TE Vfgh Beschluss 1988/11/28 G110/88, G111/88, G112/88, G113/88, G114/88, G115/88, G116/88

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Veröffentlicht am 28.11.1988
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art44 Abs3
B-VG Art60 Abs3
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab
B-VG Art149 Abs1
B-VG Art140a
HabsburgerG
Stiftungs- und FondsreorganisationsG §7
VfGG §19 Abs3 Z2 litc
VfGG §62 Abs1
VfGG §62, §66

Leitsatz

Art140 Abs1 B-VG; VerfGG §§18, 62 Abs1; die strengen Formerfordernisse der beiden ersten Sätze des §62 Abs1 VerfGG erfordern eine eindeutige Bezeichnung der bekämpften Gesetzesstellen sowie eine präzise Umschreibung der Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit Unzulässigkeit eines Individualantrages auf Aufhebung des HabsburgerG und des §7b des Stiftungs- und FondsreorganisationsG Unzulässigkeit eines Individualantrages auf Aufhebung der Z2 in Art10 Staatsvertrag von Wien, des Vorbehaltes zu Art3 des 4. Zusatzprotokolls zur MRK und des Vorbehaltes zu Art12 Abs4 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte; Art140 B-VG iVm. §62 VerfGG und Art140a B-VG iVm. §66 VerfGG bieten keine Rechtsgrundlage für derartige (Staatsverträge betreffende) Aufhebungsbegehren Unzulässigkeit eines Individualantrages auf Aufhebung des Zitates des HabsburgerG in Art149 B-VG, Art60 Abs3 zweiter Satz B-VG und des ArtII des Verfassungsgesetzes BGBl. 390/1973; keine "Änderung" der Bundesverfassung; Regeln des Art44 Abs3 nur für künftige Verfassungsänderungen bedeutsam

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. C-L Habsburg-Lothringen stellte den (in der Folge unverändert - wiedergegebenen) Antrag, der VfGH wolle gemäß Art140 Abs1 B-VG als verfassungswidrig aufheben:

"1. a) Das Gesetz vom 03. April 1919, betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen, StBGl.Nr. 209, in der Fassung des Gesetzes vom 30.10.1919, StGB.Nr. 50/1919, des Bundesverfassungsgesetzes vom 30.07.1925, BGBl. Nr. 292/1928, und unter Bedachtnahme auf das Bundesverfassungsgesetz vom 04.07.1963, BGBl. Nr. 172/1963 zur Gänze und

b) vom Artikel 149 B-VG 1929 in der derzeit geltenden Fassung die Worte: 'Gesetz vom 03. April 1919, StGBl. Nr. 209, betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen',

in eventu: wegen inhaltlicher Verfassungswidrigkeit vom erstgenannten Gesetz in seiner derzeit geltenden Fassung:

a) den §2 zur Gänze,

b) vom §5 die Worte: ... 'sowie des für das früher regierende Haus oder für eine Zweiglinie desselben gebundenen

...',

c) vom §6 die Absätze 2, 3 und 4,

d) den §7 zur Gänze,

2. vom Artikel 60 Abs3 B-VG den zweiten Satz,

3. vom Artikel 10 des Staatsvertrages von Wien vom 15. Mai 1955, BGBl. Nr. 152/1955 die Ziffer 2,

4. den Artikel II des Bundesverfassungsgesetzes vom 03. Juli 1973 zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. Nr. 390/1973,

5. vom §7 des BG vom 06.07.1954, betreffend Maßnahmen auf dem Gebiete des Stiftungs- und Fondswesens (Stiftungs- und Fondsreorganisationsgesetz), BGBl. Nr. 197/1954, den Punkt b) der wie folgt lautet: 'zur Geltungsmachung der Rückerstellungsansprüche ist die Republik Österreich berechtigt. Die Bestimmungen des §2 des Rückstellanspruchgesetzes gelten auch für die Erhebung dieser Rückstellungsansprüche',

6. den Vorbehalt der Republik Österreich zu Artikel 3 des Protokolls Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 434/1969,

7. den Vorbehalt der Republik Österreich zu Artikel 12 Abs4 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, BGBl. Nr. 591/1978."

1.2. Die zur schriftlichen Äußerung eingeladene Bundesregierung trat dafür ein, diesen Antrag teils als unzulässig zurück-, teils als unbegründet abzuweisen.

2. Über den Antrag wurde erwogen:

2.1. ("Individual"-)Anträge nach Art140 B-VG, die nicht begehren, das - nach Auffassung des Antragstellers verfassungswidrige - Gesetz seinem "ganzen Inhalte" nach oder in "bestimmte(n)" Stellen aufzuheben (§62 Abs1 Satz 1 VerfGG 1953), oder die keine Darlegung der gegen die Verfassungsmäßigkeit der aufzuhebenden Norm sprechenden Bedenken "im einzelnen" enthalten (§62 Abs1 Satz 2 VerfGG 1953), sind nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH nicht verbesserungsfähig (§18 VerfGG 1953) und als unzulässig zurückzuweisen:

Um die strengen Formerfordernisse der beiden ersten Sätze des §62 Abs1 VerfGG 1953 zu erfüllen, müssen sowohl die bekämpften Stellen des Gesetzes genau und eindeutig bezeichnet (s. VfSlg. 7593/1975, 8550/1979, 9619/1983, 9850/1983, 9880/1983;

VfGH 14.10.1982 G129/81, 6.6.1986 G116/86; vgl. ferner:

VfGH 3.12.1986 G92-94/86 und 27.11.1987 G 149-152,156,157/87 (zu (Individual-)Anträgen der auch hier einschreitenden Partei)) als auch die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit - in überprüfbarer Art - präzise ausgebreitet werden (vgl. VfGH 8.3.1977 B239/76, 23.9.1978 B449/77, 3.12.1986 G92-94/86).

2.2.1. Entgegen dem Antragswortlaut handelt es sich bei den - im Punkt 1.a) des Antrags zitierten und im zugehörigen Eventualantrag bezogenen - Normen StGBl. 50/1919 und BGBl. 292/1928 nicht um Novellen zum HabsburgerG, sondern um eine Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft (aus dem Jahr 1919), betreffend die Aufhebung der Beschränkungen des Verkehrs mit Tierhaaren (: StGBl. 50/1919), und um eine V des Bundesministers für Handel und Verkehr (aus dem Jahr 1928), betreffend Abänderung der Vorschriften über nur bedingungsweise zur Eisenbahnbeförderung zugelassene Gegenstände (: BGBl. 292/1928). Der (Aufhebungs-)Antrag ist also schon in diesen Punkten ungereimt, widersprüchlich und zur meritorischen Erledigung ungeeignet. Zudem wird - unklar und undeutlich - begehrt, das HabsburgerG, dessen §2 nun in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes vom 4. Juli 1963, BGBl. 172/1963, dem Rechtsbestand angehört (vgl. VfGH 10.10.1988 G121/88), lediglich "unter Bedachtnahme" auf dieses Verfassungsgesetz (zur Gänze oder "in eventu" teilweise) als verfassungswidrig aufzuheben.

2.2.2. Des weiteren werden im Antrag in Punkt 3. die Aufhebung der Z2 in Art10 des Staatsvertrages von Wien, in Punkt 6. die Aufhebung des Vorbehaltes zu Art3 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK und in Punkt 7. die Aufhebung des Vorbehaltes zu Art12 Abs4 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte begehrt. Aus Art140 B-VG iVm §62 VerfGG 1953 und Art140a B-VG iVm §66 VerfGG 1953 erhellt jedoch, daß diese Bestimmungen für derartige (Staatsverträge betreffende) Aufhebungsbegehren ebenso wie für Anträge auf Unzulässigerklärung (vgl. den (vom Antragsteller erwirkten) Beschluß vom 3. Dezember 1986, G92-94/86) keine geeignete Rechtsgrundlage bieten. Auch in diesen Punkten ist der Antrag darum unzulässig.

2.2.3. Doch auch Punkt 5. des ("Individual"-)Antrags genügt nicht den unverzichtbaren Formerfordernissen des §62 Abs1 VerfGG 1953. Zwar behauptet der Antragsteller, daß die litb des §7 des Stiftungs- und FondsreorganisationsG, BGBl. 197/1954, gegen das verfassungsgesetzlich verbürgte Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und die Eigentumsgarantie des Art5 StGG verstoße, aber es fehlt an jeglichen Gründen für diese These, somit an einer Darlegung der verfassungsrechtlichen Bedenken "im einzelnen", wie sie §62 Abs1 VerfGG 1953 zwingend voraussetzt.

2.2.4. Notwendige - hier nicht erfüllte - primäre Voraussetzung eines ("Individual"-)Antrags auf Aufhebung von Verfassungsgesetzen des Bundes, deren verfassungsmäßiges Zustandekommen nach den Regeln des Art44 Abs3 B-VG bestritten wird, ist jedenfalls schon in formaler Beziehung die schlüssige Behauptung einer "Änderung" der Bundesverfassung. Daran mangelt es in diesem Fall, weil Art60 Abs3 Satz 2 B-VG und das Zitat des HabsburgerG in Art149 Abs1 B-VG wie Art44 Abs3 B-VG selbst - inhaltlich gesehen - bereits Bestandteil der Urfassung des B-VG aus dem Jahr 1920 waren:

Einzelne Bestimmungen des B-VG lassen sich denknotwendig nicht an der zugleich geschaffenen Norm des Art44 (B-VG) messen, die nur für künftige (Verfassungs-)"Änderungen" bedeutsam sein kann. Ebensowenig steht der ("Individual"-)Antrag aber auf dem Boden einer Änderung der Bundesverfassung (hier des Art149 B-VG), wenn er ArtII des Verfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 aufgehoben wissen will; denn dieses Verfassungsgesetz läßt das (in Art149 B-VG angeführte) HabsburgerG ausdrücklich unberührt.

2.3.1. Der somit an inhaltlichen, keiner Verbesserung zugänglichen Fehlern leidende Antrag war daher als unzulässig zurückzuweisen.

2.3.2. Dieser Beschluß konnte in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs3 Z2 litc VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

VfGH / Antrag, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Zuständigkeit, VfGH / Bedenken, VfGH / Prüfungsmaßstab, Bundesverfassung, VfGH / Mängelbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:G110.1988

Dokumentnummer

JFT_10118872_88G00110_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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