TE Vfgh Erkenntnis 2005/3/2 V75/02

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Veröffentlicht am 02.03.2005
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs5 / Fristsetzung
Bgld RaumplanungsG §20 Abs2
Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Wiesen vom 16.01. und 24.03.75

Leitsatz

Aufhebung der Kennzeichnung von Grundstücken als Aufschließungsgebiet in einem Flächenwidmungsplan als gesetzwidrig nach der bereinigten Rechtslage; Verpflichtung des Gemeinderates zur Erlassung einer Freigabeverordnung infolge gesicherter Erschließung der Grundstücke durch Straßen und Versorgungsleitungen

Spruch

Die Verordnung der Marktgemeinde Wiesen betreffend den Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Wiesen vom 16. Jänner 1975 und 24. März 1975, genehmigt von der Burgenländischen Landesregierung mit Bescheid vom 20. Juni 1975, wird, soweit die Grundstücke Nrn. 2571/3, 2571/4, 2582, 2583, 2584, 2585/1, 2585/2, 2585/3 und 2585/4 der EZ 918, KG Wiesen, als "Aufschließungsgebiet" gekennzeichnet sind, als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. August 2005 in Kraft.

Die Burgenländische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Die Marktgemeinde Wiesen ist schuldig, den Antragstellern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 2.142,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit einem auf Art139 B-VG gestützten Individualantrag begehren die Antragsteller,

"die Verordnung der Marktgemeinde Wiesen betreffend den Flächenwidmungsplan der Marktgemeinde Wiesen vom 16.1.1975, genehmigt von der Burgenländischen Landesregierung am 20.6.1975,

Zahl: LAD-666/9/75, zuletzt geändert mit Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Wiesen vom 19.12.2001, genehmigt von der Burgenländischen Landesregierung am 21.3.2002,

Zahl: LAD-RO-3432/141-2002, hinsichtlich der Festlegung der Widmung betreffend die Grundstücke Nr. 2571/3, 2571/4, 2582, 2583, 2584, 2585/1, 2585/2, 2585/3 und 2585/4 der EZ 918, KG Wiesen, soweit darin diese Grundstücke als Aufschließungsgebiet gem. §14 Abs2 Bgld. Raumplanungsgesetz gekennzeichnet sind, [als gesetzwidrig] aufzuheben".

1.2. Zu ihrer Antragslegitimation bringen die Antragsteller vor, dass sie Eigentümer der Grundstücke Nrn. 2571/3, 2571/4, 2582, 2583, 2584, 2585/1, 2585/2, 2585/3, 2585/4, inneliegend in der EZ 918, KG Wiesen, seien. Seit 1999 würden sie auf diesen Grundstücken die Errichtung des "Freizeit- und Erholungsparks Keltenhof" beabsichtigen. Die Festlegung im Flächenwidmungsplan greife unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre der Antragsteller ein. Das Ansuchen um eine Baubewilligung sei den Antragstellern aufgrund der Beischaffung umfangreicher und kostspieliger Unterlagen eigens zu dem Zweck der Bekämpfung der Abweisung eines Baubewilligungsansuchens nicht zumutbar.

1.3. In der Sache behaupten sie die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung, soweit sie die näher bezeichneten Grundstücke als "Aufschließungsgebiet" kennzeichnet. Die dem Erkenntnis VfSlg. 12.755/1991 zugrunde liegende Rechtslage des Salzburger ROG 1977 (§12 Abs5, §19 Abs1) sei mit jener des Burgenländischen Raumplanungsgesetzes (§14 Abs2), in der Folge Bgld RPlG, vergleichbar. In dem zitierten Erkenntnis habe der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass die Gemeinde zur Freigabe des Aufschließungsgebietes verpflichtet sei, sobald der widmungsgemäßen Verwendung öffentliche Rücksichten iSd §19 Abs1 Sbg ROG nicht mehr entgegenstünden. Aus dem Schriftverkehr zwischen den Antragstellern und der Gemeinde ergebe sich, dass die Gemeinde nie behauptet habe, dass die erforderliche Erschließung durch Straßen und Versorgungsleitungen nicht gesichert wäre. Die Erschließung sei auch tatsächlich seit Jahren gewährleistet. Der Gemeinderat habe nie "ernsthaft und zielgerichtet" geprüft, ob der Erlassung einer Freigabeverordnung und damit der Ermöglichung der widmungsgemäßen Verwendung des Gebietes öffentliche Interessen wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Natur entgegenstünden. Die tatsächlichen Erwägungen der Gemeinde seien rechtlich unerheblich. Aus dem Gemeinderatsprotokoll vom 25. September 2001 ergebe sich, dass nach der "Intention der Gemeinde" in dem in Rede stehenden Gebiet eine "Hotel- und Sportanlage" errichtet werden solle. Dies würde jedoch eine Einschränkung der für dieses Gebiet festgelegten Flächenwidmung "Bauland - Erholungs- und Fremdenverkehrseinrichtungen" gemäß §14 Abs3 litg Bgld RPlG bedeuten, nach der nicht nur eine Hotel- und Sportanlage zulässig wäre. Ausdrücklich werde behauptet, dass der Freigabe des Aufschließungsgebietes keine öffentlichen Interessen wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Natur entgegenstünden.

2. Aus Anlass dieses Individualantrages hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Juni 2004 von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Worte "der widmungsgemäßen Verwendung dieser Gebiete keine öffentlichen Interessen wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Natur entgegenstehen und" in §20 Abs2 des Gesetzes vom 20. März 1969 über die Raumplanung im Burgenland (Burgenländisches Raumplanungsgesetz, in der Folge Bgld RPlG), LGBl. Nr. 18/1969, eingeleitet.

Mit Erkenntnis vom 9. Dezember 2004, G115/04, hat der Verfassungsgerichtshof die in Prüfung gezogene Wortfolge als verfassungswidrig aufgehoben. Gemäß der im vorliegenden Verordnungsprüfungsverfahren anzuwendenden bereinigten Rechtslage sind Baubewilligungen gemäß §20 Abs2 Bgld RPlG erst zulässig, wenn der Gemeinderat durch Verordnung feststellt, dass die Erschließung durch Straßen und Versorgungsleitungen gesichert ist.

3. Die Erlassung einer Freigabeverordnung gemäß §20 Abs2 Bgld RPlG ist daher nicht in das Belieben der Gemeinde gestellt. Sie hat das Aufschließungsgebiet freizugeben, wenn die Erschließung durch Straßen und Versorgungsleitungen gesichert ist. Behält der Flächenwidmungsplan die Kennzeichnung von Grundstücken als Aufschließungsgebiet über längere Zeit bei, obwohl die Erschließung gesichert ist, so wird der Flächenwidmungsplan gesetzwidrig.

Der Verfassungsgerichtshof sprach bereits im Erkenntnis VfSlg. 12.755/1991 zur Verpflichtung der Anpassung einer Verordnung an den geänderten Sachverhalt aus, dass es sich

"bei der Kennzeichnung von Flächen innerhalb des Baulandes als Aufschließungsgebiete um einen jener Fälle [handelt], in denen das Gesetz dem Verordnungsgeber aufträgt, seine Entscheidung an sich ändernden Situationen zu orientieren. In derartigen Fällen wird nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes selbst eine im Zeitpunkt ihrer Erlassung gesetzmäßig gewesene Verordnung gesetzwidrig, wenn der Grund zu ihrer Erlassung weggefallen ist (s. etwa VfSlg. 9588/1982; VfGH 2.3.1990, V34/89; vgl. auch VfSlg. 6774/1972). Der Verordnungsgeber ist dabei verhalten, fallweise zu untersuchen, ob die Annahmen, von denen er bei Verordnungserlassung ausgegangen ist, noch zutreffen (so etwa VfSlg. 8212/1977 und 8329/1978). Zwar muß die Anpassung einer Verordnung an den geänderten Sachverhalt nicht unverzüglich erfolgen, sondern es ist dem Verordnungsgeber hiefür eine gewisse Zeitspanne zuzubilligen. Die Verzögerung ist jedoch im allgemeinen nur so lange tolerierbar, bis der Verordnungsgeber von der Änderung des Sachverhaltes Kenntnis erlangte oder erlangen mußte und es ihm sodann zumutbar ist, die Anpassung der Norm vorzunehmen (so VfGH 2.3.1990, V34/89)."

Im fortgesetzten Verordnungsprüfungsverfahren hat also der Verfassungsgerichthof bei der Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der Kennzeichnung der in Rede stehenden Grundstücke als Aufschließungsgebiet zu prüfen, ob der Gemeinderat die verordnungsmäßige Feststellung, dass die Erschließung durch Straßen und Versorgungsleitungen gesichert ist, im Widerspruch zu §20 Abs2 Bgld RPLG unterlassen hat.

4. Der Gemeinderat der Marktgemeinde Wiesen führt in seiner Äußerung im Verfahren V75/02 zur Aufschließung der in Rede stehenden Grundstücke Folgendes aus:

Die Grundstücke seien extrem schmale Streifenparzellen, die aufgrund ihrer derzeitigen Konfiguration im Hinblick auf die Bebauungsbestimmungen über Bebauungsweise und Abstände nicht sinnvoll bebaubar seien. Zum Zeitpunkt der Kennzeichnung als Aufschließungsgebiet sei bereits eine Wasserleitung vorhanden gewesen, welche ebenso wie "mittlerweile" der Ortskanal an dem Baulandbereich vorbeiführe. Der der verkehrsmäßigen Erschließung der Grundstücke dienende Weg, Grundstück Nr. 2512, sei vor rund 15 Jahren befestigt worden; es handle sich dabei nach wie vor bloß um einen ca. 5 m breiten "Güterweg".

Diese Form der Erschließung sei aus Sicht der Gemeinde völlig unzureichend: Das zu erschließende Areal weise eine Fläche von

40.304 m² auf. Der "Güterweg" und die vorhandenen Leitungen seien für die widmungsgemäße Verwendung der Grundstücke keineswegs ausreichend. Zur inneren Erschließung müsste ein eigenes Wege- und Leitungsnetz errichtet werden. Der vorhandene Weg müsste verbreitert werden. Die Gemeinde könnte zwar grundsätzlich für die Herstellung der erforderlichen Verkehrsflächen gemäß §9 Bgld BauG von den betroffenen Liegenschaftseigentümern Kostenbeiträge einheben. In concreto erscheine aber deren Einbringlichkeit im Hinblick auf die finanzielle Situation der Antragsteller höchst fraglich.

Zutreffend sei, dass die Gemeinde aus wirtschaftlichen Gründen bestrebt sei, dass die Grundstücke einer ausschließlich dem Fremdenverkehr dienenden Nutzung vorbehalten blieben. Es sei mangels Vorlage eines nachvollziehbaren Fremdenverkehrsprojekts zu befürchten, dass im Fall der Freigabe die Errichtung von - nach der Widmung zulässigen - Zweitwohnsitzen beabsichtigt würde. Voraussetzung für die Freigabe sei nicht bloß irgendeine infrastrukturelle Erschließung, vielmehr müssten jene Einrichtungen vorhanden sein, die für die intensivste Nutzung, die nach dem Bgld RPlG zulässig ist, erforderlich seien.

Der Verfassungsgerichtshof habe die Absicht einer Gemeinde, dass die Erweiterung eines bestimmten Baulandbereichs "erst aufgrund einer weiterführenden, gleichsam schrittweise vorgehenden Planung und Erschließung erfolgen soll," als ausreichenden Grund für die Annahme gewertet, dass der Verwendung eines Grundstücks als Bauland öffentliche Interessen entgegenstehen (VfSlg. 12.879/1991).

5. Die Antragsteller bringen in ihrer Replik vor, dass die Aufschließung durch Straßen und Versorgungseinrichtungen wie Strom und Wasser von der Gemeinde grundsätzlich nicht bestritten werde. Es gehe auch nicht darum, ob die Versorgungseinrichtungen für das konkrete Projekt an sich ausreichend seien, sondern ob die Grundstücke "als solche" als aufgeschlossen anzusehen seien. Die "innere Aufschließung" sei dafür nicht wesentlich.

6. Im Verfahren G115/04 führte der Gemeinderat zur Aufschließung der Grundstücke noch ergänzend aus, dass das burgenländische Raumordnungsrecht zwar keine Bestimmung enthalte, die Mindestbreiten von Verkehrsflächen oder aber einen Mindeststandard der technischen Ausgestaltung festlege. Aus fachlicher Sicht ergäben sich aber einschlägige Anforderungen an Aufschließungsstraßen aus den allgemein als Stand der Verkehrstechnik anerkannten Richtlinien für das Verkehrs- und Straßenwesen (RVS):

"Die RVS 2.04 (Rahmenrichtlinie für die Verkehrserschließung) normiert ua technische Mindestanforderungen an Straßen unterschiedlichen Typ [...]. Als unterste Kategorie einer Erschließungsstraße werden 'befahrbare Wohnwege/Wohnstraßen' festgelegt, wobei ausdrücklich festgehalten wird, dass diese zwar auch der Erschließung dienen, aber 'überwiegend Kommunikationsfunktion' haben. Diese befahrbaren Wohnwege sollen nach den RVS eine reine Straßenbreite von 3 m sowie links und rechts jeweils ein befestigtes Bankett von je 0,5 - 1 m, sohin eine Gesamtbreite von 4 - 5 m aufweisen. Eine derartige Verkehrserschließung (die Straße ist nur in eine Richtung befahrbar) eignet sich laut den RVS allerdings lediglich für die Erschließung von bis zu 30 Wohnungen. Auch ein in beide Richtungen befahrbarer Wohnweg, in der Breite von 4 - 5,5 m zuzüglich Gehsteig, eignet sich nur für die Erschließung von bis zu 80 Wohnungen. [...] In Anbetracht der Größe des Areals wäre nach den RVS zumindest eine so genannte 'Anliegerstraße' für die Erschließung erforderlich. Eine solche eignet sich für ein Gebiet mit bis zu 400 Wohnungen und bis zu 300 Arbeitsplätzen. Als Richtwert für eine derartige Erschließungsstraße sehen die RVS eine in beide Richtungen befahrbare Straße in der Breite von 5 - 6,5 m zuzüglich beidseitigen Gehsteige im Ausmaß von je 1,5-3 m sowie Parkflächen vor. Auch wenn man davon ausgeht, dass eigenständige Parkflächen für die Erschließung der gegenständlichen Grundstücke nicht unbedingt erforderlich sind, und die absoluten Untergrenzen der RVS herangezogen werden, ist eine Mindestbreite der Erschließungsstraße von 8,0 m (5 m Straße, 2 x 1,5 m Gehsteig) für eine gesicherte Erschließung erforderlich!"

II. 1. Der Antrag auf Aufhebung der Verordnung der Marktgemeinde Wiesen betreffend den Flächenwidmungsplan vom 16. Jänner 1975 und 24. März 1975, genehmigt mit Bescheid der Burgenländischen Landesregierung vom 20. Juni 1975, ist, soweit damit die Grundstücke Nr. 2571/3, 2571/4, 2582, 2583, 2584, 2585/1, 2585/2, 2585/3 und 2585/4 der EZ 918, KG Wiesen, als Aufschließungsgebiet gekennzeichnet sind, aus den im Punkt II.1. des Erkenntnisses vom 9. Dezember 2004, G115/04 genannten Gründen zulässig (vgl. auch VfSlg. 12.755/1991).

2. Der Verfassungsgerichtshof trifft zum Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §20 Abs2 Bgld RPlG folgende Feststellungen:

Aus dem im Maßstab 1 : 5.000 dargestellten Flächenwidmungsplan und dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen ergibt sich, dass an den in Rede stehenden Grundstücken eine gewidmete und auch errichtete Verkehrsfläche (Grundstück Nr. 2512) in einer Breite von ca. 5 m seit über 15 Jahren, sowie Strom- und Wasserleitungen und der Ortskanal vorbei führen. Die Wasserversorgung war nach dem Vorbringen bereits zum Zeitpunkt der Kennzeichnung als Aufschließungsgebiet gegeben. Aus einem Schreiben des Bürgermeisters der Marktgemeinde Wiesen vom 5. Dezember 2001 an die Volksanwaltschaft ergibt sich, dass "es wohl richtig [ist], dass das besagte Aufschließungsgebiet durch Straßen, wenn auch schon sehr sanierungsbedürftig, und Versorgungsleitungen, wie Strom und Wasser, gesichert ist und dadurch vielleicht ein Teil des §20 Abs2 des Bgld. Raumplanungsgesetzes erfüllt wäre[n].[...]."

Die Gemeinde geht selbst davon aus, dass die Breite der bestehenden Straße zumindest den Anforderungen eines "befahrbaren Wohnweges/Wohnstraße" nach der Rahmenrichtlinie für Verkehrserschließung (RVS 2.04) in einer Gesamtbreite von 4 - 5 m einschließlich einer Fahrbahn in der Breite von 3 m sowie links und rechts jeweils eines Banketts in der Breite von je 0,5 - 1 m entsprechen könnte. Ausgehend von der Widmung und der erwarteten Intensität der Nutzung wäre jedoch nach Ansicht der Gemeinde eine "Anliegerstraße" mit einer Mindestbreite von 8 m erforderlich. Die Erschließung durch sonstige Versorgungsleitungen ist unbestritten.

3. Für die Freigabe der Kennzeichnung als Aufschließungsgebiet gemäß §20 Abs2 Bgld RPlG kommt es nicht darauf an, ob die Erschließung der konkret beabsichtigten oder einer maximal nach der Widmung zulässigen Nutzung entspricht, sondern bloß darauf, dass die verkehrsmäßige Erschließung für die Bewilligung irgendeines nach den Widmungsbestimmungen zulässigen Bauvorhabens ausreicht.

Konkretere Voraussetzungen für die Freigabe der Bebauung in Aufschließungsgebieten - insbesondere zusätzliche Erfordernisse der verkehrsmäßigen Erschließung - könnten sich aber einerseits aus den erkennbaren Motiven des Verordnungsgebers für die Kennzeichnung als Aufschließungsgebiet im Flächenwidmungsplan in allgemeiner Form, andererseits aus einer ausdrücklichen Festsetzung von Freigabebedingungen ergeben (vgl. VfSlg. 12.879/1991, 13.986/1994). Beides ist im gegebenen Zusammenhang nicht der Fall. Aus dem Erläuterungsbericht zum Flächenwidmungsplan der Gemeinde Wiesen ergibt sich lediglich, dass

"im Raum der 'Sieben Wirte Teiche' zwischen Mattersburg und Sauerbrunn [wurde] das Gebiet der Riede 'Herrschaftliche Breite, Lange Waldwiese und Kroatenriegel' im Einvernehmen mit der Raumplanungsstelle im Amt der Burgenländischen Landesregierung als Erholungsgebiet und Grünfläche bzw. als Baugebiet für Fremdenverkehrseinrichtungen in den Flächenwidmungsplan aufgenommen [wurde].

Abweichend vom ersten Flächenwidmungsplan sind in den nun vorliegenden bereits die Flächen ausgewiesen, für die entsprechende Teilprojekte im Einvernehmen mit der Raumplanungsstelle ausgearbeitet waren."

Die Bindung der Aufhebung der Kennzeichnung als Aufschließungsgebiet an eine Nutzung zu Fremdenverkehrszwecken wäre schon im Hinblick auf die Widmung "Baugebiete für Erholungs- oder Fremdenverkehrseinrichtungen" gemäß §14 Abs3 litg Bgld RPlG, welche auch die Errichtung von Wochenendhäusern zulässt, gesetzwidrig. Denn der Verordnungsgeber ist nicht dazu ermächtigt, weitere Differenzierungen und Einschränkungen von ausdrücklich vorgesehenen und abschließend formulierten Widmungskategorien zu schaffen (VfSlg. 13.633/1993), es sei denn, das Gesetz ließe dies ausdrücklich zu.

Ob die verkehrsmäßige Erschließung einschließlich der inneren Erschließung für ein bestimmtes Bauvorhaben ausreichend ist, ist nicht schon bei der Erlassung der Freigabeverordnung sondern erst im Baubewilligungsverfahren zu prüfen. Denn die Baubehörde hat im Zuge des Bewilligungsverfahrens gemäß §18 Bgld BauG 1997 die gemäß §3 maßgeblichen baupolizeilichen Interessen zu prüfen und das Ansuchen im Falle ihrer Verletzung abzuweisen. Ein Bauvorhaben ist gemäß §3 Z6 Bgld BauG 1997 insbesondere nur dann zulässig, wenn das Baugrundstück verkehrsmäßig erschlossen und seine Ver- und Entsorgung gewährleistet ist, wobei es der Gemeinde frei steht, die Erschließung im Bebauungsplan zB durch Festlegung des Verlaufs und der Breite der Verkehrsflächen gemäß §22 Abs1 lita Bgld RPlG oder der Lage der Versorgungsleitungen und der Kanalisationsanlagen gemäß §22 Abs2 litd leg. cit. näher zu regeln.

4. Im vorliegenden Fall ist die Erschließung der Grundstücke durch Straßen und Versorgungsleitungen großteils seit über 15 Jahren (Straße, Wasser) sichergestellt. Die Gemeinde hat auch nicht behauptet, dass der Ortskanal erst seit kurzem an den Grundstücken vorbeiführe. Der Verfassungsgerichtshof geht aufgrund der Vorbringen und der vorgelegten Akten davon aus, dass der Verordnungsgeber bereits über einen mehrjährigen Zeitraum Kenntnis von der vollen Erschließung der Grundstücke hatte. Der Gemeinderat war daher nach der bereinigten Rechtslage verpflichtet, durch Verordnung gemäß §20 Abs2 Bgld RPlG festzustellen, dass die Erschließung durch Straßen und Versorgungsleitungen gesichert ist.

Die Verordnung war daher im näher bezeichneten Umfang aufzuheben.

5. Im vorliegenden Fall durfte der Gemeinderat bis zur Aufhebung der näher bezeichneten Wortfolge in §20 Abs2 Bgld RPlG durch das hg. Erkenntnis vom 9. Dezember 2004, G115/04, jedoch davon ausgehen, dass weitere Freigabevoraussetzungen gegeben sein müssen, die seiner Ansicht nach noch nicht erfüllt waren. Da sich die auf die Sicherung der Erschließung eingeschränkte Freigabevoraussetzung erst aus dem aufhebenden Erkenntnis vom 9. Dezember 2004, G115/04, ergibt, sieht sich der Verfassungsgerichtshof veranlasst, gestützt auf Art139 Abs5 letzter Satz B-VG, eine sechsmonatige Frist für das Außerkrafttreten der Kennzeichnung als "Aufschließungsgebiet" zu bestimmen, die es dem Verordnungsgeber ermöglicht, innerhalb des gesetzmäßigen Planungsspielraums weitere Vorkehrungen treffen zu können.

Es steht der Gemeinde dabei frei, zur Sicherung der Erlassung eines Bebauungsplanes oder der Änderung des Flächenwidmungsplanes gemäß §26 Bgld RPlG eine befristete Bausperre zu erlassen. Denn einerseits könnten im Bebauungsplan gemäß §22 Abs1 Bgld RPlG der Verlauf und die Breite der Verkehrsflächen, Straßenfluchtlinien und Baulinien festgelegt werden. Andererseits schließt es §14 Abs2 Bgld RPlG nicht aus, Aufschließungsgebiete unter Normierung konkreter aus der Grundlagenforschung ableitbarer Aufschließungsvoraussetzungen zu kennzeichnen.

6. Die Kundmachungsverpflichtung der Burgenländischen Landesregierung ergibt sich aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §61a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,- und eine Eingabegebühr in der Höhe von € 180,- enthalten. Ein Streitgenossenzuschlag wurde nicht beantragt.

8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Anpassungspflicht (des Normgebers), Baurecht, Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Aufschließungsgebiet, Invalidation, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:V75.2002

Dokumentnummer

JFT_09949698_02V00075_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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