TE Vfgh Erkenntnis 1983/12/15 B309/80

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Veröffentlicht am 15.12.1983
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Index

81 Wasserrecht, Wasserbauten
81/01 Wasserrechtsgesetz 1959

Norm

B-VG Art83 Abs2
WRG 1959 §74
WRG 1959 §77 Abs5
WRG 1959 §83
WRG 1934, BGBl II 316/1934 §124
WRG 1959 §141

Leitsatz

WRG 1959; Genehmigung einer Abänderung der Statuten einer Genossenschaft nach §§74 und 77 Abs5 ohne Vorliegen des erforderlichen Mehrheitsbeschlusses; Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Der Bescheid wird aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem Bescheid des Landeshauptmannes von Sbg. vom 11. Juli 1979 wurden "gemäß §§99 Abs1 lita, 74 und 77 Abs5 des Wasserrechtsgesetzes 1959, BGBl. Nr. 215, idF des Nov., BGBl. Nr. 207/1969 - WRG 1959 - ... die von der Genossenschaftsversammlung der Wassergenossenschaft B am 2. April 1977 und am 21. April 1979 beschlossene Anpassung der Satzungen an das WRG 1959 sowie der neue Aufteilungsschlüssel wasserrechtsbehördlich anerkannt."

Dem Bescheid angeschlossen war eine Fassung der "Satzungen für die Wassergenossenschaft B", die "aufgrund freier Vereinbarung der Beteiligten nach den einschlägigen Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes gebildet" und deren Sitz in B, Gemeinde B, ist, und die die Herstellung und Erhaltung der Gasteiner Ache vom Oberbankhaus in B bis zum sogenannten Sackzieherbühel bzw. Anlaufbach bis zur Eisenbahnbrücke bezweckt (§1).

Nach dem mit "Mitgliedschaft" überschriebenen §3 sind

"Mitglieder der Genossenschaft ... die der Genossenschaft freiwillig beigetretenen oder durch Bescheid der Wasserrechtsbehörde zum Beitritt verpflichteten jeweiligen Eigentümer der in die Genossenschaft einbezogenen, im Anhang zu diesen Satzungen verzeichneten Grundstücke oder Anlagen; der Anhang stellt einen wesentlichen Satzungsbestandteil dar".

In diesem Anhang befindet sich eine planliche Darstellung des Einzugsgebietes der Wassergenossenschaft B, zu dem ua. die Grundparzelle 348/20 mit der Bauparzelle 411 KG B und die Grundparzelle 348/52 KG B gehören.

In dem anliegenden Verzeichnis der Grundstücke scheint unter "Laufende Nr. 9" der Bf. A B als Hälfteeigentümer der GP 348/20 und BP 411 KG B mit 4987 Beitragseinheiten auf. Unter "Laufende Nr. 109" ist als Eigentümer der GP 348/52 zu 1913/3125 Anteilen L M (mit 520 Beitragseinheiten) angeführt. Diese Anteile wurden vom Bf. Dr. H S erworben, sodaß der Genannte im Zeitpunkt der Erlassung dieses angefochtenen Bescheides außerbücherlicher Eigentümer zu den angeführten Anteilen des genannten Grundstückes war.

2. Gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Sbg. vom 11. Juli 1979 haben (neben anderen Parteien) die Bf. Berufung erhoben. In der Berufung brachte A B vor, daß er nicht Mitglied der Wassergenossenschaft sei. Diese sei lange Zeit untätig geblieben. Die Erhaltung des Achenbachbettes sei Angelegenheit der Behörde und nicht der Wassergenossenschaft.

Der Bf. Dr. H S begründete sein Vorbringen damit, daß die Generalversammlung vom 2. April 1977 von jemandem einberufen worden sei, der dazu nichtbefugt gewesen sei.

Den gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Sbg. vom 11. Juli 1979 erhobenen Berufungen wurde mit dem Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 13. Mai 1980 gemäß §66 AVG 1950 keine Folge gegeben.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde. In dieser heißt es unter der Überschrift "Verletztes Recht":

"Art4 Menschenrechtskonvention Abs2 (Verpflichtung zur Zwangsarbeit durch Teilnahme an in den Statuten der Wassergenossenschaft B vorgesehenen Verpflichtungen der Mitglieder);

Art6 MRK (Verletzung des Grundsatzes des 'fair trial');

Art11 MRK (Rechtswidrige Zwangsmitgliedschaft bei einer Körperschaft öffentlichen Rechts);

Art1 des Zusatzprotokolls der MRK (Verletzung des Eigentumsrechtes);

Art2 (Bevorzugung einer juristischen Person bzw. eines Personenkreises zum Nachteil der Bf.)

Art4, Art5, Art6 (Einschränkung in der Liegenschaftsverfügung) Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 RGBl. Nr. 142".

Es wird die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. a) Von den Bf. wird der rechtliche Bestand einer Wassergenossenschaft B bestritten.

b) Es trifft - wie sich aus mehreren im vorgelegten Verwaltungsakt vorhandenen Unterlagen ergibt - zu, daß sowohl die Verwaltungsakten als auch die Akten der Wassergenossenschaft B selbst über ihre Gründung in Verlust geraten sind. Auch die vor der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides (I.1.) angestellten Erhebungen über das Vorhandensein eines Aktenvorganges über die Gründung dieser Wassergenossenschaft sind ohne Erfolg geblieben.

Vorhanden ist aber die Abschrift von "Statuten für die Wassergenossenschaft zur Ausführung von Schutz- und Regulierungsarbeiten an der Böcksteiner-Ache der Gemeinde W".

Diese Statuten tragen folgenden Vermerk:

"ad Nr. 2749.

Vorstehende Statuten werden gemäß §60 des Landesgesetzes vom 28. August 1870 über die Leitung und Abwehr der Gewässer amtlich bestätigt.

St. J i. P am 8. März 1889

Der k. k. Bezirkshauptmann: Hellriegl m. p.

L. S."

Sowohl im Hinblick auf den Inhalt dieser Statuten, der dem vierten Abschnitt "Von den Wassergenossenschaften" des Gesetzes vom 28. August 1870, über Benützung, Leitung und Abwehr der Gewässer (Nr. 32 des XXI. Stückes der "Gesetze und Verordnungen für das Herzogthum Salzburg", Jahrgang 1870) entspricht, als auch im Hinblick auf den angebrachten Vermerk über die Genehmigung der Statuten der Wassergenossenschaft B hat der VfGH keinen Grund zu bezweifeln, daß durch den angeführten Verwaltungsakt der BH St. Johann i. Pg. die rechtliche Existenz der Wassergenossenschaft B begründet wurde.

Aufgrund der in den vorgelegten Verwaltungsakten vorhandenen Unterlagen über die Tätigkeit der Wassergenossenschaft B hat der VfGH auch keinen Anlaß, den Bestand dieser Genossenschaft bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Wasserrechtsgesetzes 1934 (BGBl. II 316/1934) zu bezweifeln.

Dieses Gesetz ist nach §124 vom Weiterbestand der nach den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen gebildeten Wassergenossenschaft ausgegangen.

Am Weiterbestand der Genossenschaft hat auch die Neufassung des §124 durch ArtI Z58 der Wasserrechtsnov. 1959, BGBl. 54/1959, nichts geändert. (§124 WRG in der novellierten Fassung hat nach der durch die Kundmachung BGBl. 215/1959 erfolgten Wiederverlautbarung - Wasserrechtsgesetz 1959 - WRG 1959 - die Paragraphenbezeichnung "§141" erhalten.)

Nach §83 WRG 1959 bedarf die Auflösung einer Wassergenossenschaft eines Ausspruches der Behörde. Daß ein solcher Ausspruch ergangen sei, wird von den Bf. nicht behauptet. Ein sonstiger Anhaltspunkt, daß die Wassergenossenschaft aufgelöst worden sei, ist nicht hervorgekommen.

Entgegen der Meinung der Bf. ist die Wassergenossenschaft B rechtlich existent.

2. Weder nach dem Inkrafttreten des WRG 1934 noch nach dem Inkrafttreten der Wasserrechtsnov. 1959 sind die im Jahre 1889 genehmigten Statuten der Wassergenossenschaft B wegen eines etwaigen Widerspruches zum Wasserrechtsgesetz in entsprechend geänderter Form der nunmehr zuständigen Wasserrechtsbehörde iS des §141 WRG 1959 zur Genehmigung vorgelegt worden.

Damit ist davon auszugehen, daß für die Wassergenossenschaft B die im Jahre 1889 genehmigten Statuten unverändert in Geltung geblieben sind.

Diese Satzungen enthalten in §17 die Anordnung, daß ein Antrag auf Abänderung der Statuten zunächst vom Ausschuß zu behandeln ist, der seinen hier gefaßten Beschluß der Bezirkshauptmannschaft anzuzeigen hat. Erhebt diese gegen die beantragte Statutenänderung keinen Einspruch, so hat der Obmann der Genossenschaft eine Generalversammlung der Genossenschaftsmitglieder einzuberufen und dieser den Antrag auf Statutenänderung vorzulegen.

Nach §14 der Statuten ist eine Generalversammlung, bei der eine Abänderung der Statuten auf der Tagesordnung steht, "nur dann beschlußfähig, wenn wenigstens drei Viertteile der Genossenschaftsmitglieder mit wenigstens drei Viertteilen sämtlicher Stimmen anwesen sind", während für die sonstige Beschlußfähigkeit die Anwesenheit "von mindestens zwei Dritteilen sämtlicher Stimmen erforderlich" ist.

Aus der Begründung des erstinstanzlichen und des angefochtenen Bescheides geht hervor, daß bei der Beschlußfassung zur Stellung eines Antrages auf Abänderung der Statuten am 2. April 1977 die erforderliche Anzahl von 3/4 der Mitglieder nicht anwesend war.

Auch bei der Versammlung der Wassergenossenschaft B am 21. April 1979 war die erforderliche Zahl der Mitglieder nicht anwesend. Es wurde bei einer für eine Stunde später einberufenen Generalversammlung ohne Rücksicht auf die Anzahl der anwesenden Mitglieder die Abstimmung durchgeführt, wobei sich unter Berücksichtigung schriftlich abgegebener Zustimmungserklärungen nach der Begründung des angefochtenen Bescheides eine Mehrheit von 78,8 vH ergeben habe.

Weder eine Bestimmung der Statuten noch eine Bestimmung des WRG 1959 ermöglicht aber eine Abstimmung über einen Antrag auf Statutenänderung ohne die Anwesenheit der hiezu erforderlichen Anzahl von Mitgliedern und der nach den Statuten geforderten qualifizierten Mehrheit. Insbesondere besteht auch keine Möglichkeit, schriftlich abgegebene Zustimmungserklärungen bei der Generalversammlung nicht anwesender Mitglieder zu berücksichtigen.

Mit dem erstinstanzlichen Bescheid ist demnach eine Abänderung (Anpassung) der Statuten genehmigt worden, ohne daß ein nach den Statuten erforderlicher Mehrheitsbeschluß der Generalversammlung der Genossenschaft vorgelegen wäre. Damit hat die erstinstanzliche Behörde, die sich bei der Erlassung ihres Bescheides ausdrücklich auf die Bestimmungen der §§74 und 77 Abs5 WRG 1959 berufen hat, sodaß es ausgeschlossen ist, den Bescheid als eine von Amts wegen nach dem zweiten Satz des §141 Abs1 WRG 1959 vorzunehmende Änderung der Satzung zu deuten, eine materielle Entscheidung über einen Antrag gefällt, der mangels des Vorliegens der für die Antragstellung erforderlichen Voraussetzungen zurückzuweisen gewesen wäre. Damit hat sie eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr nach dem Gesetz nicht zukommt.

Da die bel. Beh. bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides die Nichtzuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde nicht wahrgenommen hat, sind die Bf. durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß auf das Beschwerdevorbringen weiter einzugehen war.

Schlagworte

Wasserrecht, Wassergenossenschaft, Rechtsüberleitung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1983:B309.1980

Dokumentnummer

JFT_10168785_80B00309_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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