RS Vfgh 2001/11/28 B2271/00

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Veröffentlicht am 28.11.2001
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Index

91 Post-und Fernmeldewesen
91/01 Fernmeldewesen

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
EMRK Art8
DSG §1
DSG 2000 §1
TelekommunikationsG §83 Abs2
TelekommunikationsG §115, §117

Leitsatz

Keine Berufung an den Bundesminister gegen Entscheidungen der Telekom-Control GmbH; Verletzung im Grundrecht auf Datenschutz durch die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete, weitreichende Abfrage von Wirtschaftsdaten einer Gesellschaft für Telekommunikation mangels hinreichender gesetzlicher Grundlage; erhebliches schutzwürdiges Interesse der Beschwerdeführerin an der Geheimhaltung dieser Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse

Rechtssatz

Zulässigkeit der Beschwerde gegen einen Bescheid der Telekom-Control GmbH.

Gegen Bescheide der Telekom-Control GmbH ist keine Berufung an den Bundesminister zulässig (siehe die ausführlichen Literatur- und Judikaturzitate in der Entscheidung). Aufsichts- und Weisungsbefugnisse begründen zwar die verfahrensrechtliche Stellung des Bundesministers als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, ohne daß daraus aber ein Argument für die Zulässigkeit einer Berufung gegen Entscheidungen der Telekom-Control GmbH zu gewinnen ist, zumal angesichts der genannten Vorschriften des TelekommunikationsG über Rechtsmittelzüge (§106 Abs5 Z3 und §115 Abs2) für die Einräumung einer Berufung gegen Entscheidungen der Telekom-Control GmbH eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung erforderlich gewesen wäre.

Das Grundrecht auf Datenschutz verbürgt einen verfassungsrechtlichen Schutz vor Ermittlung personenbezogener Daten, bei denen es sich auch um Wirtschaftsdaten handeln kann.

Die Erhebung von Wirtschaftsdaten, an denen die Wirtschaftssubjekte ein schutzwürdiges Interesse haben, ist gemäß §1 Abs2 DSG iVm Art8 Abs2 EMRK nur zulässig, wenn eine zur Datenerhebung ermächtigende Norm den Informationseingriff gestattet, dieser einem der enumerativ aufgezählten Eingriffsziele dient, auf das Erforderliche beschränkt und einem demokratischen Staat angemessen ist (siehe VfSlg. 12228/1989). Dazu tritt nach dem DSG 2000 noch zusätzlich die Verdeutlichung des Verhältnismäßigkeitsprinzips für die Zulässigkeit gesetzlich vorgesehener Eingriffe einer staatlichen Behörde in das Grundrecht, weil dem letzten Satz des §1 Abs2 DSG 2000 zufolge auch für den Fall an sich gesetzlich zugelassener Beschränkungen der konkrete Eingriff in das Grundrecht unzulässig ist, wenn er nicht in der jeweils gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen wird.

Die Eingriffsgesetze müssen hinreichend konkret, zur Erreichung eines der enumerativ aufgezählten Eingriffsziele erforderlich sein und auf einer zulänglichen Interessenabwägung beruhen. Eine behördliche Anordnung zur Datenerhebung, die sich auf eine diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügende gesetzliche Grundlage beruft, verletzt das Grundrecht auf Datenschutz.

Die mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §83 Abs2 TelekommunikationsG angeordnete, weitreichende Abfrage von Wirtschaftsdaten, losgelöst von konkreten wirtschaftsaufsichtsrechtlichen Verfahren der Regulierungsbehörde gegenüber den Betreibern von Telekommunikationsdiensten bildet einen Eingriff in deren Grundrecht auf Datenschutz, der sich auf keine hinreichende gesetzliche Grundlage stützen kann.

Die beschwerdeführende Partei (eine Gesellschaft für Telekommunikation) hat ein erhebliches schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung der abgefragten Daten, die zu den "strengsten Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen gehören" und bei denen es sich um "Eckdaten (der) Geschäftstätigkeit" handelt.

Es steht dem Gesetzgeber zwar frei, in einer mit dem Grundrecht auf Datenschutz zu vereinbarenden Weise Auskunftspflichten vorzusehen, die im Zuge konkreter Verwaltungsverfahren zur Wettbewerbsregulierung sowie sonstiger, gesetzlich vorgesehener wirtschaftsaufsichtsrechtlicher Maßnahmen erforderlich sind oder die ein Anlaß sein können, ein derartiges Verwaltungsverfahren von Amts wegen einzuleiten.

§83 Abs2 TelekommunikationsG ist jedoch angesichts der Weite seiner Ermächtigung, Auskünfte zu verlangen, kein nach §1 Abs2 DSG 2000 iVm Art8 Abs2 EMRK notwendiges, Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz legitimierendes Gesetz; die Bestimmung bezeichnet für sich genommen nicht ausreichend präzise, also nicht für jedermann vorhersehbar (vgl. EGMR 16.2.2000, Fall Amann, ÖJZ 2001/1, zu Art8 EMRK), unter welchen Voraussetzungen Auskünfte über geschützte Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben erforderlich sind. Es steht auch im Widerspruch zum Grundrecht selbst, §83 Abs2 TelekommunikationsG - wie dies die Behörde im Ergebnis getan hat - dahin auszulegen, daß geschützte Daten gleichsam "auf Vorrat" ohne Zusammenhang mit gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsaufgaben und ohne hinreichende Eingriffsermächtigung von den auskunftspflichtigen Betreibern von Telekommunikationsdiensten unter Strafandrohung abgefragt werden dürfen.

Weder die gesetzliche Ermächtigung der Telekom-Control GmbH, alle organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, um der Telekom-Control-Kommission die Erfüllung ihrer Aufgaben zu ermöglichen, noch deren gesetzliche Geschäftsführungsbefugnis (§109 und §110 Abs2 TelekommunikationsG) vermag Auskunftsrechte der Telekom-Control GmbH für die Kommission zu begründen. Mag auch die Telekom-Control GmbH berufen sein, als administrativer Hilfsapparat für die Telekom-Control-Kommission tätig zu werden, so ist es der Telekom-Control GmbH im Zuge dieser Hilfsdienste gleichwohl verwehrt, im eigenen Namen konkrete rechtliche Anordnungen für die Telekom-Control-Kommission gegenüber Dritten, nämlich den Betreibern der Telekommunikationsdienste zu erlassen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Auskunftspflicht, Instanzenzug, Datenschutz, Fernmelderecht, VfGH / Instanzenzugserschöpfung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B2271.2000

Dokumentnummer

JFR_09988872_00B02271_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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