustellung des Belehrungsdekretes an die Anschrift Linz, Füchselstraße 2, welche der Verurteilte zwar in der erwähnten Niederschrift als seinen "Hauptwohnsitz" bezeichnet hatte, an der allerdings schon bisher Zustellungen unmöglich gewesen waren. Überdies verfügte es die Zustellung einer "Förmlichen Mahnung, Frist ein Monat" (S 148), ohne daß jedoch zu diesem Zeitpunkt die Nichterfüllung der Weisung aktenkundig gewesen wäre. Die Zustellung konnte abermals nicht bewirkt werden, der von der Post zurückgesandte Gerichtsbrief liegt unter ON 45 in den Akten.

Nach Einholung eines Berichtes der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse über die Versicherungszeiten des Verurteilten übermittelte das Erstgericht die Akten am 19.Dezember 1984 der Staatsanwaltschaft zur Äußerung wegen Widerrufs der bedingten Strafnachsicht. Tatsächlich beantragte die Staatsanwaltschaft den Widerruf (unjournalisiert zwischen ON 46 und 47 einliegend). Mit Beschluß vom 2.Jänner 1985, ON 47, widerrief das Erstgericht die bedingte Strafnachsicht wegen Nichtbefolgung der Weisung, wobei es nach der Begründung dieses Beschlusses davon ausging, daß der Verurteilte die Weisung, den Rückstand abzuzahlen, bis zur Beschlußfassung nicht befolgt habe; die förmliche Mahnung sei erfolglos geblieben. Von einer "weiteren" Anhörung des Verurteilten nach § 495 Abs. 3 StPO sei abgesehen worden, weil er gegenüber der Bundespolizeidirektion Innsbruck erklärt habe, sich mit dem Gericht nicht in Verbindung setzen zu wollen. Dieser Beschluß wurde dem Verurteilten an seine, sich aus dem vorerwähnten Bericht der Bundespolizeidirektion Innsbruck ergebende Anschrift in Innsbruck, Fürstenweg 21/II/8 zugestellt, wo auch tatsächlich die Zustellung durch Hinterlegung am 14.Jänner 1985 bewirkt werden konnte (RS an S 157).

Die am 21.Jänner 1985 verfaßte, aber erst am 31.Jänner 1985 zur Post gegebene Beschwerde des Verurteilten (ON 48) war demgemäß verspätet und wurde vom Oberlandesgericht Linz zurückgewiesen (ON 53). Der Widerrufsbeschluß erwuchs damit in Rechtskraft; die Strafe ist bisher unverbüßt.

In der verspäteten Beschwerde hatte der Verurteilte im wesentlichen vorgebracht, er sei der Verpflichtung, den Rückstand abzudecken, immerhin nach Kräften nachgekommen und habe im Jahr 1982 16.000 S, 1983 10.340 S, 1984 4.180 S geleistet, was in Anbetracht seiner nur zeitweisen Beschäftigung die äußerste ihm mögliche Leistung gewesen sei. In einem Nachtrag (ON 49) ersuchte er, ihm bei einer Rechtshilfevernehmung Gelegenheit zur Vorlage der Zahlungsbestätigungen zu geben. In Bearbeitung eines weiteren Antrags des Verurteilten auf Wiederaufnahme und nachträgliche Strafmilderung erhob das Erstgericht nunmehr bei der Amtsvormundschaft (BH Wels-Land) die geleisteten Rückstandszahlungen, wobei sich ergab, daß der Verurteilte vor Urteilsfällung, aber nach Ende des darin angenommenen Deliktszeitraumes im Jahre 1982 insgesamt Zahlungen von 16.000 S erbracht hat und daß die Einbringungstätigkeit des Jugendamtes mit Erreichung der Großjährigkeit der Kinder eingestellt worden ist (ON 57, 63). Weitere Erhebungen des Erstgerichtes ergaben, daß durch eine Lohnexekution 1983 10.340 S eingebracht wurden, 1984 5.196 S (ON 66; siehe allerdings auch S 227).

Rechtliche Beurteilung

II./Der Beschluß des Landesgerichtes Linz auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht, ON 47, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1./ Der Widerruf der bedingten Strafnachsicht nach § 53 Abs. 3 StGB setzt (ua) voraus, daß der Rechtsbrecher während der Probezeit eine Weisung des Gerichtes trotz förmlicher Mahnung aus bösem Willen nicht befolgte. An diesen Voraussetzungen mangelte es im vorliegenden Fall schon insofern, als eine rechtskräftige Weisung nicht vorlag. Die - hier überdies gar nicht bewirkte - Mitteilung in der Urkunde über die bedingte Strafnachsicht (§ 492 Abs. 2 StPO), welche Weisungen erteilt wurden, kann die im Gesetz vorgeschriebene förmliche, begründete Beschlußfassung über die Erteilung der Weisung (§ 494 StPO), sowie die Kundmachung dieses Beschlusses (samt Rechtsmittelbelehrung) an den Verurteilten nicht ersetzen (LSK 1982/84 = EvBl 1982/124).

Der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft, der sich auf die Nichtbefolgung einer (noch) nicht rechtskräftigen Weisung stützt, ist daher derzeit jedenfalls unbegründet und wäre sogleich abzuweisen.

2./ Schon aus dem Gesagten ergibt sich die Gesetzwidrigkeit des bekämpften Beschlusses. Nur der Vollständigkeit halber und zur Vermeidung einer Wiederholung der folgenden Gesetzesverletzungen seien auch diese aufgezeigt:

2./1./ Das Gericht ist zunächst auch seiner Pflicht, den Verurteilten förmlich zu mahnen, nicht nachgekommen. Eine solche Mahnung (der erteilten Weisung nachzukommen) darf grundsätzlich auch schriftlich erfolgen (LSK 1984/172 = EvBl 1985/5), sie muß aber dann eben dem Verurteilten auch zugestellt werden, was vorliegend aber nicht erfolgt ist. Das Erstgericht hat die Zustellung nämlich gerade an jene (Linzer) Adresse verfügt, an der Zustellungen bisher nicht bewirkt werden konnten, die der Verurteilte zwar als seinen Hauptwohnsitz bezeichnete, an der er sich aber aktenkundig nicht mehr aufhielt, und wobei er selbst angab, er wolle seinen derzeitigen Zweitwohnsitz in Innsbruck nun zu seinem Hauptwohnsitz machen. Die Hinterlegung des Beschlusses auf förmliche Mahnung unter der Linzer Anschrift bewirkte daher keine wirksame Zustellung dieses Beschlusses.

Damit mangelt es an einer weiteren unerläßlichen Bedingung für den Widerruf der bedingten Strafnachsicht (LSK 1982/53). 2./2./ Es fehlt aber auch an einer tragfähigen Begründung für die gerichtliche Annahme, der Verurteilte sei der Weisung aus bösem Willen nicht nachgekommen. Das Erstgericht hat sich erst nach Beschlußfassung und aus anderem Anlaß über die tatsächliche Abdeckung des Rückstandes informiert, deren gänzliches Unterbleiben es im Beschluß ohne aktenmäßige Grundlage angenommen hatte; es war daher nicht in der Lage, sich damit auseinanderzusetzen, daß der Verurteilte sowohl vor dem Urteil wie auch nach der erteilten Weisung, aber vor Rechtskraft des Urteils und damit vor Beginn der Probezeit, also 1982 und 1983, immerhin erhebliche Rückstandszahlungen geleistet und auch nach dem formellen Beginn der Probezeit am 16.Jänner 1984 (durch Exekutionen) 5.196 S erbracht hatte, also fast die Hälfte der ihm für dieses Jahr aufgetragenen Rückstandszahlungen von 12.000 S. Wenngleich die Weisung auf Zahlungen durch den Verurteilten selbst gerichtet war, so wird seine Verpflichtung doch auch durch den Abzug im Wege einer Lohnexekution erfüllt; überdies wird durch letztere seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in einem bei Feststellung des Verschuldens am Unterbleiben freiwilliger Zahlungen jedenfalls relevanten Maß vermindert. Zieht man ferner ins Kalkül, daß der Verurteilte im Jahr 1984 nach den vom Erstgericht geführten Erhebungen (ON 46) jedenfalls in Oberösterreich nur vom 19.März bis 28.April, vom 21. Mai bis 15.Juni, vom 27.Juni bis 20.Juli und vom 20.August bis 30. August, also insgesamt knapp vier Monate, in einem gemeldeten Dienstverhältnis stand, so wären exakte Feststellungen über das Vorliegen der Leistungsfähigkeit des Friedrich H***, die einen Schluß auf die böswillige (vorsätzliche) Nichtbefolgung der Weisung zulassen, umsomehr unerläßlich gewesen.

2./3./ Letztlich war die vom Erstgericht lediglich durch ein Fahndungsersuchen veranlaßte polizeiliche Vernehmung des Verurteilten (ON 43) zur Klärung der Verschuldensfrage ungeeignet, und berechtigte das Erstgericht nicht, von der im § 495 Abs. 3 StPO grundsätzlich vorgeschriebenen Anhörung des Verurteilten abzusehen. Diese darf nur unterbleiben, wenn sich erweist, daß sie ohne unverhältnismäßigen Aufwand nicht durchführbar ist. Davon konnte allein deshalb, weil Friedrich H*** gegenüber einem Kriminalbeamten erklärt hatte, er wolle sich mit dem Gericht nicht in Verbindung setzen (ohne daß für ihn irgendein - damals noch gar nicht gegebener - Zusammenhang mit dem Widerruf der bedingten Strafnachsicht erkennbar gewesen wäre), aber vorliegend keine Rede sein.

Das Erstgericht hat somit den Widerruf der bedingten Strafnachsicht unter Außerachtlassung sämtlicher formeller und materieller Voraussetzungen einer solchen Entscheidung beschlossen. Der gemäß § 33 StPO erhobenen Beschwerde war daher Folge zu geben und wie im Spruche zu erkennen.

Anmerkung

E08086

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0120OS00059.86.0417.000

Dokumentnummer

JJT_19860417_OGH0002_0120OS00059_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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