TE Vfgh Erkenntnis 1985/6/17 V6/85, V15/85, V16/85, V17/85, V18/85, V19/85, V20/85

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Veröffentlicht am 17.06.1985
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs5 / Kundmachung
StVO 1960 §43 Abs1 litb
StVO 1960 §45 Abs2
Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 09.09.81. A 10/1-1022/1-1981, mit der für verschiedene Verkehrsflächen ein beschränktes Halte- und Parkverbot verordnet wurde

Beachte

Kundmachung LGBl. für Stmk. 63/1985 am 5. August 1985; Anlaßfälle B636 - 638/84, B645/84, B649, 650/84 vom 27. September 1985 und B783/83 vom 4. Oktober 1985 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide nach Muster B258/83 vom 4. Oktober 1985

Leitsatz

V des Stadtsenates der Stadt Graz vom 9. September 1981, mit der für verschiedene Verkehrsflächen ein beschränktes Halte- und Parkverbot verordnet wurde; keine gesetzliche Deckung der V in §43 Abs1 litb und §45 Abs2 StVO; mangelnde Determinierung der V

Spruch

Die V des Stadtsenates der Stadt Graz vom 9. September 1981, A 10/1-1022/1-1981, mit der für verschiedene Verkehrsflächen ein beschränktes Halte- und Parkverbot verordnet wurde, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Stmk. Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im LGBl. verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit sieben beim VfGH angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der Stmk. Landesregierung wurden die Bf. in den Anlaßbeschwerdefällen jeweils der Übertretung nach §24 Abs1 lita StVO schuldig erkannt, weil sie - zur jeweils angeführten Tatzeit am jeweiligen Tatort - mit ihrem PKW im Bereich des Vorschriftszeichens "Halten und Parken verboten" gehalten hätten; über die Bf. wurden jeweils Geldstrafen und Ersatzarreststrafen verhängt.

Die Bf. erachten sich in den sieben Beschwerden im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums sowie wegen Anwendung einer gesetzwidrigen V in ihren Rechten verletzt und beantragen die Aufhebung der angefochtenen Bescheide, in eventu die Abtretung der Beschwerden an den VwGH.

2. Aus Anlaß dieser (beim VfGH zu B783/83 sowie zu B636, 637, 638, 645, 649 und 650/84 protokollierten) Beschwerden hat der VfGH mit seinen Beschl. vom 4. Dezember 1984, B783/83 und vom 4. März 1985, B636/84 ua. entschieden, gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen die Gesetzmäßigkeit der V des Stadtsenates der Stadt Graz vom 9. September 1981, A 10/1-1022/1-1981, mit der für verschiedene Verkehrsflächen ein beschränktes Halte- und Parkverbot verordnet wurde, zu prüfen.

3. Mit der für den Stadtsenat der Stadt Graz von Stadtrat Jamnegg erlassenen (s. §61 Abs3 des Statutes der Landeshauptstadt Graz, LGBl. 130/1967) V vom 9. September 1981 wurde gemäß §43 StVO für sieben näher bezeichnete Bereiche (darunter auch die hier relevanten) ein beschränktes Halte- und Parkverbot verordnet. Die V trägt die Z A 10/1-1022/1-1981 und hat folgenden Wortlaut:

"Gemäß §43 der StVO 1960 in der derzeit gültigen Fassung wird

1.

vor den Häusern Joanneumring Nr. 9 - 13

2.

im Bereich Marburgerkai 47

3.

im Bereich Raubergasse - Landhausgasse

4.

in der Neutorgasse zwischen Joanneumring und Kalchberggasse

5.

vor den Häusern Joanneumring 1 - 7

6.

im Bereich Kaiserfeldgasse - Marburgerkai und

7.

im Bereich der Liegenschaft Marburgerkai 49

ein Halte- und Parkverbot 'ausgenommen Fahrzeuge mit gültiger Parkberechtigung für die Zone 11, verordnet.

Die Verordnung tritt mit Aufstellung der Verkehrszeichen in Kraft, wobei die Zonen je nach Bedarf mit Halteverbot belegt werden."

Nach einer im Verordnungsakt befindlichen Notiz wurde die V durch Anbringung von Vorschriftszeichen nach §52 lita Z13b StVO samt den entsprechenden Zusatztafeln am 1. Oktober 1981 kundgemacht. Die von der V erfaßten Flächen wurden überdies durch grüne Bodenmarkierungen gekennzeichnet.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Der VfGH ist in seinen Beschl. auf Prüfung der V davon ausgegangen, daß die V offenkundig Grundlage der bekämpften Bescheide war, da die Bestrafung wegen Übertretung des durch die V verfügten Halte- und Parkverbotes erfolgt sei. Der VfGH habe die V bei der Überprüfung der Bescheide somit anzuwenden, und zwar - wie es scheine - ihres Zusammenhangs wegen, der insbesondere durch die Formulierung der Ausnahme vom Verbot, aber auch durch die Kundmachungsermächtigung deutlich werde, zur Gänze.

Das Verordnungsprüfungsverfahren hat nichts ergeben, was gegen diese vorläufigen Annahmen des VfGH spräche.

Das Verordnungsprüfungsverfahren ist daher zulässig.

2. Der VfGH hat in seinem genannten Beschl. vom 4. Dezember 1984 seine Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen V wie folgt beschrieben:

"a) Der VfGH hat zunächst das Bedenken, daß die in Prüfung gezogene Verordnung keine Deckung in der StVO findet:

Der Gerichtshof geht dabei davon aus, daß die Verordnung, mit der das Halte- und Parkverbot angeordnet wird, nicht erlassen wurde, um zu bewirken, daß auf bestimmten Flächen nicht gehalten oder geparkt wird; vielmehr soll die Verordnung die Reservierung bestimmter Parkplätze für bestimmte Personen, nämlich solche, die über eine gültige Parkberechtigung verfügen, bewirken. Regelungszweck der Verordnung ist also nicht das Freihalten bestimmter Flächen von haltenden und parkenden Kraftfahrzeugen, sondern eine bestimmte Form der Parkplatzbewirtschaftung. Für eine derartige Bestimmung scheint §43 Abs1 litb StVO aber keine gesetzliche Grundlage zu bieten, der - soweit er sich auf Halte- und Parkverbote bezieht - den Zweck des Freihaltens bestimmter Verkehrsflächen oder deren Reservierung für bestimmte, im Gesetz vorgezeichnete Zwecke (zB aus Gründen der Widmung oder Beschaffenheit eines Gebäudes gemäß §43 Abs1 litb Z1 StVO - vgl. etwa VfSlg. 4915/1965, 8520/1979; für diplomatische Vertretungen - vgl. etwa VfSlg. 4161/1962; Ladezonen gemäß §52 lita Z13b StVO; Kurzparkzonen gemäß §52 lita Z13d StVO) vor Augen zu haben scheint. Insbesondere scheint auch die Zielsetzung der 'Ordnung des ruhenden Verkehrs' in §43 Abs1 litb StVO eine andere Intention zu verfolgen, als die einer Parkraumbewirtschaftung der Art, wie sie mit der in Prüfung gezogenen Verordnung bewirkt wird.

Auch §45 Abs2 StVO scheint dem VfGH nicht geeignet zu sein, der Verordnung eine ausreichende gesetzliche Grundlage zu geben. Denn nach dieser Gesetzesbestimmung sind Ausnahmebewilligungen dann zu erteilen, wenn ein erhebliches persönliches oder wirtschaftliches Interesse individueller Personen (arg. Antragsteller) dies erfordert oder wenn die betreffende Person die ihr gesetzlich oder sonst obliegenden Aufgaben ohne solche Ausnahme nicht oder nur mit besonderen Erschwernissen durchführen könnte (und wenn überdies eine wesentliche Beeinträchtigung von Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht zu erwarten ist). Die unbestimmten Begriffe, die §45 Abs2 StVO verwendet, werden durch die in dieser Bestimmung genannten (demonstrativ aufgezählten) Beispiele konkretisiert. Wer an einer Ausnahmegenehmigung ein (objektives) Interesse hat, das den genannten Beispielen der Art oder Intensität nach nahekommt, kann in den Genuß einer entsprechenden Ausnahmebewilligungen kommen.

Bei Erteilung von Ausnahmebewilligung, wie sie die in Prüfung gezogene Verordnung vor Augen hat, wenn sie vom Halte- und Parkverbot die 'Fahrzeuge mit gültiger Parkberechtigung für die Zone 11, ausnimmt, wird aber die individuelle Bedarfssituation des Antragstellers gar nicht geprüft. Es soll nämlich offenkundig - wie sich aus dem Verordnungsakt ergibt, der zur Interpretation herangezogen werden muß, da der Verordnungstext für sich völlig unverständlich ist - allein vom Wohnsitz des Betroffenen abhängen, ob ihm eine Parkberechtigung erteilt wird oder nicht. In den Genuß einer Parkberechtigung kann auch eine Person kommen, die gar kein derart intensives Bedürfnis nachweisen kann, wie das §45 Abs2 StVO vorsieht; andererseits scheint es, daß jemand, der ein besonders intensives Bedürfnis nachzuweisen in der Lage ist, aber keinen Wohnsitz im betreffenden Gebiet hat, nicht in den Genuß einer Parkberechtigung gelangen kann. Es scheint daher, daß die in der Verordnung vorgesehene Erteilung von Parkberechtigungen durch §45 Abs2 StVO nicht gedeckt ist.

Der Verordnungsgeber scheint somit nicht das vom Konzept der StVO vorgesehene Anliegen, ein Halte- und Parkverbot zu normieren, von dem allenfalls aus individuellen Gründen Ausnahmen gewährt werden können, zu verwirklichen, sondern von der Absicht bestimmt zu sein, befristete Parkberechtigungen zu vergeben, die nach dem der Verordnung zugrunde liegenden Konzept überdies nur gegen Entgelt erteilt werden sollen.

b) Der VfGH hat weiters das Bedenken, daß die Verordnung ihren Gegenstand nicht exakt bestimmt. Es scheinen nämlich die teilweise für die Abgrenzung des örtlichen Geltungsbereichs, für den das Halte- und Parkverbot verfügt wird, verwendeten Formulierungen 'im Bereich' zu unbestimmt zu sein, um den Anwendungsbereich exakt abzugrenzen.

c) Schließlich hat der VfGH das Bedenken, daß auch der zeitliche Geltungsbereich der Verordnung nicht exakt fixiert ist. Er wird nämlich vom Aufstellen der Verkehrszeichen abhängig gemacht, wobei der Termin der Aufstellung der Verkehrszeichen jedoch von einem durch die Verordnung selbst nicht näher determinierten Willensakt der mit der Aufstellung der Verkehrszeichen befaßten Organe abhängig gemacht wird."

3. Die Stmk. Landesregierung hat eine Äußerung abgegeben, in welcher die Bedenken des VfGH gegen die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen V vollinhaltlich geteilt werden.

Der Stadtsenat der Stadt Graz hat im Verordnungsprüfungsverfahren keine Stellungnahme abgegeben.

4. Da auch sonst nichts hervorgekommen ist, was die oben wiedergegebenen Bedenken des VfGH gegen die V des Stadtsenates der Stadt Graz vom 9. September 1981 entkräftet hätte, ist die genannte V wegen Gesetzwidrigkeit aufzuheben.

Der Ausspruch über die Kundmachung der Aufhebung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.

Schlagworte

Straßenpolizei, Halte(Park-)Verbot, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1985:V6.1985

Dokumentnummer

JFT_10149383_85V00006_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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