TE OGH 1990/7/19 13Os79/90-6

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Veröffentlicht am 19.07.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Juli 1990 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Dr. Ungerank als Schriftführer, in der Strafsache gegen Bruno R*** wegen des Vergehens der Nötigung nach dem § 105 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 11.Jänner 1990, AZ 8 Bs 343/89, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, und des Bruno R*** zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 11. Jänner 1990, AZ 8 Bs 343/89, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen des § 42 Z 1 StGB und der §§ 473 Abs. 2, 489 Abs. 1 StPO.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Linz vom 1. September 1989, GZ 26 E Vr 1338/89-6, wurde der unbescholtene Landwirt Bruno R*** des Vergehens der Nötigung nach dem § 105 Abs. 1 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) sowie des Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 1 StGB (Punkt 2 des Urteilssatzes) schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt.

Das Gericht stellte fest, daß die Grundgrenze zwischen den Liegenschaften des Beschuldigten Bruno R*** und seinem Nachbarn Wilhelm K*** umstritten ist, weswegen bei der Agrarbezirksbehörde ein Grenzberichtigungsverfahren anhängig ist.

Am 17.Juni 1989 sollten an dem von Edeltraud G*** gepachteten Haus des Wilhelm K*** Dachdeckerarbeiten durchgeführt werden. Zu diesem Zweck wurde eine vier Meter lange Leiter gegen das Haus gelehnt. Die Leiter stand auf einem Wiesenstreifen, dessen Eigentum zwischen den Nachbarn strittig ist. Bruno R*** forderte mit der Behauptung, daß sich die Leiter auf seinem Grund befinde, die Einstellung der Arbeiten. Er drohte dem auf der Leiter befindlichen Josef S*** an, ihn "herunterzuschmeißen", wenn er die Leiter nicht verlasse. Danach rüttelte Bruno R*** an der Leiter und zwang dadurch den Josef S***, aus einer Höhe von ungefähr einem Meter auf den Boden zu springen (Punkt 1 a des Schuldspruches). In der Folge stieg Manfred S*** zwecks Fortsetzung der Dacharbeiten auf die Leiter, welche von dem am Boden stehenden Wilhelm K*** gesichert wurde. Obwohl mittlerweile der von Bruno R*** herbeigerufene Gendarmeriebeamte Bez.Insp. Franz L*** eingetroffen war, fuhr Bruno R*** mit seinem Traktor, an dem ein Frontlader montiert war, gegen Wilhelm K*** und die Leiter. Wilhelm K*** wurde vom Frontlader getroffen und zum Sturz gebracht. Er erlitt Prellungen an der linken Schulter und am Kopf (Punkt 2 a des Schuldspruches). Der am oberen Ende der Leiter stehende Manfred S*** mußte sich an der Dachlatte festhalten, weil er sonst durch den Stoß gegen die Leiter heruntergefallen wäre (Punkt 1 b des Schuldspruches). Nach diesem Zwischenfall stellte Josef G*** - der Schwiegersohn des Wilhelm K*** - neuerlich die (von Manfred S*** verlassene) Leiter auf und bestieg sie. Bruno R*** fuhr abermals auf die Leiter los, obwohl ihm der Gendarm die Festnahme angedroht hatte. Josef G*** wurde vom Frontlader getroffen und erlitt dabei Hautabschürfungen am rechten Arm (Punkt 2 b des Schuldspruches). Durch den Anstoß stürzte er von der Leiter.

Zur inneren Tatseite stellte das Erstgericht fest, daß der Beschuldigte Bruno R*** in der Absicht handelte, den Josef S*** und den Manfred S*** mit Gewalt zur Unterlassung weiterer Arbeiten von der Leiter aus zu nötigen. Ferner hielt der Beschuldigte den Eintritt von Körperverletzungen bei Wilhelm K*** und Josef G*** zumindest ernstlich für möglich und war gewillt, solche Folgen hinzunehmen.

Bruno R*** bekämpfte das Urteil des Landesgerichtes Linz mit Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld.

Mit Urteil vom 11.Jänner 1990, AZ 8 Bs 343/89, gab das Oberlandesgericht Linz der Berufung wegen Nichtigkeit Folge, hob das Ersturteil auf und fällte unter Zugrundelegung der erstgerichtlichen Feststellungen einen Freispruch wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Taten nach dem § 42 StGB.

Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt: "Wenngleich der Angeklagte gegen zwei Personen mit einem Traktor samt Frontlader zufuhr, ist die Schuld des Angeklagten noch im Bereich der Geringfügigkeit angesiedelt. Es darf nämlich nicht außer Betracht bleiben, daß Wilhelm K*** und sein Schwiegersohn die Tätigkeit in provokanter Weise fortführten bzw. durch S*** fortführen ließen, obwohl der - vom Angeklagten

herbeigerufene - Gendarmeriebeamte schlichtend und (auch) K*** im Fall des Zuwiderhandelns dessen Festnahme androhte. Das Verhalten des Angeklagten stellte sich nur als Überschreitung der Grenze der Angemessenheit des im § 344 ABGB normierten Selbsthilferechtes dar. Der Angeklagte sah sich zu dieser Handlungsweise veranlaßt, als die Schlichtungsversuche des intervenierenden Gendarmeriebeamten zu keinem Erfolg führten. Legt man daher keinen extrem strengen Maßstab an (EvBl. 1980/7 = LSK 1979/307), kann noch von einer geringen Schuld des Angeklagten in allen vier Fakten, die als einheitliches Geschehen anzusehen sind, ausgegangen werden."

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz steht, wie der Generalprokurator zutreffend in seiner gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang. Das Berufungsgericht hat die Straflosigkeitsvoraussetzung der Taten nach dem § 42 Z 1 StGB zu Unrecht angenommen und einen als rechtlich erheblich angesehenen, aber im Ersturteil nicht festgestellten Umstand entgegen den §§ 473 Abs. 2, 489 Abs. 1 StPO ohne Beweisaufnahme als Entscheidungsgrundlage herangezogen. Geringe Schuld im Sinne des § 42 Z 1 StGB setzt voraus, daß das Gewicht der Einzeltat hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Schuld- und Unrechtsgehalt erheblich zurückbleibt; die Schuld muß absolut und im Vergleich zu den typischen Fällen der jeweiligen Deliktsverwirklichung gering sein (SSt. 47/55, 51/21 ua). Die Beurteilung ist unter Berücksichtigung der Sozialschädlichkeit des Verhaltens und des Störwerts für die Umwelt sowie allfälliger besonderer Eigenschaften des Täters und besonderer Umstände der Tatbegehung vorzunehmen.

Der das tatbestandsmäßige Unrecht mitbestimmende Handlungsunwert des Tatverhaltens des Bruno R*** war nicht nur durch die vom Oberlandesgericht Linz erwähnte Mehrzahl der Angriffe gegen mehrere Opfer gekennzeichnet, sondern auch im überwiegenden Teil durch eine überdurchschnittlich gefährliche Begehungsweise, weil die festgestellte Verwendung des Traktors die vom Täter nicht mehr kontrollierbare Möglichkeit weit schwerwiegender Schädigungen an Leib und Leben der attackierten Personen eröffnete, als sie tatsächlich eintraten. Dies gilt insbesondere für das vom Täter eingegangene Risiko, Manfred S*** aus der Höhe des Daches von der Leiter zu stoßen und hiedurch einen Sturz mit gravierenden Folgen herbeizuführen. Auch das gewollte Anfahren an Wilhelm K*** und Josef G*** mit dem Traktor stellte eine auffallend gefährliche Begehungsweise der Taten dar.

Allein dieses Täterverhalten begründet einen so hohen Handlungswert der Delikte, daß von einem geringen Unrechtsgehalt selbst dann nicht gesprochen werden könnte, wenn der Gesinnungsunwert wirklich erheblich herabgesetzt gewesen wäre. Die entscheidenden Erwägungen des Oberlandesgerichtes Linz zu diesem das Ausmaß der deliktstypischen Schuld mitprägenden Faktor gehen überdies in einem nicht unbedeutenden Umfang nicht vom Ersturteil aus.

Die Annahme, daß für Bruno R*** eine zur Selbsthilfe nach dem § 344 ABGB berechtigende Situation vorlag und sich daraus eine schuldmildernde Motivation ergab, hätte die Feststellung vorausgesetzt, daß der Täter damals Besitzer der strittigen Grundfläche war. Diese Grundvoraussetzung der Zulässigkeit von Selbsthilfe zur Erhaltung des ruhigen Besitzstandes ist aber angesichts der konstatierten Strittigkeit des Grenzverlaufes, welcher Gegenstand eines behördlichen Verfahrens ist, ungeklärt geblieben, sodaß eine tragfähige Feststellungsgrundlage für diese Überlegung nicht vorlag.

Auch der vom Berufungsgericht unter dem Gesichtspunkt einer Mitmotivation des Täters gewürdigte Umstand, daß vor den Angriffswiederholungen der eingeschrittene Gendarmeriebeamte auch dem Wilhelm K*** "im Falle des Zuwiderhandelns" die Festnahme angedroht habe (US 5), ergibt sich nicht aus dem Ersturteil. Das Berufungsgericht war nicht berechtigt, den ihm erheblich scheinenden Tatumstand als gegeben anzunehmen, weil es bei Entscheidung über Berufungen gegen ein Urteil eines Einzelrichters des Gerichtshofes grundsätzlich an den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt gebunden ist und unterlassene Feststellungen nur dann selbst treffen darf, wenn es alle für die Sachverhaltsbeurteilungen in Betracht kommenden Beweise selbst aufgenommen hat. Dieser auf den §§ 473 Abs. 2 und 489 Abs. 1 StPO beruhende Grundsatz gilt auch bei einer bloßen Ergänzung rechtlich erheblicher Feststellungen (SSt. 49/61). Grundsätzlich zutreffend ist bloß der Standpunkt des Oberlandesgerichtes, daß eine gegen den Täter wirksam gewordene Provokation den Gesinnungsunwert mindern und solcherart die Schuld reduzieren kann, jedoch vermag vorliegend die für Bruno R*** allenfalls herausfordernde Vorgangsweise der attackierten Opfer durch die beharrende Fortsetzung der Leiterbenützung kein erhebliches Zurückbleiben der schon durch Deliktshäufung, Opfermehrzahl und gefährliche Begehungsweise erhöhten Schuld im Vergleich zu den typischen Fällen der vorliegenden Delikte zu bewirken. Dabei darf nicht übersehen werden, daß es den Opfern bei der vom Berufungsgericht als Provokation gewerteten Vorgangsweise nicht um eine demonstrative Mißachtung der in Anspruch genommenen Grundgrenze oder einen anderen Selbstzweck ging, sondern bloß um die lediglich vorübergehende Aufstellung einer Leiter zur Vornahme von Instandhaltungsarbeiten, wofür die Rechtsordnung (unter bestimmten materiellen und formellen Voraussetzungen) prinzipiell die Benützung auch eines fremden Grundstückes zuläßt (siehe § 16 oö BauO). Bei diesen weder durch Mutwillen noch durch Fehlen eines begründeten Anlasses gekennzeichneten Verhaltensweisen des Nachbarn und seiner Helfer kam daher der von Bruno R*** empfundenen Herausforderung keine solche Bedeutung zu, daß daraus ein besonders geringer Gesinnungsunwert ableitbar wäre.

Die zusammenfassende Bewertung läßt - wie schon angesichts der Dimension des Handlungsunwerts der Taten hervorgehoben - den Gesamtunwert der von Bruno R*** verübten Nötigungen und Körperverletzungen selbst auf der vom Oberlandesgericht Linz zu Unrecht angenommenen erweiterten Entscheidungsgrundlage keineswegs als gering in der Bedeutung des § 42 Z 1 StGB erscheinen. Da es bereits an der Straflosigkeitsvoraussetzung des § 42 Z 1 StGB ermangelt, erübrigt sich die Prüfung weiterer (als kumulativ vorausgesetzter) Gründe nach dem § 42 StGB. In Stattgebung der gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher wie im Spruch zu erkennen.

Anmerkung

E21294

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0130OS00079.9.0719.000

Dokumentnummer

JJT_19900719_OGH0002_0130OS00079_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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