TE Vfgh Erkenntnis 2004/3/9 B1493/03

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Veröffentlicht am 09.03.2004
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art83 Abs2
AVG §13 Abs5
VStG §49 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung eines am letzten Tag der Einspruchsfrist nach Ende der Amtsstunden mittels Telefax eingebrachten Einspruchs gegen eine Strafverfügung als verspätet; Zeitpunkt des Einbringens, nicht aber des Einlangens für die Wahrung der Rechtsmittelfrist entscheidend; Klarstellung durch eine AVG-Novelle angesichts der bis dahin divergierenden Judikatur von VfGH und VwGH

Spruch

1. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

2. Der Bescheid wird aufgehoben.

3. Das Land Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (künftig: UVS) hat mit Berufungsbescheid vom 26. September 2003, Z UVS-03/P/7/4901/2003/4, der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat Brigittenau, vom 22. April 2003, Z S 6368/B/03, mit dem sein am letzten Tag der Einspruchsfrist nach Ende der Amtsstunden mittels Telefax eingebrachter Einspruch gegen die Strafverfügung vom 5. März 2003 gemäß §49 Abs1 VStG als verspätet zurückgewiesen wurde, gemäß '66 Abs4 AVG keine Folge gegeben. Der UVS begründet diese Entscheidung (unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Juli 2000, Zl. 2000/03/0152) im wesentlichen damit, daß der mittels Telefax am 25. März 2003 um 19.58 Uhr bzw. 19.59 Uhr und damit erst nach Ablauf der (von 7.30 bis 15.30 Uhr dauernden) Amtsstunden eingebrachte Einspruch erst mit Wiederbeginn der Amtsstunden am 26. März 2003 als bei der Erstbehörde eingebracht [gemeint wohl: eingelangt] gelte und daher verspätet sei.

2.1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Dazu führt er wie folgt aus:

"Da ich denselben am 25.3.2003 um 19.58 Uhr bzw. 19.59 Uhr mittels Telefax an die erstinstanzliche Behörde übersendete, wurde er von mir rechtzeitig eingebracht. Dass der Einspruch erst am 26.3.2003 bei der Behörde - nach Wiederbeginn der Amtsstunden - einlangte bzw. mit einem entsprechenden Eingelangt-Vermerk versehen wurde, ist dabei nicht entscheidend. Maßgeblich für die Rechtzeitigkeit eines Einspruchs oder einer Berufung ist nämlich nur, dass das Rechtsmittel innerhalb der zur Verfügung stehenden Frist eingebracht wird (vergl. VfGH vom 26.6.2000, B460/00; VfGH vom 28.11.2000, B1682/00) und nicht - wie der Verwaltungsgerichtshof vermeint -, dass dieses innerhalb dieser Frist auch einlangt (unrichtig daher: VwGH Zl. 2000/03/0152 vom 29.1.2002 [gemeint wohl: 5. Juli 2000]). Eingebracht ist ein Rechtsmittel vielmehr schon dann, wenn es innerhalb der zur Verfügung stehenden Frist - wenn auch außerhalb der Amtsstunden - mittels Telefax übersendet wird. Das Einlangen spielt nur insofern eine Rolle, als die Beförderung auf Gefahr des Absenders erfolgte.

Da sohin im vorliegenden Fall der Einspruch innerhalb der zur Verfügung stehenden Frist an die erstinstanzliche Behörde gefaxt wurde und dort auch einlangte, war dieser auch als rechtzeitig eingebracht im Sinn des §49 Abs1 VStG anzusehen.

Die belangte Behörde hat sohin dadurch, dass sie meiner Berufung keine Folge gegeben und den erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid bestätigt hat, zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert bzw. verhindert. Hiedurch wurde ich durch den angefochtenen Bescheid in meinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt."

2.2. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II. 1.1. Die Beschwerde erweist sich, weil sämtliche Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind, als zulässig; sie ist auch gerechtfertigt:

1.2. Zur Beurteilung des Sachverhaltes sind die im Anschluß angeführten Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) und des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) von Relevanz:

§49 Abs1 VStG, BGBl. 52/1991 (WV) idF BGBl. 620/1995, lautet:

"§49. (1) Der Beschuldigte kann gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch kann auch mündlich erhoben werden. Er ist bei der Behörde einzubringen, die die Strafverfügung erlassen hat."

§13 AVG, BGBl. 51/1991 (WV) idF BGBl. I 65/2002 lautet samt Überschrift:

"3. Abschnitt: Verkehr zwischen Behörden und Beteiligten

Anbringen

§13. (1) Anträge, Gesuche, Anzeigen, Beschwerden und sonstige Mitteilungen können, sofern in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, bei der Behörde schriftlich oder, soweit es der Natur der Sache nach tunlich erscheint, mündlich oder telephonisch eingebracht werden. Schriftliche Anbringen können nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten auch telegraphisch, fernschriftlich, mit Telefax, im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise eingebracht werden.

(2)-(4a)...

(5) Zur Entgegennahme mündlicher oder telefonischer Anbringen ist die Behörde, außer bei Gefahr im Verzug, nur während der für den Parteienverkehr bestimmten Zeit, zur Entgegennahme schriftlicher Anbringen nur während der Amtsstunden verpflichtet. Die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit sind bei der Behörde durch Anschlag kundzumachen. Anbringen, die mit Telefax, im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise binnen offener Frist eingebracht werden und außerhalb der Amtsstunden bei der Behörde einlangen, gelten als rechtzeitig eingebracht. Behördliche Entscheidungsfristen beginnen jedoch erst mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden zu laufen.

(6)-(9)..."

2.1. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes wird das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (so auch in VfSlg. 2536/1953, 7457/1974, 9696/1983, 10374/1985, 11405/1987, 13280/1992, 13882/1994, 15482/1999, 15708/1999, 15720/2000, 15738/2000).

2.2. Entgegen der Ansicht des UVS, daß Anbringen (auch am letzten Tag einer Rechtsmittelfrist mittels Fax eingebrachte Rechtsmittel), die außerhalb der Amtsstunden bei der Behörde einlangen, erst mit Wiederbeginn der Amtsstunden und damit nach Verstreichen der (hier) Einspruchsfrist gemäß §49 Abs1 VStG als eingelangt gelten, hat der Verfassungsgerichtshof bei gleich gelagerter Problemstellung zu der vor der Novelle BGBl. I 137/2001 geltenden Rechtslage bereits in dem Erkenntnis VfSlg. 15858/2000 klar gestellt, daß ein mit Telefax eingebrachter Berufungsantrag, der am letzten Tag der Rechtsmittelfrist außerhalb der Amtsstunden bei der Behörde einlangt, als rechtzeitig eingebracht anzusehen ist.

2.3. Nach §13 Abs5 AVG idF BGBl. I 137/2001, in Kraft getreten mit 1. Jänner 2002, gelten "Anbringen, die mit Telefax ... binnen offener Frist eingebracht werden und außerhalb der Amtsstunden bei der Behörde einlangen, ... als rechtzeitig eingebracht". Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Novelle BGBl. I 137/2001 (723 RV 21. GP, 8) dient dieser angefügte Satz lediglich der Klarstellung im Sinne des bereits zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 15858/2000, weil - entgegen der (hier von der belangten Behörde herangezogenen) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (ua. Erkenntnis vom 5.7.2000, Zl. 2000/03/0152) - bereits nach der zuvor in Geltung gestandenen Rechtslage die behördliche Entscheidungsfrist mit dem Einlangen des Antrages bei der Behörde zu laufen beginnt und dies nunmehr vom Gesetzgeber angesichts der bis dahin divergierenden Judikatur klargestellt ist.

2.4. Dem Beschwerdeführer wurde durch die Zurückweisung seines Einspruchs durch die Behörde erster Instanz zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert. Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid daher in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung gründet auf §88 VfGG. In dem zugesprochenen Kostenbetrag ist € 327 Umsatzsteuer enthalten.

IV. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Verwaltungsstrafrecht, Strafverfügung, Verwaltungsverfahren, Berufung, Berufungsfrist

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B1493.2003

Dokumentnummer

JFT_09959691_03B01493_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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