TE Vwgh Erkenntnis 2008/11/4 2008/22/0555

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Veröffentlicht am 04.11.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
24/02 Jugendgerichtsbarkeit;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
JGG §4 Abs2 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
StbG 1985 §10 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des LS in K, vertreten durch Dr. Hans Georg Mayer und Mag. Dr. Hans Herwig Toriser, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, St. Veiter Straße 1/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion Kärnten vom 7. November 2005, Zl. 2Fr-130/05, betreffend ein befristetes Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 und § 39 Abs. 1 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie auf die rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers vom 17. März 2003 nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten und vom 29. September 2004 nach § 83 Abs. 1, § 107 Abs. 1 und § 241e Abs. 1 (erster Fall) StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon acht Monate bedingt nachgesehen.

Der erstgenannten Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am 29. Dezember 2002 eine Person durch einen Faustschlag in das Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt habe. Die zweitgenannte Verurteilung sei erfolgt, weil der Beschwerdeführer am 22. August 2004 eine Frau am Körper leicht verletzt und sie mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht habe; weiters habe er ihre Bankomatkarte an sich gebracht.

Die belangte Behörde beurteilte den Sachverhalt dahin, dass der Tatbestand nach § 36 Abs. 2 Z 1 FrG erfüllt und die Gefährlichkeitsprognose nach § 36 Abs. 1 FrG gerechtfertigt sei.

Der Beschwerdeführer halte sich seit 1992 durchgehend in Österreich auf, besitze eine unbefristete Niederlassungsbewilligung, habe eine vierjährige Tochter und lebe mit Eltern, einem Bruder sowie einer Adoptivtochter seiner Tante im gemeinsamen Haushalt. Durch das Aufenthaltsverbot - so die belangte Behörde weiter - werde zwar in sein Privat- bzw. Familienleben eingegriffen; diese Maßnahme sei jedoch nach § 37 FrG zulässig. Aktenkundig sei, dass der Beschwerdeführer bereits im Jahr 2001 wegen Verdachtes der Entwendung zur Anzeige gebracht worden sei, wobei von der Verfolgung wegen des angezeigten Sachverhaltes am 20. Dezember 2001 gemäß § 4 Abs. 2 Z 3 Jugendgerichtsgesetz (JGG) abgesehen worden sei.

Letztlich meinte die belangte Behörde, dass der Aufenthaltsverbots-Verbotsgrund nach § 38 Abs. 1 Z 3 FrG nicht auf den Beschwerdeführer angewendet werden könne, weil er vor Ablauf der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft notwendigen Anwartschaft von zehn Jahren sein Fehlverhalten gesetzt habe. Des Weiteren führte sie aus, dass auch der Verfestigungstatbestand nach § 38 Abs. 1 Z 4 FrG für den Beschwerdeführer nicht in Betracht komme.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten seitens der belangten Behörde erwogen:

Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann.

Nach Z 1 dieser Bestimmung ist dies der Fall, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, 2008/22/0556).

Die Beschwerde stellt nicht in Abrede, dass im Blick auf die rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG erfüllt sei und es wird auch der zu Grunde liegende Sachverhalt nicht bestritten.

Zu Recht wendet sich der Beschwerdeführer aber gegen die behördliche Annahme, dass der die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes hindernde Verfestigungstatbestand des § 38 Abs. 1 Z 3 FrG nicht vorliege.

Gemäß dieser Bestimmung darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) hätte verliehen werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Gemäß § 10 Abs. 1 StbG (idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 37/2006) kann einem Fremden die Staatsbürgerschaft verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat (Z 1) und er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet (Z 6).

Unter dem in § 38 Abs. 1 Z 3 FrG genannten Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" ist der Zeitpunkt vor Eintritt des ersten der in ihrer Gesamtheit für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände zu verstehen. Im Fall eines auf strafbaren Handlungen gegründeten Aufenthaltsverbotes handelt es sich beim maßgeblichen Sachverhalt nicht um die jeweilige Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern um das einer Verurteilung bzw. Bestrafung zu Grunde liegende Fehlverhalten. Der "maßgebliche Sachverhalt" umfasst alle Umstände, die die Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogen hat. Ein Fehlverhalten, das nicht (mehr) geeignet ist, eine relevante Vergrößerung der vom Fremden ausgehenden Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen herbeizuführen, darf nicht einbezogen werden, weil es die Behörde dadurch in der Hand hätte, den für die Beurteilung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Zeitpunkt soweit nach vorne zu verschieben, dass der Fremde die zehnjährige Wohnsitzfrist des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG nicht erfüllt. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 6. September 2007, 2005/18/0161.)

Die belangte Behörde geht davon aus, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der strafbaren Handlung, die zu seiner ersten Bestrafung geführt hat, somit am 29. Dezember 2002, die zehnjährige Frist des § 10 Abs. 1 StbG erfüllt hat. Vorher wurde laut Akteninhalt der damals 17 Jahre alte Beschwerdeführer am 15. November 2001 in einem Supermarkt betreten, als er Batterien im Wert von S 79,90 entwenden wollte. Diesbezüglich wurde von der Verfolgung gemäß § 4 Abs. 2 Z 3 JGG (Straflosigkeit wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat) abgesehen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde ist es nicht zulässig, diesen Sachverhalt zur Begründung des im konkreten Fall verhängten Aufenthaltsverbotes heranzuziehen; er stellt auch keinen hinreichenden Grund dar, dem Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG die Verleihung der Staatsbürgerschaft zu versagen (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis 2005/18/0161, dem eine im Alter von ca. 16 Jahren verübte Sachbeschädigung zu Grunde lag und das Strafverfahren gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 JGG unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren vorläufig eingestellt wurde).

Da dem Beschwerdeführer daher der Verfestigungstatbestand des § 38 Abs. 1 Z 3 FrG zu Gute kommt, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

Wien, am 4. November 2008

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008220555.X00

Im RIS seit

04.12.2008

Zuletzt aktualisiert am

04.03.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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