TE OGH 1986/10/15 9Os105/86

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Veröffentlicht am 15.10.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Oktober 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger, Dr.Horak, Dr.Lachner und Dr.Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Kastner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Roman J*** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SuchtgiftG. a.F. und einer anderen strafbaren Handlung (hier: wegen Ersatzanspruches nach § 2 Abs. 1 lit. a StEG) über dessen Beschwerde gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 15.Mai 1986, AZ 9 Ns 193/85 (= GZ 20 Vr 2901/85-43 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben, der angefochtene Beschluß insoweit aufgehoben und festgestellt, daß die Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch nach § 2 Abs. 1 lit. a StEG für die Anhaltung des Roman J***

a) in Strafhaft vom 20.September 1985 bis 26.September 1985 im Strafverfahren AZ 5 E Vr 3579/72 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz,

und

b) in Untersuchungshaft vom 26. September 1985 bis 4. Oktober 1985, 14.50 Uhr, im Strafverfahren

AZ 20 Vr 2901/85 des Landesgerichtes für

Strafsachen Graz

vorliegen und die im § 3 lit. a und b StEG bezeichneten

Ausschlußgründe nicht gegeben sind.

Im übrigen wird der Beschwerde nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 23.Jänner 1973 (rechtskräftig seit 26.Jänner 1973), GZ 5 E Vr 3579/72-20, wurde Roman J*** des (am 22.April 1971) begangenen Verbrechens des Diebstahls nach §§ 171, 176 I lit. b StG 1945 schuldig erkannt und nach §§ 55, 178, 180 StG 1945 zu zwei Monaten schwerem Kerker, verschärft durch zwei Fasttage, verurteilt. Diese Strafe konnte zunächst nicht in Vollzug gesetzt werden, weil der Verurteilte unbekannten Aufenthaltes (wie sich nachträglich herausstellte: ins Ausland verzogen) war.

Ferner wurde mit Beschluß des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 31.August 1973, AZ 14 Vr 2324/73 (nunmehr 20 Vr 2901/85) gegen Roman J*** die Voruntersuchung wegen des Verdachtes des Verbrechens nach § 6 Abs. 1 SuchtgiftG (damalige Fassung) unter Bedacht auf § 9 Abs. 1 Z 2 SuchtgiftG (d.F.) eingeleitet und gegen ihn ein auf die Haftgründe des § 175 Abs. 1 Z 2 bis 4 StPO (d.F.) gestützter Haftbefehl erlassen. Mit Beschluß vom 14.September 1973 wurde die Veruntersuchung auch auf das Vergehen des Schmuggels nach § 35 Abs. 1 FinStrG ausgedehnt. Er stand im Verdacht, im Winter 1972 100 Gramm Haschisch und im Frühjahr 1973 180 Gramm Haschisch im Postwege (jeweils in der Sohle von Sandalen verborgen) aus Indien an seine in Graz wohnhaften Freunde Reinfried H*** und Gwendolyn L*** übersendet und im Sommer 1972 in Graz 80 bis 100 Gramm Haschisch unberechtigt erworben und besessen zu haben.

Am 9. August 1985 um 12.30 Uhr wurde Roman J*** auf Grund dieses Haftbefehls in Birkfeld/Stmk. festgenommen und über ihn am 10.August 1985 die Untersuchungshaft aus den Gründen des § 180 Abs. 2 Z 1, 2 und 3 lit. a StPO verhängt. Gegen diesen Beschluß erhob Roman J*** sofort Protokollarbeschwerde, über die bei einer für den 27.August 1985 anberaumten Haftprüfungsverhandlung entschieden werden sollte. Bereits mit Beschluß vom 26.August 1985 hat jedoch der Untersuchungsrichter, gestützt auf § 180 Abs. 4 StPO, die Untersuchungshaft "auf die Dauer" der Verbüßung der eingangs erwähnten Strafhaft "aufgehoben" und den Antritt dieser Freiheitsstrafe angeordnet, worauf die Haftprüfungsverhandlung entfiel.

Dem war im Strafverfahren AZ 5 E Vr 3579/72 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vorausgegangen, daß der Einzelrichter - einem irreführenden Hinweis der Staatsanwaltschaft folgend - die Voraussetzungen einer Strafnachsicht nach § 2 Abs. 1 (iVm § 1 Abs. 1 Z 3) Amnestie 1985 im vorliegenden Falle nicht als gegeben erachtet hatte, weil § 178 StG 1945 einen einheitlichen Strafsatz von 6 Monaten bis zu 5 Jahren vorsah, demnach die gesetzliche Strafdrohung scheinbar über der in § 1 Abs. 1 Z 3 Amnestie 1985 normierten Dreijahresgrenze lag. Am 19.August 1985 wiederholte der Einzelrichter, nachdem er vom Untersuchungsrichter von der Einlieferung des Roman J*** verständigt worden war, die bereits im Rahmen der Endverfügung seinerzeit erlassene Strafvollzugsanordnung. Roman J*** wurde am 27.August 1985 um 8.00 Uhr in Strafhaft übernommen.

Über Antrag des Verteidigers erging indes am 26.September 1985 der Beschluß auf Strafnachsicht nach § 2 Abs. 1 Amnestie 1985, wobei der Einzelrichter - nunmehr rechtsrichtig (vgl. EvBl. 1951/450, 483 zur Amnestie 1950) - erkannte, daß vorliegend bloß die erste Strafstufe des § 178 StG 1945 (6 Monate bis 1 Jahr) zum Tragen gekommen war, demgemäß die gegenständliche Verurteilung eine vor dem 15. Mai 1975 begangene strafbare Handlung betroffen hatte, für die keine strengere als 3 Jahre Freiheitsstrafe angedroht gewesen war (§ 1 Abs. 1 Z 3 Amnestie 1985).

Der weitere Vollzug der Freiheitsstrafe wurde noch am 26. September 1985 (die Uhrzeit ist nicht festgehalten) eingestellt, Roman J*** jedoch - ersichtlich auf Grund des Beschlusses vom 26. August 1985, also ohne daß ein gesonderter Beschluß auf (neuerliche) Verhängung der Untersuchungshaft gefaßt worden wäre - weiterhin zu AZ 20 Vr 2901/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz in Untersuchungshaft angehalten.

Am 30.September 1985 (bei Gericht ohne erkennbaren Grund der Verzögerung erst am 4.Oktober 1985 eingelangt), gab die Staatsanwaltschaft die Erklärung ab, daß sie zur weiteren Verfolgung des Roman J*** keinen Grund fände (§ 109 Abs. 1 StPO). Das Strafverfahren wurde daraufhin am 4.Oktober 1985 eingestellt und Roman J*** am selben Tag um 14.50 Uhr auf freien Fuß gesetzt. Über seinen Antrag, ihm für die durch seine strafgerichtliche Anhaltung in Verwahrungs- und Untersuchungshaft (vom 9.August 1985,

12.30 Uhr, bis 27.August 1985, 8.00 Uhr, und vom 26.September 1985 - ohne Uhrzeit - bis 4.Oktober 1985, 14.50 Uhr) entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile aus dem Grunde des § 2 Abs. 1 lit. b StEG einen Ersatzanspruch zuzuerkennen, hat das Landesgericht für Strafsachen Graz (§ 6 Abs. 2 StEG) mit Beschluß vom 6.März 1986, GZ 20 Vr 2901/85-40, abweislich entschieden. Dieser Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht Graz (§ 6 Abs. 1 StEG) über den weiteren Antrag des Roman J***, ihm für die durch seine strafgerichtliche Anhaltung in Strafhaft (vom 27. August 1985, 8.00 Uhr, bis 26.September 1985) und daran unmittelbar anschließend in Untersuchungshaft (vom 26.September 1985 bis 4.Oktober 1985, 14.50 Uhr) entstandenen vermögensrechtlichen Nachteile einen Ersatzanspruch nach § 2 Abs. 1 lit. a StEG zuzuerkennen, abgewiesen.

Seinen Antrag stützte Roman J*** im wesentlichen darauf, daß in Ansehung der Strafhaft der Eintritt der Strafnachsicht nach der Amnestie 1985 gemäß § 5 Abs. 2 dieses Gesetzes sogleich bei Anordnung des Vollzuges der Freiheitsstrafe von Amts wegen festzustellen, in Ansehung der (Fortsetzung der) Untersuchungshaft ab 26.September 1985 aber ein Beschluß auf deren neuerliche Verhängung notwendig gewesen wäre, sodaß in beiden Fällen die strafgerichtliche Anhaltung ohne gesetzliche Grundlage erfolgt sei. Demgegenüber vertrat das Oberlandesgericht Graz im bekämpften Beschluß die Auffassung, daß es durch die teilweise Verbüßung der Freiheitsstrafe nach der ausschließlich zu diesem Zweck erfolgten Aufhebung (§ 180 Abs. 4 StPO) der rite verhängten Untersuchungshaft im Ergebnis zu keiner Verlängerung der Haft gekommen sei, weil die angezogenen Haftgründe die Untersuchungshaft auch nach dem 26. September 1985 gerechtfertigt hätten. Ein Beschluß auf neuerliche Verhängung der Untersuchungshaft nach Aufhebung der Strafhaft sei aber deshalb nicht erforderlich gewesen, weil durch den Beschluß des Untersuchungsrichters vom 26.August 1985 die Untersuchungshaft ohnedies nur "auf die Dauer der Verbüßung der Strafhaft" aufgehoben, sohin lediglich eine Unterbrechung der Untersuchungshaft angeordnet worden wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Beschwerde des Roman J*** ist teilweise berechtigt.

Keiner weiteren Erörterung bedarf es zunächst, daß die Anordnung des Vollzuges der zu AZ 5 E Vr 3579/72 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz verhängten Freiheitsstrafe dem Gesetz widersprach, denn diese Strafe war dem Verurteilten nach § 2 (iVm § 1 Abs. 1 Z 3) Amnestie 1985 nachgesehen und galt bereits mit dem Tage des Inkrafttretens der Amnestie 1985 (15.Mai 1985) als vollzogen. Dies wäre aber im gegenständlichen Fall anläßlich der Anordnung des Vollzuges der Freiheitsstrafe gemäß § 5 Abs. 2 Amnestie 1985 von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen.

Voraussetzung für einen (allfälligen) Ersatzanspruch nach dem StEG ist aber ferner - wie überhaupt für alle Schadenersatzforderungen - ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Normverstoß und (behauptetem) Schadenseintritt. Wäre auch bei gesetzmäßigem Vorgehen die strafgerichtliche Anhaltung (oder Verurteilung) erfolgt, so besteht kein Ersatzanspruch (EB zum StEG, 1197 Blg. NR 11. GP 9; vgl. EvBl. 1985/135).

Daß im Falle eines gesetzeskonformen Vorgehens die Anhaltung des Roman J*** in Strafhaft unterblieben wäre, liegt auf der Hand. Da die (gesetzwidrig) angeordnete Strafhaft im vorliegenden Fall aber nur die bis dahin aufrechte Anhaltung des Genannten in Untersuchungshaft substituierte (§ 180 Abs. 4 StPO), ist zur Beurteilung des Rechtswidrigkeitszusammenhanges als Voraussetzung des Ersatzanspruches auch zu prüfen, ob andernfalls die Fortsetzung der einen vermögensrechtlichen Nachteil gleichermaßen herbeiführenden Anhaltung in Untersuchungshaft gerechtfertigt gewesen wäre.

Letzteres ist - der Ansicht des Oberlandesgerichtes Graz zuwider - nur zum Teil zu bejahen.

Die im Haftbeschluß des Untersuchungsrichters vom 10.August 1985, GZ 20 Vr 2901/85-23, für den Haftgrund der Fluchtgefahr herangezogene Begründung, Roman J*** habe sich seinerzeit durch Flucht ins (richtig: durch Verbleib im) Ausland der Strafverfolgung entzogen, läßt unberücksichtigt, daß er nach mehr als 10-jährigem Aufenthalt in Indien in Kenntnis des Umstandes, daß er zur Strafvollstreckung (AZ 5 E Vr 3579/72 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz) gesucht werde, mit Frau und Kind in seinen Heimatort in der erklärten Absicht zurückgekehrt ist, "seine Verfehlungen zu bereinigen" (S 96 im Akt 20 Vr 2901/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz) und sich "in Österreich eine neue Existenz aufzubauen" (S 109 b verso im zuletzt angeführten Akt), also nunmehr im Inland zu verbleiben. Unter diesen Umständen wäre die Fluchtgefahr durch gelindere Mittel zu beseitigen gewesen. Der angenommenen Gefahr, Roman J*** werde auf freiem Fuße ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist wie die ihm angelastete strafbare Handlung mit schweren Folgen (§ 180 Abs. 2 Z 3 lit. a StPO), stand die Tatsache entgegen, daß Roman J*** bisher ausschließlich im Ausland unter den dort vorgefundenen Gelegenheiten und durchwegs schon vor langer Zeit in einschlägiger Weise auffällig geworden ist (vgl. ON 5, 16, 17 und 19 in 20 Vr 2901/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz). Es mangelte aber an bestimmten Tatsachen dafür, daß er nunmehr nach Jahren auch unter den in jeder Hinsicht grundlegend geänderten Verhältnissen in Österreich ein Suchtgiftverbrechen mit schweren Folgen begehen könnte.

Es wäre somit als Haftgrund lediglich Verdunkelungsgefahr weiterhin anzunehmen gewesen, da nach den konkreten Umständen des Falles zu befürchten war, Roman J*** werde in Freiheit die Zeugen Reinfried H*** und Gwendolyn L*** beeinflussen, ihn nunmehr zu entlasten.

Dieser Haftgrund ist aber spätestens am 19.September 1985 weggefallen, nachdem auf Grund des an diesem Tage bei Gericht eingelangten Polizeiberichtes davon auszugehen war, daß Gwendolyn L*** sich nicht mehr in Österreich aufhält, demnach als Zeugin nicht mehr zur Verfügung stand, und Reinfried H*** bereits am 16. September 1985 (abermals) gerichtlich als Zeuge vernommen worden war.

Die Untersuchungshaft wäre darnach am 20.September 1985 gemäß § 193 Abs. 2 StPO aufzuheben gewesen, sodaß die weitere Anhaltung des Roman J*** bis zum 4.Oktober 1985, 14.50 Uhr, jedenfalls gesetzwidrig war (§ 2 Abs. 1 lit. a StEG). Ausschlußgründe nach § 3 lit. a oder b StEG liegen nicht vor. Für den Zeitraum vom 20. September 1985 bis 4.Oktober 1985, 14.50 Uhr, sind somit alle Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch gegeben.

In teilweiser Stattgebung der Beschwerde des Angehaltenen war daher wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.

Anmerkung

E09437

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0090OS00105.86.1015.000

Dokumentnummer

JJT_19861015_OGH0002_0090OS00105_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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