TE OGH 1993/1/28 10ObS10/93

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Veröffentlicht am 28.01.1993
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag.Martin Duhan (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Norbert Kunc (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mustafa S*****, vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Arbeitsamt Versicherungsdienste, 1200 Wien, Pasettistraße 74, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Sonderunterstützung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.Oktober 1992, GZ 31 Rs 126/92-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25.Februar 1992, GZ 24 Cgs 715/91-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit am 23.August 1991 zugestelltem Bescheid vom 16.August 1991 gab das beklagte Arbeitsamt dem Antrag des am 5.April 1932 geborenen Klägers vom 15.April 1991 auf Sonderunterstützung nicht Folge. Nach § 1 Abs 1 Z 2 lit b Sonderunterstützungsgesetz BGBl 1973/642 idgF (SUG) müßte der Anspruchswerber in den letzten 25 Jahren vor Geltendmachung des Anspruches mindestens 180 Monate arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein. Er sei dies aber nur 176 Monate und 24 Tage gewesen.

Die dagegen innerhalb der Frist des § 67 Abs 2 ASGG erhobene, als Berufung bezeichnete Klage richtet sich auf die abgelehnte Leistung und stützt sich darauf, daß der Kläger nach einer Aufstellung und einem Feststellungsbescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter von Jänner 1970 bis Juni 1991 180 Monate der Pflichtversicherung und 63 Monate einer Ersatzzeit, insgesamt daher 243 Versicherungsmonate nachgewiesen habe. Überdies habe er von 1963 bis 1969 Versicherungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland erworben.

Das beklagte Arbeitsamt beantragte die Abweisung der Klage. Nach Auskunft der Wiener und der NÖ Gebietskrankenkasse sowie des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger bzw. laut Arbeitsbescheinigungen sei der Kläger in den letzten 25 Jahren vor der Geltendmachung des Anspruches bei Zusammenrechnung der einzelnen Beschäftigungstage lediglich 176 Monate und 24 Tage arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter nachgewiesenen Versicherungszeiten hätten sich aus der im ASVG angeordneten Zusammenfassung der Versicherungszeiten in Versicherungsmonate ergeben. Die in der Bundesrepublik Deutschland erworbenen Versicherungszeiten seien für den Bereich des SUG nicht relevant, weil das anzuwendende zwischenstaatliche Übereinkommen keine Gleichstellung vorsehe.

Das Erstgericht wies das von ihm formulierte Klagebegehren, "die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei eine Sonderunterstützung gemäß § 1 (1) Z 2 lit b Sonderunterstützungsgesetz (SUG) ab dem 15.April 1991 im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren", ab.

Es stellte fest, daß der Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung 176 Monate und 24 Tage in Österreich erworbener Versicherungszeiten aufwies. Aus den Ausführungen zur Beweiswürdigung und aus der rechtlichen Beurteilung ergibt sich, daß das Erstgericht damit Zeiten arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung meinte.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht im wesentlichen aus, Zeiten einer solchen Beschäftigung seien nicht iS des § 231 ASVG zusammenzufassen, sondern in ihrem tatsächlichen Ausmaß zu berücksichtigen. Insbesondere deshalb stimme die Anzahl der Versicherungsmonate nach dem ASVG nicht mit der Zeit einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung überein. Diese Zeit erhöhe sich durch die behauptete Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland nicht. Das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Arbeitslosenversicherung BGBl 1979/392 sehe nämlich nur eine Gleichbehandlung von Staatsangehörigen der beiden Vertragspartner vor und sei daher auf den Kläger, der jugoslawischer Staatsbürger sei, nicht anzuwenden. Deshalb hätten sich Feststellungen über dessen Beschäftigungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland erübrigt.

Dagegen richtete sich die Berufung des Klägers, in der er die erstgerichtliche Annahme, daß er jugoslawischer Staatsbürger sei, als aktenwidrig und unrichtig bekämpfte. Er sei Österreicher und nie jugoslawischer Staatsbürger gewesen. Daß er zu keinem entsprechenden Vorbringen angeleitet worden sei, rügte er als Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Die Berufung enthält auch eine gesetzgemäß ausgeführte Rechtsrüge.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil.

Nach Art 2 des schon zit österreichisch-deutschen Abkommens über Arbeitslosenversicherung beziehe sich dieses auf die österreichischen Rechtsvorschriften über das Arbeitslosengeld, die Notstandshilfe, die Bevorschussung von Leistungen aus der Pensionsversicherung, die Kurzarbeitsbeihilfe, die Schlechtwetterentschädigung und das Insolvenz-Ausfallgeld sowie auf die deutschen Rechtsvorschriften über das Arbeitslosengeld, die Arbeitslosenhilfe, das Kurzarbeitergeld, das Schlechtwettergeld und das Konkursausfallgeld einschließlich der Rechtsvorschriften über die Beiträge und Umlagen. Aus dieser taxativen Aufzählung folge, daß sich das Abkommen auf Ansprüche auf Sonderunterstützung nicht beziehe. Deshalb könnten vom Kläger allenfalls in der Bundesrepublik Deutschland erworbene Versicherungszeiten selbst dann nicht berücksichtigt werden, wenn er Österreicher wäre. Deshalb lägen auch die geltend gemachte Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit nicht vor.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder aufzuheben.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt.

Nach § 1 Abs 1 Z 2 lit b SUG in der im vorliegenden Fall anzuwendenden geltenden Fassung haben Anspruch auf Sonderunterstützung nach diesem Bundesgesetz Personen, ... die in den letzten 25 Jahren vor Geltendmachung des Anspruches mindestens 180 Monate arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt waren sowie die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld erfüllen; § 14 Abs 6 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 BGBl 609 (AlVG) ist nicht anzuwenden.

Nach § 13 SUG gelten im übrigen die §§ 1, 8, 9 Abs 1, 3 und 4, 10 bis 15, 17 Abs 2, 22 Abs 1, 24, 25, 44 bis 48, 49 Abs 2, 50 bis 55, 57 sowie 67 bis 73 AlVG sinngemäß.

Nach dem bezogenen § 1 Abs 1 AlVG sind für den Fall der Arbeitslosigkeit in erster Linie Dienstnehmer versichert (arbeitslosenversichert), die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind (lit a).

Der mit Ausnahme seines Abs 6, nach dem die in den Abs 4 und 5 angeführten Zeiten bei der Ermittlung der Anwartschaft nur einmal berücksichtigt werden dürfen, sinngemäß anzuwendende § 14 AlVG regelt die Anwartschaft, die dann erfüllt ist, wenn der Arbeitslose in einer bestimmten Anzahl von Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) eine bestimmte Anzahl von Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war (Abs 1 bis 3). Auf die Anwartschaft sind bestimmte im Inland zurückgelegte oder auf Grund inländischer Rechtsvorschriften erworbene Zeiten anzurechnen (Abs 4). Im Gebiet eines anderen Staates ausgeübte Beschäftigungen, die ihrer Art nach im Inland versicherungspflichtig wären, sind den Beschäftigungen im Bundesgebiet gleichzuhalten, soweit durch zwischenstaatliche Übereinkommen die Gegenseitigkeit verbürgt ist (Abs 5).

Ansonsten verlängern Zeiträume, in denen der Arbeitslose im Ausland beschäftigt gewesen ist, ebenso wie solche, in denen er in einem Staat, mit dem zwischenstaatliche Regelungen über Arbeitslosenversicherung getroffen wurden, eine dem Krankengeld oder Wochengeld entsprechende Leistung bezogen hat, nur nach § 15 Abs 1 Z 2 AlVG die Rahmenfristen nach § 14 Abs 1 bis 3 leg cit (Dirschmied, AlVG2 Erl 4 zu A § 14).

Das am 1.Oktober 1979 in Kraft getretene Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Arbeitslosenversicherung vom 19.Juli 1979 BGBl 392 bezieht sich nach seinem den sachlichen Geltungsbereich regelnden Art 2 Abs 1 auf die österreichischen Rechtsvorschriften über a) das Arbeitslosengeld, b) die Notstandshilfe, c) die Bevorschussung von Leistungen aus der Pensionsversicherung, d) die Kurzarbeitsbeihilfe, e) die Schlechtwetterentschädigung, f) das Insolvenzgeld, auf die deutschen Rechtsvorschriften über a) das Arbeitslosengeld, b) die Arbeitslosenhilfe, c) das Kurzarbeitergeld, d) das Schlechtwettergeld, e) das Konkursausfallgeld, einschließlich der Rechtsvorschriften über die Beiträge und Umlagen.

Nach seinem den persönlichen Geltungsbereich regelnden Art 3 gilt das Abkommen a) für Staatsangehörige der beiden Vertragsstaaten, b) für Flüchtlinge und Staatenlose, die sich im Gebiet eines der beiden Vertragsstaaten gewöhnlich aufhalten.

Nach Art 7 Abs 1 des Abk werden Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegt worden sind, bei der Beurteilung, ob die Anwartschaftszeit erfüllt ist, und bei der Festsetzung der Bezugsdauer (Anspruchsdauer) berücksichtigt, sofern der Antragsteller die Staatsangehörigkeit des Vertragsstaates besitzt, in dem der Anspruch geltend gemacht wird, und sich im Gebiet dieses Vertragsstaates gewöhnlich aufhält ... Bei anderen Arbeitslosen werden Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates zurückgelegt worden sind, nur dann berücksichtigt, wenn der Arbeitslose nach seiner letzten Einreise in das Gebiet des Vertragsstaates, in dem er den Anspruch geltend macht, dort mindestens vier Wochen ohne Verletzung der Vorschriften über die Beschäftigung von Ausländern als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen ist (Abs 2 des letztzit Art).

Bei den nach § 13 SUG sinngemäß anzuwendenden, die Arbeitslosenversicherungspflicht und die Anwartschaft regelnden §§ 1 und 14 AlVG handelt es sich um österreichische Rechtsvorschriften über das Arbeitslosengeld, auf die sich das Abkommen nach seinem Art 2 bezieht, die also zum sachlichen Geltungsbereich dieses Abkommens zählen.

Die vom Kläger behaupteten Beschäftigungen in der Bundesrepublik Deutschland wären daher, falls sie ihrer Art nach im Inland versicherungspflichtig wären, nach § 14 Abs 5 AlVG den Beschäftigungen im (österreichischen) Bundesgebiet gleichzuhalten, soweit durch zwischenstaatliche Übereinkommen die Gegenseitigkeit verbürgt ist (so auch BMsV 13.2.1980, Zl 37.600/5-3/80;

Peterka-Thurner, Die Sonderunterstützung, SozSi 1985, 324 [328];

Frank-Ullrich, AlVG Erl 8 zu § 1 SUG).

Dies wäre nach Art 7 Abs 1 des Abkommens bei Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung der Fall, die nach den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden sind, sofern der Kläger die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt und sich gewöhnlich in Österreich aufhält.

Ob diese Voraussetzungen hinsichtlich der in die letzten 25 Jahre vor Geltendmachung des Anspruches (auf Sonderunterstützung) fallenden, vom Kläger behaupteten Beschäftigungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland zutreffen, kann derzeit nicht beurteilt werden, weil diese nach Inhalt der Prozeßakten dem Revisionsgericht erheblich scheinenden Tatsachen wegen der vom Revisionsgericht nicht geteilten Rechtsansichten der Vorinstanzen weder ausreichend behauptet, noch erörtert, noch festgestellt wurden.

Die vom Revisionswerber zit E (richtig) 22.Jänner 1981, 32 R 183/80 SSV 21/5 und die vom Revisionsgegner zit E 8.Juli 1983, 32 R 112/83 SVSlg 30.821 des OLG Wien, betreffen nicht die im vorliegenden Verfahren entscheidende Rechtsfrage, ob der Kläger in den letzten 25 Jahren vor Geltendmachung des Anspruches mindestens 180 Monate arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war (§ 1 Abs 1 Z 2 lit b erster Halbsatz SUG), sondern die Frage, ob am Stichtag die Wartezeit für eine Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters erfüllt war (2. Satz des zit Abs).

Deshalb waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und war die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 499, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).

Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, daß der Kläger in den letzten 25 Jahren vor Geltendmachung des Anspruches auf Sonderunterstützung mindestens 180 Monate arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war, dann werden auch die im § 1 Abs 1 Z 2 SUG genannten übrigen Voraussetzungen dieses Anspruches zu erörtern und im Bestreitungsfall darüber Feststellungen zu treffen sein.

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Revision beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.

Anmerkung

E32517

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1993:010OBS00010.93.0128.000

Dokumentnummer

JJT_19930128_OGH0002_010OBS00010_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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