TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/6 2005/09/0168

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Veröffentlicht am 06.09.2007
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Index

L40018 Anstandsverletzung Ehrenkränkung Lärmerregung
Polizeistrafen Vorarlberg;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/01 Sicherheitsrecht;

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z7;
B-VG Art118 Abs3 Z3;
B-VG Art15 Abs2;
EGVG Art9 Abs1 Z1;
EGVG Art9 Abs1 Z2;
Lärmstörungen und Halten von Tieren Vlbg 1987;
SPG 1991 §81 Abs1 idF 2002/I/104;
SPG 1991 §82;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der S A in I, vertreten durch Dr. Sepp Manhart und Dr. Meinrad Einsle, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Römerstraße 19, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 24. Oktober 2005, Zl. UVS-1-549/E2-2005, betreffend Übertretung des Sicherheitspolizeigesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 4. Juli 2005, mit welchem sie schuldig erkannt worden war, eine Übertretung des § 81 Abs. 1 SPG dadurch begangen zu haben, dass sie am 13. September 2004 um 12.40 Uhr im Bahnhof Bregenz im Zugabteil den amtshandelnden Gendarmeriebeamten, als dieser sie aufgefordert habe, auszusteigen, angeschrieen habe, weshalb eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 100,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 50 Stunden) über sie verhängt worden war, abgewiesen.

Die belangte Behörde traf auf Grund der Ergebnisse der von ihr durchgeführten mündlichen Verhandlung die Feststellungen, am 13. September 2004 seien die Beschwerdeführerin, ihr Ehegatte sowie ihren beiden Kinder mit dem Zug vom Flughafen Zürich kommend in Fahrtrichtung Bregenz gefahren. Im Gebiet der Marktgemeinde Lustenau sei die Familie der Beschwerdeführerin von einem namentlich bezeichneten Zollwacheorgan zollrechtlich kontrolliert worden. Dabei habe sich herausgestellt, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin vier Stangen Zigaretten mit sich geführt habe, obwohl er nur zwei hätte einführen dürfen. Hierüber belehrt habe sich eine lautstarke Diskussion zwischen dem Zollwacheorgan und dem Ehepaar A ergeben, wobei der Beamte beschuldigt worden sei, "Türken nicht zu mögen". Da ein sachliches Gespräch mit den Eheleuten A nicht möglich gewesen sei, habe der Beamte das Abteil verlassen. Als der Zug gegen 12.40 Uhr in Bregenz eingelaufen sei, sei die Familie A aufgefordert worden, mit dem Gepäck auszusteigen, um im Bahnhof Bregenz die zollrechtliche Kontrolle fortzuführen und abzuschließen. Dieser Aufforderung sei der Ehegatte der Beschwerdeführerin zunächst nicht nachgekommen, sondern habe erklärt, dass er und seine Familie weiterfahren werde. Erst nach mehreren Aufforderungen des Beamten habe die Familie die Anweisung, auszusteigen, befolgt. So sei auch die Beschwerdeführerin von ihrem Sitz aufgestanden und in Richtung der Plattform des Zuges gegangen. Als sie sich bei der Ausgangstüre des Zuges befunden habe, habe sie sich plötzlich im Türrahmen festgehalten und lautstark zu schreien und zu kreischen begonnen. Dann habe sich die Beschwerdeführerin auf den Boden fallen lassen und auch auf dem Boden liegend lautstark geschrieen und gekreischt. Sie habe dabei keine Schimpfwörter verwendet. Dieses laute Gekreische habe von mehreren Personen, die sich im Zug und in diesem Bereich des Bahnhofs Bregenz aufgehalten hätten, gehört werden können.

Nach Darlegung ihrer Erwägungen zur Beweiswürdigung und der Rechtslage kam die belangte Behörde zu dem rechtlichen Schluss, das Tatbild der Übertretung nach § 81 Abs. 1 SGP sei durch zwei Tatbestandselemente gekennzeichnet, nämlich es müsse ein "besonders rücksichtsloses Verhalten" vorliegen, das weiters "die öffentliche Ordnung gestört" habe. Im hier zu beurteilenden Fall habe sich die Beschwerdeführerin besonders rücksichtslos verhalten, indem sie vor einer Vielzahl von auf dem Bahnhof Bregenz und im Zugabteil befindlichen Personen lautstark herumgeschrieen und gekreischt habe. Mit diesem Verhalten habe sie auch - zumal sich dieser Vorfall an einem öffentlichen Ort abgespielt habe - die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört. Es könne kein Grund erkannt werden, der ihre Tat rechtfertige.

Im Übrigen legte die belangte Behörde ihre Strafbemessungsgründe dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Anweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 81 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991, in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2002, lautet:

"Wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 218 Euro zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden."

Die Erläuterungen zu der im Wesentlichen gleichlautenden Stammfassung des § 81 des mit 1. Mai 1993 in Kraft getreten SPG (RV 148 BlgNR 148. GP, 52) besagen:

"Die Tatbestandsumschreibung entspricht in ihrem Aufbau jener des Art. IX Abs. 1 Z 1 (EGVG(, die Strafbarkeit wurde jedoch in zwei Punkten inhaltlich zurückgenommen. Nach geltendem Recht ist für die Störung der Ordnung ein Verhalten gefordert, das Ärgernis zu erregen geeignet ist; diese Formulierung stellt bereits auf die Einschätzung durch andere und nicht auf die Intention des Täters ab. Daß insbesondere diese maßgeblich ist, soll nunmehr durch die Wendung "besonders rücksichtsloses Verhalten" verstärkt zum Ausdruck gebracht werden. Außerdem soll auch entscheidend sein, ob es eine Rechtfertigung für die Störung der Ordnung gibt. Hier wären insbesondere Verhaltensweisen zu berücksichtigen, die der Täter in Ausübung seiner Grund- und Freiheitsrechte gesetzt hat. ..."

Art. IX Abs. 1 EGVG hatte bis zum Inkrafttreten des SPG folgenden Wortlaut:

"(1) Wer

1. durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist, die Ordnung an öffentlichen Orten stört,

2. sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während sich diese Personen in regelmäßiger Ausübung des Amtes oder Dienstes befinden, ungestüm benimmt,

3. - 7. ..."

Während die bis zum Inkrafttreten des SPG geltende Z. 1 des Art. IX Abs. 1 somit in § 81 SPG aufgenommen wurde, ging der Tatbestand des Z. 2 leg. cit. ("ungestümes Benehmen") in § 82 SPG auf ("Aggressives Verhalten gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber Militärwachen").

Die Bestimmungen des SPG stützen sich auf den Kompetenztatbestand des Art. 10 Abs. 1 Z. 7 B-VG. Dieser weist die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit einschließlich der ersten allgemeinen Hilfeleistung ..." in Gesetzgebung und Vollziehung dem Bund zu, nimmt aber ausdrücklich die "örtliche Sicherheitspolizei" davon aus.

Nach Art. 15 Abs. 2 B-VG gehört zur örtlichen Sicherheitspolizei jener Teil der Sicherheitspolizei, der im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden. Als Beispiele für solche Angelegenheiten wurden mit der B-VG-Nov 1974 (BGBl. 444) die Wahrung des öffentlichen Anstandes und die Abwehr ungebührlicherweise hervorgerufenen störenden Lärms in diese Bestimmung aufgenommen.

Zur gesetzlichen Regelung der örtlichen Sicherheitspolizei ist somit der Landesgesetzgeber zuständig (vgl. die diversen "Landespolizeistrafgesetze"), während die Vollziehung - mit Ausnahme der Durchführung eines Strafverfahrens - nach Art. 118 Abs. 3 Z 3 B-VG in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fällt. (Vgl. zur Lärmerregung als Tatbestand der örtlichen Sicherheitspolizei bereits VfSlg. 11.653/1988).

Auch der VwGH hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt (vgl. das Erkenntnis vom 17. Februar 1992, Zl. 91/10/0138, mwH), dass es sich bei er ungebührlichen Erregung störenden Lärms (damals nach § 2 Abs. 1 des Salzburger Landes-Polizeistrafgesetzes( einerseits und der Ordnungsstörung sowie dem ungestümen Benehmen (nach Art. IX Abs. 1 Z 1 und 2 EGVG( andererseits um unterschiedliche Tatbestände handelt.

Zum Wesen einer Ordnungsstörung gehört, dass am konkreten Zustand der öffentlichen Ordnung durch das Verhalten des Beschuldigten eine Änderung eingetreten ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1990, Zl. 89/10/0215).

Soweit die behauptete Störung der öffentlichen Ordnung nach § 81 Abs. 1 SPG daher in einem Verhalten besteht, das ("lautes Kreischen und Schreien") zweifelsfrei ausschließlich als Lärmerregung zu qualifizieren ist, und sich demgemäß die Störung der öffentlichen Ordnung im solcherart entwickelten Lärm erschöpft, fehlt dem Bund die Kompetenz, ein solches Verhalten unter Strafe zu stellen. Ein derartiges Verhalten unterfällt daher - soweit es nicht überdies zu Störungen der öffentlichen Ordnung geführt hat, die über das durch den bloßen Lärm zwangsläufig verursachte Aufsehen hinausgeht - ausschließlich den nach landespolizeilichen Vorschriften bestehenden Strafbestimmungen über ungebührliche Lärmerregung.

Im vorliegenden Fall erschöpfte sich die der Beschwerdeführerin zum Vorwurf gemachte Tathandlung nach dem - korrigierten - Spruch der belangten Behörde in dem "Anschreien" des amtshandelnden Organs. Damit unterfiel dieses Verhalten nicht der von der Behörde erster Instanz als Übertretungs- und Strafnorm herangezogenen bundesgesetzlichen Regelung des § 81 SPG, sondern wäre allenfalls nach landespolizeilichen Vorschriften zu verfolgen gewesen. Dies hat die belangte Behörde verkannt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 6. September 2007

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005090168.X00

Im RIS seit

01.10.2007

Zuletzt aktualisiert am

21.10.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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