TE OGH 1990/11/7 6Ob664/90

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Veröffentlicht am 07.11.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei

W***-S***-A*** Gesellschaft mbH, Wien 23.,

Wallackgasse 4, vertreten durch Dr. Paul Koziel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ludwig D***, Landwirt, Kopfing, Kopfingerdorf 8, vertreten durch Dr. Walter Brandt, Rechtsanwalt in Schärding, wegen 125.900 S samt Nebenforderungen infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 17. Mai 1990, GZ 6 R 59/90-29, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 28. November 1989, GZ 1 Cg 151/89-21, im Zinsenpunkt teilweise abgeändert und im übrigen bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird stattgegeben. Das angefochtene Urteil wird in seinem klagsstattgebenden Ausspruch derart abgeändert, daß das auf Zahlung eines Betrages von 125.900 S samt 15 % Zinsen seit 14.Januar 1988 gerichtete Klagebegehren abgewiesen wird.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 79.668,96 S bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin enthalten an Barauslagen 18.000 S und an Umsatzsteuer 10.278,16 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist eine Handelsgesellschaft. Sie befaßt sich mit dem Vertrieb und der Montage von landwirtschaftlichen Anlagen. Am 11. Dezember 1987 veranstaltete sie in einem in einer ländlichen Gemeinde gelegenen Lagerhaus eine allgemein zugängliche Werbevorführung einer unter ihrer Marke vertriebenen Holzschnitzel-Verfeuerungsanlage.

Der Beklagte ist Landwirt. Er benötigte für den Neubau seines Wohntraktes eine Heizanlage und hatte diesbezüglich bereits mit einem ortsansässigen Installateurmeister Kontakt aufgenommen. Der Beklagte ließ sich anläßlich der Werbevorführung der Klägerin von einem ihrer Vertreter die vorgeführte Heizanlage erklären und Prospekte dazu ausfolgen. Zwecks Erörterung weiterer Einheiten ersuchte er den Vertreter der Klägerin und einen Lagerhausbediensteten um einen Hausbesuch bei ihm.

Die beiden Herren suchten den Beklagten am 15.Dezember 1987 auf seinem landwirtschaftlichen Anwesen auf und besichtigten den Wohnhaustrakt. Bei dieser Gelegenheit fertigte der Vertreter der Klägerin eine Handskizze des für den Einbau einer Heizanlage vorgesehenen Kellerraumes an. Er erklärte dem Beklagten, daß der Kellerraum für eine Anlage, wie sie der Beklagte später bestellte, geeignet wäre, und nannte im Verlaufe seines Beratungsgespräches einen Preis der Anlage, wie er der späteren Bestellung zugrundegelegt wurde.

Der Beklagte wünschte Anlagen der vorgeführten Art im Betrieb zu sehen. Der Vertreter der Klägerin führte den Beklagten und einen weiteren Landwirt zu drei installierten Anlagen. Der Beklagte war von der Besichtigung dieser Anlagen zwar positiv beeindruckt, erbat sich wegen einer eigenen Bestellung aber einige Tage Bedenkzeit. Drei Tage später suchten der Vertreter der Klägerin und der Lagerhausbedienstete den Beklagten wieder auf seinem landwirtschaftlichen Anwesen auf. In einem längeren Gespräch wurden das Projekt noch einmal sowie auch das zur Beschickung der Anlage geeignete Holzgut erörtert. Nach einem gemeinsamen Mittagessen unterfertigte der Beklagte die schriftliche Bestellung einer im Jänner 1988 zu liefernden Heizanlage zu einem "nach Lieferung" zahlbaren Preis von 125.900 S einschließlich Umsatzsteuer. Nach der übereinstimmenden Vorstellung aller Anwesenden sollten die an sich geringfügigen Montagekosten im festgesetzten Preis eingeschlossen sein.

Der Bestellschein ist ein vom Vertreter der Klägerin ausgefüllter Vordruck der Klägerin. Der vorgedruckte Text des Bestellscheines beginnt mit den Worten:

"Ich bestelle bei Ihnen aufgrund und unter Anerkennung umseitiger Verkaufs-, Liefer- und Zahlungsbedingungen....."

Als "Bestelldatum" wurde unmittelbar über der Unterschrift des Beklagten der "20.12.1987" festgehalten.

Die auf der Rückseite des Bestellscheines abgedruckten Verkaufs-, Liefer- und Zahlungsbedingungen sind in 14 durchnumerierte Punkte mit vorangestellten Schlagwörtern gegliedert; sie umfassen insgesamt 78 Zeilen. Im einzelnen finden sich dabei folgende Regelungen:

"1. Bestellung und Annahme der Bestellung: Die Bestellung ist für den Besteller sofort verbindlich, sein einseitiger Rücktritt vom Vertrag (Storno) ist ausgeschlossen. Wir behalten uns die Annahme der Bestellung vor. Diese gilt als angenommen, wenn durch uns innerhalb von vier Wochen keine schriftliche Ablehnung erfolgt."

...

"11. Verzug: Im Verzugsfall sind wir berechtigt, von der jeweils aushaftenden Schuldsumme Verzugszinsen in der Höhe von 15 % pro anno zu beanspruchen. Wird aus welchem Grund immer vom Besteller einseitig der Rücktritt vom Vertrag (Storno) erklärt oder die Übernahme der bestellten Ware abgelehnt oder verweigert, tritt die Fälligkeit des gesamten Verkaufspreises auch ohne gesonderte Rechnungslegung oder Mahnung sofort von selbst ein, allfällig gewährte Zahlungsmodalitäten sind in einem solchen Falle hinfällig....."

Vor der Unterfertigung des Bestellscheines hatte sich der Beklagte nur dessen Vorderseite, nicht auch die Rückseite mit den Verkaufs-, Liefer- und Zahlungsbedingungen durchgelesen. Er erhielt allerdings eine Durchschrift des Bestellscheines, auf der die erwähnten Regelungen abgedruckt waren.

Nach seiner Bestellung der Heizungsanlage suchte der Beklagte den örtlichen Installateur wegen der erforderlichen Heizkörper und Rohrleitungen auf. Bei dieser Gelegenheit unterrichtete der Beklagte den Installateur von seiner Bestellung. Dieser erklärte dem Beklagten, die Anlage der Klägerin sei zu teuer und für den Beklagten wegen der erforderlichen Holzschnitzelgröße ungeeignet. Auf das hinauf sandte der Beklagte an die Klägerin ein vom Installateur verfaßtes, mit 23.Dezember 1987 datiertes Storno-Schreiben. Dabei begründete er den Widerruf seiner Bestellung mit folgenden Ausführungen:

"1. Die Anlage entspricht nach gründlicher Überlegung nicht meinen technischen Anforderungen.

2. Nach gründlicher Prüfung des Preises stellte sich heraus, daß der Preis für diese Materialien weit überhöht ist."

Im übrigen berief sich der Beklagte auf sein gesetzliches Rücktrittsrecht.

In einem mit 13.Jänner 1988 datierten, anwaltlich verfaßten Antwortschreiben erklärte die Klägerin ausdrücklich, die Bestellung des Beklagten angenommen zu haben und dessen Stornierung nicht zur Kenntnis zu nehmen. Die Klägerin forderte den Beklagten vielmehr auf, binnen dreier Tage die Bereitschaft zur Vertragszuhaltung zu erklären.

Diese Stellungnahme beantwortete der Beklagte in seinem, ebenfalls mit 13.Jänner 1988 datierten Schreiben mit dem Hinweis, gemäß § 3 KSchG storniert zu haben und keine Lieferung durch die Klägerin annehmen zu wollen.

Der Beklagte hatte beim örtlichen Installateur im Sinne des von diesem am 12.Jänner 1988 erstellten Anbotes eine Holzschnitzel-Verfeuerungsanlage eines anderen Erzeugers samt deren Montage bestellt. Diese Anlage entspricht im großen und ganzen der bei der Klägerin bestellten. Im Preis von 125.000 S sind aber gegenüber der Bestellung bei der Klägerin zusätzlich ein 5-Liter-Boiler zum Einzelpreis von 10.600 S und die Heizhausinstallation zum ausgewiesenen Preis von 12.200 S enthalten. Die Klägerin begehrte den vereinbarten Kaufpreis von 125.900 S samt 15 % Zinsen ab 14.Januar 1988 (das Begehren auf Zahlung von 20 % Umsatzsteuer von den Zinsenbeträgen ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens). Nach ihrem Prozeßstandpunkt sei der Widerruf der Bestellung unwirksam. Das Geschäft sei entgegen der Ansicht des Beklagten für ihn kein Verbrauchergeschäft, weil er die Feuerungsanlage als landwirtschaftlicher Unternehmer bestellt habe. Selbst wenn man aber den Anlagenkauf als Verbrauchergeschäft seitens des Beklagten werten wollte, stünde ihm zufolge Anbahnung durch ihn selbst kein Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG zu. Die Voraussetzungen einer vom Beklagten geltend gemachten Irrtumsanfechtung lägen nicht vor. Die behauptete Überhöhung des Preises erreiche kein rechtlich erhebliches Ausmaß.

Der Beklagte behauptete, die Heizanlage nur für eine privat und nicht auch betrieblich genutzte Baulichkeit bestellt zu haben, so daß das Geschäft für ihn ein Verbrauchergeschäft sei. Die Voraussetzungen zum Rücktritt nach § 3 KSchG seien mangels Anbahnung durch ihn erfüllt. Der Beklagte fühle sich durch die Klägerin übervorteilt, weil der vereinbarte Preis "bei weitem überhöht" gewesen wäre, die Anlage "von der Technik her nicht den Vorstellungen der beklagten Partei" entspräche und auch räumlich sowie von der Beschickung her ungeeignet sei. Der Vertreter der Klägerin habe ihn über die - nicht näher

konkretisierten - "technischen Anforderungen" der Anlage in Irrtum geführt. Der Beklagte sei "überrumpelt" worden, weil er über den Umfang der bestellten Leistungen im unklaren gelassen worden sei. Überdies wendete der Beklagte pauschal die Sittenwidrigkeit der Verkaufs-, Liefer- und Zahlungsbedingungen ein. Der von der Klägerin für ihre Anlage geforderte Preis sei um rund 25 % überhöht. Der rechtliche Gesichtspunkt eines auf ein gegen § 57 Abs 3 GewO 1973 verstoßendes Aufsuchen gestütztes Rücktrittsrecht nach § 60 GewO 1973 fand im Verfahren erster Instanz keine Erörterung. Das Prozeßgericht erster Instanz gab dem Klagebegehren mit Ausnahme des 4 % übersteigenden Zinsenbegehrens statt. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil im klagsstattgebenden Teil und änderte es in Ansehung des 4 % übersteigenden Zinsenbegehrens - ausgenommen das nicht mehr revisionsverfangene Begehren auf Zuspruch von 20 % Umsatzsteuer von den Zinsen - im klagsstattgebenden Sinne ab. Dazu sprach das Berufungsgericht aus, die ordentliche Revision sei für den Beklagten zulässig, für die Klägerin aber jedenfalls unzulässig. Das Prozeßgericht erster Instanz hatte seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt, daß die widerrufene Bestellung vom Beklagten nicht im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebes getätigt worden sei, das Geschäft daher für den Beklagten ein Verbrauchergeschäft darstelle. Der Beklagte habe allerdings durch sein Verhalten bei der im Lagerhaus stattgefundenen Vorführung der Anlage die geschäftliche Verbindung über einen Ankauf der Heizanlage angebahnt, so daß ihm kein Rücktrittsrecht nach § 3 Abs 1 KSchG zustünde. Für eine Irreführung des Beklagten über die technische Eignung der Heizanlage für die Baulichkeit des Beklagten habe das Beweisverfahren keinen Anhaltspunkt erbracht. Der Beklagte sei bei der Bestellung über die technischen Einzelheiten und die Eignung der Anlage hinreichend unterrichtet gewesen. Die nachträgliche Erkenntnis des Beklagten, daß er ein Konkurrenzerzeugnis preiswerter hätte erwerben können, sei irrtumsrechtlich unerheblich. Die von der Klägerin in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgestellten Regelungen über eine Bindung des Bestellers an seine Kauferklärung während einer vierwöchigen Überlegungsfrist der Klägerin sei bei Vertragsabschlüssen im Wege von Vertretern keinesfalls unüblich, noch sei die vierwöchige Bindung des Bestellers an seine Offerte als gröbliche Benachteiligung des Bestellers zu werten. Selbst wenn die Bindungsfrist des Bestellers im Sinne des § 6 Abs 1 Z 1 KSchG als unangemessen lang beurteilt werden sollte, hätte dies keinesfalls einen Widerruf der Bestellung durch den Beklagten schon zwei oder drei Tage nach der dem Vertreter der Klägerin ausgehändigten Vertragserklärung zu rechtfertigen vermocht. Der Beklagte sei an seine, von den eingewendeten Willensmängeln freie, nicht auf sittenwidrige Weise zustande gekommene Kauferklärung - unabhängig von dem nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgesehenen Ausschluß jeder Stornierung - gebunden. Lediglich die Regelung in den allgemeinen Geschäftsbedingungen über die Höhe der Verzugszinsen im Ausmaß von 15 % im Jahr wertete das Prozeßgericht erster Instanz als nichtig gemäß § 879 Abs 3 ABGB und verminderte das Maß der Verzugszinsen auf den allgemein bürgerlich-rechtlichen Zinsfuß von 4 %.

Das Berufungsgericht wertete gleichfalls die Bestellung des Beklagten als eine nicht auf der eingewendeten Irreführung beruhende Rechtsgeschäftserklärung, die auch die Geltung der auf der Rückseite des Bestellformulars abgedruckten Regelungen umfasse, soweit nicht einzelne Bestimmungen gemäß § 864 a ABGB als nicht vereinbart oder gemäß § 879 Abs 3 ABGB als sittenwidrig auszuscheiden wären. Solcher Prüfung seien aber nicht sämtliche, sondern nur diejenigen Regelungen der von der Klägerin aufgestellten allgemeinen Geschäftsbedingungen zu unterziehen, die zur Ableitung und Stützung des Klagebegehrens herangezogen werden sollten. Weder die nach Punkt 11 der von der Klägerin aufgestellten Verkaufs-, Liefer- und Zahlungsbedingungen festgesetzte Fälligkeit noch die Höhe der Verzugszinsen seien unüblich oder als sittenwidrig zu werten, wobei der Zinssatz von 15 % an den von Kreditunternehmungen begehrten Verzugszinsen zu messen wäre. Das Berufungsgericht teilte schließlich auch die erstrichterliche Beurteilung über die Anbahnung der geschäftlichen Verbindung durch die Aufforderung des Beklagten an den Vertreter der Klägerin und den Lagerhausangestellten, ihn zu Hause aufzusuchen, so daß dem Beklagten gemäß § 3 Abs 3 Z 1 KSchG ein auf § 3 Abs 1 KSchG gestütztes Rücktrittsrecht nicht zugestanden sei.

Im Zuge einer allseitigen rechtlichen Prüfung bezog das Berufungsgerucht auch ein aus § 60 GewO 1973 abzuleitendes Rücktrittsrecht des Beklagten in seine Erwägungen ein. Dazu folgerte das Berufungsgericht im Sinne der Entscheidung SZ 56/116, daß einem Käufer neben dem ihm als Verbraucher zustehenden Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG als Privatperson ein auf § 60 im Zusammenhang mit § 59 GewO 1973 gegründetes Rücktrittsrecht zu Gebote stehen könne. Das Berufungsgericht wertete aber die Werbevorführung der Klägerin auf dem Gelände der Lagerhausgenossenschaft als eine messeähnliche Veranstaltung, auf der die Entgegennahme einer Bestellung durch den Beklagten gemäß § 59 Abs 1 Z 2 GewO 1973 zulässig gewesen wäre. Der Beklagte habe durch sein bei der Werbevorführung geäußertes Ersuchen um einen Hausbesuch bereits jenes Verkaufsgespräch eingeleitet, das in weiterer Folge zum Kaufantrag auf seinem Anwesen geführt habe. Das Aufsuchen des Beklagten durch den Vertreter der Klägerin und die Entgegennahme der Bestellung des Beklagten seien daher nicht als gewerbeordnungswidrig anzusehen. Ein Rücktrittsrecht nach § 60 GewO 1973 sei deshalb ausgeschlossen.

Der Beklagte ficht das Berufungsurteil wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem auf Abweisung des Klagebegehrens gerichteten Abänderungsantrag an.

Die Klägerin strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Entscheidung des Rechtsfalles hängt von der Beurteilung des Rücktrittsrechtes nach § 60 GewO 1973 ab, und zwar einerseits in der Auslegung der gewerberechtlichen Begriffe des "Aufsuchens von Bestellungen" im Zusammenhang mit dem Begriff des "Sammelns von Bestellungen" nach den §§ 59 Abs 1 und 57 Abs 1 GewO 1973 und andererseits in der Anwendbarkeit auf Fälle, in denen das Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG nach dessen Abs 3 ausgeschlossen ist. Auf diesen Problemkreis hat auch der Revisionswerber mit seiner Rechtsmittelausführung, das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, "daß es sich um ein vom Beklagten angebahntes Haustürgeschäft nach § 60 GewO 1973 gehandelt haben soll, wo kein Rücktrittsrecht bestünde", wenigstens so deutlich hingewiesen, daß die Lösung der aufgezeigten nach § 502 Abs 1 ZPO qualifizierten Frage als Gegenstand der Rechtsrüge angesehen werden kann. Die Revision ist daher zulässig. Sie ist auch berechtigt. Die klagende Handelsgesellschaft hat ihren Sitz in der Bundeshauptstadt. Sie hielt in einer ländlichen Gemeinde auf dem Gelände einer regionalen Lagerhausgenossenschaft eine eintägige Werbevorführung der von ihr vertriebenen Heizungsanlage ab. Eine solche Werbevorführung ist nicht als "messeähnliche Veranstaltung" im Sinne des § 59 Abs 1 Z 2 GewO 1973 zu qualifizieren, weil von einem durchschnittlichen Veranstaltungsbesucher nicht angenommen werden kann, daß er die Werbevorführung mit demselben oder doch einem vergleichbaren Bewußtsein, sich auf einem üblichen Handelsplatz zu befinden, und demgemäß auch nicht mit derselben oder doch einer vergleichbaren Bereitschaft zum Geschäftsabschluß aufsucht wie der Besucher einer Messe oder eines Marktes oder einer ähnlichen Veranstaltung.

Davon abgesehen gab der Beklagte seine Bestellung nicht im Rahmen der Werbevorführung ab, bei der er lediglich sein Interesse an dem vorgeführten Erzeugnis der Klägerin bekundete, sondern mehr als eine Woche später auf seinem bäuerlichen Anwesen. Der Versuch des Berufungsgerichtes, die - als Geschäftsanbahnung im Sinne des § 3 Abs 3 Z 1 KSchG gewertete - (mündliche) Aufforderung des Beklagten an den Vertreter der Klägerin - ihn zwecks Klärung technischer Einbaumöglichkeiten sowie von Wirtschaftlichkeitserwägungen auf seinem Anwesen aufzusuchen, als Beginn des zur Bestellung führenden Geschäftsgespräches aufzufassen, der für den Ort der über eine Woche später abgegebenen Rechtsgeschäftserklärung bestimmend sein solle, entfernt sich von der Charakteristik des Sachverhaltes: Der Vertreter der Klägerin hat die Bestellung des Beklagten nicht auf dem Gelände der Lagerhausgenossenschaft, sondern später auf dem bäuerlichen Anwesen des Beklagten entgegengenommen. Der Vertreter der Klägerin war dabei zwar zunächst vom Beklagten zum Hausbesuch eingeladen, aber nicht schriftlich aufgefordert worden.

Die Klägerin hat nicht behaupten können, im Dezember 1987 einen Standort in der Gemeinde besessen zu haben, in deren Gebiet das Anwesen des Beklagten liegt. Ihr Vertreter verstieß durch das Aufsuchen des Beklagten auf dessen Ansuchen ohne dessen schriftliche Aufforderung gegen § 57 Abs 3 GewO 1973 (in der Fassung vor der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399), die Entgegennahme der Bestellung war damit gemäß § 59 Abs 2 GewO 1973 unzulässig. Eine gewerberechtlich unzulässige Entgegennahme der Bestellung ist mit dem Rücktrittsrecht des Bestellers nach § 60 GewO 1973 sanktioniert. Diese Rechtsfolge soll die Einhaltung der Regelungen nach den §§ 57 und 59 GewO 1973 sichern, die nicht bloß den Schutz des Kunden vor unüberlegten Kauferklärungen, sondern auch den Schutz der gewerblichen Mitbewerber vor unlauteren Geschäftsmethoden bezweckt. Dieser zweitgenannte Regelungszweck wird gerade durch die Bestimmung des § 57 Abs 3 GewO 1973 deutlich, wo zwischen den Gewerbetreibenden nach ihren Standorten zum Ort der aufgesuchten Privatperson unterschieden wird.

Aus dieser unterschiedlichen gesetzgeberischen Zielsetzung (einerseits nur Kundenschutz, andererseits neben dem Kundenschutz auch Schutz der Mitbewerber) hat der Oberste Gerichtshof bereits - unter ausdrücklicher Ablehnung der von Schilcher in Krejci, HBzKSchG vertretenen teleologischen Reduktion des § 60 GewO 1973 - gefolgert, daß das Rücktrittsrecht nach § 60 GewO 1973 in Konkurrenz zu § 3 KSchG stehen könne und unabhängig von diesem zu beurteilen sei (SZ 56/116). Daran ist festzuhalten. Das Rücktrittsrecht nach § 60 GewO 1973 bleibt davon unberührt, daß im konkreten Fall ein Rücktrittsrecht nach § 3 Abs 3 Z 1 KSchG ausgeschlossen wäre.

Gemäß § 60 GewO 1973 besitzt der Privatkunde ein Rücktrittsrecht (ein Recht zum Widerruf seines Kaufantrages), wenn er die Bestellung gegenüber einem zwar ausdrücklich, aber nicht in Schriftform zum Hausbesuch aufgeforderten, im Sinne des § 57 Abs 3 GewO 1973 orts- (bezirks-)fremden Gewerbetreibenden (oder dessen Vertreter) erklärt hat.

Aus diesen Erwägungen war das Klagebegehren in Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen abzuweisen.

Die Entscheidung über die Prozeßkosten aller drei Instanzen beruht auf § 41 (§ 50) ZPO. Als Kostenbemessungsgrundlage für die Berufungsbeantwortung war allerdings in Analogie zu § 12 Abs 4 Buchstabe b RATG nur der Betrag von 10.000 S heranzuziehen. Die Kostenbemessungsgrundlage für die mündliche Berufungsverhandlung und das Revisionsverfahren kann nicht höher sein als der Streitgegenstand erster Instanz (die gesonderte Anfechtung der erstinstanzlichen Entscheidung durch den Prozeßgegner im Zinsenpunkt hat dabei unberücksichtigt zu bleiben).

Anmerkung

E22153

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00664.9.1107.000

Dokumentnummer

JJT_19901107_OGH0002_0060OB00664_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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