TE Vwgh Erkenntnis 2007/11/21 2006/08/0246

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Veröffentlicht am 21.11.2007
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §140;
NotstandshilfeV §6 Abs2;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2006/08/0247

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerden des H H in Wien, vertreten durch Mag. Andreas Habeler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Falkestraße 6, gegen die auf Grund von Beschlüssen des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheide der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien je vom 3. April 2006, I. Zl. LGSW/Abt.3-AlV/05661/2006-305 (protokolliert zur hg. Zl. 2006/08/0246), betreffend Einstellung von Notstandshilfe, und II. Zl. LGSW/Abt.3-AlV/05661/2006-548 (protokolliert zur hg. Zl. 2006/08/0247), betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.982,40 binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte am 25. Oktober 2005 einen Antrag auf Gewährung von Notstandshilfe. Die erste Frage im Antragsformular lautet:

"1) In meinem Haushalt leben Angehörige bzw. ich habe für Angehörige zu sorgen, die nicht im gemeinsamen Haushalt mit mir leben. Angehörige sind Ehegatten, Lebensgefährten, Kinder, Enkel, Stief-, Wahl- und Pflegekinder.

Wenn ja, verwenden Sie bitte zur Bekanntgabe der genauen Daten nachstehende Tabelle. Bitte führen sie bei der Beantragung von Notstandshilfe auch allfällige Sorgepflichten ihrer Lebensgefährtin/ihres Lebensgefährten an."

Die Frage nach den Angehörigen, die in seinem Haushalt lebten bzw. für die er zu sorgen habe und die nicht in seinem Haushalt lebten, bejahte der Beschwerdeführer; er führte in den dafür frei gelassenen Spalten seine Ehefrau und deren Nettoeinkommen von EUR 1.235,35 an, sowie ferner seinen am 28. August 1979 geborenen Sohn, der studiere. Die für die Höhe des monatlichen Nettoeinkommens vorgesehene Spalte hat der Beschwerdeführer bei seinem Sohn nicht ausgefüllt.

Bei der Höhe der dem Beschwerdeführer in der Folge zuerkannten Notstandshilfe von täglich EUR 3,86 wurde beim Einkommen seiner Ehefrau unter anderem eine Freigrenze für den Sohn berücksichtigt.

Zu I.: Mit Bescheid vom 31. Jänner 2006 stellte das Arbeitsmarktservice Wien Schloßhofer Straße den Bezug der Notstandshilfe durch den Beschwerdeführer ab 1. Jänner 2006 mangels Notlage ein. Nach der Begründung übersteige das anrechenbare Einkommen der Ehefrau des Beschwerdeführers trotz Berücksichtigung der gesetzlichen Freigrenze ab 1. Jänner 2006 seinen Anspruch auf Notstandshilfe.

Zu II.: Mit Bescheid vom 1. Februar 2006 hat das genannte Arbeitsmarktservice den Bezug der Notstandshilfe durch den Beschwerdeführer vom 21. Oktober bis zum 31. Dezember 2005 widerrufen und den Beschwerdeführer zur Rückzahlung der in diesem Zeitraum empfangenen Notstandshilfe von EUR 277,92 verpflichtet. Nach der Begründung habe in dem genannten Zeitraum das anrechenbare Einkommen seiner Ehefrau ohne die nicht gebührende Freigrenze für seinen Sohn seinen Anspruch auf Notstandshilfe überstiegen.

Gegen beide Bescheide hat der Beschwerdeführer eine gemeinsame Berufung erhoben, in der er um Parteiengehör ersuchte; die Begründungen der Bescheide seien für ihn "wirtschaftlich nicht nachvollziehbar".

Am 6. März 2006 wurde mit dem Beschwerdeführer bei der belangten Behörde eine Niederschrift aufgenommen, in der es heißt:

"Über die gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich der Freigrenze bezüglich meines Sohnes wurde ich informiert. Einerseits ist mein Sohn bereits über 26 Jahre und erhält keine Familienbeihilfe mehr, andererseits hat er ein Einkommen von EUR 900,00 brutto = EUR 737,27 netto. Dieses Einkommen liegt über den Ausgleichszulagenrichtsatz von EUR 662,99 und gebührt daher für ihn keine Freigrenze mehr. Hinsichtlich möglicher Freigrenzenerhöhung wurde ich in Kenntnis gesetzt. Es trifft allerdings kein Punkt auf mich zu."

Zu I.: Mit dem zur Zl. 2006/08/0246 angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid, mit dem der Notstandshilfebezug des Beschwerdeführers ab 1. Jänner 2006 eingestellt wurde, abgewiesen.

In der Begründung gab die belangte Behörde das Verfahrensgeschehen wieder und führte zur Berechnung der Höhe der Notstandshilfe aus, dass vom Nettoeinkommen des Partners die pauschalierten Werbungskosten und Freigrenzen abgezogen würden. Bei der Freigrenze handle es sich um einen fixen Betrag, der dem Partner zur freien Verfügung verbleiben müsse; im Jahr 2006 seien dies EUR 458,-- gewesen. Weitere Freigrenzen in der Höhe von jeweils EUR 229,-- würden für jedes Kind gewährt, für das Unterhaltspflicht bestehe. Diese Freigrenzen könnten in bestimmten Fällen bis zu höchstens 50 % erhöht werden. Bei dem Nettoeinkommen der Ehefrau des Beschwerdeführers von EUR 1.252,52 ergebe sich unter Berücksichtigung der genannten Freigrenze ein Anrechnungsbetrag von EUR 26,10 täglich, was den Notstandshilfeanspruch des Beschwerdeführers von täglich EUR 22,33 übersteige.

Zu II.: Mit dem zur Zl. 2006/08/0247 angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid, mit dem die vom 21. Oktober bis zum 31. Dezember 2005 bezogene Notstandshilfe widerrufen und zurückgefordert wurde, nicht Folge gegeben.

In der Begründung gab sie das Verwaltungsgeschehen wieder und führte aus, der Beschwerdeführer sei bei der Aufnahme seiner Niederschrift am 6. März 2006 über die gesetzlichen Bestimmungen für die Gewährung einer Freigrenze hinsichtlich seines Sohnes ausführlich informiert worden. Es sei dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden, dass für seinen Sohn, weil der das 26. Lebensjahr überschritten habe und sein Einkommen EUR 900,-

brutto betrage, keine Freigrenze mehr gewährt werden könne. Dies deshalb, weil nur im Falle, dass das Einkommen den Ausgleichszulagenrichtsatz von EUR 662,99 nicht übersteige, die Gewährung einer Freigrenze möglich sei. Über die Möglichkeit einer Freigrenzenerhöhung sei der Beschwerdeführer informiert worden, dieser habe aber erklärt, dass kein Punkt auf ihn zutreffe. In der Folge rechnete die belangte Behörde den auf den Notstandshilfebezug des Beschwerdeführers anzurechnenden Betrag sowie die Höhe der Rückforderung aus.

Gegen diese Bescheide richten sich die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges verbundenen Beschwerden jeweils wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und jeweils eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die verbundenen Beschwerden erwogen:

Gemäß § 24 Abs. 1 AlVG ist das Arbeitslosengeld einzustellen, wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch wegfällt; wenn sich eine für das Ausmaß des Arbeitslosengeldes maßgebende Voraussetzung ändert, ist es neu zu bemessen. Nach Abs. 2 leg. cit. ist die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt.

Die belangte Behörde hat die Einstellung und den Widerruf mit dem Umstand begründet, dass der Sohn des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau ein Einkommen über dem Ausgleichszulagenrichtsatz beziehe; deshalb stehe ihm keine Freigrenze mehr zu.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Einstellung (zu I.) bzw. den Widerruf (zu II.) der Notstandshilfe - in beiden Beschwerden im Wesentlichen gleich lautend - mit dem Argument, das Nettoeinkommen des Sohnes des Beschwerdeführers von monatlich EUR 737,27 sei unter Berücksichtigung von dessen Ausbildungskosten von jährlich EUR 726,72 unter dem für das Jahr 2006 maßgeblichen Existenzminimum gelegen. Dem Sohn könne daher, auch wenn er schon über 26 Jahre alt sei, nicht zugemutet werden, ohne elterliche Wohnungsgewährung auszukommen. Er sei daher noch unterhaltsberechtigt, was die belangte Behörde durch Abzug einer weiteren Freigrenze beim Einkommen der Ehefrau des Beschwerdeführers hätte berücksichtigen müssen.

Gemäß § 33 Abs. 2 AlVG ist Voraussetzung für die Gewährung der Notstandshilfe unter anderem, dass sich der Arbeitslose in Notlage befindet.

Nach § 36 Abs. 1 AlVG erlässt der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit nach Anhörung der gesetzlichen Interessenvertretungen der Dienstgeber und der Dienstnehmer Richtlinien über das Ausmaß der Notstandshilfe.

Die auf Grund des § 36 Abs. 1 AlVG vom Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit erlassene Notstandshilfeverordnung (NH-VO), BGBl. Nr. 352/1973, in der hier maßgebenden Fassung BGBl. II Nr. 490/2001, legt unter anderem fest, unter welchen Voraussetzungen das Vorliegen einer Notlage anzunehmen (§ 2) und wie das Einkommen des Arbeitslosen auf die Notstandshilfe anzurechnen ist (§ 5). Der die Anrechnung des Einkommens des Ehepartners regelnde § 6 NH-VO lautet auszugsweise:

"§ 6. (1) Bei Heranziehung des Einkommens des Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) des (der) Arbeitslosen für die Beurteilung der Notlage ist wie folgt vorzugehen: Von dem Einkommen ist ein Betrag freizulassen, der zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhaltes des Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) und der allenfalls von ihm zu versorgenden Familienmitglieder bestimmt ist (Freigrenze). Der die Freigrenze übersteigende Teil des Einkommens ist auf die Notstandshilfe anzurechnen.

(2) Die Freigrenze beträgt pro Monat 430 Euro für den das Einkommen beziehenden Ehepartner (Lebensgefährten bzw. die Lebensgefährtin) und die Hälfte dieses Betrages für jede Person, für deren Unterhalt der Ehepartner (Lebensgefährte bzw. die Lebensgefährtin) auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt."

Für die Beantwortung der allein strittigen Frage, ob bei der Anrechnung des Einkommens der Ehefrau des Beschwerdeführers Freigrenzen für den gemeinsamen Sohn zu berücksichtigen sind, ist somit lediglich maßgebend, ob die Ehefrau des Beschwerdeführers zum "Unterhalt" des Sohnes "auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht tatsächlich wesentlich beiträgt".

Die belangte Behörde hat sich mit dem Vorliegen dieser Voraussetzung nicht auseinander gesetzt. Sie hat lediglich den nicht näher begründeten Standpunkt vertreten, dass für Personen, welche ein Einkommen über dem Ausgleichszulagenrichtsatz erzielen, keine Freigrenze gebühre. Ein derartiger Ausschluss der Freigrenzenerhöhung kann der genannten Bestimmung jedoch nicht entnommen werden. Mit der erwähnten "rechtlichen Pflicht" wird vielmehr auf das Unterhaltsrecht verwiesen. Hiebei ist für die Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit des Sohnes des Beschwerdeführers zwar auch der Ausgleichszulagenrichtsatz als Orientierungshilfe heranzuziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. März 2000, 97/08/0436, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur und Verweisen auf die Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte und Lehrmeinungen zur Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit). Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes bedeutet aber insgesamt die Fähigkeit zur eigenen angemessenen Bedürfnisdeckung auch außerhalb des elterlichen Haushaltes; benötigt das Kind noch die elterliche Wohnungsgewährung oder Betreuung, so liegt noch keine Selbsterhaltungsfähigkeit vor (vgl. etwa Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 12 zu § 140).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt als "wesentlicher Beitrag" zum geschuldeten Unterhalt nicht nur ein finanzieller Beitrag in Frage, sondern auch die Betreuung des Kindes im Rahmen der Haushaltsführung (vgl. das Erkenntnis vom 18. Februar 2004, Zl. 2000/08/0176, mwN).

Von Bedeutung kann aber auch sein, ob und in welcher Höhe das Kind Ausgaben für seine Ausbildung tätigen muss; das Einkommen vermindert zwar den Unterhaltsbedarf, die Kosten der Ausbildung erhöhen ihn wieder (vgl. Pichler in Rummel, aaO, Rz 11).

Nach der dargestellten Rechtslage war die allein auf das Einkommen des Kindes abstellende Betrachtungsweise der belangten Behörde rechtswidrig, weshalb die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben waren.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 21. November 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006080246.X00

Im RIS seit

07.02.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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