TE OGH 1989/6/28 9ObA186/89

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.06.1989
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Meches und Rudolf Randus als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Biserka M***, Stubenmädchen, Saalfelden, Bräugasse 8, wider die beklagte Partei Ernst P***, Hotelier, Hotel "Zum Hirschen", Zell am See, vertreten durch Dr.Rudolf Hanifle und Dr.Rüdiger Hanifle, Rechtsanwälte in Zell am See, wegen restl. S 13.014,01 sA (Streitwert im Revisionsverfahren S 9.875,12 sA) infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 24.Jänner 1989, GZ 12 Ra 110/88-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 6.Juni 1988, GZ 16 Cga 63/88-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 7.252,08 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (davon S 844,28 USt und S 1.500,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit 14.12.1987 beim Beklagten im Hotel "Zum Hirschen" in Zell am See als Stubenmädchen beschäftigt. Am 16.3.1988 begab sie sich auf den Gendarmerieposten Zell am See und gab dort an, daß sie Schwierigkeiten am Arbeitsplatz habe; sie vermute, daß ihr Mitbediensteter Josef P***, Hausmeister im Hotel "Zum Hirschen", dahinterstecke, daß sie in der Sommersaison nicht mehr beschäftigt werden würde. Sie sagte zum Gendarmeriebeamten, daß Josef P*** in der vergangenen Wintersaison mehrmals gegen ihren Willen versucht habe, mit ihr zu schmusen und zu schlafen. Von einer Gewaltanwendung sprach die Klägerin nicht. Tatsächlich ist es niemals zu geschlechtlichen Beziehungen zwischen der Klägerin und Josef P*** gekommen. Dieser hat nie versucht, die Klägerin zu vergewaltigen; ob er Annäherungsversuche gemacht hat, ist nicht feststellbar.

Der mit der Anzeige befaßte Gendarmeriebeamte begab sich daraufhin in das Hotel "Zum Hirschen" und fragte dort Josef P*** in Gegenwart von dessen Ehefrau und der Klägerin, was passiert sei und ob er die Klägerin vergewaltigt habe. P*** bestritt dies. Beim Weggehen traf der Gendarmeriebeamte den Beklagten, dem er erzählte, die Klägerin habe Josef P*** vorgeworfen, daß er versucht habe, mit ihr den Beischlaf auszuüben oder sie zu vergewaltigen. Die Beschuldigung habe sich jedoch als haltlos erwiesen, so daß er keine Anzeige erstatten werde. Daraufhin entließ der Beklagte die Klägerin, um Josef P*** und dessen Frau, mit deren Arbeit er seit sieben Jahren sehr zufrieden ist, Genugtuung zu verschaffen.

Die Klägerin begehrte zuletzt Zahlung von S 13.014,01 brutto sA an Kündigungsentschädigung, anteiliger Jahresremuneration und Urlaubsabfindung. Sie behauptet, ungerechtfertigt entlassen worden zu sein.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß die Klägerin bereits vor der Entlassung ständig unter den Mitarbeitern des Betriebes Unruhe gestiftet habe. Er habe sich gezwungen gesehen, die Klägerin zu entlassen, um den bei ihm seit sieben Jahren beschäftigten Ehegatten P***, die sonst aus seinen Diensten ausgetreten wären, Genugtuung zu geben. Die Klägerin habe die Voraussetzungen der Entlassungsgründe nach § 82 lit d und g GewO 1859 erfüllt.

Das Erstgericht sprach der Klägerin - insoweit

unbekämpft - S 3.138,89 brutto sA an Urlaubsabfindung zu und wies das (von der Ungerechtfertigtkeit der Entlassung abhängige) Mehrbegehren von S 9.875,12 brutto sA (Kündigungsentschädigung und Jahresremuneration) ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und sprach ihr auch die vom Erstgericht abgewiesenen Beträge zu. Der Entlassungsgrund nach § 82 lit d GewO 1859 liege nicht vor, weil die Klägerin keine gerichtlich strafbare, von Amts wegen zu verfolgende Handlung begangen habe. Daß die Klägerin Josef P*** wider besseres Wissen fälschlich einer von Amts wegen zu verfolgenden Straftat verdächtigt habe, sei nicht erwiesen. Was aber den Entlassungsgrund der groben Ehrenbeleidigung betreffe, sei nicht feststellbar, ob Josef P*** tatsächlich Annäherungsversuche gemacht habe. Das Vorliegen des Entlassungsgrundes habe aber stets der beklagte Arbeitgeber zu beweisen. Der Beklagte hätte daher beweisen müssen, daß die Klägerin Josef P*** fälschlich eines ehewidrigen oder ehebrecherischen Verhaltens beschuldigt habe und sie somit auch in subjektiver Hinsicht den Tatbestand der groben Ehrenbeleidigung gesetzt habe. Der fehlende Beweis dieser Umstände gehe zu Lasten des Beklagten.

Der Beklagte erhebt gegen das Urteil des Berufungsgerichtes die außerordentliche Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung einer erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts. Er beantragt, die Revision zuzulassen und ihr Folge zu geben und das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß das Ersturteil wiederhergestellt werde.

Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig.

Grundsätzlich sind die Entlassungsgründe vom beklagten Arbeitgeber zu beweisen. Dies gilt auch für den Entlassungsgrund der groben Ehrenbeleidigung nach § 82 lit g GewO 1859. Es fehlt aber eine Rechtsprechung zur Frage, wen die Beweislast für die Wahrheit oder Unwahrheit (erwiesener) ehrverletzender Behauptungen trifft, die dem Wahrheitsbeweis zugänglich sind, ob also der Arbeitgeber auch beweisen muß, daß der entlassene Arbeitnehmer die Verdächtigung fälschlich ausgesprochen hat. Es handelt sich dabei um eine erhebliche Rechtsfrage iS des § 46 Abs 2 Z 1 ASGG (§ 502 Abs 4 Z 1 ZPO).

Die Revision ist auch berechtigt.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die wahrheitswidrige Behauptung einer Arbeitnehmerin gegenüber Dritten, ein verheirateter Arbeitskollege habe gegen ihren Willen mehrmals versucht, mit ihr zu schmusen und zu schlafen, auch dann eine grobe Ehrenbeleidigung eines Mitbediensteten iS des § 82 lit g GewO 1859 ist, wenn in dieser Behauptung von einer Gewaltanwendung oder von einer Vergewaltigung nicht die Rede war, zumal die Behauptung einer Willensbeeinträchtigung in der Sexualsphäre in einer Anzeige bei der Sicherheitsbehörde eine Gewaltanwendung durch den Verdächtigten nahelegt. Eine solche Behauptung ist daher geeignet, dem Verdächtigten erhebliche dienstliche oder private Nachteile zuzufügen.

Die bisherige Rechtsprechung zur groben Ehrenbeleidigung nach § 82 lit g GewO 1859 und zur erheblichen Ehrverletzung nach § 26 Z 4 und § 27 Z 6 AngG betrifft weit überwiegend Fälle von groben Beschimpfungen und Verspottungen, die einem Wahrheitsbeweis (oder einem Beweis des guten Glaubens) nicht zugänglich sind. Zum Austrittsgrund der erheblichen Ehrverletzung wegen einer Diebstahlsanzeige des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer wurde aber die Ansicht vertreten, daß ein berechtigter Austrittsgrund vorliegt, wenn der Arbeitgeber nicht hinreichende Verdachtsgründe für die Strafanzeige darzutun vermag (Martinek-Schwarz, AngG6, 580 unter Berufung auf Arb 6.787). Analoges muß auch gelten, wenn sich der Arbeitnehmer einer groben Ehrenbeleidigung (gegen Mitbedienstete oder gegen den Arbeitgeber) schuldig macht. Der Arbeitgeber hat nur zu beweisen, daß der Arbeitnehmer die ehrverletzende Behauptung aufgestellt hat; ist diese Behauptung einm Wahrheitsbeweis oder einem Beweis des guten Glaubens zugänglich, so hat der Arbeitnehmer die Wahrheit der Behauptung zu beweisen bzw den Beweis zu erbringen, daß er hinreichende Gründe dafür hatte, die Behauptung für wahr zu halten. Wie der Revisionswerber zutreffend ausführt, ist daher die Beweislast nicht anders als im Privatanklageverfahren nach § 111 StGB wegen übler Nachrede zu verteilen; dort obliegt der Wahrheitsbeweis dem Täter; dasgleiche gilt aber auch bei Dienstpflichtverletzungen nach § 27 Z 4 AngG, bei denen der Arbeitgeber nur die Dienstpflichtverletzung, der Arbeitnehmer aber das Vorliegen eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes zu beweisen hat (Arb 10.521 mwN).

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes hatte daher der Beklagte nicht zu beweisen, daß die Klägerin den Hausmeister Josef P*** fälschlich bezichtigt hat, er habe mehrmals gegen ihren Willen versucht, mit ihr zu schmusen und zu schlafen; vielmehr hatte die Klägerin zu beweisen, daß ihre ehrverletzenden Anschuldigungen der Wahrheit entsprechen. Da sie nach ihren Äußerungen selbst das angebliche Opfer der behaupteten Zudringlichkeiten des Josef P*** war, scheidet die Möglichkeit eines Beweises des guten Glaubens (bzw einer Anzeige aus hinreichenden Verdachtsgründen) aus. Da der Klägerin der Wahrheitsbeweis nicht gelungen ist, hat das Erstgericht ihre Entlassung berechtigt ausgesprochen. Das Ersturteil ist daher wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E18177

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00186.89.0628.000

Dokumentnummer

JJT_19890628_OGH0002_009OBA00186_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten