TE Vfgh Erkenntnis 1980/3/8 B337/76

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Veröffentlicht am 08.03.1980
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
AVG §10 Abs2
AVG §13 Abs3
AVG §66 Abs3
VfGG §15 Abs2
VStG §49 Abs1, §49 Abs3

Leitsatz

AVG 1950; §19 iVm §24 VStG 1950 VStG 1950; Entzug des gesetzlichen Richters durch gesetzwidrige Zurückweisung eines Einspruches gegen eine Strafverfügung

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Über die Beschwerdeführerin J. M. wurde mit Strafverfügung des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 6./7. Bezirk, vom 14. Mai 1975 gem. §367 GewO 1973 eine Geldstrafe (Ersatzarreststrafe) verhängt. Ihr lag zur Last, sie habe als satzungsgemäß zur Vertretung nach außen berufenes Organ (§9 VStG 1950) zu verantworten, daß die "M. KG, Bau- und Möbeltischlerei" in der Zeit vom 23. Jänner 1972 bis 26. April 1975 in Wien, B-gasse, 1. das Tischlergewerbe und 2. den Kleinhandel mit Möbeln ausübte, ohne daß der Gewerbebehörde die Bestellung eines Geschäftsführers angezeigt wurde; die Beschwerdeführerin habe dadurch je eine Verwaltungsübertretung nach §39 Abs4 iVm §367 Z1 GewO 1973 begangen. Die Strafverfügung wurde an die Beschwerdeführerin adressiert und ihr zu eigenen Handen zugestellt.

Gegen diese Strafverfügung erhob ein Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 22. Mai 1975 "namens J. M." fristgerecht Einspruch; er bezog sich darin auf eine "zu MBA 6/7 Gew. 18.186/3/72 erliegende, (ihm) von ... J. M. erteilte Vollmacht". Es handelte sich dabei um eine ua. von J. M. am 1. September 1972 schriftlich ausgestellte allgemeine und unbeschränkte Vollmacht, die der Anwalt als Machthaber dem Magistratischen Bezirksamt für den 6./7. Bezirk am 5. September 1972 in einem die "M. KG, Bau- und Möbeltischlerei" betreffenden gewerbebehördlichen Verfahren nach §56 Abs4 und 7 GewO 1859 vorgelegt hatte.

Das Magistratische Bezirksamt forderte daraufhin mit Verfahrensanordnung vom 17. Juni 1975 den Rechtsanwalt zur Nachreichung einer Vollmacht der J. M. im Verwaltungsstrafverfahren binnen acht Tagen auf und fügte hinzu, daß der Einspruch gegen die Strafverfügung nach fruchtlosem Ablauf der gesetzten Frist gem. §13 Abs3 AVG 1950 nicht mehr berücksichtigt werde.

Mit Bescheid vom 8. Juli 1975 wies das Magistratische Bezirksamt den in Rede stehenden Einspruch gem. §13 Abs3 AVG 1950 zurück, weil die Frist zur Nachbringung der Vollmacht ungenützt verstrichen sei. Der Bescheid wurde an den Rechtsanwalt adressiert und ihm zu eigenen Handen zugestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Rechtsanwalt "für J. M." das Rechtsmittel der Berufung. Der erstinstanzliche Bescheid wurde vom Landeshauptmann von Wien mit Berufungsbescheid vom 14. Juni 1976, MA 63-M 17/Str. - der eingangs die Bezeichnung "Amt der Wiener Landesregierung, mittelbare Bundesverwaltung" trägt -, gem. §66 Abs4 AVG 1950 bestätigt.

In der Begründung dieses Bescheides wurde - sinngemäß zusammengefaßt - ausgeführt, es treffe zu, daß der im Strafverfahren als Vertreter einschreitende Rechtsanwalt am 5. September 1972 bei der Gewerbebehörde ein Schreiben überreicht habe, dem eine Vollmacht der J. M. angeschlossen gewesen sei. Diese allgemeine Anwaltsvollmacht im Gewerbeverfahren berechtige die Behörde jedoch nicht, eine Bevollmächtigung auch für das Strafverfahren anzunehmen, selbst wenn es sich - wie hier - auf die Ausübung desselben Gewerbes beziehe, sofern nicht feststehe, daß der Vollmachtgeber den Anwalt ausdrücklich auch mit der Vertretung im Strafverfahren beauftragt habe, wie aus dem Erk. des VfGH vom 23. Juni 1971, B72/71, richtig:

B52/71, VfSlg. 6474/1971, hervorgehe. Da der Einschreiter einen solchen Nachweis nicht erbracht habe, sei die Behörde erster Instanz zu Recht mit der Zurückweisung des Einspruchs vorgegangen.

2. In der vorliegenden, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den VfGH, in der die Beschwerdeführerin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), auf Unverletzlichkeit des Eigentums (Art5 StGG) und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG) behauptet, scheinen einleitend die beiden Bescheide - des "Magistratischen Bezirksamtes" und des "Amtes der Wiener Landesregierung" - als angefochten auf, doch wird abschließend die kostenpflichtige Aufhebung "des in Beschwerde gezogenen Bescheides", ferner allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt, wobei die "Wiener Landesregierung, mittelbare Bundesverwaltung" als "Beschwerdegegnerin" angeführt ist.

Der Landeshauptmann von Wien legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Aus Art144 Abs1 B-VG und §82 VerfGG 1953 folgt, daß Gegenstand einer Beschwerde an den VfGH nur ein in letzter Instanz ergangener Bescheid, nicht aber der Bescheid einer Unterinstanz sein kann (vgl. VfSlg. 6925/1972, 7553/1975 ua.). Der VfGH deutet den Umstand, daß die vorliegende Beschwerde zwar zunächst die Bescheide beider Verwaltungsinstanzen als bekämpft bezeichnet, ihren abschließenden "Beschwerdeantrag" (auf Bescheidaufhebung, in eventu Abtretung der Sache an den VwGH) jedoch ausdrücklich auf "den in Beschwerde gezogenen Bescheid" beschränkt, insgesamt dahin, daß in Wahrheit bloß der letztinstanzliche Bescheid mit Beschwerde gem. Art144 Abs1 B-VG angefochten wurde. Bei anderer Wertung hätte die Beschwerde gegen den Bescheid der Unterinstanz wegen Nichtzuständigkeit des VfGH zurückgewiesen werden müssen (vgl. VfSlg. 6513/1971).

Im gegebenen Zusammenhang beurteilt der VfGH aber auch die schon erwähnte Benennung der "Wiener Landesregierung, mittelbare Bundesverwaltung" als "Beschwerdegegnerin" als einen bei Abfassung der Beschwerdeschrift unterlaufenen Flüchtigkeitsfehler: Der angefochtene Bescheid wurde unter der Kopfbezeichnung "Amt der Wiener Landesregierung, mittelbare Bundesverwaltung" ausgefertigt und "für den Landeshauptmann" von einem Beamten (laut Beglaubigung der Kanzlei) unterfertigt.

2. Der angefochtene Bescheid ist - ebenso wie der erstinstanzliche Bescheid - nicht an die Beschwerdeführerin, sondern an den für sie einschreitenden Rechtsanwalt adressiert.

Die Behörde mußte die Frage entscheiden, ob der Rechtsanwalt die Beschwerdeführerin im Verwaltungsstrafverfahren bei Erhebung des Einspruchs gem. §49 Abs1 VStG 1950 rechtswirksam vertreten hatte. Von der Rechtsauffassung ausgehend, der Anwalt habe sich nicht - iS des §10 AVG 1950 - durch eine ihm für dieses Strafverfahren erteilte Vollmacht ausgewiesen, erließ sie in Anwendung des §13 Abs3 AVG 1950 einen Mängelbehebungsauftrag und wies den namens der Beschwerdeführerin erhobenen Einspruch nach fruchtlosem Ablauf der Mängelbehebungsfrist zurück.

Die Beschwerdeführerin ist berechtigt, gegen den nicht an sie, sondern an ihren Anwalt adressierten Berufungsbescheid Beschwerde an den VfGH zu erheben. Sie brachte durch die Beschwerdeerhebung zum Ausdruck, daß der Rechtsanwalt im Verwaltungsstrafverfahren als ihr Bevollmächtigter einschritt, und sanierte damit einen allfälligen Mangel des Nachweises der Vollmachterteilung (vgl. dazu die in den Erk. des VwGH VwSlg. 1594 A/1950 und vom 30. 6. 1976 Z 1523/75 dargelegte Rechtsauffassung, der sich der VfGH anschließt).

Die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Beantwortung der Frage, ob der einschreitende Rechtsanwalt sich der Behörde gegenüber als Vertreter auswies, berührt schon wegen der Befristung des Einspruchsrechts gem. §49 Abs1 VStG 1950 unmittelbar die Rechtssphäre der Beschwerdeführerin: Wenn die Behörde den Nachweis der Vertretungsbefugnis zu Recht verneinte, wurde der vom Rechtsanwalt im Strafverfahren eingebrachte Einspruch rechtmäßig zurückgewiesen; in diesem Fall stünde gem. §49 Abs3 VStG 1950 die Strafverfügung in Kraft, die Einleitung des ordentlichen Verfahrens wäre zu Recht unterblieben. Verneinte dagegen die Behörde den Nachweis der Vertretungsbefugnis zu Unrecht, wurde der besagte Einspruch rechtswidrig zurückgewiesen; in diesem Falle wäre gem. §49 Abs3 VStG 1950 die Strafverfügung außer Kraft getreten und das ordentliche Verfahren einzuleiten.

Die Prozeßvoraussetzungen sind somit gegeben.

3. Gem. dem - nach §24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren geltenden - §10 AVG 1950 war die Beschwerdeführerin berechtigt, sich bei Erhebung des Einspruchs gegen die an sie gerichtete Strafverfügung von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen, der sich - da hier der im Gesetz gleichermaßen vorgesehene Fall mündlicher Vollmachtserteilung vor der Behörde ausscheidet - durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen hatte.

Die belangte Behörde behauptete gar nicht, es sei dem Magistratischen Bezirksamt unzumutbar oder aus anderen Gründen verwehrt gewesen, die vom Machthaber im dort anhängigen gewerbebehördlichen Verfahren bereits beigebrachte schriftliche (allgemeine und unbeschränkte) Vollmacht, ausgestellt ua. von J. M., einzusehen und zu beachten. Sie ging vielmehr ersichtlich selbst davon aus, daß diese Vollmacht im Verwaltungsstrafverfahren ohne weiteres greifbar war und zur Verfügung stand, und zog auch die Mitteilung des Rechtsanwaltes im Schreiben vom 22. Mai 1975 über die Fortdauer des Vertretungsverhältnisses in keiner Weise in Zweifel. Die belangte Behörde hielt eine Bevollmächtigung des Anwalts im Verwaltungsstrafverfahren - ungeachtet der mit Schriftsatz vom 22. Mai 1975 erklärten (abermaligen) Inanspruchnahme der schon aufliegenden schriftlichen Vollmacht - lediglich deshalb für nicht ausgewiesen, weil nicht festgestanden sei, daß die Vollmachtgeberin den Machthaber ausdrücklich mit ihrer Vertretung auch im Strafverfahren beauftragt habe, und berief sich zur Stützung dieser ihrer Rechtsmeinung auf das Erk. des VfGH VfSlg. 6474/1971.

Dies jedoch zu Unrecht; denn in dem zitierten Erk. wird - im Anschluß an das Erk. des VwGH VwSlg. 3726 A/1955 - ausgeführt, die Behörde sei nicht befugt, den Machtgeber, auch wenn der Gewalthaber in einer Rechtssache eine allgemeine Vollmacht gelegt habe, im Verfahren über andere, bereits schwebende oder erst später anhängig werdende Rechtsangelegenheiten ebenfalls als durch den einmal ausgewiesenen Gewalthaber vertreten zu behandeln, es sei denn, daß die Partei ihren Willen, sich auch in allen weiteren Rechtssachen eben dieses Vertreters zu bedienen, unmißverständlich zu erkennen gebe; die Tatsache allein, daß in der einen Rechtssache eine (allgemeine) Vollmacht vorgelegt worden sei, reiche hiezu nicht aus. Damit wird - zusammenfassend - aber nichts anderes gesagt, als daß die Entscheidung, ob von einer schon beigebrachten Vollmacht weiterhin Gebrauch zu machen ist, stets der Partei und ihrem Vertreter überlassen bleiben muß und keinesfalls der Behörde obliegt. Die im konkreten Fall von der belangten Behörde aus dem Erk. VfSlg. 6474/1971 ersichtlich gezogene Schlußfolgerung, es hätte noch eines auf die Partei selbst zurückzuführenden besonderen Aktes bedurft, der die Bevollmächtigung des einschreitenden Rechtsanwaltes gerade für das Verwaltungsstrafverfahren zum Ausdruck bringe, ist verfehlt und aus dem bezogenen Vorerkenntnis des VfGH nicht ableitbar. Genug daran, daß die Partei sich hier durch ihren bevollmächtigten Rechtsanwalt in ihrem bereits erwähnten, der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz zugegangenen Schreiben vom 22. Mai 1975 auf die im gewerberechtlichen Verfahren beigebrachte und zur Verfügung stehende (allgemeine und unbeschränkte) Vollmacht ausdrücklich berief. Damit wurde dem im Erk. VfSlg. 6474/1971 vertretenen Rechtsstandpunkt, an dem der VfGH festhält, der Auffassung der belangten Behörde zuwider durchaus voll entsprochen; denn in der bezeichneten, der Behörde erster Instanz zugemittelten Erklärung des Machthabers vom 22. Mai 1975 liegt jedenfalls die im zitierten Erk. des VfGH vorausgesetzte - zur Vollmachtsvorlage in einem anderen Verwaltungsverfahren hinzutretende - unmißverständliche Willensbekundung der Partei, daß die Bevollmächtigung nicht nur für dieses - andere - Verfahren, sondern auch für das Verwaltungsstrafverfahren gelten solle.

4. Bei dieser Sach- und Rechtslage hätte daher die eingangs angeführte Verfahrensanordnung zur Mängelbehebung gem. §13 Abs3 (§10 Abs2) AVG 1950 nicht erlassen werden dürfen. Die Behörde erster Instanz hätte vielmehr aufgrund des von der Beschwerdeführerin aus den dargelegten Erwägungen rechtswirksam ergriffenen Einspruchs gegen die Strafverfügung gem. §49 Abs3 VStG 1950 das ordentliche Verfahren einleiten müssen; sie wies folglich den Einspruch der Beschwerdeführerin zu Unrecht zurück. Diese Zurückweisung wurde mit dem vor dem VfGH angefochtenen Bescheid der Berufungsbehörde rechtswidrigerweise bestätigt, wobei dieser - verfahrensrechtliche - Bescheid so zu werten ist, als ob die Berufungsinstanz einen mit dem erstinstanzlichen Bescheid übereinstimmenden neuen Bescheid erlassen hätte (vgl. VfSlg. 8098/1977 ua.).

Durch die in der Zurückweisung des Einspruchs gelegene unrechtmäßige Verweigerung der Einleitung des ordentlichen Verfahrens wurde die Beschwerdeführerin, wie sie zutreffend rügt, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb als verfassungswidrig aufzuheben, ohne daß auf das übrige Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, VfGH / Instanzenzugserschöpfung, Verwaltungsverfahren, Vertreter (Verwaltungsverfahren), Vollmacht, Verwaltungsstrafrecht, Strafverfügung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B337.1976

Dokumentnummer

JFT_10199692_76B00337_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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