TE Vfgh Erkenntnis 1981/10/23 B118/79

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Veröffentlicht am 23.10.1981
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Index

96 Straßenbau
96/01 Bundesstraßengesetz 1971

Norm

B-VG Art83 Abs2
StGG Art5
ABGB §474
ABGB §477 Z1
ABGB §481 Abs1
BStG 1971 §17
BStG 1971 §18 Abs2
WRG 1959 §31a
WRG 1959 §38
EisenbahnenteignungsG §4 Abs2

Leitsatz

Bundesstraßengesetz 1971; keine Bedenken gegen §18 Abs2; keine Parteistellung eines obligatorisch Anspruchsberechtigten im Enteignungsverfahren; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit Bescheid vom 21. März 1978 nahm der Landeshauptmann von OÖ als Bundesstraßenbehörde ua. Grundstücke bzw. Grundstücksteile aus den im Eigentum der Stadtgemeinde Linz bzw. der Chemie Linz AG stehenden Liegenschaften EZ 541 und EZ 30, beide KG Lustenau, für Zwecke des Ausbaues der B 3 Donau Straße im Wege der Enteignung in Anspruch. Im Spruch des zitierten Enteignungsbescheides heißt es ua., daß gemäß §17 und §20 Abs1 Bundesstraßengesetz 1971, BGBl. 286 (künftig: BStG 1971), iVm den einschlägigen Bestimmungen des Eisenbahnenteignungsgesetzes 1954, BGBl. 71 (künftig: EEG 1954), das dauernde und lastenfreie Eigentum an den angeführten Grundstücken bzw. Grundstücksteilen einschließlich "des darauf befindlichen Bewuchses und der darauf befindlichen baulichen Anlagen, unbeschadet der genauen Vermessung in der Natur für die Republik Österreich, Bundesstraßenverwaltung im Wege der Enteignung nach Maßgabe der bei der mündlichen Verhandlung vorgelegten Planungsunterlagen in Anspruch genommen" werden.

2. In der gegen diesen Bescheid von der Beschwerdeführerin erhobenen Berufung begehrte sie, den angefochtenen Bescheid in dem Umfang zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde I. Instanz zu verweisen, als dieser auch die Enteignung der auf Teilen der enteigneten Grundstücke liegenden Wasserversorgungsleitung der Beschwerdeführerin zum Gegenstand habe. Die Beschwerdeführerin habe schon bei der Enteignungsverhandlung darauf hingewiesen, daß sich auf den enteigneten Grundstücksflächen die Wasserhauptleitung NW 400 befinde. Als Rechtstitel für den ungestörten Besitz an dieser Leitung habe sie sich auf einen Bescheid des Landeshauptmannes von OÖ vom 6. November 1972 sowie eine Dienstbarkeitsvereinbarung mit den seinerzeitigen Grundstückseigentümern berufen. Obwohl für die notwendig werdende Leitungsverlegung ein Entschädigungsübereinkommen nicht zustande gekommen sei, werde durch den mit der Berufung bekämpften Bescheid eine lastenfreie Enteignung der Grundstücke einschließlich der darauf befindlichen baulichen Anlagen, jedoch ohne Abspruch über die Entschädigungsansprüche der Beschwerdeführerin verfügt, womit deren Recht auf den ungestörten Bestand und Betrieb der Wasserleitung entschädigungslos enteignet worden sei.

3. Mit Bescheid des Bundesministers für Bauten und Technik vom 25. Jänner 1979, Z 890707/1-III/9-79, wurde diese Berufung gemäß §66 Abs4 AVG 1950 iVm §18 Abs, 1 und 2 BStG 1971 als unzulässig zurückgewiesen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, §18 BStG 1971 sei entsprechend dem §4 Abs2 EEG dahin gehend einschränkend auszulegen, daß die Stellung eines Enteigneten und somit einer Partei im Enteignungsverfahren nur demjenigen zukomme, dem der Gegenstand der Enteignung gehöre oder dem an einem Gegenstand der Enteignung ein mit dem Eigentum eines anderen Gegenstandes verbundenes dingliches Recht zustehe. Diese Voraussetzung werde von der Beschwerdeführerin nicht erfüllt, weil das ihr zustehende Leitungsrecht mangels grundbücherlicher Eintragung nicht gegen jedermann wirksam geworden sei und es sich auch nicht um Rechte handle, die an das Eigentum eines anderen - nicht in Enteignung gezogenen - Grundstückes geknüpft seien. Da es sich nicht um dingliche Rechte handle, sondern lediglich um solche, die der Beschwerdeführerin auf Grund vorheriger Vereinbarungen von den Grundeigentümern eingeräumt worden seien, sei sie mit ihren Ansprüchen gemäß §20 Abs5 BStG 1971 auf die dem Liegenschaftseigentümer zugesprochene Entschädigung zu verweisen.

Soweit sich die Beschwerdeführerin in der Berufung darauf berufen habe, daß als Rechtstitel für den ungestörten Besitzstand der betroffenen Leitung der Bescheid des Landeshauptmannes von OÖ vom 6. November 1972 anzusehen sei, wird vom Bundesminister darauf verwiesen, daß mit dem zitierten Bescheid der Beschwerdeführerin lediglich vom wasserrechtlichen Standpunkt aus die Bewilligung erteilt wurde, den Wasserleitungsstrang zu errichten und zu betreiben; eine Bestimmung des Inhaltes, daß der ungestörte Besitzstand an dieser Leitung sichergestellt werde, sei dem genannten Bescheid nicht zu entnehmen, eine solche Bestimmung würde auch im Wasserrecht keine Grundlage finden.

4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, durch den angefochtenen Bescheid, mit dem ihre Berufung infolge Verneinung ihrer Parteistellung zurückgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein. Gemäß §18 Abs2 BStG 1971 sei als Enteigneter derjenige anzusehen, welchem der Gegenstand der Enteignung gehört oder ein dingliches Recht zusteht. Die Parteistellung der Beschwerdeführerin ergebe sich nicht bloß aus dem Umstand, daß ihr zustehende Leitungsrechte enteignet wurden, sondern auch daraus, daß mit dem Enteignungsbescheid sämtliche auf der Liegenschaft befindlichen "Anlagen" im Wege der Enteignung in Anspruch genommen worden seien. Die dinglichen Rechte der Beschwerdeführerin beschränkten sich aber nicht nur auf das bloße Leitungsrecht, sondern umfaßten auch die in die Grundstücke eingebrachten Wasserleitungen, die - als selbständiger Bestandteil der Liegenschaften - sonderrechtsfähig und im Eigentum der Beschwerdeführerin verblieben seien. Verfehlt sei die Ansicht der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführerin Parteistellung deshalb nicht zukomme, weil es sich bei den von ihr geltend gemachten Rechten nicht um solche handle, die an das Eigentum eines anderen - nicht in Enteignung gezogenen - Grundstückes geknüpft seien. Damit werde von der belangten Behörde §4 Abs2 EEG, auf welchen die einschränkende Interpretation des §18 Abs2 BStG 1971 gestützt werde, verfehlt ausgelegt, da es dort wörtlich heiße, daß als Enteigneter jeder anzusehen sei, dem der Gegenstand der Enteignung gehört oder dem an einem Gegenstand der Enteignung eine mit dem Eigentum des anderen Gegenstandes - und nicht Grundstückes - verbundenes dingliches Recht zusteht. Soweit die belangte Behörde ihr Recht an sich darauf stützt, daß das Leitungsrecht der Beschwerdeführerin mangels grundbücherlicher Eintragung nicht gegen jedermann wirksam geworden sei und demnach nicht als dingliches Recht angesehen werden könne, sei nicht einzusehen, wieso im Verhältnis zwischen Besteller der Dienstbarkeit und Dienstbarkeitsberechtigtem die dingliche Wirkung nicht schon mit der Vertragsunterfertigung oder dem Abschluß einer Vereinbarung eintrete, wenn doch auch ungeachtet fehlender bücherlicher Einverleibung eine Dienstbarkeit allen gegenüber entstehe, wenn sie offenkundig oder dem Erwerber bekannt sei. Folge man den Überlegungen, wie sie von der Lehre angestellt werden und aus den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes hervorgehen, dann führe dies dazu, daß die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Rechte als dingliche Rechte iS des §18 BStG 1971 anzusehen seien.

2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird nach der Rechtsprechung des VfGH insbesondere dann verletzt, wenn die Verweigerung einer Sachentscheidung durch die Zurückweisung einer verfahrensrechtlich zulässigen Berufung (vgl. VfSlg. 4021/1961, 5230/1966, 5448/1967) aus dem Grund erfolgt, daß die Unzulässigkeit der Berufung zu Unrecht mit dem Mangel der Parteistellung des Berufungswerbers begründet ist (VfSlg. 6216/1970 und die dort zitierte Vorjudikatur). Der Gerichtshof hatte daher zu prüfen, ob der Beschwerdeführerin die Parteistellung zu Recht verweigert wurde.

Gemäß §17 BStG 1971 kann für die Herstellung von Bundesstraßen samt den dazugehörigen baulichen Anlagen sowie aus Verkehrsrücksichten das Eigentum an Liegenschaften, die dauernde oder zeitweilige Einräumung, Einschränkung und Aufhebung von dinglichen Rechten an solchen im Wege der Enteignung in Anspruch genommen werden. Das gleiche gilt für Baulichkeiten und sonstige Anlagen, deren Entfernung sich aus Gründen der Verkehrssicherheit als notwendig erweist.

Dabei gilt als Enteigneter gemäß §18 Abs2 BStG 1971 derjenige, welchem der Gegenstand der Enteignung gehört oder dem ein dingliches Recht zusteht.

Wie die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes in übereinstimmender und ständiger Rechtsprechung erkannt haben, bewirkt diese Rechtslage, daß Partei im Enteignungsverfahren jeder ist, dem der Gegenstand der Enteignung gehört oder dem an einem Gegenstand der Enteignung - hiebei muß es sich entgegen der Ansicht der belangten Behörde keineswegs um ein Grundstück handeln - ein dingliches Recht zusteht. Nur gegen diese Personen richtet sich das Enteignungsverfahren (vgl. VfSlg. 5271/1966, 7810/1976, VfSlg. 8620/1979, und zuletzt 9094/1981; VwGH 24. 2. 1960, Z 2639/59, VwSlg. 9341 A/1977).

Daß gegen die den Bescheid als wesentliche Rechtsgrundlage tragende Bestimmung des §18 Abs2 BStG 1971 verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen, hat der VfGH mit dem - soeben zitierten - Erk. VfSlg. 9094/1981 damit begründet, daß der Enteignungsbescheid nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes wohl auch in das Recht des Bestandnehmers eines enteigneten Grundstückes eingreift, da der Enteignungswerber originäres Eigentum erlangt, sodaß obligatorische Rechte Dritter erlöschen, es aber dem Gesetzgeber freistehe, an die bloß schuldrechtliche - also relative - Natur des Bestandrechtes anzuknüpfen und die Benützung der Sache durch den Bestandnehmer im Rahmen des Verfahrens gegen den durch den Bestandvertrag zur Wahrung der Interessen des Eigentümers zu verbinden. Der VfGH hat aus gleichen Erwägungen auch aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles, bei dem es sich nicht um ein Bestandrecht, sondern um eine nicht verbücherte und damit nur obligatorisch wirksame Dienstbarkeit handelt, ebenfalls keine Bedenken gegen §18 Abs2 BStG 1971.

Da der Beschwerdeführerin mangels grundbücherlicher Eintragung der ihr zustehenden Leitungsrechte nur obligatorische Ansprüche zustanden, ergibt sich, daß ihre Parteistellung auf Grund der - unbedenklichen - Bestimmung des §18 Abs2 BStG 1971 zu Recht verneint wurde. Ohne rechtliche Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, daß sich ein Dritter bei Erwerbung einer Liegenschaft, die mit einer nichtverbücherten Dienstbarkeit belastet ist, auf den Schutz des guten Glaubens nach dem Grundbuchsrecht nicht (mehr) berufen kann, wenn er vom Bestand einer, wenn auch bloß schuldrechtlich wirksamen, Dienstbarkeit Kenntnis hat (vgl. hiezu u. SZ 23/225, 23/287, 39/146). Daß einer nichtverbücherten Dienstbarkeit dann gegen den Erwerber einer Liegenschaft Wirksamkeit zukommt, wenn er sie - gleichgültig ob infolge Offenkundigkeit oder aus anderen Gründen - kannte, bedeutet nämlich keineswegs, daß eine bloß schuldrechtlich verbindliche Dienstbarkeit damit gegenüber dem Dritten wirksam, also verdinglicht würde.

Die Ausführungen der Beschwerdeführerin vermögen somit nicht zu erweisen, daß dem geltend gemachten Leitungsrecht, das unbestrittenermaßen nicht verbüchert war, nicht nur schuldrechtliche, sondern auch dingliche Wirksamkeit zukam.

Soweit sich die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang weiters darauf beruft, daß ihr zustehende Leitungsrechte im Enteignungsverfahren beachtlich gewesen wären, weil ihr diese auf Grund des wasserrechtlichen Genehmigungsbescheides vom 6. November 1972 zustünden, ist ihre Ansicht schon deshalb verfehlt, weil mit diesem Bescheid - wie sich aus dessen Wortlaut auch eindeutig ergibt - lediglich die öffentlich-rechtliche Bewilligung zur Errichtung und zum Betrieb des Wasserleitungsstranges "Linz-Oststrang" erteilt wurde. Private Rechte, die Gegenstand einer Enteignung sein könnten, wurden durch die Erteilung der wasserrechtlichen Genehmigung nicht begründet und können aus dieser auch nicht abgeleitet werden.

Der Beschwerdeführerin kann aber auch nicht gefolgt werden, wenn sie geltend macht, daß die von ihr in Ausübung der Leitungsrechte in die Grundstücke eingebrachten Wasserleitungen, die als selbständiger Bestandteil der Liegenschaft in ihrem Eigentum verblieben seien, durch den in Frage stehenden Enteignungsbescheid im Wege der Enteignung in Anspruch genommen worden seien. Im vorliegenden Fall war der Enteignungsantrag vom 19. Jänner 1978 nur auf die Enteignung der für den Ausbau der Bundesstraße B 3 erforderlichen Grundflächen und alle auf diesen lastenden Dienstbarkeiten gerichtet. Die in die Grundstücke eingebrachten Wasserleitungen der Beschwerdeführerin waren somit offensichtlich kein Gegenstand des Enteignungsbegehrens. Die Wasserleitungen waren auch, wie sich aus der Niederschrift über die mündliche Enteignungsverhandlung ergibt, auf deren Ergebnisse der Enteignungsbescheid ausdrücklich Bezug nimmt, kein Gegenstand förmlicher Schätzungen oder sonstiger verfahrensmäßiger Erörterungen. Bei den von der Beschwerdeführerin in die Grundstücke eingebrachten Wasserleitungen handelt es sich somit nicht um bauliche Anlagen, die durch den Enteignungsbescheid vom 21. März 1978 für die Republik Österreich, Bundesstraßenverwaltung in Anspruch genommen wurden.

Der Beschwerdeführerin ist somit auch insofern Parteistellung im Enteignungsverfahren nicht zugekommen.

3. Die belangte Behörde hat daher die Berufung der Beschwerdeführerin mangels Parteistellung zu Recht zurückgewiesen. Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter liegt somit nicht vor.

Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der die angefochtene Entscheidung auch sonst tragenden Rechtsvorschriften ist ausgeschlossen, daß die Beschwerdeführerin in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Parteistellung Straßenverwaltung, Parteibegriff, Straßenverwaltung, Enteignung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1981:B118.1979

Dokumentnummer

JFT_10188977_79B00118_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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