TE OGH 1987/7/22 14Os88/87

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Veröffentlicht am 22.07.1987
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22.Juli 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kleindienst-Passweg als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Helmut P*** wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 19.Februar 1987, GZ 12 f Vr 6364/86-31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (Punkt II des Urteilssatzes) und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs nach § 38 StGB) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen ihm auch die den erfolglos gebliebenen Teilen seiner Nichtigkeitsbeschwerde betreffenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der jetzt 34-jährige Invalidenrentner Helmut P*** der Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB (Punkt I/1 des Urteilssatzes), der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4 StGB - richtig (vgl. ÖJZ-LSK 1978/165):

der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 Z 4 StGB (Punkt I/2) und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (Punkt II) - sowie der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (Punkt I/3) schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien

I. am 4.Mai 1986

1. dadurch, daß er den Polizeibeamten Insp. Kurt J*** und Rev.Insp. Ferdinand R***, die im Begriff waren, ihn festzunehmen, Stöße und Fußtritte versetzte, versucht, Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern;

2. die beiden zuvor genannten Polizeibeamten während der Vollziehung ihrer Aufgaben durch die zu Punkt 1. bezeichneten Handlungen vorsätzlich am Körper verletzt, wobei Kurt J*** eine Schwellung und Prellung des rechten Unterschenkels und Ferdinand R*** eine Prellung des rechten Handrückens sowie beider Unterarme erlitten;

3. dadurch, daß er die Glasscheibe der Eingangstür zum Wohnhaus Wien 18., Höhnegasse 7, mit einem Stein einschlug, eine fremde bewegliche Sache eines unbekannten Eigentümers in einem 5.000 S nicht übersteigenden Wert beschädigt; und II. am 11.Juni 1986 Helmut J*** vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihm durch Versetzen eines Schlages ins Gesicht eine Rißquetschwunde an der Lippe zufügte.

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer (nominell) auf die Z 4, 5 und 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Den Verfahrensmangel (Z 4) erblickt er in der (bei der Hauptverhandlung entgegen der Anordnung des § 238 StPO zunächst ohne Begründung erfolgten) Abweisung des von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrages auf Ergänzung des (in der Hauptverhandlung verlesenen) Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen Dr. G*** (ON 18). Hiedurch sollte (ersichtlich) mit Beziehung auf das epileptische Leiden des Angeklagten in Verbindung mit der jeweiligen Alkoholeinwirkung zu den Tatzeitpunkten dargetan werden, daß "beim Angeklagten Dämmerzustände vorhanden sind, die eine Zurechnungsunfähigkeit im Sinn des § 11 StGB hervorrufen", und geklärt werden, "inwieweit die festgestellte Epilepsie und Gehirnhautentzündung einen Schaden darstellt" (S 17 f des Hauptverhandlungsprotokolles). Im Urteil hat das Erstgericht hiezu ausgeführt (und damit die zunächst verabsäumte Begründung des Zwischenerkenntnisses nachgetragen), daß der Sachverständige in seinem Gutachten zu dem (auf eine Gehirnhautentzündung und chronischen Alkoholmißbrauch zurückgehenden) epileptischen Leiden des Angeklagten ohnedies Stellung genommen und einen hiedurch hervorgerufenen Schaden - nämlich ein jetzt "gerade noch leichtgradiges", wahrscheinlich irrevisibel gewordenes organisches Psychosyndrom (Hirnleistungsschwäche und körperlich begründete Persönlichkeitsstörung) - festgestellt hat (vgl. insbesondere S 81, 83). Dem ist zunächst hinzuzufügen, daß der Sachverständige das schriftliche Gutachten (vom 7.November 1986) unter Anwendung seines Fachwissens ausführlich und schlüssig abgefaßt hat und mit Bezug auf die den Schuldsprüchen laut Punkt I zugrunde liegenden Tathandlungen (vom 4.Mai 1986) gestützt auch auf das Geständnis des Angeklagten und den Umstand, daß dieser damals durchgehend eine reale Beziehung zur Umwelt hatte und am Tatort Beobachtungen anstellen sowie aus Wahrnehmungen Schlüsse ziehen konnte, zum Ergebnis gelangte, daß die den bezüglichen Tatablauf betreffenden Erinnerungsausfälle des Angeklagten nicht im Sinn einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung infolge eines psychomotorischen Anfalles zu interpretieren sind, sondern daß es sich dabei um für den Angeklagten charakteristische, impulsive aggressive Entladungen im Zustand alkoholischer Enthemmung gehandelt hat (S 85). Hievon ausgehend hätte aber in Ansehung der Tathandlungen vom 4.Mai 1986 mit Rücksicht auf die gegebene (von Anfang an gegen eine Zurechnungsunfähigkeit sprechende) Sachlage vom Beschwerdeführer im Beweisantrag dargetan werden müssen, aus welchen besonderen Gründen der Sachverständige nun trotzdem zu dem angestrebten Ergebnis kommen sollte. In diesem Zusammenhang darf auch nicht übersehen werden, daß der Angeklagte selbst noch in der Beschwerdeschrift einräumt, daß bezüglich der am 4.Mai 1986 verübten Straftaten seine zumindest teilweise Rückerinnerung "gegen das Vorliegen eines Dämmerzustandes" zur bezüglichen Tatzeit spreche.

Rechtliche Beurteilung

Das angefochtene Zwischenerkenntnis vermochte mithin unter den aufgezeigten Umständen Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht zu beeinträchtigen.

Es versagt aber auch die Mängelrüge (Z 5), mit welcher der Angeklagte in Ansehung des Schuldspruchs wegen des Vergehens nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB (Punkt I/1) ins Treffen führt, die Urteilsbegründung sei "hinsichtlich des Umstandes, daß er den Ausspruch der Festnahme registriert" habe, unvollständig und widersprüchlich.

Hiebei übersieht der (zudem bereits wiederholt einschlägig vorbestrafte) Beschwerdeführer jedoch, daß das Erstgericht - abgesehen davon, daß ein Beamter an einer Amtshandlung nicht erst dann gehindert werden kann, wenn sie bereits begonnen hat, sondern auch schon dann, wenn deren Beginn unmittelbar bevorsteht (vgl. SSt. 53/38; Leukauf-Steininger Kommentar2 § 269 RN 13) - gestützt auf die mit dem eigenen Geständnis des Angeklagten (vgl. S 23, 67, 69, 71 iVm S 3 des Hauptverhandlungsprotokolls vom 19. Feber 1987) im Einklang stehende Zeugenaussage des Polizeirevierinspektors Ferdinand R*** in der Hauptverhandlung (vgl. insbesondere S 5 des Hauptverhandlungsprotokolls) zur Überzeugung gelangte, daß die Festnahme schon beim Eintritt der Beamten in die Wohnung ("noch zwischen Tür und Angel") und Ansichtigwerden des Angeklagten, bei dem zu diesem Zeitpunkt eine wesentliche Einschränkung der Bewußtseinsfunktion nicht vorlag, ausgesprochen wurde (US 6).

In diesem Umfang war demnach die Nichtigkeitsbeschwerde nach Anhörung der Generalprokuratur als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs. 1 Z 2 StPO) schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Berechtigt ist die Beschwerde jedoch, soweit sie den auf die Ablehnung der in der Hauptverhandlung beantragten Ergänzung des Sachverständigengutachtens gestützten Verfahrensmangel (Z 4) mit Beziehung auf die dem Schuldspruch laut Punkt II des Urteilssatzes zugrunde liegende Tathandlung (vom 11.Juni 1986) geltend macht. Denn angesichts des Umstandes, daß der Sachverständige Dr. G*** in seinem (schriftlichen) Gutachten (ON 18) die Beurteilungsgrundlage in Ansehung der bezüglichen Tathandlung ausdrücklich als "ergänzungsbedüftig" bezeichnet hat (S 89) und den Aussagen der (nach Verlesung des Gutachtens in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, insbesondere jener der damals im Obdachlosenheim "Lacknergasse" beschäftigt gewesenen Anneliese A*** (mit dem Schwesternnamen "Doris") zu entnehmen ist, daß sie am 11.Juni 1986 zunächst der Meinung war, der Angeklagte sei "drüber" gewesen, nachher jedoch gesehen habe, daß er "doch nicht so drüber" war, jedenfalls aber "nicht so war, wie sonst" und von dem gleichfalls als Zeugen vernommenen Arzt des Psychosozialdienstes Dr. P*** (von dem der Angeklagte seit 14.Mai 1986 betreut wurde) zum Ausdruck gebracht wurde, daß (auch) "ein Erregungszustand" und ein "Ausklinken" als gleichsam klassische Beispiele zum Formenkreis der Epilepsie zählen, wobei der Betroffene "nicht unbedingt am Boden liegen" müsse, hätte sich das Schöffengericht nicht, wie das letztlich geschah, mit einer im wesentlichen nur pauschalen Würdigung der "glaubwürdigen Angaben der zu diesem Faktum vor Gericht vernommenen Zeugen" (US 8) und mit einem Geständnis (auch) zu diesem Faktum begnügen dürfen, zumal der Angeklagte eine inkriminierbare Handlungsweise zunächst in Abrede stellte (vgl. S 6 und 19 in ON 16), sich bei der späteren Einvernahme an das Vorgefallene (im wesentlichen) nicht erinnern konnte und auch nach der in der Hauptverhandlung insoweit erfolgten Ausdehnung der Anklage schließlich sein (nunmehriges ersichtlich nur auf das objektive Tatgeschehen bezogenes) Schuldbekenntnis mit den Worten "ja sicher war es so" (vgl. S 15 des Hauptverhandlungsprotokolls) eingeleitet hat. Hinzu kommt, daß der Sachverständige Dr. G*** - worauf die Beschwerde gleichfalls zu Recht hinweist - in einem gegen den Angeklagten beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 9 a(= 25 d)Vr 11085/84 anhängig gewesenen Strafverfahren bei Beurteilung einer dem Angeklagten (u.a.) angelasteten (am 6. Feber 1985 begangenen) Sachbeschädigung unter Hinweis auf das "völlig unsinnige aggressive Verhalten des Beschuldigten" im Zusammenhang mit dem behaupteten Erinnerungsausfall nicht ausschließen konnte, daß er "infolge der Provokation durch den Alkohol einen psychomotorischen Anfall (Dämmerzustand) erlitt, der einer körperlich begründbaren tiefgreifenden Psychose entsprochen hat" (vgl. S 75/Band II des zitierten - in der Hauptverhandlung verlesenen - Vorstrafaktes).

Unter diesen (besonderen) Umständen ist jedenfalls nicht unzweifelhaft erkennbar, daß die gerügte Formverletzung auf die bezügliche Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß üben konnte (§ 281 Abs. 3 StPO).

Der aufgezeigte Verfahrensmangel macht in Ansehung des Schuldspruchs wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (Punkt II des Urteilssatzes) eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich (§ 285 e StPO).

Mit seiner dadurch gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf die getroffene Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E11304

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0140OS00088.87.0722.000

Dokumentnummer

JJT_19870722_OGH0002_0140OS00088_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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