TE OGH 1987/10/20 15Os144/87

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Veröffentlicht am 20.10.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Oktober 1987 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bachinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Margit P*** wegen der Vergehen der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs. 1 Z 1 und 2 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen

1. das teilweise Unleserlichmachen eines Briefes der in Untersuchungshaft angehaltenen Beschuldigten durch den Untersuchungsrichter im Rahmen der Überwachung ihres Briefverkehrs und

2. gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt vom 26. Juli 1983, GZ 15 Vr 3.287/82-52,

nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren zum AZ (nunmehr) 30 E Vr 3.287/82 des Landesgerichtes Klagenfurt ist

1. dadurch, daß der Untersuchungsrichter einen Brief der in Untersuchungshaft angehaltenen Beschuldigten im Rahmen der Überwachung ihres Briefverkehrs teilweise unleserlich machte, und

2. durch die in der Begründung des Beschlusses der Ratskammer vom 26. Juli 1983, ON 52, zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht, in dem zu Punkt 1. beschriebenen Vorgehen des Untersuchungsrichters liege nur ein Minus gegenüber dem ihm nach § 187 Abs. 2 StPO zugestandenen Recht, Schreiben von Untersuchungshäftlingen zurückzuhalten,

das Gesetz in den Bestimmungen des § 187 Abs. 2 StPO verletzt worden. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes verworfen.

Text

Gründe:

Im oben bezeichneten Verfahren befand sich Margit P*** eine Zeitlang in Untersuchungshaft; von dort aus richtete sie an einen im selben Gefangenenhaus angehaltenen anderen Untersuchungshäftling einen sogenannten "Hausbrief". Im Rahmen der Überwachung ihres Briefverkehrs machte der Untersuchungsrichter sieben Textzeilen dieses Schreibens unleserlich; erst danach wurde der Brief an den Adressaten weitergeleitet.

Unter anderem dagegen erhob die Beschuldigte "gem. § 113 StPO ... Beschwerde" an die Ratskammer, weil nach § 187 Abs. 2 StPO ein Brief zwar zurückgehalten, aber keinesfalls verändert, und zudem das Zurückhalten nur mit begründetem "Bescheid" angeordnet werden dürfe; sie begehrte demgemäß die Ausstellung eines derartigen Bescheides und überdies die Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Untersuchungsrichter" wegen § 118 Abs. 3 und 4 StGB" (ON 48). Auf Grund eines von letzterem eingeholten Berichtes (ON 51) stellte die Ratskammer fest, daß die ausgestrichenen Textstellen, deren Wortlaut allerdings nicht rekonstruiert wurde, "Witze mit beleidigendem Inhalt über Justizwachebeamte" enthielten; damit habe Margit P*** "den Vergehenstatbestand nach § 111 Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 117 Abs. 2 StGB hergestellt", sodaß der Untersuchungsrichter nach § 187 Abs. 2 StPO berechtigt gewesen sei, das Schreiben mit dem "inkriminierten" Inhalt zurückzuhalten: darin, daß er (dessenungeachtet bloß) die "die Justizwachebeamten beleidigenden" Passagen aus diesem Schreiben unleserlich gemacht und den Brief (erst) dann an den Adressaten weitergeleitet habe, liege nur ein Minus gegenüber jenem (prozessualen) Recht, sodaß sich die Beschuldigte durch sein Vorgehen nicht beeinträchtigt fühlen könne; dementsprechend wurde ihre Beschwerde mit Beschluß vom 26.Juli 1983 (ON 52) auch insoweit als unbegründet verworfen.

Rechtliche Beurteilung

Mit ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde vertritt die Generalprokuratur die Auffassung, das von der Beschuldigten gerügte Unleserlichmachen von Teilen ihres Briefes durch den Untersuchungsrichter und der darauf bezogene Beschluß der Ratskammer seien durch § 187 Abs. 2 StPO primär deshalb nicht gedeckt, weil nach (dem vierten Satz) dieser Verfahrensbestimmung nur solche Schreiben der Untersuchungshäftlinge an Privatpersonen (stets) zurückzuhalten seien, die den Verdacht erwecken, daß durch sie eine von Amts wegen zu untersuchende strafbare Handlung begangen wird; im vorliegenden Fall begründe jedoch die nunmehr unleserliche Textstelle nicht den Verdacht einer derartigen strafbaren Handlung, weil ein möglicherweise damit begangenes Vergehen nach § 111 Abs. 1 StGB oder nach § 115 Abs. 1 StGB grundsätzlich nur auf Verlangen des Verletzten zu verfolgen wäre und eine amtswegige Verfolgung (mit dessen Ermächtigung und mit jener der ihm vorgesetzten Stelle) nach § 117 Abs. 2 erster Satz StGB nur wegen Beleidigungen "von Person zu Person", nicht aber wegen solcher in einem Brief in Betracht komme. In diese Richtung hin vermag sich der Oberste Gerichtshof der Beschwerdeauffassung nicht anzuschließen.

Gewiß setzt die Begehung einer strafbaren Handlung gegen die Ehre eines Beamten "während der Ausübung seines Amtes oder Dienstes" voraus, daß die betreffende Tat in diesem Zeitraum "von Person zu

Person" (vgl. ÖJZ-LSK 1984/22 = JBl. 1984,201; Foregger im WK § 117

Rz. 4 mit Bezug auf eine bei Mayerhofer/Rieder StGB1 Nr. 5 a = StGB2

Nr. 8, jeweils zu § 117, abgedruckte Rechtsmeinung des BMfJ), also dadurch begangen wird, daß die beleidigende Äußerung unmittelbar ihm gegenüber abgegeben wird.

Diese Tatmodalität wird zwar in Fällen in denen die ehrenrührige Äußerung schriftlich in einer Eingabe oder mündlich in Abwesenheit des beleidigten Beamten gemacht wird, in der Regel nicht gegeben sein; das bedeutet aber nicht, daß sie notwendigerweise bloß im Fall einer mündlichen Tatbegehung und stets nur bei gleichzeitiger Anwesenheit von Täter und Beleidigtem verwirklicht sein könnte: so kann etwa ein Beamter auch dadurch "während der Ausübung seines Amtes oder Dienstes" (von Person zu Person) in seiner Ehre verletzt werden, daß er zu dieser Zeit - tatbestandsmäßige Publizität vorausgesetzt - ohne Sichtkontakt mit dem Täter im Weg einer Schallübertragung (durch Lautsprecher gleichermaßen wie telefonisch bei aktueller Mithörmöglichkeit) oder aber im Weg seiner persönlichen Konfrontation mit einem (der direkten Kenntnisnahme durch einen größeren Personenkreis zugänglichen) Schriftstück durch den Täter unmittelbar mit der beleidigenden Äußerung belegt wird. Aus der (auf die hier aktuelle prozessuale Problematik des § 117 Abs. 2 StGB unter materiellrechtlichen Aspekten Bezug nehmenden) seinerzeitigen Rechtsprechung zu dem (auf einen Schutz der Amtswürde und nicht auf einen dem Beamten gewährten persönlichen Ehrenschutz abgestellt gewesenen) Tatbestand des vormaligen § 312 StG ist insoweit Gegenteiliges nicht abzuleiten.

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß im Hinblick auf die in dem - offenen (S 19/II) - Schreiben enthalten gewesenen (in ihrem Wortlaut nicht festgestellten) "Witze über Justizwachebeamte mit beleidigendem Inhalt" (mangels näherer Anhaltspunkte jedenfalls) der Verdacht eines von Margit P*** durch diesen Brief begangenen Vergehens (zwar nicht der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 StGB, wohl aber) der Beleidigung (Beschimpfung, Verspottung) nach § 115 Abs. 1 StGB indiziert war; jenes wäre aber (unter der Annahme eines entsprechenden Vorsatzes der Beschuldigten) bereits im Augenblick der Übergabe des Briefes an einen Justizwachebeamten zur dienstlichen Weiterleitung über den Untersuchungsrichter an den Adressaten vollendet gewesen, weil wegen der mit einer solchen Beförderung zwangsläufig verbundenen kanzleimäßigen Manipulation schon zu dieser Zeit die konkrete Möglichkeit einer direkten (wenn auch nicht gleichzeitigen) Wahrnehmung der Beleidigung durch einen größeren Personenkreis (aus dem Personalstand des Gefangenenhauses und des Gerichtes) - erste Publizitätsform des § 115 Abs. 1 StGB iVm § 69 StGB (vgl. SSt. 53/9) - bestanden hätte.

Damit hinwieder wäre die strafbare Handlung - wie übrigens gleichermaßen auch dann, wenn sie sich solcherart erst bis ins Versuchsstadium (§ 15 StGB) entwickelt hätte - notwendigerweise während der Ausübung des Amtes oder Dienstes eines (und zwar des mit der dienstlichen Weiterleitung des Schreibens zunächst befaßt gewesenen) Beamten begangen worden, der dem durch die "beleidigenden Witze" angesprochenen Kollektiv (vgl. ÖJZ-LSK 1978/116 zu § 117 Abs. 1 StGB) angehörte, sodaß insoweit die Voraussetzung zur amtswegigen Strafverfolgung der Beschuldigten nach § 117 Abs. 2 StGB vorlag und der Untersuchungsrichter nach § 187 Abs. 2 StPO sehr wohl zum Zurückhalten des Schreibens berechtigt war.

Die Auffassung der Generalprokuratur, im vorliegenden Fall seien dem Untersuchungsrichter und der Ratskammer Verstöße gegen § 187 Abs. 2 StPO deshalb unterlaufen, weil der zensurierte Brief nur den Verdacht einer bloß auf Begehren eines Beteiligten zu untersuchenden strafbaren Handlung erweckt habe, ist demnach nicht stichhältig; darauf kann die mit der Wahrungsbeschwerde angestrebte Feststellung von Gesetzesverletzungen sohin nicht gestützt werden. Im Recht hingegen ist die Generalprokuratur mit ihrer weiteren Beschwerdeansicht, daß der Untersuchungsrichter selbst unter den Voraussetzungen des § 187 Abs. 2 dritter und vierter Satz StPO nach dem Wortlaut und nach dem Sinn dieser Verfahrensbestimmungen zum Unleserlichmachen von zu beanstandenden Textpassagen nicht ermächtigt ist: läuft doch ein solches Vorgehen dem ihnen zugrunde liegenden Normzweck der Beweismittelsicherung für eine allfällige Strafverfolgung (vierter Satz) oder der (hier nicht aktuellen) Dokumentation des Versuchs einer Haftzweckvereitelung (dritter Satz) augenscheinlich zuwider; diesfalls ist vielmehr der Untersuchungsrichter in der Tat nur berechtigt, das bedenkliche Schreiben (dem Wortlaut des Gesetzes entsprechend) "zurückzuhalten", das heißt zu den Akten zu nehmen, und zudem verpflichtet, den Absender - zur Wahrung von dessen (in § 113 Abs. 1 StPO vorgesehenem) Beschwerderecht - mit einer entsprechenden (kurzen) Begründung zu verständigen.

Demnach war im gegebenen Fall sowohl das in Rede stehende Vorgehen des Untersuchungsrichters prozessual unzulässig als auch die in der Beschwerdeentscheidung zum Ausdruck gebrachte Auffassung der Ratskammer rechtlich verfehlt, daß im teilweisen Unleserlichmachen des Briefes der Beschuldigten durch ersteren gegenüber dem ihm nach § 187 Abs. 2 StPO eingeräumten Recht, jenes Schreiben zurückzuhalten, ein Minus liege: hat er doch damit nicht weniger getan, als ihm zustand, sondern etwas anderes veranlaßt, als seiner Verpflichtung entsprach, und hiedurch allfällige Strafverfolgungsinteressen des öffentlichen Anklägers und der zur Erteilung einer Ermächtigung hiezu berechtigten Personen sowie deren vorgesetzter Stelle beeinträchtigt.

Lediglich aus diesen Erwägungen waren daher in Stattgebung der (im Gerichtstag dahin ausgedehnten) Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes dem Untersuchungsrichter und der Ratskammer unterlaufene Verletzungen des Gesetzes in den Bestimmungen des § 187 Abs. 2 StPO wie im Spruch festzustellen.

Mit Bezug auf die Beschuldigte allerdings hat die Ratskammer - der von der Generalprokuratur vertretenen Ansicht zuwider - mit Recht angenommen, daß sie durch die Weiterleitung des Briefes mit immerhin teilweise lesbarem Inhalt, anstatt ihn zur Gänze zurückzuhalten, in ihren Interessen nicht beeinträchtigt wurde, sodaß ihrem Rechtsmittel insoweit tatsächlich mangels Beschwer ein Erfolg versagt bleiben mußte.

Soweit die Wahrungsbeschwerde - gestützt auf die (nach dem Gesagten nicht zutreffende) Rechtsmeinung, das bloß teilweise Unleserlichmachen des Schreibens sei im Vergleich zu dessen (vollständigem) Zurückhalten auch aus der Sicht der Beschuldigten als ein Minus zu beurteilen, auf die Feststellung abzielt, die Beschwerdeentscheidung stehe in ihrem Ergebnis gleichfalls mit § 187 Abs. 2 StPO nicht im Einklang, war sie daher zu verwerfen. Hiezu sei nur noch der Vollständigkeit halber vermerkt, daß die Ratskammer dem Beschwerdebegehren der Beschuldigten auf Ausstellung eines die gerügte Maßnahme des Untersuchungsrichters begründenden "Bescheides" durch die Zustellung der darauf bezogenen Rechtsmittelentscheidung der Sache nach ohnehin entsprach und daß es sich beim Verlangen der Margit P*** nach Einleitung eines strafgerichtlichen Verfahrens wegen § 118 StGB - § 2 Abs. 2 erster Satz StPO - nicht um ein nach § 113 Abs. 1 StPO einer Entscheidung durch die Ratskammer zuzuführendes Rechtsmittel gegen eine Verfügung des Untersuchungsrichters gehandelt hat, sodaß darüber (unbeschadet der dem Gericht insoweit nach § 3 StPO oblegenen Verpflichtungen) mit gutem Grund nicht beschlußmäßig abgesprochen wurde.

Anmerkung

E12235

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0150OS00144.87.1020.000

Dokumentnummer

JJT_19871020_OGH0002_0150OS00144_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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