TE OGH 1988/10/12 14Os129/88

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Veröffentlicht am 12.10.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.Oktober 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kleindienst-Passweg als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Erich L*** wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Brandstiftung nach §§ 169 Abs 1 und 15 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 14.Juli 1988, GZ 12 Vr 3.907/87-70, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Stöger, und des Verteidigers Dr. Hanslik, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß § 290 Abs 1 StPO wird das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch, daß Erich L*** bei den Einbruchsdiebstählen laut Punkt B des Urteilssatzes mit dem Vorsatz gehandelt hat, Sachen in einem 25.000 S übersteigenden Wert wegzunehmen, demgemäß in der rechtlichen Beurteilung dieser Diebstähle als schwer nach § 128 Abs 1 Z 4 StGB (nF), ferner im Ausspruch, daß er durch die Sachbeschädigungen laut Punkt C einen 500.000 S übersteigenden Schaden herbeigeführt hat, demzufolge in der darauf beruhenden Verbrechensqualifikation nach § 126 Abs 2 StGB (nF), sowie im Ausspruch einer Freiheitsstrafe aufgehoben.

Gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO wird in der Sache selbst erkannt:

Erich L*** wird für die ihm nach dem aufrecht gebliebenen Teil des Schuldspruchs zur Last liegenden Verbrechen der teils vollendeten, teils versuchten Brandstiftung nach §§ 169 Abs 1 und 15 StGB (A) und des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 15 StGB (B) sowie das Vergehen der Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 7 StGB gemäß §§ 28 Abs 1, 169 Abs 1 StGB zu 3 1/2 (dreieinhalb) Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Der gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO gefaßte Beschluß, womit das Erstgericht die bedingte Nachsicht der mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Eibiswald vom 8.Oktober 1987, AZ U 110/87, über Erich L*** verhängten Freiheitsstrafe von einem Monat widerrufen hat, wird bestätigt.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Erich L*** wurde mit dem angefochtenen Urteil (das auch Teilfreisprüche enthält) der Verbrechen der teils vollendeten, teils versuchten Brandstiftung nach §§ 169 Abs 1 und 15 StGB (A), des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 15 StGB (B) sowie der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 2 StGB (C) schuldig erkannt und zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem wurde er gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Nur gegen die Anordnung dieser vorbeugenden Maßnahme richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der jedoch keine Berechtigung zukommt. Mit Beziehung auf die Urteilspassage, wonach "auch durch die Sachverständigengutachten (Dris. Z*** und Dris. M***) nicht eindeutig geklärt werden konnte, ob die sexuelle Bedeutung bei diesen Tathandlungen oder auch teilweise die sexuelle und teilweise die alkoholbedingte Beschaffenheit der Persönlichkeit des Angeklagten dazu führten, daß er diese Tathandlungen begangen hat" (US 9 oben), behauptet der Beschwerdeführer, daß selbst nach den Feststellungen des Erstgerichtes nicht sicher gesagt werden könne, ob er die Anlaßtaten unter dem Einfluß einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grade oder bloß infolge der "alkoholbedingten Beschaffenheit seiner Persönlichkeit" begangen hat. Er leitet daraus einen unvertretbaren Verstoß gegen Bestimmungen über die Strafbemessung (Z 11 dritter Anwendungsfall iVm § 435 Abs 2 StPO nF) ab, weil bei Begehung einer strafbaren Handlung im Zusammenhang mit der Gewöhnung an ein berauschendes Mittel nur die "gelindere" Maßnahme nach § 22 Abs 1 StGB in Betracht käme, von der aber mit Rücksicht auf die Höhe der verhängten Strafe von mehr als zwei Jahren gemäß § 22 Abs 2 StGB hier abzusehen gewesen wäre.

Mit diesem Einwand übergeht der Beschwerdeführer in prozeßordnungswidriger Weise, daß das Schöffengericht in Übereinstimmung mit den Gutachten der beiden medizinischen Sachverständigen ausdrücklich eine seelisch-geistige Abartigkeit höheren Grades als tatbestimmende Wesensartung des Angeklagten festgestellt (US 9 unten) und an der bezogenen - von der Beschwerde aus dem Zusammenhang gerissenen - Stelle der Entscheidungsgründe bloß zum Ausdruck gebracht hat, daß die anlagebedingte sexuelle Abartigkeit des Angeklagten allenfalls erst im Zusammenwirken mit den durch chronischen Alkoholmißbrauch verursachten toxischen Folgen akut geworden ist (vgl. S 35/II). Somit geht der Beschwerdeführer aber nicht vom tatsächlichen Inhalt des Urteils aus und bringt solcherart die materiellrechtliche Rüge nicht zur gesetzmäßigen Darstellung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Mit seiner gleichfalls nur gegen die Anordnung der Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB gerichteten Berufung wendet sich der Angeklagte gegen die Annahme, das auslösende Moment für seine Taten sei in einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades gelegen und behauptet, daß die Straftaten vielmehr ausschließlich auf seine Alkoholabhängigkeit zurückzuführen seien. Das Erstgericht habe insoferne eine unrichtige Gefährlichkeitsprognose erstellt, als er nicht wegen einer wesensmäßigen sexuellen Abartigkeit, sondern nur wegen seines chronischen Alkoholmißbrauchs gefährlich sei, weshalb bei ihm die Voraussetzungen für eine Maßnahme nach § 22 Abs 1 StGB vorlägen, deren Anordnung im konkreten Fall allerdings die Vorschrift des § 22 Abs 2 StGB entgegensteht.

Indem der Angeklagte damit eine Grundvoraussetzung des § 21 Abs 2 StGB - nämlich das Vorliegen eines Zusammenhanges zwischen einer bestehenden geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades und der Begehung der strafbaren Handlungen - bestreitet, macht er keinen Berufungsgrund, sondern der Sache nach abermals den Nichtigkeitsgrund der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO (9 Os 88/77), und zwar nunmehr den ersten Anwendungsfall der Neufassung dieser Gesetzesstelle geltend, weil er dem Erstgericht inhaltlich zum Vorwurf macht, es hätte bei dem Ausspruch über die Strafe (§ 435 Abs 2 StPO nF) seine Strafbefugnis in Ansehung der Art der zu ergreifenden vorbeugenden Maßnahme überschritten.

Das Vorbringen des Angeklagten erweist sich jedoch auch unter diesem Aspekt als nicht zielführend.

Das Erstgericht ist - wie bereits in Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde dargetan - zur Überzeugung gelangt, daß der Angeklagte an einer seelisch-geistigen Abartigkeit höheren Grades leidet, die insbesondere unter Alkoholeinfluß zu folgenschwerem Ausbruch kommen kann (US 9 und verso). Es folgte damit den - schlüssigen, mängel- und widerspruchsfreien (§§ 125, 126 StPO) - Gutachten der in der Hauptverhandlung beigezogenen Sachverständigen Dr. Z*** (S 501 ff/I) und Dr. M*** (S 34 ff/II), die übereinstimmend (vgl. S 27, 34/II unten) zum Ausdruck gebracht haben, daß beim Angeklagten zwei Persönlichkeitsfaktoren zusammenspielen, nämlich eine anlagebedingte sexuelle (fetischistisch-sadistische) Perversion einerseits, die auf Grund chronischen Alkoholmißbrauchs andererseits zu einer deliktischen Persönlichkeitsentwicklung geführt hat, wobei lediglich das Verhältnis dieser beiden Wesensfaktoren in ihrer tatauslösenden Wirksamkeit offengeblieben ist (S 35 f/II). Für die in § 22 Abs 2 StGB normierte Subsidiarität der Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher gegenüber einer solchen nach § 21 Abs 2 StGB ist aber nur entscheidend, daß eine geistige bzw. seelische Abartigkeit von höherem Grade von faßbarem Einfluß auf die Tatverübung war. Ob diese Abartigkeit oder der Mißbrauch eines berauschenden Mittels und die Gewöhnung daran bei der Begehung einer Straftat im konkreten Fall anteilsmäßig prävaliert, ist ohne Belang, denn die stets als Ganzes agierende Individualität eines zurechnungsfähigen Täters verbietet eine im Ergebnis unrealistische Zerlegung einer belasteten Persönlichkeits- oder Charakterartung in anteilsmäßig bestimmte, schädliche Elemente (13 Os 33/77 tw zit bei Mayerhofer-Rieder StGB2 E 5 zu § 22).

Demnach erweist sich auch das Berufungsvorbringen zur angestrebten Ausschaltung des Maßnahmeausspruchs als ungeeignet. Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich jedoch der Oberste Gerichtshof davon überzeugt, daß das Schöffengericht zum Nachteil des Angeklagten das Strafgesetz in zweifacher Hinsicht unrichtig angewendet hat, ohne daß diese Rechtsirrtümer von ihm gerügt worden wären: Einerseits fehlt nämlich in Ansehung des Schuldspruchs wegen Verbrechens des teils vollendeten (zwei Angriffe mit einer Beute im Wert von zusammen 8.200 S), teils versuchten (vier weitere, beutemäßig unbewertete Angriffe) schweren Diebstahls durch Einbruch (B/I und II) eine Feststellung darüber, daß der Vorsatz des Angeklagten auf die Wegnahme von Gegenständen in einem insgesamt 25.000 S übersteigenden Wert gerichtet war (§ 128 Abs 1 Z 4 StGB nF), sodaß das Urteil insoweit an einem Feststellungsmangel im Sinne des materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO leidet.

Andererseits hat das Erstgericht beim Schuldspruch wegen Verbrechens der schweren Sachbeschädigung (C) übersehen, daß nach Wegfall des Anklagefaktums C/5 infolge Freispruchs gemäß § 259 Z 2 StPO (Punkt B des freisprechenden Teiles des Urteils), die verbleibenden Schadensbeträge in den von diesem Schuldspruch (C/1 bis 4) erfaßten Fakten nach den Urteilsfeststellungen insgesamt nur mehr 440.000 S ausmachen und somit die im § 126 Abs 2 StGB (nF) angeführte Wertgrenze von 500.000 S nicht übersteigen. Der Angeklagte verantwortet sohin insoweit richtigerweise nur das Vergehen der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 7 StGB (gleichfalls Z 10).

Da die zu der ersterwähnten Diebstahlsqualifikation erforderlichen Feststellungen nach der Aktenlage auch in einem zweiten Rechtsgang nicht mängelfrei getroffen werden könnten, war das Urteil in beiden aufgezeigten Richtungen sogleich von Amts wegen zu korrigieren (§§ 288 Abs 2 Z 3, 290 Abs 1 StPO).

Bei der dadurch notwendig gewordenen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit einem Vergehen, die Wiederholung der Straftaten, den raschen Rückfall nach der letzten Haftentlassung und den an die Wertgrenze des § 126 Abs 2 StGB heranreichenden Schaden bei der Sachbeschädigung als erschwerend; als mildernd wurde hingegen das umfassende und reumütige Geständnis des Angeklagten berücksichtigt, daß er die Straftaten unter dem Einfluß eines abnormen Geisteszustandes begangen hat und daß es teilweise beim Versuch geblieben ist. Ausgehend von dem von einem bis zu zehn Jahren reichenden Strafsatz des § 169 Abs 1 StGB ist darnach eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren als der unrechtsbezogenen Schuld des Angeklagten (§ 32 StGB) angemessen. Eine Reduktion im Vergleich zum erstinstanzlichen Strafausspruch wurde nicht vorgenommen, weil der Wegfall der in Rede stehenden Wertqualifikationen unter Bedacht auf den verbleibenden Schadensbetrag und im Verhältnis zum gesamten vom Angeklagten angerichteten Schaden an fremdem Vermögen schuldmäßig überhaupt nicht ins Gewicht fällt.

Da somit - trotz formeller Aufhebung des Strafausspruchs und Neubemessung der Strafe - in den urteilsmäßigen Grundlagen, die das Erstgericht gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO zum Anlaß für den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht genommen hat, im Ergebnis keine Änderung eingetreten ist und auch der Oberste Gerichtshof die Voraussetzungen für den Widerruf (§ 53 Abs 1 StGB nF) im konkreten Fall bejaht, war der im Spruch näher bezeichnete Widerrufsbeschluß ungeachtet unterbliebener Anfechtung von Amts wegen zu bestätigen (JAB zum StRÄG 1987, 359 d Beil zu den sten Prot des NR, XVII.GP, S 54 erste Sp unten).

Die Kostenersatzpflicht des Rechtsmittelwerbers ist in der bezogenen Gesetzesstelle begründet.

Anmerkung

E15623

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0140OS00129.88.1012.000

Dokumentnummer

JJT_19881012_OGH0002_0140OS00129_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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