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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ASVG §114;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des A E in Münchwilen/Schweiz, vertreten durch Dr. Herbert Fink, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kaiser-Josefstraße 13, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 27. August 2006, Zl. Vd-SV-1001-2-132/10/Br, betreffend Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara-Pölt-Weg 2, 6020 Innsbruck), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 6. September 2004 teilweise Folge gegeben und die Haftung des Beschwerdeführers gemäß § 67 Abs. 10 ASVG statt mit EUR 22.386,79 mit EUR 17.200,96 festgestellt.
In der Begründung gab die belangte Behörde den Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides sowie des Einspruchs des Beschwerdeführers und der weiteren im Einspruchsverfahren erstatteten Schriftsätze wieder, woraus Folgendes als unbestritten hervorzuheben ist:
Der Beschwerdeführer war seit März 2001 Geschäftsführer der B. GmbH. Am 13. September 2001 wurde über das Vermögen der B. GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Die B. GmbH schuldete der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse nach Bezahlung der Konkursquote von 9,2005 Prozent Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von EUR 17.200,96. Dieser Betrag war bei der B. GmbH nicht einbringlich. Das Insolvenzverfahren wurde am 20. Oktober 2003 nach Verteilung des Massevermögens aufgehoben.
Im angefochtenen Bescheid heißt es wörtlich:
"Bezüglich der dem (Beschwerdeführer) vorgeschriebenen Dienstnehmerbeiträge für März 2001 bis Mai 2001 in der Höhe von EUR 11.194,93 ist auf die rechtskräftige gerichtliche Verurteilung des (Beschwerdeführers) ... wegen Vergehens nach § 114 Abs. 1 und 2 ASVG zu verweisen, an die die (belangte Behörde) bei Beurteilung der Haftungsfrage jedenfalls gebunden ist.
Was die Vorschreibung von Beiträgen auf Grund der Beitragsprüfung vom 05.09.2001 in der Höhe von EUR 6.806,03 (wohl richtig: EUR 6.006,03) anlangt, ist darauf hinzuweisen, dass das Verschulden des (Beschwerdeführers) nicht lediglich darin gelegen ist, dass er sich von Antritt seiner Geschäftsführertätigkeit zu wenig über die österreichischen Rechtsvorschriften informierte, weshalb es passieren konnte, dass er die von ihm geleisteten Beitragszahlungen unnötigerweise auf die Schuldigkeiten seines Vorgängers in der Geschäftsführung gewidmet hat, sodass sie von der (mitbeteiligten Gebietskrankenkasse) auch zwingend darauf anzurechnen waren.
Vorzuwerfen ist dem (Beschwerdeführer) vor allem, dass er sich ohne Rücksprache mit der (mitbeteiligten Gebietskrankenkasse) auf die wenig aussagekräftige Auskunft seines Vorgängers in der Geschäftsführung verlassen hat. Von einem Geschäftsführer, der einen in Schwierigkeiten befindlichen Betrieb zu führen gedenkt, ist sicher zu verlangen, dass er sich mit der Auskunft seines Vorgängers, wonach 'gemäß einer von der Gebietskrankenkasse stillschweigend geduldeten Übung regelmäßige Zahlungen geleistet würden', die aber jeweils auf bestehende Rückstände angerechnet würden, nicht zufrieden gibt, sondern sich bei den Gläubigern über den Fortbestand dieser Übung Gewissheit verschafft. Eine entsprechende Anfrage bei der (mitbeteiligten Gebietskrankenkasse) hätte ihm sicher mehr Klarheit verschafft als die unbestimmte seines in Schwierigkeiten geratenen Vorgängers.
Wie die (mitbeteiligte Gebietskrankenkasse) in ihrer oben in den wesentlichen Punkten wiedergegebenen Stellungnahme vom 27.06.2006 unwidersprochen ausführte, resultiert dieser Nachrechnungsbetrag außerdem aus mehreren nach 'Differenzart' unterschiedlichen Gruppen von Meldevergehen, die zu einer verspäteten Kenntnis der (mitbeteiligten Gebietskrankenkasse) von der Zahlungspflicht der Beitragsschuldnerin führten. Die somit vom Einspruchswerber verursachte verspätete Kenntnis der (mitbeteiligten Gebietskrankenkasse) von den fälligen Beitragsforderungen führte in der Folge zu einer verspäteten Möglichkeit ihrer Betreibung durch die (mitbeteiligte Gebietskrankenkasse) und muss so als Mitursache für die spätere Uneinbringlichkeit gesehen werden, was dem (Beschwerdeführer) als zusätzliches Verschulden anzulasten ist".
Der Sachverhalt sei geklärt - so die belangte Behörde weiter - , weshalb sich die Aufnahme der vom Beschwerdeführer angebotenen Beweise erübrige.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Handelsgesellschaft, offene Erwerbsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Kommandit-Erwerbsgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.
Seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Slg. Nr. 15.528/A, vertritt der Verwaltungsgerichtshof in Abkehr von seiner früheren ständigen Rechtsprechung nunmehr die Auffassung, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne dieser Gesetzesstelle in Ermangelung weiterer in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierter Pflichten des Geschäftsführers im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese im § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die im § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG erwiesen.
Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer das Unterlassen der Einvernahme der von ihm beantragten Zeugen zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer während seiner Zeit als Geschäftsführer der B. GmbH mehr Beitragszahlungen an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse geleistet habe, als der Höhe nach in diesem Zeitraum aufgelaufen seien.
Dieses Beweisthema ist allerdings ohne Relevanz, weil es nicht darauf ankommt, in welcher Höhe Sozialversicherungsbeiträge geleistet wurden, sondern darauf, welchen Zeiträumen die Zahlungen zuzuordnen sind. Mangels Widmung konnte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die Zahlungen auf die jeweils älteste Schuld anrechnen (vgl. das Erkenntnis vom 16. März 1999, Zl. 97/08/0394); die offenen Beiträge für die in Rede stehenden Zeiträume haben keine Deckung gefunden.
Weiter hätte - so der Beschwerdeführer - durch die beantragten Beweismittel bewiesen werden können, dass "eine mündlich oder konkludent vereinbarte Übung mit der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse bestanden hatte, wonach in jedem Monat Zahlungen zumindest in einer Höhe abzuführen waren, dass betragsmäßig die im jeweiligen Monat neu aufgelaufenen SV-Beiträge zumindest abgedeckt wurden, sodass der Rückstand nicht größer wurde."
Auch dieses vom Beschwerdeführer genannte Beweisthema ist für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens nicht von Bedeutung, weil die Frage der Haftung nach § 67 ASVG nicht durch eine privatrechtliche Vereinbarung, sondern durch die für die Rechtswirksamkeit der Haftungsbegründung vorgeschriebenen Bescheidform zu regeln ist (vgl. das Erkenntnis vom 22. September 1988, Zl. 87/08/0262).
Soweit der Beschwerdeführer unter dem Aspekt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vorbringt, eine Widmung der von ihm geleisteten Zahlungen an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse wäre ihm ohne Weiteres möglich gewesen, wodurch er die während seiner Geschäftsführertätigkeit entstandenen Beiträge bezahlt hätte, ist er darauf zu verweisen, dass er nach den Feststellungen keine Widmungen vorgenommen hat, sodass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse nach dem Gesagten berechtigt war, die Zahlungen auf die jeweils älteste offene Verbindlichkeit anzurechnen. Auf den Umstand, dass der Beitragsrückstand insgesamt nicht vermehrt wurde, kommt es nicht an.
Der Beschwerdeführer bringt unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 7. September 2005, Zl. 2003/08/0043, vor, dass die Haftung für einbehaltene Dienstnehmeranteile die Auszahlung der Nettlöhne voraussetze und rügt das Fehlen von Feststellungen, dass im vorliegenden Fall Nettoentgelte an die Dienstnehmer ausbezahlt worden seien.
Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer diesen Umstand im Verwaltungsverfahren nicht bestritten hat, wurde er wegen des Vergehens nach § 114 ASVG rechtskräftig gerichtlich verurteilt, woran die belangte Behörde auch insofern gebunden war (vgl. das Erkenntnis vom 3. November 1986, Zl. 86/15/0081), als die Einbehaltung der Dienstnehmeranteile die Auszahlung der Nettolöhne voraussetzte.
Auch hinsichtlich eines weiteren Teilbetrages von EUR 6.006,03, der nach den Feststellungen auf Grund einer Beitragsprüfung nachverrechnet wurde, behauptet der Beschwerdeführer, die zu Grunde liegenden Nettoentgelte seien nicht ausbezahlt worden. Dabei übersieht er jedoch, dass die belangte Behörde die Haftung des Beschwerdeführers hinsichtlich dieses Betrages auf Meldepflichtverletzungen stützt, bei denen es für die Frage der Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG nicht darauf ankommt, ob die zu meldenden Löhne tatsächlich ausbezahlt wurden.
Dass durch die Meldepflichtverletzung keine Verkürzung der Ansprüche der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse eingetreten sei, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet (vgl. das Erkenntnis vom 15. März 2005, Zl. 2003/08/0144).
Insgesamt vermochte der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheid aufzuzeigen, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003 BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 20. Februar 2008
Schlagworte
Rechtsgrundsätze Allgemein Anwendbarkeit zivilrechtlicher Bestimmungen Verträge und Vereinbarungen im öffentlichen Recht VwRallg6/1Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006080284.X00Im RIS seit
25.03.2008Zuletzt aktualisiert am
07.01.2013